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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.02.2025, RV/7102695/2020

Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung gemäß § 206 BAO

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
§ 206 BAO stellt nicht auf eine Gegenüberstellung des Umfanges von bereits getätigten zu noch ausständigen Ermittlungsmaßnahmen ab, sondern ob mit Bestimmtheit feststeht, dass der Abgabenanspruch gegenüber dem Abgabenschuldner nicht durchsetzbar sein wird. Für diesen Fall hat nach entsprechender Ermessensabwägung eine Festsetzung des nicht durchsetzbaren Abgabenanspruchs zu unterbleiben - unabhängig davon, ob bereits umfangreiche Ermittlungen durchgeführt worden sind.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Albert Salzmann in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Einkommensteuer 2008 bis 2013 und Umsatzsteuer 2008 bis 2013 zur Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die angefochtenen Bescheide werden abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben sind den als Beilagen angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Nach Durchführung eines Außenprüfungsverfahrens hat das Finanzamt (FA) Bescheide betreffend Einkommensteuer 2008 bis 2013 und Umsatzsteuer 2008 bis 2013, jeweils vom , erlassen.

Mit Schriftsatz des steuerlichen Vertreters vom hat die beschwerdeführende Partei (bP) Beschwerde gegen die oa Bescheide erhoben.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom hat das FA die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Mit Schriftsatz des steuerlichen Vertreters vom hat die bP die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (BFG) beantragt.

Mit Vorlagebericht vom hat das FA die Beschwerde dem BFG zur Entscheidung vorgelegt.

Am fand ein Erörterungsgespräch gem § 269 Abs 3 BAO statt.

Mit Schriftsatz des steuerlichen Vertreters vom hat die bP die Anträge auf Entscheidung durch den gesamten Senat und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Im gleichen Schriftsatz wird die Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung gem § 206 Abs 1 lit b BAO beantragt.

Mit Schreiben vom nimmt das FA Stellung zum og Antrag.

Mit Schriftsatz des steuerlichen Vertreters vom repliziert die bP auf die Stellungnahme des FA zur beantragten Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung.

Mit Schreiben vom , , und übermittelt die bP Unterlagen zur aktuellen Gesundheitssituation sowie zur Vermögens- und Einkommenslage. Diese Unterlagen wurden dem FA am gem § 183 Abs 4 BAO zur Kenntnis und Stellungnahme übermittelt.

Mit Schreiben vom nimmt das FA die Unterlagen und deren Inhalt zur Kenntnis und verweist auf die Stellungnahme vom .

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die bP hat mit einem Mittäter im Beschwerdezeitraum ua Dienstnehmer zur Sozialversicherung bei Scheingesellschaften angemeldet. Als Gegenleistung hat die bP von den Auftraggebern entweder einen monatlichen Pauschalbetrag je Dienstnehmer in Höhe von € 130,00 bis € 250,00 oder eine 5%ige Provision des Rechnungsbetrages der erstellten Deckungsrechnung erhalten.

Die vereinnahmten Entgelte wurden von der bP gegenüber der Abgabenbehörde nicht erklärt. Sie hat es zumindest ernstlich für möglich gehalten, dass diese Entgelte erklärungs- und steuerpflichtig sind und hat sich damit abgefunden, dadurch Abgaben zu verkürzen.

Die bP und der Mittäter haben gemeinsam im Beschwerdezeitraum folgende direkt zurechenbare Entgelte aus Pauschalbeträgen pro angemeldeten Dienstnehmer (Prov_Liste) und Provisionen aus Deckungsrechnungen (Prov_AR) vereinnahmt, wobei jedem 50 % der Entgelte zugeflossen sind:

Die og Entgelte wurden für ca 20 % der im Beschwerdezeitraum insgesamt festgestellten Dienstnehmeranmeldungen geleistet. Für die Zuordnung der restlichen ca 80 % wären noch umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen notwendig.

