Geschäftsführerhaftung für nicht einbringliche Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Neunkirchen Wr. Neustadt vom betreffend Haftungsbescheid / Sonstige 2018 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Strittig ist, ob der Beschwerdeführer (Bf.) infolge der Insolvenz der ***GmbH*** (Primärschuldnerin) als ehemaliger Geschäftsführer für die aushaftenden Abgabenschulden zur Haftung herangezogen werden kann.
Mit Schreiben vom wurde der Bf. von der belangten Behörde über eine mögliche Haftungsinanspruchnahme in Kenntnis gesetzt. Er wurde aufgefordert zu beweisen, dass er ohne sein Verschulden gehindert war, für die Entrichtung der Abgaben zu sorgen. Eine Beantwortung des Vorhalts ist nicht erfolgt.
Mit Haftungsbescheid vom wurde der Bf. als ehemaliger Geschäftsführer für die aushaftende Abgabenschuld der ***GmbH*** in Höhe von Euro 396.769,30 in Anspruch genommen.
Dagegen erhob der Bf. mit Eingabe vom Beschwerde und brachte vor, dass die Unterlagen, die für den Nachweis der Gläubigergleichbehandlung erforderlich sind, nicht zur Verfügung stehen, da diese anlässlich einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden seien. Hinsichtlich der Haftung betreffend Umsatzsteuer 2014 bis März 2016 wurde auf eine anhängige Beschwerde gegen die Grundlagenbescheide und die dort vorgebrachte Begründung verwiesen. Zur Haftung betreffend Umsatzsteuer 01-03/2016 wurde vorgebracht, dass dem Beschwerdeführer die zugrundeliegende Beschwerdevorentscheidung nicht bekannt sei, da die Zustellung an den Masseverwalter erfolgte. Hinsichtlich der Haftung für Lohnabgaben bestreitet der Beschwerdeführer eine schuldhafte Verletzung der Vertreterpflichten. An der stattgefundenen GPLA-Prüfung habe der Beschwerdeführer nicht teilgenommen. Die im Prüfungsbericht angeführten Abfuhrdifferenzen seien nicht nachvollziehbar.
Mit Schreiben vom wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass die bloße Behauptung, dass aufgrund der Beschlagnahmung durch die Staatsanwaltschaft keine Buchhaltungsunterlagen zur Verfügung stehen, der qualifizierten Mitwirkungspflicht des Vertreters an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht Rechnung getragen werden kann. Seitens der belangten Behörde wurde vorgebracht, dass den Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen ist, ob bei der Staatsanwaltschaft ein Antrag auf Einsicht- und Abschriftnahme in die Buchhaltungsunterlagen gestellt worden sei. Zur Erbringung des Nachweises der Gläubigergleichbehandlung wurde eine Frist bis eingeräumt.
Mit Schreiben vom erfolgte eine Beantwortung des Ergänzungsersuchens vom . Es wurde vorgebracht, dass sich die vollständigen Buchhaltungsunterlagen beim ehemaligen Masseverwalter der Primärschuldnerin befinden. Hinsichtlich der von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Unterlagen handle es sich um ergänzende Buchhaltungsunterlagen, welche derzeit bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft liegen. Ein Antrag auf Abschriftnahme sei nicht gestellt worden. Die Nachholung der Antragsstellung wurde angekündigt. Ergänzend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer krankheitsbedingt, erwerbsunfähig sei und sich in Serbien aufhalte. Mit einer Einbringlichkeit des Haftungsbetrages sei nicht zu rechnen.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab, da der Nachweis der Gläubigerbehandlung vom Bf. nicht erbracht worden sei. Des Weiteren wurde begründend ausgeführt, dass Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung im Haftungsverfahren nicht mit Erfolg vorgebracht werden können.
Mit Eingabe vom beantragte der Bf. die Beschwerdevorlage an das Bundesfinanzgericht.
Mit Vorlagebericht vom erfolgte die Vorlage der Beschwerde samt Verwaltungsakt an das Bundesfinanzgericht.
Das gegenständliche Beschwerdeverfahren wurde, mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses, vom , im Zuge einer Altaktenumverteilung dem erkennenden Richter zur Erledigung übertragen.
