AMS-Schulung: Es handelt sich um eine allgemeine Berufsqualifizierungsmaßnahme zur erstmaligen Integration in den Arbeitsmarkt, nicht um eine "Berufsausbildung" iSd § 2 Abs. 1 lit b FLAG 1967
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff Nr1, betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum Juni 2022 bis Juni 2023 zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof
nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang:
1. Frau ***Bf1*** (= Beschwerdeführerin, Bf) hat für den Sohn A, geb. 02/2003, laufend die Familienbeihilfe (FB) samt Kinderabsetzbetrag (KG) bezogen.
2. Im Rahmen der Überprüfung des FB-Anspruchs im Juni 2023 wurde eine Bestätigung der X-Schule v. vorgelegt, wonach der Sohn v. bis voraussichtlich diese Schule besucht, und weiter:
" … Die X-Schule versteht sich als Schnittstelle zwischen Schule, Ausbildung und Beruf. Ziel der Teilnahme ist die Integration in das berufliche Erstausbildungssystem oder in den Arbeitsmarkt. …"
Die X-Schule ist eine Initiative des Beschäftigungspaktes Tirol (Bildungsservice) und wird vom Land und zwei Gemeinden finanziert.
3. Auf Ersuchen des Finanzamtes wurden nachgereicht:
- eine Schulbesuchsbestätigung, demnach der Sohn der Bf von September 2019 bis Mai
2022 den Aufbaulehrgang der Fachschule für wirtschaftliche Berufe Ort1 besucht hat;
- das (letztvorliegende) Jahreszeugnis dieser Schule für das Schuljahr 2020/2021,
wobei in drei von 14 beurteilten Fächern eine negative Benotung erfolgte.
4. Das Finanzamt hat daraufhin mit Bescheid vom , Ordnungsbegriff Nr1, von der Bf zu Unrecht für den Sohn A bezogene Beträge an Familienbeihilfe (FB) und Kinderabsetzbetrag (KG) für den Zeitraum Juni 2022 bis Juni 2023 sowie die für den Sohn B für denselben Zeitraum bezogenen FB-Erhöhungsbeträge (= Geschwisterstaffel gem. § 8 Abs. 3 FLAG 1967), in Summe € 3.352,90, zurückgefordert.
Begründend wird unter Verweis auf § 26 Abs. 1 FLAG 1967 ua. ausgeführt, der Sohn habe die Fachschule für wirtschaftliche Berufe mit abgebrochen. Damit ende der FB-Anspruch, da die X-Schule keine Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 FLAG, sondern eine allgemeine, durch das AMS geförderte Qualifizierungsmaßnahme darstelle (im Einzelnen: siehe Bescheid v. ).
5. In der dagegen erhobenen Beschwerde wurde zunächst zum Sohn B ausgeführt, dieser habe die Mittelschule positiv abgeschlossen, beginne ab ein Praktikum und ab eine Lehre als Computertechniker. Der Sohn A habe die Fachschule für wirtschaftliche Berufe mit abgebrochen, sei dann in die X-Schule bis aufgenommen worden und begann am eine Lehre zum Bürokaufmann; zum Nachweis wurde der betr. Lehrvertrag vorgelegt (Lehrzeit: - ). Es werde um eine FB-Neuberechnung zu beiden Söhnen ersucht.
6. Die abweisende Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom hat das Finanzamt dahin begründet, dass es sich bei der X-Schule um keine berufsspezifische Ausbildung, sondern um eine Berufsorientierungsmaßnahme handle. Es wurde darauf hingewiesen, dass zum Sohn A mit Beginn der Lehre, ab 10/2023, wiederum die Familienbeihilfe beantragt werden könne.
7. Im "Einspruch" v. , zu werten als Vorlageantrag, wurde vorgebracht, der Sohn A sei im Rahmen des Besuches der X-Schule beim Arbeitsmarktservice/ AMS versichert gewesen und habe täglich € 14,32 erhalten. Dazu wurde eine Bestätigung des AMS über den Bezug von "Beihilfen zum Lebensunterhalt + pauschalierte Kursnebenkosten" in der Zeit v. bis (tgl. zusammen € 14,20 bzw. ab 2023 € 14,69 als Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung bzw. Beihilfenbezüge nach dem Arbeitsmarktservicegesetz) vorgelegt. Daneben habe der Sohn verschiedene Praktika absolviert. All dies sei eventuell hinsichtlich der Familienbeihilfe zu berücksichtigen.