Die bP ist aufgrund von Kriegserlebnissen und nach der Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe dauerhaft erkrankt, befindet sich in einem Schuldenregulierungsverfahren (Schulden ohne Finanzamt ca € 160.000,00) und bezieht Notstandshilfe vom AMS sowie ein geringfügiges Einkommen aus einer nichtselbständigen Tätigkeit als Reinigungskraft. Am wurde die Ehe der bP geschieden. Er ist für ein minderjähriges Kind unterhaltspflichtig. Darüber hinaus sorgt er für seine pflegebedürftigen Eltern.

Es ist mit Bestimmtheit anzunehmen, dass zumindest der überwiegende Abgabenanspruch gegenüber der bP nicht durchsetzbar sein wird.

2. Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen zur selbständigen Tätigkeit der bP (Anmeldung von Dienstnehmern zur Sozialversicherung bei Scheinfirmen) ergeben sich aus dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom sowie dem Protokoll über die Hauptverhandlung vom , jeweils zur GZ *** Urteil 1 ***. In diesem Verfahren hat sich die bP für die genannte Tätigkeit für schuldig im Sinne der Anklage bekannt.

Die Entgeltlichkeit in Form von Pauschalbeträgen bzw Provisionen von den Deckungs-rechnungen sowie der 50%ige Zufluss dieser Beträge bei der bP ergeben sich aus den og Schuldbekenntnis und aus den bei der Hausdurchsuchung sichergestellten Listen sowie den davon abgeleiteten Berechnungen der Außenprüfung (Bericht vom ). Darüber hinaus sind die og vereinnahmten Entgelte von der Staatsanwaltschaft im gerichtlichen Finanzstrafverfahren (*** Z ***) als finanzstrafrechtlich relevant für den Tatbestand der Abgabenhinterziehung gem § 33 Abs 1 FinStrG gewürdigt worden (Abschlussbericht vom , Ergänzung Abschlussbericht vom , Einstellungsentscheidung vom ). Die Bestreitung der Entgeltlichkeit in der Bescheidbeschwerde widerspricht - neben den og Unterlagen - auch der Lebenserfahrung. Allein die Dauer, der Umfang und der organisierte Ablauf der Tätigkeit lässt darauf schließen, dass diese strafrechtlich relevante Tätigkeit nur gegen Entgelt erbracht worden ist. Dem Grunde nach unterscheidet sich die Tätigkeit der bP nicht von jeder anderen gewerblichen Tätigkeit. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die bP diese risikobehaftete gewerbliche Tätigkeit ausüben sollte, ohne dafür Gegenleistungen zu erhalten. Das Risiko ist auch insoweit schlagend geworden, als die bP im og Verfahren vor dem Straflandesgericht Wien auf Grundlage des von der bP abgelegten Geständnisses zu 4,5 Jahren Haft verurteilt worden ist.

Die Vereinnahmung von Entgelten für eine organisatorisch und arbeitstechnisch aufwendige Dienstleistung, welche noch dazu eine Straftat darstellt, und die Nichterklärung dieser Entgelte stellen ein Verhalten dar, aus dem zweifelsfrei auf eine zumindest bedingt vorsätzliche Tatbegeh-ung zu schließen ist. Die vorsätzliche Tatbegehung ergibt sich darüber hinaus aus dem og Urteil des LG für Strafsachen Wien samt dem diesem Urteil zugrundeliegenden Geständnis der bP.

Die Höhe der festgestellten Entgelte ergeben sich aus der direkten Zurechnung durch die Außenprüfung anhand der bei der Hausdurchsuchung vorgefundenen Listen und Unterlagen (Listen betreffend Namen von Versicherungsnehmern, Scheinfirmen und Pauschalbetrag; 741 Deckungsrechnungen in einer Gesamthöhe von € 7.022.072,25). Diese Unterlagen wurden in einem Büro vorgefunden, welches laut Aussage der bP von ihr und ihrem Mittäter genutzt worden ist. Ua wurde eine detaillierte Anleitung zur Gründung von Scheinfirmen und die notwendigen Schritte für die Scheinanmeldung von Versicherungsnehmern in diesem Büro vorgefunden.

