Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes, Familienheimfahrten
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Julia Carola Cermak-Kapl MA in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des damaligen Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2017 sowie die Beschwerde vom gegen den Bescheid vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2018, Steuernummer ***BF-StNr***, zu Recht erkannt:
I. Den Beschwerden wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben sind den als Beilage angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Strittig im beschwerdegegenständlichen Fall ist die Berücksichtigung von Familienheimfahrten in Zusammenhang mit der Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes als Werbungskosten.
Der Beschwerdeführer beantragte mit den beim Finanzamt eingebrachten Erklärungen zur Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für die Jahre 2017 und 2018 unter anderem die Berücksichtigung von Aufwendungen für Familienheimfahrten iHv jeweils EUR 3.336,- sowie das Pendlerpauschale iHv EUR 341,- und den Pendlereuro iHv EUR 11,-.
In dem am ergangenen Einkommensteuerbescheid (Arbeitnehmerveranlagung) betreffend das Jahr 2017 sowie dem am ergangenen Bescheid betreffend das Jahr 2018 wurden die Familienheimfahrten nicht anerkannt und diesbezüglich begründend ausgeführt, dass Familienheimfahrten eines Arbeitnehmers von der Wohnung am Arbeitsort zum Familienwohnsitz nur Werbungskosten seien, wenn die Voraussetzungen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung vorlägen. Dies sei dann der Fall, wenn dem Erwerbstätigen eine Wohnsitzverlegung in übliche Entfernung vom Ort der Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden könne. Lägen die Voraussetzungen für eine auf Dauer angelegte doppelte Haushaltsführung nicht vor, so könnten Kosten für Familienheimfahrten nur vorübergehend als Werbungskosten geltend gemacht werden. Als vorübergehend werde bei einem verheirateten oder in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Steuerpflichtigen ein Zeitraum von zwei Jahren angesehen. Da im Fall des Beschwerdeführers die Voraussetzungen nicht zutreffen würden, könnten die geltend gemachten Aufwendungen nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden. Das Pendlerpauschale und der Pendlereuro wurden erklärungsgemäß berücksichtigt.
In den gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2017 sowie vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 brachte der Beschwerdeführer vor, er fahre jede Woche alleine mit seinem eigenen PKW zwischen seinem Familienwohnsitz in Ungarn und seinem Arbeitsort in Österreich hin und her. Sein Beschäftigungsort sei vom Familienwohnsitz zu weit entfernt, um täglich nach Hause zu fahren. Am Familienwohnsitz lebten seine Ehefrau und das gemeinsame unterhaltsberechtigte Kind. Eine Mitübersiedlung der gesamten Familie sei nicht zumutbar.
In der Beschwerde betreffend das Jahr 2018 brachte er ergänzend vor, seine Frau sei in Karenz, und habe derzeit keine Einkünfte. Das Beibehalten des bisherigen Wohnsitzes sei auch damit begründet, dass der Verkauf des Eigenheims zu erheblichen Vermögenseinbußen führen würde und nicht die Kosten für ein neues Haus am Arbeitsort decke. Aus diesen Gründen sei die Beibehaltung des Wohnsitzes in Ungarn nicht privat veranlasst und die Verlegung des Familienwohnsitzes in die Nähe seines Arbeitsortes nicht zumutbar.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde - nach beantwortetem Ergänzungsersuchen - die Beschwerde betreffend das Jahr 2017 und am die Beschwerde betreffend das Jahr 2018 als unbegründet abgewiesen und dies im Wesentlichen dahingehend begründet, dass Familienheimfahrten nur Werbungskosten seien, wenn die Voraussetzungen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung vorlägen. Da im Fall des Beschwerdeführers die Voraussetzungen nicht zutreffen würden, könnten die geltend gemachten Aufwendungen nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden.
Gegen diese Beschwerdevorentscheidungen richten sich die fristgerecht eingebrachten Vorlageanträge vom betreffend das Jahr 2017 sowie vom betreffend das Jahr 2018.
Am wurden die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom wurde die gegenständliche Beschwerde der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zur Erledigung zugeteilt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der Beschwerdeführer ist ungarischer Staatsbürger und verfügt über keinen Wohnsitz in Österreich.
