Qualifikation von OP-Kosten als Krankheits- oder Behinderungskosten
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer 2022 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Am reichte der BF seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2022 (Arbeitnehmerveranlagung) über finanzonline ein. Dabei beantragte der BF außergewöhnliche Belastungen mit Selbstbehalt i.H.v. 1508,62 €, beantragte einen Freibetrag für Behinderung aufgrund einer Behinderung von 50 % und machte Kosten aus dieser Behinderung i.H.v. 9.687,44 € geltend.
Nach Durchführung eines Vorhalteverfahrens, in dem der BF eine konkrete Auflistung der Kosten für die außergewöhnlichen Belastungen samt der Kostenersätze sowie einer Kopie des Behindertenpasses vorlegte veranlagte das FA den BF mit Bescheid vom zur Einkommensteuer 2022 und berücksichtigte dabei außergewöhnliche Belastungen mit Selbstbehalt i.H.v. 11.028,70 € einen Freibetrag wegen eigener Behinderung i.H.v. 401,00 € sowie nachgewiesene Kosten aus der eigenen Behinderung i.H.v. 9.687,44 € und begründete dies damit, dass aus den vorgelegten Unterlagen kein Zusammenhang mit der Behinderung des BF hervorgehe, weswegen auch die geltend gemachten Kosten i.H.v. 9.687,44 € lediglich als außergewöhnliche Belastungen im Sinn des § 34 EStG mit Abzug eines Selbstbehalt in Abzug gebracht werden könnten.
Mit Bescheid vom berichtigte das FA den Einkommensteuerbescheid für 2022 vom gemäß § 293 BAO und berücksichtigte lediglich außergewöhnliche Belastungen mit Selbstbehalt i.H.v. 11.028,70 €, die auch die vom BF geltend gemachten 9.687,44 € enthielten und einen Freibetrag wegen eigener Behinderung i.H.v. 401,00 €.
Gegen den Bescheid vom erhob der BF fristgerecht Beschwerde und führte dazu aus, dass der Betrag von 9.687,44 € ausschließlich im Zusammenhang mit seiner Behinderung laut beigelegtem Behindertenpass und dem zugrundeliegenden ebenfalls beigelegten Gutachten stehe und somit ohne Selbstbehalt in Abzug zu bringen sei. Bei genauerer Betrachtung habe sich der gleichbleibende Gesamtbetrag jedoch geringfügig zugunsten der außergewöhnlichen Belastungen durch die Behinderung verschoben und betrage nunmehr 9.990,74 €.
Das FA wies diese Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der vom BF vorgelegte Behindertenpass die Behinderung erst mit bestätige. Die infrage stehende dritte Operation seiner Hüfte sei jedoch am erfolgt.
Darauf beantragte der BF fristgerecht die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das BFG und legte diesem auch seine Krankengeschichte bei.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der BF ist Pensionist und weist folgende Krankengeschichte auf: Im Juli 2014 wurde ihm ein erster Stent im Herzen eingesetzt. Im Dezember 2018 erfolgte eine OP der linken Hüfte. Im Februar 2019 eine erste OP der rechten Hüfte. Im Juli 2020 erfolgte eine zweite OP der rechten Hüfte ("erste Revision") die daraus resultierenden Schmerzen beim Gehen erforderten eine dritte OP der rechten Hüfte ("zweite Revision") die jedoch aufgrund erheblicher Herz-Kreislaufprobleme und die Einsetzung eines zweitens Stents im Oktober 2021 erst im Februar 2022 durchgeführt wurde. Eine Behinderung des BF lag bis 2022 nicht vor. Auf Grund der im Jahr 2022 durchgeführten dritten Operation, die mit Kosten von 9.990,74 € verbunden war, kam es zu einer Lähmung des nervus femoralis rechts als Operationsfolge und damit verbunden zu einer Muskeldegeneration des rechten Oberschenkels. Daraus ergab sich eine einseitige Gehbewegung (hinken und eingeschränkte Mobilität). Die Läsion des nervus femoralis mit einer hochgradigen Schwäche des vierköpfigen Oberschenkelmuskels wurde mit einem 50-prozentigen Grad der Behinderung aufgrund des Gutachtens vom rückwirkend zum Tag des Antrages am festgestellt.