Dem der bP zugeflossene Anteil wurde ein Provisionssatz von 5 % zugrunde gelegt. Dabei handelt es sich um den untersten Bereich der in Abgabenverfahren bekanntgewordenen Entgelte für das Ausstellen von Scheinrechnungen.

Dass ca 80 % der im Außenprüfungsverfahren für den Beschwerdezeitraum festgestellten Sozialversicherungsanmeldungen bei Scheinfirmen nicht direkt zugeordnet werden konnten, ergibt sich aus dem Betriebsprüfungsbericht vom (Tz 10; dazu siehe unten zur Abstandnahme der Abgabenfestsetzung).

Die Feststellungen zur Einkommens- und Vermögenssituation ergeben sich aus den belegten Angaben der bP und den Unterlagen iZm dem beim BG Favoriten anhängigen Schulden-regulierungsverfahren *** XY *** (Vermögensverzeichnis nach § 185 IO). Am hat das BG Favoriten mitgeteilt, dass das Schuldenregulierungsverfahren wegen der Anfechtung der FA-Forderungen bisher nicht abgeschlossen worden ist, im Verfahren keine Vermögenswerte oder geänderten Einkommensverhältnisse festgestellt worden sind und damit auch nicht zu rechnen sein wird.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der bP ergeben sich aus den vorgelegten ärztlichen Befunden (Befunde vom , und ; Diagnose: Andauernde Persönlichkeitsänderung, Posttraumatische Belastungsstörung, Rezid. depressive Störung, Kombinierte Persönlichkeitsstörung). Die Erkrankung steht laut bP im Zusammenhang mit Kriegserlebnissen in Bosnien-Herzegowina/Kroatien und ist durch die mehrjährige Haftstrafe eine andauernde Verschlechterung eingetreten (zB Befund vom : "Im Verlauf keine zufriedenstellende Verbesserung bei multiplen somatischen Problematiken."). Eine Verbesserung ist auch dem aktuellsten ärztlichen Befund vom nicht zu entnehmen. Darüber hinaus ist das Schuldenregulierungsverfahren bisher nicht abgeschlossen worden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Rechtsgrundlagen

§ 1 Abs 1 UStG 1994 idjgF lautet:
"Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
1. Die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vorschrift als bewirkt gilt; …"

§ 23 EStG 1988 idjgF lautet:
"Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind:
1. Einkünfte aus einer selbständigen, nachhaltigen Betätigung, die mit Gewinnabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, wenn die Betätigung weder als Ausübung der Land- und Forstwirtschaft noch als selbständige Arbeit anzusehen ist. …"

§ 206 BAO idjgF lautet:
"(1) Die Abgabenbehörde kann von der Festsetzung von Abgaben ganz oder teilweise Abstand nehmen,
a) …
b) soweit im Einzelfall auf Grund der der Abgabenbehörde zur Verfügung stehenden Unterlagen und der durchgeführten Erhebungen mit Bestimmtheit anzunehmen ist, dass der Abgabenanspruch gegenüber dem Abgabenschuldner nicht durchsetzbar sein wird;
c) …

(2) Durch die Abstandnahme (Abs. 1) erlischt der Abgabenanspruch (§ 4) nicht. Die Abstandnahme berührt nicht die Befugnis, diesbezügliche persönliche Haftungen gegenüber Haftungspflichtigen geltend zu machen."

3.2. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

Umsatzsteuer:

Bei der Tätigkeit der bP handelt es sich um sonstige Leistungen, welche die bP als Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen ihres Unternehmens erbracht hat. Dass die erbrachte sonstige Leistung strafbar ist, ändert nichts an der Steuerpflicht dieser Tätigkeit. Mangels Steuerbefreiung oder Steuerermäßigung unterliegen die erbrachten sonstigen Leistungen gem § 1 Abs 1 iVm § 10 Abs 1 UStG 1994 idjgF den Normalsteuersatz von 20 %.

Bei der Ermittlung der Zahllasten war schätzungsweise die Vorsteuerpauschalierung gem § 14 Abs 1 UStG 1994 idjgF zu berücksichtigen.