Mit Vorhalt vom ersuchte das Bundesfinanzgericht den Bf., einen Gleichbehandlungsnachweis nachzureichen. Dieser Vorhalt blieb unbeantwortet.
Mit Eingabe vom wurde der Antrag auf Entscheidung durch den Senat sowie Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zurückgezogen.
Mit Schreiben vom wurde ein neuerlicher Vorhalt an den Bf. gerichtet und Gelegenheit gegeben innerhalb von vier Wochen eine Stellungnahme abzugeben. Der Vorhalt blieb unbeantwortet.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der Bf. war von bis , sowie ab Geschäftsführer der ***GmbH*** (Primärschuldnerin).
Mit Beschluss des Landesgerichts Wr. Neustadt vom wurde über die Primärschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom wurde der Konkurs nach Schlussverteilung aufgeboben. Die Konkursgläubiger haben eine Quote von rund 6,25% erhalten. Am wurde die Firma gemäß § 40 Firmenbuchgesetz (FBG) aus dem Firmenbuch gelöscht
Mit Haftungsbescheid vom wurde der Bf. als ehemaliger Geschäftsführer für die aushaftende Abgabenschuld der Primärschuldnerin in Höhe von Euro 396.769,30 in Anspruch genommen:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabenart | Zeitraum | Betrag in Euro | Davon 93,75% | Grundlage |
Umsatzsteuer | 2014 | 12.389,49 | 11.645,15 | Bescheid |
Umsatzsteuer | 01-06/15 | 84.136,12 | 78.877,61 | Bescheid |
Umsatzsteuer | 12/15 | 25.410,27 | 23.822,13 | Meldung |
Umsatzsteuer | 07-12/15 | 135.087,16 | 126.644,21 | Bescheid |
Umsatzsteuer | 01/16 | 23.070,47 | 21.628,57 | Meldung |
Umsatzsteuer | 02/16 | 33.696,25 | 31.590,23 | Meldung |
Umsatzsteuer | 03/16 | 4.779,64 | 4.480,91 | Meldung |
Umsatzsteuer | 01-03/16 | 56.701,68 | 53.157,83 | Bescheid |
Lohnsteuer | 2014 | 14.821,10 | 13.894,78 | Bescheid |
Lohnsteuer | 2015 | 656,84 | 615,79 | Bescheid |
Lohnsteuer | 03/16 | 1.174,06 | 1.100,68 | Meldung |
Lohnsteuer | 04/16 | 1.353,73 | 1.269,12 | Meldung |
Lohnsteuer | 05/16 | 1.777,23 | 1.666,15 | Meldung |
Lohnsteuer | 06/16 | 1.920,82 | 1.800,77 | Meldung |
Lohnsteuer | 07/16 | 1.455,98 | 1.364,98 | Meldung |
Körperschaftsteuer | 2014 | 3.651,00 | 3.422,81 | Bescheid |
Dienstgeberbeitrag | 2014 | 5.902,36 | 5.533,46 | Bescheid |
Dienstgeberbeitrag | 2015 | 471,32 | 441,86 | Bescheid |
Dienstgeberbeitrag | 03/16 | 1.061,16 | 994,84 | Meldung |
Dienstgeberbeitrag | 04/16 | 1.027,97 | 963,72 | Meldung |
Dienstgeberbeitrag | 05/16 | 1.034,78 | 970,11 | Meldung |
Dienstgeberbeitrag | 06/16 | 1.542,17 | 1.445,78 | Meldung |
Dienstgeberbeitrag | 07/16 | 978,15 | 917,02 | Meldung |
Dienstgeberbeitrag | 01-07/16 | 194,40 | 182,25 | Bescheid |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 2014 | 680,64 | 638,10 | Bescheid |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 2015 | 740,75 | 694,45 | Bescheid |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 03/16 | 94,33 | 88,43 | Meldung |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 04/16 | 91,38 | 85,67 | Meldung |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 05/16 | 91,98 | 86,23 | Meldung |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 06/16 | 137,08 | 128,51 | Meldung |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 07/16 | 86,95 | 81,52 | Meldung |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 01-07/16 | 132,96 | 124,65 | Bescheid |
Aussetzungszinsen | 2017 | 814,02 | 763,14 | Bescheid |
Exekutionsgebühr | 2016 | 4.035,05 | 3.782,86 | Bescheid |
Barauslagen | 2016 | 6,88 | 6,45 | Bescheid |
Stundungszinsen | 2016 | 83,29 | 78,08 | Bescheid |
Säumniszuschlag 1 | 2015 | 1.931,13 | 1.810,43 | Bescheid |
SUMME | 396.769,30 |
Bei der Berechnung des Haftungsbetrages wurde die im Konkursverfahren der Primärschuldnerin für die Konkursgläubiger zur Verteilung gelangende Quote von 6,253953% berücksichtigt. Der Bf. erbrachte keinen Nachweis über die gleichmäßige Verteilung der liquiden Mittel an die Gläubiger der Primärschuldnerin. Eine Feststellung über die Gleichbehandlung aller Gläubiger in Bezug auf die Verteilung der liquiden Mittel konnte nicht getroffen werden.