Er bezieht seit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Österreich. Von bis und seit dem ist er bei der ***Arbeitgeber*** GmbH als Schwarzdecker-Facharbeiter ohne Lehrabschlussprüfung angestellt. Er erzielte im Jahr 2017 steuerpflichtige Bezüge iHv EUR 1.108,96 von 1. bis 12. Jänner sowie iHv EUR 20.496,52 von 1. März bis 31. Dezember und im Jahr 2018 iHv EUR 25.606,10.
Sein Arbeitgeber stellt ihm unter der Woche eine unentgeltliche Schlafmöglichkeit im Arbeiterquartier an der Adresse ***W*** zur Verfügung. Diese besteht aus einem 36m² großen Schlafraum, den sich 3 Personen teilen.
Der Beschwerdeführer hatte somit in den beschwerdegegenständlichen Jahren einen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Er stellte in der jeweiligen Arbeitnehmerveranlagung einen Antrag auf unbeschränkte Steuerpflicht und wurde auch von seinem Arbeitgeber als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt.
Der Beschwerdeführer ist seit dem XX. Oktober 2013 mit ***Ehefrau***, geboren am ***Datum 1979*** verheiratet und hat einen Sohn, ***Sohn***, welcher am ***Datum 2016*** geboren wurde. Die Ehefrau des Beschwerdeführers war in den beschwerdegegenständlichen Jahren in Karenz und bezog kein Einkommen.
Der Familienwohnsitz des Beschwerdeführers befindet sich in ***Ungarn***. Es handelt sich dabei um ein Eigenheim.
Die einfache Wegstrecke zwischen der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Unterkuft und dem Familienwohnsitz des Beschwerdeführers beträgt in etwa 230 km.
Der Beschwerdeführer fuhr in den betreffenden Jahren 2017 und 2018 jedes Wochenende in seinem eigenen PKW von Wien zu seiner Familie nach Ungarn. Vom Arbeitgeber wurden diesbezüglich keine Kosten ersetzt.
Die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Arbeitsort ist dem Beschwerdeführer nicht zumutbar.
In den Jahren 2015 und 2016 sowie 2019 bis 2022 wurden die Familienheimfahrten von der Finanzverwaltung als Werbungskosten anerkannt.
2. Beweiswürdigung
Gemäß § 167 Abs 2 BAO hat das Bundesfinanzgericht unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich im Wesentlichen aus dem vorgelegten Verwaltungsakt sowie den Vorbringen der Parteien.
Die Wegstrecke zwischen der Schlafstelle des Beschwerdeführers am Arbeitsort und seinem Familienwohnsitz ist aus einer Abfrage von "Google Maps" ersichtlich. Demnach beträgt die kürzeste Fahrtstrecke 229 km bei einer Fahrzeit von gut 3 Stunden. Die tägliche Rückkehr vom Beschäftigungsort an den Familienwohnsitz ist daher als unzumutbar anzusehen (vgl , , 2013/15/0236).
2.1. Vorliegen der Voraussetzungen der doppelten Haushaltsführung
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist die Frage, ob einem Arbeitnehmer zuzumuten ist, seinen Wohnsitz in den Nahebereich seiner Arbeitsstätte zu verlegen, nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen (vgl ).
Auch wenn in der Beantwortung des Auskunftsersuchens durch den Arbeitgeber des Beschwerdeführers kein konkreter Beschäftigungsort angegeben wird, sondern ausgeführt, dass der übliche bzw überwiegende Arbeitsort Österreich ist, so ist aus der Homepage des Arbeitgebers (***HP AG***, zuletzt eingesehen am ) ersichtlich, dass die Projekte zum Großteil in Wien und Niederösterreich ausgeführt werden und ist davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer im Regelfall möglich ist, täglich vom jeweiligen Projektstandort an die Schlafstelle zurückzukehren.
Für die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes spricht in den Jahren 2017 und 2018 - und somit auch nach Ablauf von zwei Jahren - einerseits bereits, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer Wohnsitzverlegung der Eignung der Wohnmöglichkeit am Beschäftigungsort, dem Wohnbedürfnis Rechnung zu tragen, maßgebliche Bedeutung beigemessen wird ( mwN).
Dem Beschwerdeführer steht allerdings in Österreich lediglich eine ihm von seinem Arbeitgeber kostenlos bereit gestellte Schlafstelle, die mit 36m² auf 3 Personen (Arbeitskräfte) ausgelegt ist und die ohne jeglichen Zweifel keinesfalls dem Wohnbedürfnis einer dreiköpfigen Familie gerecht werden, kann zur Verfügung.
