VfGH 06.12.1977, B115/77
VfGH 06.12.1977, B115/77
Rechtssatz
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Normen | |
Rechtssatz | Keine Bedenken gegen die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers. Aus den Bestimmungen dieses Gesetzes ergibt sich, daß das Gesetz Maßnahmen zur Erhaltung einer gesunden Umwelt oder zumindest zur Hintanhaltung weiterer Störungen der Umwelt, also Maßnahmen im Interesse eines ökologisch möglichst wenig gestörten Lebensraumes zum Inhalt hat. Obgleich dem Umweltschutz dienende Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt verschiedener Sachgebiete getroffen werden können, sind doch die im Baumschutzgesetz enthaltenen Regelungen - zumindest soweit sie in diesem Verfahren präjudiziell sind - primär auf Gesichtspunkte zurückführbar, die sich aus solchen eigenen Sachgebieten ergeben, die zweifellos unter die Generalkompetenz des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 1 B-VG} fallen (Naturschutz einschließlich des Landschaftsschutzes; Landwirtschaftswesen einschließlich der Landeskultur; Baurecht einschließlich des Ortsbildschutzes und der Ortsbildgestaltung - vgl. Slg. 7792/1976) . Die durch § 9 BaumSchG verfügte Leistungsverpflichtung ist keine Enteignung im engeren Sinn (vgl. Slg. 6390/1971 und 7292/1974) , sondern eine Eigentumsbelastung. Wohl bezieht sich Art. 5 StGG auch auf derartige Eigentumsbeschränkungen und Eigentumsbelastungen. Sie können daher nur in den Fällen und in der Art eintreten, welche das Gesetz bestimmt. Der Gesetzgeber kann daher verfassungsrechtlich einwandfrei Eigentumsbeschränkungen verfügen, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums berührt oder in einer anderen Weise gegen einen den Gesetzgeber bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt (vgl. z. B. Slg. 6316/1970, 6780/1972 und 7306/1974) . Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß durch die im § 9 BaumSchG vorgesehenen Geldleistungsverpflichtungen der Wesensgehalt des Eigentumsrechtes nicht berührt wird. Soweit das BaumSchG die Verpflichtung zu Naturalleistungen (nämlich zu Ersatzpflanzungen bzw. Umpflanzungen vorsieht - §§ 6 ff. -) steht diese in engem Zusammenhang mit dem in die Regelungskompetenz der Länder fallenden Baumschutz. Es sind daher gleichfalls die Länder zuständig, eine derartige Verpflichtung zu begründen. Die im § 9 BaumSchG vorgesehenen Geldleistungen sind Abgaben i. S. des F-VG 1948. Unter solchen Abgaben können zwar Geldleistungen verstanden werden (vgl. z. B. Slg. 3658/1959) , nicht auch Naturalleistungen (vgl. z. B. Slg. 3666/1959) . Solche unter Zwang vorgeschriebene Geldleistungen, über deren Ertrag Gebietskörperschaften zu verfügen haben, verlieren nicht die Eigenschaft einer Abgabe, wenn sie anstelle einer Sachleistung oder Dienstleistung vorgeschrieben werden, aber die Verpflichtung zur Geldleistung unabhängig vom Willen des Pflichtigen eintritt, dieser somit keine Wahlmöglichkeit hat (vgl. Slg. 3919/1961) . Hier entsteht die Verpflichtung zur Geldleistung, sobald die Behörde mit Bescheid feststellt, daß die Pflicht zur Ersatzpflanzung oder Umpflanzung nicht erfüllt werden kann (§ 9 Abs. 1 BaumSchG) . Das F-VG verbietet nicht, die Widmung einer Abgabe gesetzlich zu regeln, wie dies § 9 Abs. 2 des Wiener BaumSchG tut. Die Generalkompetenz zur Gesetzgebung liegt nach dem System der Bundesverfassung bei den Ländern. Von der Zuständigkeit der Bundesländer sind nur diejenigen Angelegenheiten ausgenommen, welche ausdrücklich in die Zuständigkeit des Bundes verwiesen sind. Trotz dieses Umstandes, und obgleich der Baumschutz kein eigener Kompetenztatbestand nach den Bestimmungen des B-VG ist und auch durch andere verfassungsgesetzliche Bestimmungen nicht ausdrücklich dem Bund zur Regelung übertragen wurde, ist eine vollständige oder teilweise Unterstellung unter einen anderen Kompetenztatbestand als den des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 1 B-VG} nicht ausgeschlossen. Da ein Lebenssachverhalt unter verschiedenen, sich aus bestimmten Sachgebieten ergebenden Gesichtspunkten zum Gegenstand einer gesetzlichen Regelung gemacht werden kann (vgl. z. B. Slg. 7792/1976) , ist zu untersuchen, auf welche (auf kompetenzrechtlich relevante Sachgebiete bezogenen) Gesichtspunkte die Bestimmungen (im konkreten Fall des Wr. BaumSchG) ausschließlich oder doch vornehmlich zurückzuführen sind und wem - dem Bund oder den Ländern - die Kompetenz zur Regelung dieser Sachgebiete zukommt. Es gibt keine Bestimmung der Bundesverfassung, die dem einfachen Gesetzgeber grundsätzlich einen Eingriff in wohlerworbene Rechte verwehren würde (vgl. Slg. 7423/1974) . Die MRK verbietet in ihrem Art. 7 Abs. 1 lediglich die Rückwirkung von Strafgesetzen. Ansonsten verwehrt es die Verfassung dem Gesetzgeber nicht, ein Gesetz mit rückwirkender Kraft auszustatten, soweit diese Rückwirkung mit dem Gleichheitsgebot vereinbar ist (vgl. Slg. 6182/1970 und die dort zit. Vorjudikatur) . |
Entscheidungstext
Beachte
Metadaten: DVD Recht compact, Verlag Österreich, Wien 2014 - Judikaturquelle (PDF): Sammlung der Erkenntnisse [und wichtigsten Beschlüsse] des Verfassungsgerichtshofes NF 1–32 (1920–1932/33, 1945/46–1967) / Erkenntnisse und Beschlusse des Verfassungsgerichtshofes NF 33–44 (1968–1979)
Spruch
Begründung
Zusatzinformationen
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Normen | |
Sammlungsnummer | 8195 |
Schlagworte | Baumschutzgesetz Wien Enteignung Finanzen Abgaben Kompetenzverteilung Bund Länder Verfassungsgesetze Auslegung Rückwirkung Gleichheitsrecht Gesetz wohlerworbene Rechte |
ECLI | ECLI:AT:VFGH:1977:B115.1977 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAF-83174