Zur Steuerbefreiung für Kleinunternehmer gem § 6 Abs 1 Z 27 UStG 1994 ist auszuführen, dass für die Berechnung der Umsätze gemäß § 6 Abs 1 Z 27 UStG 1994 nicht von der Steuerbefreiung für Kleinunternehmer, sondern von der Besteuerung nach den allgemeinen Regelungen auszugehen ist. Somit stellt die Umsatzgrenze des § 6 Abs 1 Z 27 UStG 1994 idjgF auf die Bemessungsgrundlage bei unterstellter Steuerpflicht ab (). Demnach würde die bP 2008, 2009 und 2013 die Kleinunternehmergrenze unterschreiten.

Wie oben ausgeführt wurden im Zuge von Hausdurchsuchungen 741 Deckungsrechnungen in einer Gesamthöhe von € 7.022.072,25 vorgefunden. Die bP hat Scheinrechnungen ausgestellt, die beim Rechnungsempfänger zum Vorsteuerabzug gedient haben. Demzufolge schuldet die bP die in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträge (auch) gem § 11 Abs 12 UStG 1994. Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt oder nicht Unternehmer ist, schuldet diesen Betrag. Damit besteht auch für die Jahre, in denen die Kleinunternehmer-grenze nicht überschritten worden ist, Steuerpflicht für die in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträge.

Einkommensteuer:

Bei der Ermittlung der Einkommensteuerbemessungsgrundlagen waren die Nettoumsätze als Betriebseinnahmen zu berücksichtigen. Mangels Vorlage von Unterlagen wurden die Betriebsausgaben schätzungsweise gem § 17 Abs 1 EStG 1988 idjgF ermittelt und jeweils der Gewinnfreibetrag gem § 13 EStG 1988 idjgF berücksichtigt.

Verfahrensrecht:

Gem § 207 Abs 1 BAO beträgt die Verjährungsfrist für das Recht, eine Abgabe festzusetzen, 10 Jahre, soweit eine Abgabe hinterzogen ist. Damit verjährt das Recht, Umsatzsteuer und Einkommensteuer für 2008 festzusetzen, frühestens am . Da die hier angefochtenen Bescheide vom jeweils am zugestellt worden sind, wurden alle Bescheide innerhalb der Verjährungsfrist für hinterzogene Abgaben erlassen.

Die Abgabenbehörde bzw das Bundesfinanzgericht sind im Abgabenverfahren nicht daran gehindert, ohne vorhergehende finanzstrafbehördliche Entscheidung festzustellen, dass Abgaben im Sinne des § 207 Abs 2 BAO hinterzogen worden sind; liegt daher eine Entscheidung der zuständigen Behörde nicht vor, hat die Abgabenbehörde diese Frage als Vorfrage in eigener Verantwortung zu beurteilen ().

Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen wurden, setzt eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbar bescheidmäßige Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände sind von der Abgabenbehörde nachzuweisen (VwGH 2007/15/0292; VwGH 2005/15/0072).

Bei der Beurteilung durch die Abgabenbehörde ist vor allem zu beachten, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer objektiven Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz als Schuldform erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn in nachprüfbarer Weise auch der Vorsatz feststeht. Vorsätzliches Handeln beruht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts-hofes zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen (VwGH 2007/15/0292; VwGH 2005/15/0072).

Die Beurteilung der Vorfrage hat in der Begründung des Bescheides (bzw Beschlusses oder Erkenntnisses) zu erfolgen. Aus der Begründung muss sich somit ergeben, auf Grund welcher Ermittlungsergebnisse sowie auf Grund welcher Überlegungen zur Beweiswürdigung und zur rechtlichen Beurteilung die Annahme der Hinterziehung gerechtfertigt ist (vgl. Ritz, BAO, 6. Auflage, § 207 BAO, Tz 15; ; , 96/17/0453).

Die Tatfrage betreffend das Vorliegen von hinterzogene Abgaben ist dem festgestellten Sachverhalt, welcher sich wiederum aus der Beweiswürdigung ergibt, zu entnehmen.