Andererseits brachte der Beschwerdeführer in der Beschwerde betreffend das Jahr 2018 ua vor, das Behalten des bisherigen Wohnsitzes sei auch damit begründet, dass der Verkauf seines Eigenheims zu erheblichen Vermögenseinbußen führen würde und nicht die Kosten für ein neues Haus am Arbeitsort decke.
Diesbezüglich ist auszuführen, dass der Preisniveauindex von Ungarn laut einer Studie des Statistischen Amts der Europäischen Union (EUROSTAT) im Jahr 2017 65,9 (66,0 im Jahr 2018) beträgt, jener von Österreich 111,6 bzw 112,2 im Jahr 2018. Die Daten basieren auf den Ergebnissen einer Preiserhebung, die über 2400 Verbrauchsgüter und Dienstleistungen in ganz Europa erfasst und die Teil des Eurostat/OECD Kaufkraftparitätenprogramms ist. Preisniveauindizes (PNI) ermöglichen einen Vergleich der Preisniveaus der Länder im Verhältnis zum Durchschnitt der Europäischen Union: Liegt der PNI über 100, ist das betreffende Land im Vergleich zum EU-Durchschnitt relativ gesehen teurer. Liegt der PNI unter 100, ist das betreffende Land im Vergleich zum EU-Durchschnitt relativ gesehen günstiger (Verbraucherpreisniveau 2012-2023 Eurostat, https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/tec00120/default/table?lang=de, zuletzt eingesehen am ).
Bei dem Ort ***F***, in dem sich der Familienwohnsitz des Beschwerdeführers befindet, handelt es sich um einen kleinen Ort mit etwa 870 Einwohnern. Dieser befindet sich etwa 20 km von der Bezirkshauptadt ***S*** entfernt. Auch diese ist mit etwa 95.000 Einwohnern deutlich kleiner als Wien. Das innerstaatliche Preisniveau ist üblicherweise in einem Ballungszentrum bzw in der Hauptstadt höher als im ländlichen Bereich. Daher ist der Wohnort des Beschwerdeführers als vergleichsweise strukturschwach zu beurteilen.
Bezugnehmend auf die steuerpflichtigen Bezüge des Beschwerdeführers von EUR 21.605,48 im Jahr 2017 sowie EUR 25.606,10 im Jahr 2018 wäre die Anschaffung eines Hauses in Wien oder in näherer Umgebung nicht möglich.
Ergänzend ist anzumerken, dass auch nach den - wenn auch für das Bundesfinanzgericht nicht bindenden - Lohnsteuerrichtlinien 2002 Rz 345 für die Beibehaltung der doppelten Haushaltsführung sprechende Gründe sein können, dass der Verkauf des Einfamilienhauses bzw der Wohnung am Familienwohnsitz aufgrund der Lage in einem strukturschwachen Gebiet zu erheblichen Vermögenseinbußen führen würde und die Anschaffung einer adäquaten Wohnung am Beschäftigungsort aus dem Erlös nicht möglich wäre, sowie dass der Steuerpflichtige am Beschäftigungsort über keine Wohnung verfügt, sondern eine Schlafstelle bewohnt, die nicht geeignet ist, als Mittelpunkt der Lebensinteressen zu dienen bzw der Arbeitgeber dem Steuerpflichtigen eine kostenlose bzw verbilligte Wohnmöglichkeit zur Verfügung stellt, die aufgrund der Größe und Ausstattung nicht den Familienbedürfnissen entspricht (Jakom/Ebner EStG17, 2024, § 16 Rz 56).
Darüber hinaus spricht auch die familiäre Situation des Beschwerdeführers - der Sohn des Beschwerdeführers ist im August 2016 geboren und war daher in den beschwerde-gegenständlichen Jahren gerade ein bzw zwei Jahre alt und die Ehefrau in Karenz und nicht erwerbstätig - gegen eine Zumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes in den Jahren 2017 und 2018.
Aufgrund der oa dargelegten Gründe ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass für die beschwerdegegenständlichen Jahre gewichtige wirtschaftliche Gründe vorliegen, die für die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes sprechen.