2. Beweiswürdigung
Der oben dargestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Vorbringen des BF und den von ihm im Zuge dieses Verfahrens vorgelegten Unterlagen, vor allem aus dem vom BF vorgelegten Sachverständigengutachten vom und der vom BF beigelegten Krankengeschichte (undatiert). Diese sind glaubhaft und von der belangten Behörde unwidersprochen, weswegen sie vom BFG der Entscheidung zugrunde gelegt werden.
Aus dem vom BF selbst vorgelegten Sachverständigengutachten vom ergibt sich für das BFG zweifelsfrei, dass auch die Voroperationen des BF bekannt waren und in die Beurteilung des Sozialministeriums Service eingeflossen sind, ob und in welchem Umfang eine Behinderung des BF vorlag. Da trotz Kenntnis der Voroperationen eine 50%ige Behinderung des BF erst mit Ende 2022 festgestellt wurde, hat es nach Sicht des BFG die größte Wahrscheinlichkeit für sich, dass vor diesem Zeitpunkt, jedenfalls aber vor der dritten Hüftoperation des BF keine 50%ige Behinderung des BF vorgelegen ist.
Die Höhe der außergewöhnlichen Belastungen im Jahr 2022 insgesamt und im Detail für die Operation ergeben sich aus den vom BF beigebrachten Aufstellungen und Belegen. Auch die Höhe der Kosten und deren Begründung sind glaubhaft und wurden von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen, weswegen sie vom BFG der Entscheidung zugrunde gelegt werden.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Gemäß § 293 BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag einer Partei (§ 78) oder von Amts wegen in einem Bescheid unterlaufene Schreib- und Rechenfehler oder andere offenbar auf einem ähnlichen Versehen beruhende tatsächliche oder ausschließlich auf dem Einsatz einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten berichtigen.
Der berichtigende Bescheid der Abgabenbehörde ist mit Bescheidbeschwerde anfechtbar. Diese Beschwerde kann jedoch idR nicht auch den berichtigten Bescheid anfechten (vgl zB ); § 251 ist nicht anwendbar (, 89/13/0214; , 95/13/0161-0164; , 95/15/0088).
Ausnahmsweise, nämlich wenn erst aus der berichtigten Fassung zu erkennen ist, dass und in welchem Ausmaß dieser einen Eingriff in die Rechte oder rechtlichen Interessen des Betroffenen bedeutet, besteht die Möglichkeit, in einem Rechtsmittel gegen den Berichtigungsbescheid nicht nur die Überprüfung der Zulässigkeit der Berichtigung, sondern auch die Überprüfung des Bescheides in seiner berichtigten Fassung zu begehren ( 278/74; , 90/08/) (Ritz, BAO7, § 293 Tz. 20).
Im gegenständlichen Fall war erst aus dem berichtigten Bescheid vom erkennbar, dass die belangte Behörde die Kosten aus der Hüftoperation im Februar 2022 nicht im Zusammenhang mit der Behinderung akzeptierte, sondern diese als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 34 EStG 1988 einstufte. Das BFG hat daher keine Bedenken mit der Beschwerde gegen den Berichtigungsbescheid auch die Überprüfung des Bescheides in der berichtigten Fassung vorzunehmen.
Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen, sofern die Belastung außergewöhnlich ist (Abs. 2), zwangsläufig erwächst (Abs. 3) und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt (Abs. 4). Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.
Durch Krankheit verursachte Aufwendungen sind außergewöhnlich ( 349/56), sie erwachsen aus tatsächlichen () […] Gründen zwangsläufig. […] Sie müssen mit einer Heilbehandlung bzw betreuung typischerweise verbunden sein (); es genügt jedoch, wenn sie den Zweck verfolgen, die Krankheit erträglich zu machen (; BFH , III R 296/84, BStBl II 88, 137), dh zu lindern bzw das Fortschreiten einer Beeinträchtigung (Behinderung) zu vermeiden (DKMZ/Doralt § 34 Rz 78 "Krankheitskosten"; HR/Fuchs/Unger § 34 Anh II Rz 35; WGW/Wanke § 34 Rz 78 "Krankheitskosten"; LStR 902; ). [….]