II. Sachverhalt:
Der Sohn der Bf, A geb. 02/2003, hat im Feber 2021 die Volljährigkeit (18. Lj.) erreicht und wird im Feber 2027 das 24. Lebensjahr vollenden.
Er hat von September 2019 bis Mai 2022 den Aufbaulehrgang der Fachschule für wirtschaftliche Berufe Ort1 besucht und diese am abgebrochen.
Nach anschließend erfolgloser Ausbildungs- bzw. Lehrstellensuche hat er von bis die X-Schule besucht. Hiebei handelt es sich um eine öffentlich geförderte Initiative des Beschäftigungspaktes Tirol bzw. des Arbeitsmarktservice, die sich als "Schnittstelle zwischen Schule, Ausbildung und Beruf" versteht. Laut Bestätigung der X-Schule ist Ziel der Teilnahme die Integration in das berufliche Erstausbildungs-system oder in den Arbeitsmarkt. In dieser Zeit hat der Sohn Beihilfen nach dem AMS-Gesetz in Höhe von täglich rund € 14 bezogen.
Am hat der Sohn eine Lehre zum Bürokaufmann (Dauer bis ) begonnen.
III. Beweiswürdigung:
Obiger entscheidungswesentlicher Sachverhalt ergibt sich aus dem - oben dargelegten - Akteninhalt, dh. aus den vorgelegten Unterlagen in Zusammenhalt mit den eigenen Angaben seitens der Bf.
IV. Rechtslage:
A) Gesetzliche Bestimmungen:
Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), BGBl 1967/376 idgF, haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben,
lit a) für minderjährige Kinder,
lit b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.
..…
Gemäß § 8 Abs. 1 FLAG 1967 bestimmt sich der einer Person zustehende Betrag an Familien-beihilfe nach der Anzahl und dem Alter der Kinder, für die die FB gewährt wird. Zufolge Abs. 3 Z 3 lit a dieser Bestimmung erhöht sich die FB monatlich für jedes Kind ab , wenn sie für zwei Kinder gewährt wird, um € 7,10; ab dem Jahr 2023 um € 7,50 (= Erhöhungsbetrag bzw. Geschwisterstaffel ab dem zweiten Kind).
Nach § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschliessungsgrund hinzukommt.
Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG hat derjenige, der Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Gem. § 33 Abs. 3 EStG 1988 steht Steuerpflichtigen, denen aufgrund des FLAG 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag für jedes Kind zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 FLAG 1967 anzuwenden.
B) Rechtsprechung:
a) Berufsausbildung:
Nach § 2 Abs. 1 lit b FLAG 1967 ist die Gewährung von Familienbeihilfe (+ KG) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, an die Voraussetzung der Berufsausbildung gebunden.
Unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird (vgl. zB ; ).
Die wesentlichen Merkmale einer Berufsausbildung im Sinne des Gesetzes sind praktischer und theoretischer Unterricht, bei dem fachspezifisches, nicht auf Allgemeinbildung ausgerichtetes Wissen vermittelt wird, eine angemessene Unterrichtsdauer sowie die Verpflichtung zur Ablegung einer Abschlussprüfung.
Ob tatsächlich eine Berufsausbildung iSd FLAG vorliegt, kann in der Regel nur im Einzelfall beurteilt werden.
Zur Qualifikation als Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit b FLAG kommt es nicht nur - qualitativ - auf das "ernste und zielstrebige Bemühen um den Ausbildungserfolg" an, sondern eine Berufsausbildung muss grundsätzlich auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen (vgl. ).
Nach den vom VwGH zu diesem Begriff in stRSpr entwickelten Kriterien (zB ; u.v.a.) weist jede anzuerkennende Berufsausbildung ein qualitatives und ein quantitatives Element auf.
Entscheidend ist sowohl die Art der Ausbildung als auch deren zeitlicher Umfang (=ein Zeitaufwand für Kurse und Vorbereitungen von zumindest 30 Wochenstunden; vgl. u.a.).