2.2 Familienheimfahrten
Da dem Beschwerdeführer die Verlegung des Familienwohnsitzes nicht zumutbar war, ist zu beurteilen, welche mit diesem im Zusammenhang stehenden Aufwendungen als Werbungskosten anzuerkennen sind.
Werbungskosten sind über Verlangen der Abgabenbehörde nach Art und Umfang nachzuweisen oder, wenn dies nicht möglich ist, wenigstens glaubhaft zu machen (vgl ). Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist ein Sachverhalt glaubhaft gemacht, wenn die Umstände des Einzelfalles dafür sprechen, dass der vermutete Sachverhalt von allen anderen denkbaren Möglichkeiten die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat ().
Dem Bundesfinanzgericht erscheint es glaubhaft, dass der Beschwerdeführer an den Wochenenden seine Frau und seinen Sohn im Säuglings- bzw später im Kleinkindalter regelmäßig an den Wochenenden besucht und die Strecke mit dem auf ihn zugelassenen Fahrzeug zurückgelegt hat. Auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - wonach insbesondere die Distanz sowie die familiären Verhältnisse zu berücksichtigen sind - scheint der Ansatz wöchentlicher Familienheimfahrten bei einem verheirateten Steuerpflichtigen mit einem Kleinkind und einer Wegstrecke von rund 230 km sachgerecht (vgl ; ).
Der Beschwerdeführer hat einen Zulassungsschein vorgelegt, aus dem ersichtlich ist, dass das Fahrzeug auf ihn zugelassen ist, hat aber trotz Aufforderung der Behörde nicht die mit diesen Fahrten verbundenen tatsächlichen Kosten nachgewiesen. Die Kosten sind daher gemäß § 184 BAO im Schätzungsweg zu ermitteln, wobei nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung eine Schätzung mit dem amtlichen Kilometergeld in vielen Fällen zu einem den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Ergebnis führen wird (). Nach der Verwaltungspraxis bestehen keine Bedenken, bei betrieblichen Fahrten von nicht mehr als 30.000 km im Jahr das amtliche Kilometergeld anzusetzen ().
Bei der Annahme wöchentlichen Familienheimfahrten des Beschwerdeführers ergibt sich eine Anzahl von 23.816 km (229*2*52) im Jahr. Da dieser Wert deutlich unter der Grenze von 30.000 km liegt, ist die Schätzung mit dem amtlichen Kilometergeld als tauglich anzusehen.
Bei Ansatz des amtlichen Kilometergeldes ergibt sich daraus ein Betrag von EUR 10.002,72 je Jahr.
Da die Kosten für Familienheimfahrtengemäß § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG 1988 nur bis zu dem in § 16 Abs 1 Z 6 lit d EStG 1988 angeführten höchsten Betrag, sohin EUR 3.672,- als Werbungskosten abzugsfähig sind, sind nicht die gesamten Fahrtkosten, sondern EUR 3.672,- als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Umgerechnet auf die gefahrenen Kilometer berücksichtigt dieser Höchstbetrag (3.672/0,42/458) 19 Fahrten des Beschwerdeführers jährlich zwischen seinem Arbeitsort und seinem Familienwohnsitz.
Es kann daher dahingestellt bleiben, ob selbst bei der Annahme wöchentlicher Familienheimfahrten die Anzahl der Fahrten tatsächlich mit 52 zu anzusetzen ist, oder ob auch hier ein Abzug für Urlaube oder etwaige Krankenstände und somit Wochenenden, an denen der Beschwerdeführer nicht hin und her gefahren ist, vorzunehmen und die Anzahl der Fahrten entsprechend zu reduzieren ist. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass die Anzahl der Familienheimfahrten des Beschwerdeführers ein Mehrfaches von 19 betragen hat.
Aus denselben Gründen kann davon Abstand genommen werden, für das Jahr 2017 eine Aliquotierung für den Zeitraum, in dem der Beschwerdeführer nicht beschäftigt war (13. Jänner bis ) vorzunehmen.
Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durfte das Bundesfinanzgericht daher in freier Beweiswürdigung von den obigen Sachverhaltsfeststellungen ausgehen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
3.1.1 doppelte Haushaltsführung
Gemäß § 16 Abs 1 EStG 1988 stellen Werbungskosten die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen dar.
