Keine agB ohne Selbstbehalt bei Pflegegeldbezug, wenn geltend gemachte Aufwendungen Pflegegeld nicht übersteigen
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2023 zu Recht:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die beschwerdeführende Partei (in der Folge die Bf.) beantragte zunächst außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt in Höhe von EUR 2.963,29 im Rahmen ihrer Arbeitnehmerveranlagung.
Im Erstbescheid der belangten Behörde wurden diese Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt nicht anerkannt, weil kein Gutachten des Sozialministeriumservice vorgelegt wurde.
Die Bf. beantragte in ihrer Beschwerde die Berücksichtigung von nunmehr EUR 2.642,36 als außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt. Nach einem weiteren Vorhalteverfahren wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab und führte aus, es sei die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen.
Im Vorlageantrag legte die Bf. eine Bestätigung des Sozialministeriumservice vor, wonach der Behindertenpass aufgrund eines Pflegegeldbezuges ausgestellt worden sei und daher kein Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vorläge.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die Bf. ist Pensionistin. Sie bezieht im Kalenderjahr 2023 neben ihren Pensionseinkünften auch ein Bundespflegegeld in Höhe von EUR 9.048.
Die Bf. weist eine eigene körperliche Behinderung auf.
Die Bf. macht Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt in Höhe von EUR 2.642,36 geltend.
2. Beweiswürdigung
Dass die Bf. Pensionistin ist, ist aktenkundig. Der Bezug des Pflegegeldes und dessen Höhe, ergibt sich aus dem aktenkundigen Jahreslohnzettel, der dem elektronischen Steuerakt der Bf. entnommen wurde. Zudem ergibt sich der Bezug des Pflegegelds sodann aus dem im Rahmen der Beschwerde beigebrachten Bescheid über die Bemessung des Pflegegelds.
Dass die Bf. eine eigene körperliche Behinderung aufweist, wird durch den Bezug des Pflegegelds indiziert. Denn das Pflegegeld gebührt nur dann, wenn auf Grund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder Sinnesbehinderung ein Betreuungs- und Hilfsbedarf besteht (§ 4 Abs. 1 Bundespflegegeldgesetz). Nach der Rechtsprechung des VwGH indiziert der Bezug des Pflegegeldes daher das Vorliegen einer Behinderung (vgl. , Rn 24; , Ra 2024/13/0110, Rn 30). Die Ansicht der belangten Behörde, zum Nachweis der Behinderung sei zwingend ein Gutachten des Sozialministeriumsservice notwendig, ist im Lichte dieser jüngeren Rechtsprechung des VwGH nicht zu folgen.
Die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen ergibt sich aus den Eingaben der Bf., wobei diese im Rahmen des Vorlageantrags zwar weiter eingeschränkt wurden, dieser Eingabe aber keine betragliche Höhe zu entnehmen ist.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss insbesondere die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.
Nach § 34 Abs. 4 EStG 1988 beeinträchtigt die Belastung wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt.
Gemäß § 34 Abs. 6 Teilstrich 6 EStG 1988 können u.a. folgende Aufwendungen ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:
"- Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen."
Nach § 34 Abs. 6 Teilstrich 6 EStG 1988 können Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 EStG 1988 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen übersteigen, ohne Berücksichtigung des Selbstbehalts abgezogen werden. Wie aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Strukturanpassungsgesetz 1996 hervorgeht (Regierungsvorlage zum Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201, 72 BlgNR 20. GP 267 f), entsprach es der Absicht des Gesetzgebers, dass Personen, die pflegebedingte Geldleistungen erhalten und die tatsächlichen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend machen, der die pflegebedingte Geldleistung übersteigende Mehrbetrag ohne Abzug eines Selbstbehaltes zu berücksichtigen ist.
Voraussetzung für die Berücksichtigung der Aufwendungen ohne Selbstbehalt ist demnach im vorliegenden Fall zunächst, dass eine Behinderung vorliegt (§ 35 Abs. 1 erster Teilstrich EStG 1988). Ein bestimmter Grad der Behinderung (oder Minderung der Erwerbsfähigkeit) ist insoweit nach dem Gesetz nicht erforderlich; Voraussetzung ist hingegen - wie bereits dargelegt - der Bezug einer pflegebedingten Geldleistung. Anders als betreffend den Freibetrag (§ 35 Abs. 3 EStG 1988) ist dazu auch nicht normiert, dass die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (nur) durch bestimmte amtliche Bescheinigungen nachgewiesen werden könnten (§ 35 Abs. 2 EStG 1988). Auch aus den Gesetzesmaterialien geht nicht hervor, dass ein derartiger Nachweis erforderlich wäre, was auch deswegen nicht naheliegt, weil in dem damit geregelten Fall (Bezug einer pflegebedingten Geldleistung) regelmäßig gerade eine andere "Bescheinigung" betreffend die Behinderung vorliegen wird.
Fest steht, dass die Bf. Pflegegeld bezieht. Fest steht damit auch, dass die Bf. eine Behinderung aufweist, weil - wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt - der Bezug des Pflegegelds eine Behinderung indiziert (dazu im Detail bereits oben und nochmals vgl. , Rn 24; , Ra 2024/13/0110, Rn 30).
Zusätzlich ist aber als zweite Voraussetzung zu prüfen, ob die geltend gemachten Aufwendungen die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen. Nach den erläuternden Bemerkungen des Gesetzgebers (vgl. Regierungsvorlage zum Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201, 72 BlgNR 20. GP 267 f; , Rn 18), soll damit eine Überförderung vermieden werden.
Es steht fest, dass die Bf. Pflegegeld in Höhe von EUR 9.048 bezogen hat. Demgegenüber stehen geltend gemachte Aufwendungen von EUR 2.642,36. Die Mehraufwendungen übersteigen damit nicht die pflegebedingten Geldleistungen.
Damit ist im Ergebnis die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Auf eine Prüfung, welche der geltend gemachten Aufwendungen nun tatsächlich im ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung der Bf. stehen (vgl. ), was sich aus den vorgelegten Belegen und Rechnungen nicht ohne weiteres ableiten lässt, kommt es daher nicht an.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Bundesfinanzgericht folgt der einschlägigen Rechtsprechung des VwGH (vgl. ; ). Die Revision ist daher unzulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 4 Abs. 1 BPGG, Bundespflegegeldgesetz, BGBl. Nr. 110/1993 § 34 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 34 Abs. 4 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 34 Abs. 6 Teilstrich 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 35 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 35 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 35 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2025:RV.7100856.2025 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
JAAAF-79714