Abzugsfähig sind Aufwendungen für (1) Arzt und Krankenhaus; - (2) Medikamente, […] (3) Heilbehelfe und Hilfsmittel, (7) Fahrten […] zur Therapie ( "Therapieschwimmen" wenn nachweisl notwendig; ; Müller SWK 98, S 239 1.3.2); […] (9) Aufwendungen für eine Heilkur (s "Kuraufenthalt/-reise"); Rehabilitationskosten (; ); - (10) Behandlungsbeiträge (; B-KUVG) […] Kostenbeiträge (); Rezeptgebühren, Selbstbehalte, Zuzahlungen; […] (Jakom/Peyerl, EStG 2021 § 34 Rz. 90)
Die Aufwendungen können auch dann zwangsläufig sein, wenn sie die durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckten Kosten übersteigen, sofern sie aus triftigen medizinischen Gründen anfallen, zB bei erwarteten Komplikationen (; LStR 902c) oder bei einer im Einzelfall gebotenen Behandlung in einem besonders spezialisierten Krankenhaus ( Klinik am Meer; ). […] bei einem Krankenhausaufenthalt nach LStR 902d zudem eine Haushaltsersparnis (nur Verpflegungstangente, zur Höhe s "Altersheim"; )
Gemäß § 35 Abs. 1 EStG 1988 Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen […] durch eine eigene körperliche […] Behinderung […] und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.
Gemäß § 35 Abs. 2 EStG 1988 […] sind die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist […] in allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.
Gemäß § 35 Abs. 3 EstG 1988 beträgt der Freibetrag bei Behinderungen zwischen 45% und 55% 401,00 € p.a.
Gemäß § 35 Abs. 5 EStG 1988 können anstelle des Freibetrages auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden. Diese Aufwendungen können nach § 34 Abs. 6 EStG 1988 ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden.
Die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß eine Person behindert ist, ist nicht von der Abgabenbehörde, sondern bindend ( RV/0582-I/11) von einer anderen Stelle zu treffen (). Zuständig ist im Regelfall das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, nunmehr kurz "Sozialministeriumservice" […] (Jakom/Peyerl, EStG 2021 § 35 Rz. 7)
Der Entscheidung der Abgabenbehörde sind die jeweils vorliegenden Daten zugrunde zu legen (). Eine rückwirkende Ausstellung eines Behindertenpasses ist grundsätzlich nicht möglich (). Ist die Behinderung aber die Folge eines Ereignisses (Unfall, Operation, Spitalsaufenthalt), gilt der festgestellte Grad der Behinderung nach LStR 839f auch für steuerliche Zwecke rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Ereignisses, wenn das Bundesamt die Behinderung rückwirkend festgestellt hat (s zB ; , RV/7105950/2017; RV/0582-I/11). Werden die Daten rückwirkend bescheinigt bzw nachträglich geändert, kann der ESt Bescheid gem. § 295a BAO geändert werden ( RV/0438-I/11).
Im gegenständlichen Fall liegt eine derartige Bescheinigung des Sozialministeriums Services aus dem Juni 2023 vor, die die Behinderung ab dem Antrag () bescheinigt und eine Behinderung vor der dritten Hüftoperation trotz Kenntnis der Krankengeschichte des BF nicht releviert.
Aus den oben dargestellten Ausführungen des Gerichts ergibt sich, dass somit mangels eines diesbezüglichen Nachweises einer vor der dritten Hüftoperation bestehenden Behinderung die Kosten der dritten Operation der rechten Hüfte im Februar 2022 zwar Krankheitskosten, aber keine Kosten aus dem Titel der Behinderung darstellen. Letztlich hat erst die Operation in weiterer Folge dazu geführt, dass die "Läsion des nervus femoralis mit einer hochgradigen Schwäche des vierköpfigen Oberschenkelmuskels" eingetreten ist. Erst mit dieser Läsion trat die 50 %ige Behinderung des BF nach dem vorliegenden Gutachten ein. Die Behinderung kann daher möglicherweise eine Folge einer Operation sein, sie ist aber zeitlich jedenfalls erst nach der Operation entstanden. Die Kosten der Operation könnten daher nicht nur aufgrund der Datierung des Eintrittes der Behinderung im Gutachtens des Sozialministeriums Service, sondern auch aufgrund des zeitlichen Ablaufes, bei dem erst nach der Operation diese Läsion eingetreten ist, nicht als Behinderungskosten angesehen werden.
Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die gegenständliche Entscheidung gründet sich zur Frage der Bindung des BFG hinsichtlich des Grades der Behinderung und des Zeitpunktes des Eintritts der Behinderung an die Entscheidung des Sozialministeriums Service auf die im Begründungsteil zitierte Rechtsprechung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.
Salzburg, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 34 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 35 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 293 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2025:RV.6100322.2024 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
JAAAF-78982