Gem § 206 Abs 1 lit b BAO kann die Abgabenbehörde bzw das Verwaltungsgericht von der Festsetzung von Abgaben ganz oder teilweise Abstand nehmen, soweit im Einzelfall aufgrund der zur Verfügung stehenden Unterlagen und der durchgeführten Erhebungen mit Bestimmtheit anzunehmen ist, dass der Abgabenanspruch gegenüber dem Abgabenschuldner nicht durchsetzbar sein wird. Voraussetzung für die Abstandnahme von der Festsetzung ist somit, dass die Abgabenbehörde bzw das Verwaltungsgericht entsprechende Erhebungen durchführt und diese eindeutig ergeben, dass die Abgaben uneinbringlich sind.

Die Unterlagen und vom BFG getätigten Erhebungen haben ergeben, dass mit Bestimmtheit der Abgabenanspruch zumindest zum überwiegenden Teil gegenüber der bP nicht durchsetzbar sein wird. Für jenen Teil, der im Zuge des Schuldenregulierungs-verfahrens oder bei einem Scheitern des Insolvenzverfahrens zukünftig einbringlich gemacht werden könnte, ist es ausreichend, jenen Abgabenanspruch festzusetzen, der sich aus den direkt zuordenbaren Entgelten ergibt. Dabei bleiben 80 % der von der Außenprüfung festgestellten Anmeldungen zur Sozialversicherung unberücksichtigt.

Maßnahmen nach § 206 BAO liegen im Ermessen der für die Abgabenfestsetzung zuständigen Abgabenbehörde bzw des BFG (vgl zB ).

§ 206 Abs 1 BAO dient dem Grundsatz der Sparsamkeit der Verwaltung, somit der Verwirklichung des zB im Art 126b Abs 5 B-VG geforderten Grundsatzes der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Vollziehung. Gem § 269 Abs 1 BAO ist diese Bestimmung auch vom BFG anzuwenden.

In der gegenständigen Beschwerdesache steht fest, dass noch umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen notwendig wären, um eine Zurechnung der bisher nicht direkt zuordenbaren Entgelte vornehmen zu können (Zeugeneinvernahmen; Sichtung von im Zuge von Hausdurchsuchungen beschlagnahmten umfangreichen Unterlagen; Neuberechnung von Bemessungsgrundlagen für 12 Abgabenbescheide; wechselseitiges Parteiengehör, wobei ua zu berücksichtigen ist, dass jene Mitarbeiter, die mit dem Außenprüfungs-verfahren betraut waren, sich bereits im Ruhestand befinden).

Mit dem Auftauchen von nicht bekannten Vermögenswerten ist nicht zu rechnen. Dies wird dadurch untermauert, dass das FA beim Mittäter mit Bescheid vom eine Löschung gem § 235 Abs 1 BAO von ca € 659.000,00 der in Rechtskraft erwachsenen Abgabenforderung von insgesamt ca € 805.000,00 vorgenommen hat. Begründet wird die Löschung wie folgt:
"Wie bereits erwähnt, kein Vermögen vorhanden. …
Es wird ein Teilbetrag i.H.v. 146.335,00 € für den eher unwahrscheinlichen Fall, dass der Abgabenpflichtige zu Vermögen kommt bzw, um allfällige ANV-Gutschriften gegenverrechnen zu können, auf dem Abgabenkonto belassen."

Da für das BFG aufgrund der im vorliegenden Fall getätigten Erhebungen feststeht, dass der Abgabenanspruch zumindest zum überwiegenden Teil gegenüber der bP auch zukünftig nicht durchsetzbar sein wird, war im vorliegenden Fall im Rahmen des vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessens dem Grundsatz der Verfahrensökonomie gegenüber der Rechtsrichtigkeit der Vorrang zu geben und von der Festsetzung jener Abgabenteile abzusehen, für die noch umfangreiche Ermittlungen zu tätigen gewesen wären.

Wenn das FA in seiner Stellungnahme vom ausführt, dass die bP gegen das Verfahrensförderungsgebot gem § 270 Abs 2 BAO verstoßen habe und der Antrag auf Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung nicht zu berücksichtigen sei, ist darauf hinzuweisen, dass § 270 BAO gem § 323 Abs 73 BAO erst auf Beschwerden anzuwenden ist, welche nach dem beim FA eingegangen sind.