2. Beweiswürdigung
Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes, Abfragen aus dem Firmenbuch, Datenbankabfragen (Abgabenkonto der Primärschuldnerin) sowie ergänzende Ermittlungen durch das Bundesfinanzgericht (Ergänzungsvorhalte, mündliche Verhandlung).
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Die in den §§ 80 ff. Bundesabgabenordnung (BAO) bezeichneten Vertreter haften gemäß § 9 Abs. 1 BAO neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Damit eine Person nach diesen Bestimmungen zur Haftung für eine fremde Abgabenschuld herangezogen werden kann, müssen daher die folgenden Tatbestandsmerkmale erfüllt sein:
1. Persönlicher Anwendungsbereich - Vertreter iSd §§ 80ff BAO
2. Bestehen einer Abgabenschuld
3. Uneinbringlichkeit der Abgabe
4. Schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher oder sonstiger Pflichten durch den Vertreter
5. Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit der Abgabe (Kausalität)
3.1.1. Zum persönlichen Anwendungsbereich - Vertreter iSd §§ 80ff BAO
Der Bf. kommt grundsätzlich als Haftungsschuldner gemäß §§ 9 iVm 80 BAO in Betracht, da er von bis , sowie ab Geschäftsführer der Primärschuldnerin und damit zur Vertretung der GmbH berufen war.
3.1.2. Zum Bestehen einer Abgabenschuld
Das Bestehen des Abgabenanspruchs ist zwischen den Parteien unstrittig und ergibt sich auch klar aus dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin.
Daher geht das Bundesfinanzgericht davon aus, dass die Abgabenschuld gegenüber der Primärschuldnerin bestanden hat.
3.1.3. Zur Uneinbringlichkeit der Abgaben
Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung (vgl. ). Voraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden (vgl. ). Die Einbringung einer möglichen Konkursquote vom Primärschuldner ist zu berücksichtigen (vgl. ).
Der Haftungsbescheid wurde am erlassen. Zu diesem Zeitpunkt war der Konkurs der Primärschuldnerin nach Schlussverteilung bereits aufgehoben, die ausständigen Abgaben waren bei der Primärschuldnerin daher uneinbringlich.
3.1.4. Zur schuldhaften Verletzung abgabenrechtlicher oder sonstiger Pflichten durch den Vertreter
Gemäß § 80 Abs 1 BAO haben die Vertreter von juristischen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Die vorgeschriebenen und schlussendlich im Haftungsbescheid genannten Abgaben sind nicht zum Fälligkeitszeitpunkt entrichtet worden.
Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH besteht bei der Frage, ob der Vertreter schuldhaft eine Abgabenpflicht verletzt hat, eine qualifizierte Mitwirkungspflicht des Vertreters. Der Vertreter hat dabei darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten nicht möglich war. Andernfalls kann eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden (vgl zB , 2011/16/0184; , 2013/16/0166; , 2013/16/0208; , 2013/16/0016). In diesem Zusammenhang muss der Vertreter allerdings keinen negativen Beweis dafür vorbringen, dass keine schuldhafte Pflichtverletzung vorliegt, sondern lediglich eine konkrete, schlüssige Darstellung der Gründe, die einer rechtzeitigen Abgabenentrichtung im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben entgegengestanden sind (vgl zB , 89/13/0212; , 2005/17/0259).