Nach § 20 Abs 1 Z 1 EStG 1988 dürfen die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge bei den einzelnen Einkünften nicht abgezogen werden.
§ 20 Abs 2 Z 2 lit e EStG 1988 in der im Beschwerdezeitraum geltenden Fassung sieht vor, dass Kosten der Fahrten zwischen Wohnsitz am Arbeits-(Tätigkeits-)ort und Familienwohnsitz (Familienheimfahrten), soweit sie den auf die Dauer der auswärtigen (Berufs-)Tätigkeit bezogenen höchsten in § 16 Abs 1 Z 6 lit d EStG 1988 angeführten Betrag übersteigen nicht abgezogen werden dürfen.
§ 16 Abs 1 Z 6 EStG 1988 regelt die Fahrten eines Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, welche gemäß lit d mit einem Betrag von EUR 3.672,- jährlich begrenzt sind.
Unter Familienheimfahrten sind die Fahrten zwischen Berufs- und Familienwohnsitz, also zwischen zwei Wohnungen zu verstehen. Es liegt sohin ein Sachverhalt vor, der grundsätzlich in den Bereich der privaten Lebensführung zu verweisen wäre. Steuerlich absetzbar sind diese Kosten nur dann, wenn die Voraussetzungen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung vorliegen und nur insoweit, als den Steuerpflichtigen ein Mehraufwand trifft und die durch § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG 1988 gesetzte Begrenzung mit dem höchsten Pendlerpauschale nicht überschritten wird (Jakom/Ebner EStG17, 2024, § 16 Rz 56).
Von einer doppelten Haushaltsführung wird gesprochen, wenn aus beruflichen Gründen zwei Wohnsitze geführt werden, und zwar einer am Familienwohnort (Familienwohnsitz) und einer am Beschäftigungsort (Berufswohnsitz). Als Arbeits(Tätigkeitsort)ort oder Beschäftigungsort ist nur jener Ort zu verstehen, der eine persönliche Anwesenheit zur Arbeitsleistung erfordert, sodass der Steuerpflichtige an diesem Ort wohnen muss (, Jakom/Ebner EStG17, 2024, § 16 Rz 56).
Als Familienwohnsitz gilt jener Ort, an dem ein verheirateter Steuerpflichtiger mit seinem Ehegatten einen gemeinsamen Hausstand unterhält, der den Mittelpunkt der Lebensinteressen dieser Person bildet. Die Begründung eines eigenen Haushaltes am Beschäftigungsort (doppelte Haushaltsführung) ist beruflich veranlasst, wenn der Familienwohnsitz vom Beschäftigungsort des Steuerpflichtigen so weit entfernt ist, dass ihm eine tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden kann (vgl sowie § 4 PendlerVO).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die tägliche Zurücklegung einer Distanz von etwa 262 km großteils auf der Autobahn mit einem - bei "Ausnutzung der Höchstgeschwindigkeiten" - Zeitaufwand von jeweils insgesamt etwa 140 Minuten jedenfalls nicht zumutbar (). Dies gilt auch bei einer Strecke von insgesamt etwa 230 km bei einem Zeitaufwand von jeweils insgesamt etwa 135 Minuten ().
Die einfache Wegstrecke zwischen dem Familienwohnsitz des Beschwerdeführers in Ungarn und dem vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Schlafplatz in Wien beträgt gemäß der auf Google Maps schnellsten verfügbaren Route 229 km. Dadurch ist die Unzumutbarkeit der täglichen Rückkehr als gegeben anzusehen.
Die Beibehaltung des Familienwohnsitzes aus der Sicht einer Erwerbstätigkeit, die in unüblicher Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt wird, ist niemals durch die Erwerbstätigkeit selbst, sondern stets durch Umstände veranlasst, die außerhalb dieser Erwerbstätigkeit liegen. Eine berufliche Veranlassung der mit einer doppelten Haushaltsführung verbundenen Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen und deren daraus resultierende Qualifizierung als Werbungskosten liegt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann vor, wenn dem Steuerpflichtigen die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Ort seiner Beschäftigung nicht zuzumuten ist, wobei die Unzumutbarkeit unterschiedliche Ursachen haben kann (; ; ; ).
