Haftung nach § 11 BAO kann mit dem Einwand, die strafrechtliche Verurteilung sei zu Unrecht erfolgt, nicht mit Erfolg bekämpft werden
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden ***R1***, den Richter***R2*** sowie den fachkundigen Laienrichter ***R3*** und die fachkundige Laienrichterin ***R4*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch MMag. Johann Pichler, Rechtsanwalt, Annagasse 5/3/7, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 1/23 (heute zuständig: Finanzamt Österreich) vom betreffend Haftung für Abgabenverbindlichkeiten der ***G*** GmbH, Steuernummer ***G-StNr*** HB, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass der Beschwerdeführer als Haftungspflichtiger gemäß § 11 BAO für folgende Abgabenverbindlichkeiten der ***G*** GmbH im Gesamtbetrag von € 3.424,87 in Anspruch genommen wird:
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Bescheid vom zog das damalige Finanzamt Wien 1/23 den Beschwerdeführer gemäß § 11 BAO zur Haftung für folgende Abgabenverbindlichkeiten der ***G*** GmbH heran:
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass diese Abgaben gegenüber der ***G*** GmbH als Primärschuldnerin rechtskräftig festgesetzt worden seien (die entsprechenden Grundlagenbescheide waren dem Haftungsbescheid angeschlossen). Der Beschwerdeführer sei mit Strafverfügung des Finanzamtes Wien 9/18/19/Klosterneuburg vom , Strafnummer ***StrNr***, rechtskräftig verurteilt worden, die Finanzordnungswidrigkeit des § 49 Abs. 1 lit. a FinStrG begangen zu haben, indem er als Geschäftsführer der ***G*** GmbH die gegenständlichen, im Zeitraum bis fällig gewordenen, Abgaben nicht spätestens am fünften Tag nach Fälligkeit entrichtet hat. Als rechtskräftig verurteilter Täter hafte er daher für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden.
Gegen diesen Haftungsbescheid sowie gegen die Grundlagenbescheide richtet sich die gegenständliche Beschwerde vom . Darin bringt der Beschwerdeführer vor, dass er mit vom Verlassenschaftskurator des Alleingesellschafters zum Geschäftsführer der ***G*** GmbH bestellt worden sei, nachdem die Gesellschaft seit dem Tod des Geschäftsführers und Alleingesellschafters im Mai 2018 fast ein ganzes Jahr ohne Geschäftsführung war und nur von einer Mitarbeiterin geführt wurde. Der Beschwerdeführer habe sich unmittelbar nach seiner Bestellung einen Überblick verschafft und die prekäre Situation der Gesellschaft erkannt. Er habe sofort Sparmaßnahmen gesetzt und auch Gespräche mit den Großgläubigern (damalige WGKK und Finanzamt) gesucht. Es sei für ihn festgestanden, dass kein Weg an einer Insolvenz vorbeiführen würde und habe er einen Rechtsanwalt mit der Einbringung eines Insolvenzantrages beauftragt. Dem sei letztendlich ein Insolvenzantrag der WGKK zuvorgekommen und sei am das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Aufgrund der finanziellen Situation der Gesellschaft sei die Entrichtung der Abgaben nicht möglich gewesen. Gegen die Strafverfügung vom habe er kein Rechtsmittel erhoben, da er aus gesundheitlichen Gründen und wegen sonstiger Probleme die hierfür zur Verfügung stehende Frist versäumt habe. Der Beschwerdeführer sei jedoch ohne sein Verschulden daran gehindert gewesen, für die Entrichtung der Abgaben Sorge zu tragen. Die Abgaben seien praktisch zur Gänze vor seiner Bestellung zum Geschäftsführer entstanden. Der Gesellschaft seien keine liquiden Mittel zur Verfügung gestanden. § 11 BAO könne demnach keine taugliche Haftungsgrundlage darstellen, da den Beschwerdeführer kein Verschulden treffe und auch sein Verhalten in Ermangelung von liquiden Mitteln nicht kausal für den Abgabenausfall gewesen sei. Die Strafverfügung sei daher materiell unrichtig. Zudem komme eine Haftung für Abgabenrückstände aus der Periode 03/2019 jedenfalls nicht infrage, weil der Beschwerdeführer erst am zum Geschäftsführer der ***G*** GmbH bestellt worden sei.