Die Haftung kann in diesem Zusammenhang insbesondere dann begrenzt werden, wenn der Haftungspflichtige nachweist, dass ihm im Haftungszeitraum nicht ausreichend liquide Mittel zur Verfügung gestanden sind und er den Abgabengläubiger nicht schlechter behandelt hat (sogenannter Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung).
Nachweis der Gläubigergleichbehandlung
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die fehlende Benachteiligung des Abgabengläubigers nur dann nachgewiesen werden, wenn die liquiden Mittel im Haftungszeitraum zu keiner Zeit ausreichten, um sämtliche fällige Verbindlichkeiten zu tilgen. Im Abgabenrecht gilt der Grundsatz der vollständigen Mittelausschüttung. Der Vertreter handelt schuldhaft, wenn die Primärschuldnerin über Mittel verfügt hätte, um sämtliche fällige Verbindlichkeiten zu bedienen und die Abgaben dennoch nicht vollständig bezahlt wurden. Reichen diese Mittel nicht aus, kann allerdings ein Gleichbehandlungsnachweis angetreten werden (vgl eine übersichtliche Darstellung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Lachmayer, Einzelfragen zur Haftung gem § 9 BAO, RdW 2023, 682ff).
Erbringt der Vertreter den Nachweis, dass der Abgabengläubiger ebenso viel an vorhandenen Mitteln erhalten hat, wie andere Gläubiger, dann haftet er überhaupt nicht (vgl ). Dabei ist nachzuweisen, dass kein einziger Gläubiger dem Abgabengläubiger vorgezogen wurde (vgl ; , 2002/13/0196; , 98/14/0082). Es ist daher nicht darzustellen, dass der Abgabengläubiger nicht weniger als der Durchschnitt der Gläubiger bekommen hat, sondern dass kein anderer Gläubiger mehr als der Abgabengläubiger erhalten hat. Wird also ein einziger Gläubiger (z.B. ausstehende Löhne, Lieferanten, Bankverbindlichkeiten, Zug-um-Zug-Geschäfte etc) voll bezahlt, liegt eine Schlechterstellung des Abgabegläubigers iSd Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor (vgl ; , 2001/14/0126; , 2003/13/0111; , 2008/15/0085; ,89/14/0132; , 93/17/0051). In diesem Zusammenhang ist es nicht relevant, dass solche Zahlungen betriebsnotwendig waren (). Tilgt der Vertreter andere Verbindlichkeiten voll oder in einem höheren Ausmaß, dann ist der Abgabengläubiger im gleichen Ausmaß zu befriedigen.
Ein solcher Nachweis konnte vom Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht erbracht werden.
Nachweis einer fiktiven Gläubigergleichbehandlungsquote
Gelingt dem zur Haftung herangezogenen Vertreter der Nachweis nicht, dass er sämtliche Gläubiger im Zeitpunkt der Fälligkeit der in Haftung gezogenen Abgabenschuld tatsächlich gleichbehandelt hat (alle Gläubiger haben dieselbe Quote erhalten), besteht in einem zweiten Schritt die Möglichkeit eine fiktive Quote nachzuweisen, die der Abgabengläubiger erhalten hätte, wenn sämtliche Gläubiger aus den vorhandenen Mitteln gleich befriedigt worden wären. Im Rahmen der Haftung des § 9 BAO haftet der Vertreter nämlich nicht für die volle Abgabenschuld der Primärschuldnerin, sondern nur in jenem Ausmaß in dem der Abgabengläubiger ungleich behandelt wurde (vgl zB ).
Bei der Berechnung der Quote obliegt dem Vertreter eine qualifizierte Mitwirkungspflicht. Er hat die fiktive Gleichbehandlungsquote zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu berechnen und diese entsprechend nachzuweisen.
Beim Nachweis der fiktiven Quote spielen die Zahlungen an andere Gläubiger keine Rolle. Die fiktive Gleichbehandlungsquote betrachtet nur, wie viel an Abgabenschulden getilgt worden wären, wenn der Vertreter die vorhandenen Mittel gleichmäßig auf alle Verbindlichkeiten verteilt hätte. Diese Quote ist dann der Quote der tatsächlich bezahlten Abgabenschulden gegenüberzustellen. Für den Differenzbetrag haftet der Vertreter (vgl Lachmayer, Einzelfragen zur Haftung gem § 9 BAO, RdW 2023, 683).