Das FA führt in seiner Stellungnahme vom weiter aus, dass unzählige Arbeitsstunden in den gegenständlichen Fall investiert worden seien, vor allem durch die Betriebsprüfung, jedoch auch durch den ho. Fachbereich sowie die Kollegen in der Abgabensicherung und schlussendlich auch durch das Bundesfinanzgericht. Eine Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung gem § 206 BAO im gegenständlichen Verfahrensstadium wäre daher aus der Sicht des Finanzamtes entgegen jeder Verfahrensökonomie und entspreche daher schon aus diesem Sinne nicht dem Gebot des § 206 BAO.

Dem ist zu entgegnen, dass § 206 BAO nicht auf eine Gegenüberstellung des Umfanges von bereits getätigten zu noch ausständigen Ermittlungsmaßnahmen abstellt, sondern ob mit Bestimmtheit feststeht, dass der Abgabenanspruch gegenüber dem Abgabenschuldner nicht durchsetzbar sein wird. Für diesen Fall hat nach entsprechender Ermessensabwägung eine Festsetzung des nicht durchsetzbaren Abgabenanspruchs zu unterbleiben - unabhängig davon, ob bereits umfangreiche Ermittlungen durchgeführt worden sind.

In der Stellungnahme vom führt das FA weiter aus, dass es aus seiner Sicht nicht zweifelsfrei feststehe, dass keine Abgabenansprüche gegen die bP durchsetzbar sein würden. Wie aus dem Erkenntnis des Straflandesgerichts Wien ersichtlich und auch im Vorlagebericht ausgeführt worden sei, müsse, um eine (strafrechtlich relevante) Tätigkeit wie im vorliegenden Fall von der bP ausgeübt weiter zu betreiben, ein gewisser Anreiz vorhanden sein und dieser sei in den bezogenen Provisionen zu finden. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, dass die bP diese Tätigkeit ohne Gegenleistung durchgeführt habe. Ob, bzw welche Beträge die bP nunmehr wirklich aus seinen strafrechtlich relevanten Tätigkeiten erhalten habe, bzw ob noch Vermögen auffindbar sei, sei im Rahmen eines Konkursverfahrens festzustellen. Ein Vorgriff auf dieses Verfahren sei, vor allem im Hinblick auf die betrügerischen Handlungen der bP, aus Sicht der Abgabenbehörde nicht angemessen.

Dem ist zu entgegnen, dass einerseits ein Schuldenregulierungsverfahren bereits anhängig ist und vom zuständigen Bezirksgericht bisher keine Vermögenswerte aufgefunden werden konnten (Auskunft BG Favoriten vom und ). Andererseits hat das FA selbst die Einbringlichkeit von ca 20 % des beim Mittäter festgesetzten und in Rechtskraft erwachsenen Abgabenbetrages als "unwahrscheinlich" erachtet und ist für die restlichen 80 % zweifelsfrei davon ausgegangen, dass diese Abgabenforderungen auch zukünftig nicht einbringlich gemacht werden können. Das FA hat mit Bescheid vom Abgaben in Höhe von ca € 659.000,00 gem § 235 Abs 1 BAO gelöscht.

Durch die teilweise Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung verbleibt ein festgesetzter Abgabenanspruch, der
- auf Grundlage des bisherigen Ermittlungsverfahrens zweifelsfrei zu Recht besteht,
- ausreichend ist, auch den unwahrscheinlichen aber nicht auszuschließenden Fall der
zukünftigen teilweisen Einbringlichkeit des Abgabenanspruches zu berücksichtigen,
- keine weitere Ermittlungsmaßnahmen bedarf und
- damit dem Grundsatz der Verfahrensökonomie gem § 206 BAO entspricht.

Dem entsprechend war gem § 206 Abs 1 lit b teilweise vom Abgabenanspruch Abstand zu nehmen und spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da im vorliegenden Erkenntnis von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen wird, war eine (ordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zuzulassen.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2025:RV.7102695.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
SAAAF-79669