Über Vorhalt der belangten Behörde ergänzte der Beschwerdeführer sein Vorbringen dahingehend, dass es sich bei den gesundheitlichen Gründen und sonstigen Problemen, die zur Folge hatten, dass er die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen den Strafbescheid versäumt hat, um einen besonders schmerzhaften und belastenden Bandscheibenvorfall sowie schmerzhaft entzündete Zahnhälse gehandelt habe. Zudem habe sich seine Ehegattin einer Bandscheibenoperation unterziehen müssen. Langzeitfolgen (Lähmungserscheinungen) seien bei seiner Ehegattin nicht auszuschließen. Da sie nur sehr eingeschränkt bewegungsfähig gewesen sei, habe er sie - trotz seiner eigenen Beschwerden und Behandlungen - zu Arztbesuchen und therapeutischen Behandlungen bringen müssen. Weiters habe er durch den Konkurs der ***G*** GmbH unverschuldet Probleme bekommen und gegenüber den andrängenden Gläubigern und dem Masseverwalter seine Schuldlosigkeit darstellen müssen. Letztlich habe er die Fusion einer Aktiengesellschaft, den Alleinvorstand er war, vorbereiten und durchführen müssen, und sei dies durch einen Streit und eine gerichtliche Auseinandersetzung mit einem Aktionär begleitet gewesen. All dies habe ihn körperlich und psychisch sehr belastet. Dadurch sei viel an Arbeit liegen geblieben und habe er dadurch insbesondere auch die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen die Strafverfügung vom übersehen.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid ab. Begründend führte sie aus, dass rechtskräftige strafrechtliche Verurteilungen - unabhängig davon, ob sie im finanzbehördlichen oder im gerichtlichen Strafverfahren ergangen sind - gemäß § 11 BAO die Haftung des Verurteilten für den Verkürzungsbetrag zur Folge haben. Der Beschwerdeführer sei wegen der Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 lit. a FinStrG rechtskräftig verurteilt worden. Diese Strafentscheidung entfalte selbst dann Bindungswirkung, wenn sie rechtswidrig sein sollte. Für das Haftungsverfahren sei daher die vorsätzliche Begehung zwingend anzunehmen. Die Umstände, die zur Versäumung der Rechtsmittelfrist geführt haben, seien im Haftungsverfahren nicht zu berücksichtigen. § 11 BAO verlange keine mit § 9 BAO vergleichbare Kausalität zwischen einer schuldhaften Pflichtverletzung und der Abgabenverkürzung. Die Abgabenschuldigkeiten aus der Periode 03/2019 (in der BVE offenkundig versehentlich bezeichnet mit 09/2019) seien am fällig geworden. Die mit der Strafverfügung bestrafte Tat, nämlich die Abgaben nicht spätestens am fünften Tag nach Fälligkeit entrichtet zu haben, falle somit in den Zeitraum, als der Beschwerdeführer Geschäftsführer war. Die Abgaben 03/2019 seien überdies von der rechtskräftigen und für die Abgabenbehörde bindenden Strafverfügung umfasst. Das im Zusammenhang mit der Haftung zu übende Ermessen begründete die belangte Behörde damit, dass die Abgaben bei der ***G*** GmbH uneinbringlich seien und die Haftung daher die letzte Möglichkeit darstelle, den Rückstand zumindest teilweise einbringlich zu machen. Dem öffentlichen Interesse an der Einbringung der Abgaben sei daher gegenüber dem Interesse des Beschwerdeführers, nicht zur Haftung herangezogen zu werden, der Vorzug zu geben.
Mit Schriftsatz vom stellte der Beschwerdeführer Vorlageantrag gemäß § 264 BAO in dem auch die Entscheidung durch den Senat beantragt wurde. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde nicht beantragt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Am wurde der Beschwerdeführer zum Geschäftsführer der ***G*** GmbH (FN ***FN-G***) bestellt; die entsprechende Eintragung im Firmenbuch erfolgte per (unwidersprochenes Vorbringen; offenes Firmenbuch).
Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom , ***InsGZ***, wurde ein Konkursverfahren über das Vermögen der ***G*** GmbH eröffnet (Auszug aus der Insolvenzdatei).
Mit Haftungsbescheid vom wurde die Masseverwalterin der ***G*** GmbH für die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer für den Zeitraum 01-06/2019 in Gesamtbetrag von € 6.859,17 in Anspruch genommen ab. Mit weiterem Bescheid vom selben Tag erfolgte gegenüber der Masseverwalterin die Festsetzung von Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 01-06/2019, wodurch sich Nachforderungen im Gesamtbetrag von € 3.099,49 (DB) und € 301,54 (DZ) ergaben. In den genannten Beträgen sind auch die streitgegenständlichen, oben näher aufgeschlüsselten Lohnabgaben aus dem Zeitraum 03-05/2019 im Gesamtbetrag von € 5.871,76 enthalten (Bescheide vom einschließlich Betriebsprüfung-Bericht vom selben Tage).
Mit Strafverfügung gem. § 143 FinStrG des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg vom , Strafnummer ***StrNr***, wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, als Entscheidungsträger der ***G*** GmbH vorsätzlich die streitgegenständlichen Abgaben nicht spätestens am fünften Tag nach Fälligkeit gemeldet oder abgeführt (entrichtet) und der Abgabenbehörde bis zu diesem Zeitpunkt die Höhe des geschuldeten Betrages nicht bekannt gegeben zu haben und hierdurch die Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 lit. a FinStrG begangen zu haben. Begründend führte die Strafbehörde aus, dass - wie anhand vorgelegter Unterlagen (Betriebssummenblätter, Lohnkonten, Saldenlisten) festgestellt werden konnte - in den Monaten März bis Mai 2019 zu geringe Lohnabgaben gemeldet bzw. entrichtet wurden. Dadurch, dass diese Lohnabgaben nicht spätestens am fünften Tag nach Fälligkeit in entsprechendem Ausmaß abgeführt bzw. entrichtet wurden und auch nicht in ordnungsgemäßer Höhe bekannt gegeben wurden, sei die objektive Tatseite verwirklicht. Der Beschwerdeführer als Geschäftsführer habe die Aufgabe gehabt, für eine ordnungsgemäße Buchführung, für die Einbringung inhaltlich richtiger Erklärungen zu den jeweiligen Fälligkeiten sowie für eine vollständige und termingerechte Meldung und Abfuhr selbst zu berechnender Abgaben bzw. Lohnabgaben Sorge zu tragen. Aufgrund seiner langjährigen Berufstätigkeit als Geschäftsführer anderer Unternehmen habe er über das Wissen, die Entrichtung bzw. Meldung der Lohnabgaben korrekt durchzuführen, verfügt. Dieser Verpflichtung sei er jedoch nicht nachgekommen sich womit er es zum gesetzlich festgelegten Fälligkeitszeitpunkt zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, die Lohnabgaben nicht ordnungsgemäß abzuführen bzw. zu entrichten. Damit sei auch der Tatbestand in subjektiver Hinsicht erfüllt (Strafverfügung vom ). Diese Strafverfügung erwuchs in Rechtskraft (unstrittiges Vorbringen beider Parteien).
Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom , ***InsGZ***, wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der ***G*** GmbH nach Schlussverteilung aufgehoben. Auf die Gläubiger entfiel eine Quote von 41,672072 % (vorgelegter Auszug aus der Insolvenzdatei). Auch die Forderungen der belangten Behörde kamen mit dieser Quote zum Zug. Mit wurde die ***G*** GmbH im Firmenbuch gelöscht (offenes Firmenbuch).