Bei der Berechnung der Quote hat der Vertreter für den Gleichbehandlungsnachweis, zum jeweiligen Fälligkeitstag der Abgaben die fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Mitteln gegenüberzustellen (vgl zB ).
Gelingt dem Vertreter der Nachweis einer entsprechenden Quote, haftet er lediglich im Ausmaß der Quote. Wird keine Quote nachgewiesen haftet der Vertreter für die vollen Abgabenrückstände (vgl Lachmayer, Einzelfragen zur Haftung gem § 9 BAO, RdW 2023, 683).
Im vorliegenden Fall konnte vom Beschwerdeführer kein Nachweis einer fiktiven Gläubigergleichbehandlungsquote erbracht werden. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass die im Sachverhalt festgestellten Abgaben schuldhaft nicht entrichtet wurden.
3.1.5. Zur Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit der Abgabe (Kausalität)
Die Haftungsinanspruchnahme setzt eine Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem Abgabenausfall voraus.
Wie im Vorpunkt dargestellt, geht das Bundesfinanzgericht auf Basis der Aktenlagen und mangels anderer Vorbringen des Beschwerdeführers davon aus, dass er seine abgabenrechtlichen Pflichten als Geschäftsführer für Abgaben schuldhaft verletzt hat. Nach der Judikatur des VwGH spricht bei schuldhafter Pflichtverletzung die Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgabe. (vgl zB , 2012/16/0001; , 2013/16/0016; , Ra 2020/13/0027). Da der Beschwerdeführer auch in diesem Zusammenhang keine gegenteiligen Nachweise vorlegen konnte, geht das Bundesfinanzgericht der ständigen Rechtsprechung des VwGH folgend von einer Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Beschwerdeführers und der Uneinbringlichkeit der Abgabe aus.
Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass alle Tatbestandsmerkmale der anwendbaren Haftungsbestimmung im vorliegenden Fall erfüllt sind.
3.1.6. Ermessen
Sind alle Tatbestandsmerkmale für eine Haftung erfüllt, liegt die Inanspruchnahme eines zur Haftung Verpflichteten schlussendlich im Ermessen der Abgabenbehörde. Die Ermessensentscheidung der Abgabenbehörde hat sich gemäß § 20 BAO innerhalb der Grenzen zu halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen ().
Im vorliegenden Fall liegen für die Abgaben, die bis zum fällig waren, und der schlussendlichen Haftungsinanspruchnahme mit Bescheid vom nicht mehr als vier Jahre. Dieser Zeitraum übersteigt nicht die reguläre Vollstreckungsverjährung von fünf Jahren gemäß § 238 BAO. Zur Ermessensübung wurden im Rahmen der gegenständlichen Beschwerde zudem keine Einwendungen vorgebracht. Da die Haftungsinanspruchnahme des Bf. die einzige Möglichkeit der Einbringlichmachung der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten darstellt und Unbilligkeitsgründe seinerseits nicht vorgebracht wurden, sieht das Bundesfinanzgericht keine Mängel im Rahmen der Ermessensübung.
3.1.7. Zu den Einwendungen betreffend die Grundlagenbescheide
Der Bf. bestreitet die Richtigkeit der der Haftung zugrundeliegenden Abgabenbescheide.
Der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige kann gemäß § 248 BAO unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid) innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen.
Wenn ein zur Haftung Herangezogener sowohl gegen die Geltendmachung der Haftung als auch gemäß § 248 BAO gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Beschwerde einbringt, ist zunächst nur über die Beschwerde gegen die Geltendmachung der Haftung zu entscheiden, weil sich erst aus dieser Entscheidung ergibt, ob eine Legitimation zur Beschwerde gegen den Abgabenanspruch überhaupt besteht. Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung sind in einem gemäß § 248 BAO durchzuführenden Abgabenverfahren und nicht im Haftungsverfahren geltend zu machen (vgl. ).
Demnach ist auf die Einwendungen, die sich gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung gegenüber der Primärschuldnerin richten, im gegenständlichen Verfahren betreffend die Haftungsinanspruchnahme des Bf. nicht einzugehen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Bundesfinanzgericht folgt in seiner Entscheidung der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die (ordentliche) Revision war daher nicht zuzulassen.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer |
betroffene Normen | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2025:RV.7105202.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
ZAAAF-80960