Ziel eines "Berufsorientierungsseminars" ("Lernwerkstatt") als einer Berufsvorbereitungs-maßnahme, bei welcher in dieser Zeit eine Beihilfe nach dem Arbeitsmarktservicegesetz bezogen wurde, ist die Integration der Jugendlichen in den Lehrstellen-/Arbeitsmarkt. Bei dieser Kursmaßnahme handelt es sich um keine berufsspezifische Ausbildung, deren Absolvierung zur Ausübung eines bestimmten Berufes befähigt, sondern um eine Berufsorientierungsmaßnahme, weshalb keine Berufsausbildung gem. § 2 Abs. 1 lit b FLAG vorliegt ().
(siehe zu vor in: Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, 2. Aufl., Rzn. 35 ff. zu § 2 mit weiteren Judikaturverweisen).
b) Rückzahlung zu Unrecht bezogener Familienleistungen:
In § 26 FLAG wird eine (rein) objektive Erstattungspflicht desjenigen normiert, der die Familienbeihilfe (und den Kinderabsetzbetrag) zu Unrecht bezogen hat; dies ohne Rücksicht darauf, ob die bezogenen Beträge etwa gutgläubig empfangen wurden oder ob die Rückzahlung eine Härte bedeutet.
Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge ist nach Gesetzeslage und Rechtsprechung von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend ist somit lediglich, ob der Empfänger die Beträge objektiv zu Unrecht erhalten hat. Ebenso wäre unerheblich, ob und gegebenenfalls wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat (vgl. ; ).
V. Erwägungen:
Unabhängig davon, in welchem Umfang die Zeit des Sohnes wöchentlich im Rahmen des Besuches der X-Schule etwaig in Anspruch genommen wurde (quantitatives Kriterium), kommt gegenständlich dem Umstand, um welche Art der Ausbildung es sich beim Besuch dieser Schule gehandelt hat, entscheidende Bedeutung zu.
Wie aus der vorgelegten Bestätigung der X-Schule v. und auch aus der Bestätigung des AMS über den Bezug von Beihilfen nach dem AMS-Gesetz ohne jeden Zweifel hervorkommt, stellt die Schulung in der X-Schule eine vom AMS geförderte allgemeine Berufsqualifizierungsmaßnahme dar, mit dem Zweck, den erstmaligen Einstieg in eine berufliche Ausbildung oder in den Arbeitsmarkt besser zu ermöglichen. Insofern wird auch von der Schnittstelle zwischen Schule, Ausbildung und Beruf gesprochen (siehe laut Bestätigung der X-Schule).
Aus diesem Grund steht aber fest, dass es sich definitiv nicht um eine spezifische Ausbildung zur Ausübung eines konkreten Berufes und damit im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung (siehe insbes. , zum "Berufsorientierungs-seminar") nicht um eine Berufsausbildung gemäß § 2 Abs. 1 lit b FLAG 1967 handelt.
VI. Ergebnis:
In Anbetracht obiger Sach- und Rechtslage sind daher für den Zeitraum nach dem Abbruch der Fachschule für wirtschaftliche Berufe Ort1 im Mai 2022, dh. ab Juni 2022, die Anspruchs-voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe sowie des Kinderabsetzbetrages nicht mehr erfüllt. Die Rückforderung von FB + KG für den Sohn A im gegenständlich strittigen Zeitraum (Juni 2022 - Juni 2023) - ebenso wie die damit verbundene Rückforderung des FB-Erhöhungsbetrages gem. § 8 Abs. 3 Z 3 lit a FLAG 1967 für den Sohn B (Geschwister-staffel) - ist daher zu Recht erfolgt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Hinweis: Wie bereits in der Beschwerdevorentscheidung v. abschließend ausgeführt, wird der Vollständigkeit halber nochmals darauf hingewiesen, dass für den Sohn A ab dem Beginn der Lehrausbildung im Oktober 2023 die Familienbeihilfe wiederum zusteht.
Unzulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichsthofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Lösung der Frage, ob beim Sohn der Bf insbesondere im Hinblick auf die Art der Ausbildung die Voraussetzungen für eine iSd FLAG erforderliche Berufsausbildung vorgelegen waren, ist anhand der tatsächlichen Umstände in Anwendung der og. Judikatur des VwGH wie auch des UFS und BFG zu beurteilen. Insofern liegt keine strittige Rechtsfrage vor. Eine Revision ist daher nicht zulässig.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 3 Z 3 lit. a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 26 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2025:RV.3100535.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
IAAAF-79000