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen gründen sich auf die in Klammer jeweils angeführten Beweismittel und sind im Übrigen auch unstrittig. Dass auch die Forderungen der belangten Behörde mit der im Insolvenzverfahren erzielten Quote zum Zuge kamen, hat die belangte Behörde auf Anfrage des Bundesfinanzgerichtes mit Schreiben vom sowie in einem nachfolgenden Telefonat bestätigt. In diesem Telefonat wurde auch eingeräumt, dass die Quotenzahlung aufgrund eines Versehens beim Haftungsbetrag nicht berücksichtigt wurde.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (teilw. Stattgabe)
Gem. § 11 BAO haften (u.a.) bei vorsätzlichen Finanzvergehen rechtskräftig verurteilte Täter für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden. Haftungsbegründende Voraussetzung nach dieser Bestimmung ist daher eine rechtskräftige Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Finanzvergehens im finanzbehördlichen oder gerichtlichen Finanzstrafverfahren (; , 98/16/0411). Unter den Begriff "Verurteilung" fallen auch Strafverfügungen i.S.d. § 143 FinStrG, unter den Begriff "vorsätzliche Finanzvergehen" auch Finanzordnungswidrigkeiten i.S.d. § 49 FinStrG (). Die Strafverfügung des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg vom , Strafnummer ***StrNr***, stellt daher ohne Zweifel eine Verurteilung i.S.d. § 11 BAO dar.
Die rechtskräftige Verurteilung ist keine Vorfrage i.S.d. § 116 BAO, sondern ein Tatbestandsmerkmal (). Es ist daher im Haftungsverfahren nach § 11 BAO nicht (neuerlich) zu prüfen, ob der zur Haftung Herangezogene ein Finanzvergehen begangen hat, sondern ist durch die Tatbestandswirkung der Verurteilung bindend festgestellt, dass sowohl die objektive als auch die subjektive Tatseite des Finanzvergehens verwirklicht ist (). Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach aufgrund der finanziellen Situation der ***G*** GmbH die Entrichtung der Abgaben nicht möglich gewesen sei und er ohne sein Verschulden daran gehindert gewesen sei, für die Entrichtung der Abgaben Sorge zu tragen, ist daher für die Haftung nach § 11 BAO ohne Relevanz. Dies würde selbst dann gelten, wenn diese Einwände - wären sie im Strafverfahren erhoben worden - zum Erfolg geführt und eine Verurteilung ganz oder teilweise abgewendet hätten (vgl. , wonach eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung selbst dann Bindungswirkung entfaltet, wenn die maßgebliche Entscheidung rechtswidrig ist). Nachdem mit der rechtskräftigen Verurteilung die (einzige) Voraussetzung des § 11 BAO vorliegt, haftet der Beschwerdeführer grundsätzlich nach dieser Bestimmung.
Allerdings ist die Haftung nach § 11 BAO - wie jede Haftung - akzessorisch und setzt daher voraus, dass die Abgabenschuld noch nicht durch Entrichtung erloschen ist (; , 99/16/0141). Der Beschwerde war daher insoweit teilweise Folge zu geben, als die im Insolvenzverfahren auf die haftungsgegenständlichen Abgaben entfallene Quote zu berücksichtigen und von den Haftungsbeträgen abzuziehen war.
Die Geltendmachung der Haftung liegt im Ermessen (). Ermessensentscheidungen sind gemäß § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Unter dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" sind hierbei die berechtigten Interessen der Partei zu verstehen, unter dem Begriff "Zweckmäßigkeit" das öffentliche Interesse an der Einbringung der Abgaben ().
Die Kriterien der Ermessensübung sind vorrangig dem Zweck jener Norm zu entnehmen, die das Ermessen einräumt (). Da es sich bei Haftungen um Besicherungsinstitute handelt, ergibt sich aus dem Normzweck eine gewisse Nachrangigkeit der Haftung im Verhältnis zur Inanspruchnahme des Hauptschuldners. Der Haftende darf daher i.d.R. nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Einbringung der Abgabe beim Hauptschuldner gefährdet oder wesentlich erschwert wäre (; ). Das Vermögen der Hauptschuldnerin ***G*** GmbH wurde im Rahmen des Insolvenzverfahrens verteilt. Diese ist aufgelöst und mittlerweile im Firmenbuch gelöscht. Bei ihr kann der Abgabenanspruch daher keinesfalls eingebracht werden.