Die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes ist aus der Sicht des jeweiligen beschwerdegegenständlichen Zeitraumes zu beurteilen (; , 2005/14/0039; , 2006/15/0047), ohne Belang ist, ob die Verlegung des Familienwohnsitzes bereits früher zumutbar gewesen ist oder nicht (; , 2010/15/0124). Die Unzumutbarkeit kann ihre Ursache auch in der privaten Lebensführung haben (; , Ro 2021/15/0037, Jakom/Ebner EStG17, 2024, § 16 Rz 56).
Nach einer gewissen Zeit, die stets im Einzelfall zu beurteilen ist, ist es im Regelfall zumutbar, den Familienwohnsitz in den Nahebereich seiner Arbeitsstätte zu verlegen (). Dieser Zeitraum hängt insbesondere vom Familienstand ab, bei einem verheirateten, mit einem minderjährigen Kind lebenden Steuerpflichtigen ist von einem Zeitraum von zwei Jahren auszugehen. Nach Ablauf dieser Zeitspanne hat der Steuerpflichtige darzulegen, welche Gründe für die Beibehaltung des Familienwohnsitzes sprechen.
Der Beschwerdeführer ist seit in Österreich tätig, der Zweijahreszeitraum würde entsprechend am enden. In den Beschwerden brachte der Beschwerdeführer vor, das Behalten des bisherigen Wohnsitzes sei auch damit begründet, dass der Verkauf seines Eigenheims zu erheblichen Vermögenseinbußen führen würde und nicht die Kosten für ein neues Haus am Arbeitsort decke.
Wie in oben unter Punkt 2.1 in der Beweiswürdigung dargelegt, ist im vorliegenden Fall betreffend die Jahre 2017 und 2018 davon auszugehen, dass die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Arbeitsort nicht zumutbar ist. Die Familienheimfahrten des Beschwerdeführers sind daher dem Grunde nach als Werbungskosten anzuerkennen.
3.1.2 Familienheimfahrten
Über die anzuerkennende Häufigkeit der Familienheimfahrten bestehen keine gesetzlichen Regelungen (), weshalb die anzuerkennende Anzahl der Familienheimfahrten im Einzelfall zu prüfen ist. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die Distanz zwischen den beiden Wohnsitzen und die familiären Verhältnisse. Bei einem verheirateten (in eheähnlicher Gemeinschaft oder in Gemeinschaft mit einem minderjährigen Kind lebenden) Steuerpflichtigen sind grundsätzlich die Kosten von wöchentlichen Familienheimfahrten zu berücksichtigen ( für die Strecke Wien-Salzburg, Jakom/Ebner EStG17, 2024, § 16 Rz 56)
Die Höhe der absetzbaren Kosten ist durch § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG 1988 mit dem höchsten Pendlerpauschale gem § 16 Abs 1 Z 6 lit d begrenzt, unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige im Inland oder Ausland seinen Berufs- und Familienwohnsitz hat (). Dabei ist diese jährliche Höchstgrenze gem § 16 Abs 1 Z 6 lit d auf Monatsbeträge umzurechnen, wobei ein voller Monatsbetrag auch für angefangene Kalendermonate der auswärtigen (Berufs)Tätigkeit zusteht (). Steuerfreie bzw nicht steuerbare Ersätze (zB des Arbeitgebers) sind von den tatsächlichen Aufwendungen abzuziehen (Jakom/Ebner EStG17, 2024, § 16 Rz 56).
Aus den oben unter Punkt 2.2 in der Beweiswürdigung angegebenen Gründen sind in den beschwerdegegenständlichen Jahren 2017 und 2018 je EUR 3.672,- für Familienheimfahrtenals Werbungskosten zu berücksichtigen, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
3.1.2 Pendlerpauschale und Pendlereuro
Gemäß § 16 Abs 1 Z 6 EStG 1988 in der anzuwendenden Fassung können Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Werbungskosten darstellen. Für die Berücksichtigung dieser Aufwendungen gilt:
a) Diese Ausgaben sind durch den Verkehrsabsetzbetrag (§ 33 Abs 5 Z 1) abgegolten. Nach Maßgabe der lit b bis j steht zusätzlich ein Pendlerpauschale sowie nach Maßgabe des § 33 Abs 5 Z 4 ein Pendlereuro zu. Mit dem Verkehrsabsetzbetrag, dem Pendlerpauschale und dem Pendlereuro sind alle Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgegolten.
b) Wird dem Arbeitnehmer ein arbeitgebereigenes Kraftfahrzeug für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zur Verfügung gestellt, steht kein Pendlerpauschale zu.
c) Beträgt die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mindestens 20 km und ist die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumutbar, beträgt das Pendlerpauschale:
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bei mindestens 20 km bis 40 km | 696 Euro jährlich, |
bei mehr als 40 km bis 60 km | 1 356 Euro jährlich, |
bei mehr als 60 km | 2 016 Euro jährlich. |
d) Ist dem Arbeitnehmer die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Entfernung nicht zumutbar, beträgt das Pendlerpauschale abweichend von lit c:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
bei mindestens 2 km bis 20 km | 372 Euro jährlich, |
bei mehr als 20 km bis 40 km | 1 476 Euro jährlich, |
bei mehr als 40 km bis 60 km | 2 568 Euro jährlich, |
bei mehr als 60 km | 3 672 Euro jährlich. |
e) Voraussetzung für die Berücksichtigung eines Pendlerpauschales gemäß lit c oder d ist, dass der Arbeitnehmer an mindestens elf Tagen im Kalendermonat von der Wohnung zur Arbeitsstätte fährt. Ist dies nicht der Fall gilt Folgendes:
Fährt der Arbeitnehmer an mindestens acht Tagen, aber an nicht mehr als zehn Tagen im Kalendermonat von der Wohnung zur Arbeitsstätte, steht das jeweilige Pendlerpauschale zu zwei Drittel zu. Werden Fahrtkosten als Familienheimfahrten berücksichtigt, steht kein Pendlerpauschale für die Wegstrecke vom Familienwohnsitz (§ 20 Abs 1 Z 2 lit e) zur Arbeitsstätte zu.
Fährt der Arbeitnehmer an mindestens vier Tagen, aber an nicht mehr als sieben Tagen im Kalendermonat von der Wohnung zur Arbeitsstätte, steht das jeweilige Pendlerpauschale zu einem Drittel zu. Werden Fahrtkosten als Familienheimfahrten berücksichtigt, steht kein Pendlerpauschale für die Wegstrecke vom Familienwohnsitz (§ 20 Abs 1 Z 2 lit e) zur Arbeitsstätte zu.
Einem Steuerpflichtigen steht im Kalendermonat höchstens ein Pendlerpauschale in vollem Ausmaß zu.
f) Bei Vorliegen mehrerer Wohnsitze ist für die Berechnung des Pendlerpauschales entweder der zur Arbeitsstätte nächstgelegene Wohnsitz oder der Familienwohnsitz (§ 20 Abs 1 Z 2 lit e) maßgeblich.
§ 33 Abs 5 Z 4 EStG 1988 sieht vor, dass bei Einkünften aus einem bestehenden Dienstverhältnis ein Pendlereuro in Höhe von jährlich zwei Euro pro Kilometer der einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Absetzbetrag zusteht, wenn der Arbeitnehmer Anspruch auf ein Pendlerpauschale hat.
Wie oben dargelegt verfügt der Beschwerdeführer in den gegenständlichen Jahren 2017 und 2018 nicht über einen Wohnsitz in Österreich. Den Fahrten zwischen seinem Familienwohnsitz und der Arbeitsstätte in Wien wurde bereits durch die Berücksichtigung von Familienheimfahrten iHv EUR 3.672,- jährlich Rechnung getragen.
Der Arbeitgeber des Beschwerdeführers hat seinen Sitz an der Adresse ***Adresse Arbeitgeber***. Die einfache Wegstrecke zwischen dem Arbeiterwohnheim in ***W*** und dem Arbeitgeber beträgt laut Google Maps 8,1 km und ist in 32 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmittels zurückzulegen.
Da die Voraussetzungen für die Gewährung des Pendlerpauschales und des Pendlereuros aufgrund der Wegstrecke unter 20 km demnach nicht vorliegen, waren diese nicht (zusätzlich) zu berücksichtigen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine solche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt gegenständlich nicht vor. Bei der Frage der Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes sowie der Berücksichtigung der Familienheimfahrten handelt es sich um im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu entscheidende Sachverhaltsfragen.
In seinen rechtlichen Ausführungen folgt das Erkenntnis der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und die Revision nicht zuzulassen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 20 Abs. 2 Z 2 lit. e EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 16 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2025:RV.7101182.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
BAAAF-85475