Dass die Geltendmachung der Haftung unbillig i.S.d. § 20 BAO wäre, ist nicht erkennbar. Insb. wären die Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach die Strafverfügung vom materiell unrichtig sei und er aufgrund seiner damaligen (belastenden) Lebensumstände die Rechtmittelfrist versäumt habe, - selbst wenn sie zutreffen sollten - nicht geeignet, die Haftung im Wege des Ermessens ganz oder teilweise zu beseitigen. Dass eine behördliche Entscheidung - mag sie auch rechtswidrig sein - in Rechtskraft erwächst, weil die Rechtsmittelfrist infolge persönlicher Belastungen versäumt wurde, ist kein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis und damit nicht (sachlich) unbillig (vgl. etwa die zu § 236 BAO ergangenen Entscheidungen ; , Ra 2018/13/0098). Im Übrigen steht gegen die Versäumung von Fristen der Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 167 f FinStrG) zur Verfügung. Dass der Beschwerdeführer diesen Rechtsbehelf offenbar nicht innerhalb der hierfür zur Verfügung stehenden Frist (1 Monat "nach Aufhören des Hindernisses", hier also 1 Monat nach Erkennen, dass die Rechtsmittelfrist versäumt wurde) ergriffen hat, stellt ebensowenig eine sachliche Unbilligkeit dar. Demgegenüber wäre es eine nicht zu rechtfertigende Aushöhlung der Rechtskraft und der daraus resultierenden Bindungswirkung, wenn von einer Haftung nach § 11 BAO im Ermessenswege mit der Begründung Abstand genommen würde, dass die strafrechtliche Verurteilung rechtswidrig sei. Im Strafverfahren unterlassene Einwendungen und Rechtsmittel können daher im Haftungsverfahren nicht (auch nicht über den Umweg des Ermessens) nachgeholt werden.
Auch andere Ermessenskriterien, die einer Haftung entgegenstehen könnten, wie etwa eine Gefährdung des notwendigen Unterhalts des Beschwerdeführers und seiner Familie, eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben, eine Geringfügigkeit oder Uneinbringlichkeit des Haftungsbetrages oder Unbilligkeit angesichts lange verstrichener Zeit (dies ist grundsätzlich erst bei einem mehrjährigen Zuwarten der Fall: vgl. die in Ritz/Koran, BAO, 7. Aufl. [2021], Rz. 28, dargestellte Rechtsprechung) liegen augenscheinlich nicht vor, sodass die Zweckmäßigkeit i.S.d. § 20 BAO, also das öffentliche Interesse an einer Einbringung der Abgaben als überwiegendes Ermessenskriterium verbleibt. Die Inanspruchnahme für den nach Abzug der Insolvenzquote verbliebenen Betrag erfolgte daher auch im Rahmen des Ermessens zutreffend.
Anzumerken ist, dass über die Beschwerde gegen die Grundlagenbescheide vom erst nach abschließender Erledigung der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid entschieden werden kann, da sich erst aus der Erledigung des Haftungsverfahrens ergibt, ob der Beschwerdeführer "Haftungspflichtiger" i.S.d. § 248 BAO und damit zu Erhebung eines Rechtsmittels gegen die Grundlagenbescheide legitimiert ist (). Demzufolge ist auch die Beschwerdevorentscheidung vom nur zum Haftungsbescheid ergangen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die jeweils zitierte Rechtsprechung, von der das Bundesfinanzgericht nicht abgewichen ist, geklärt. So ist insb. geklärt, dass eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung auch dann Bindungswirkung für der Haftungsverfahren nach § 11 BAO entfaltet, wenn sie rechtswidrig sein sollte. Das bei Anwendung von Haftungsbestimmungen auszuübende Ermessen geht, sofern weder Ermessensmissbrauch noch Ermessensüberschreitung vorliegt, über die Bedeutung des Einzelfalls nicht hinaus und stellt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG dar (). Derartige Rechtsfragen waren daher nicht zu lösen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 11 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2025:RV.7100231.2024 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
HAAAF-79035