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OGH 12.12.2007, 7Ob242/07z

OGH 12.12.2007, 7Ob242/07z

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei Linda Carola U*****, geborene T*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Hans Lehofer und Mag. Bernhard Lehofer, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte und widerklagende Partei Pius U*****, geboren am *****, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 2 R 195/07x-39, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Graz-Ost vom , GZ 31 C 19/06p, 31 C 173/06k-25, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache an dieses zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin und Widerbeklagte (in der Folge: Klägerin) begehrt die Scheidung aus dem Alleinverschulden des Beklagten und Widerklägers (in der Folge: Beklagter) mit der Begründung, dass er sich ihr gegenüber lieblos und aggressiv verhalten habe. Er habe sie am so geschlagen, dass sie schwere Verletzungen erlitten habe. Den Beklagten treffe das Alleinverschulden an der Zerrüttung der Ehe. Der Beklagte begehrt in der Widerklage die Scheidung aus dem Alleinverschulden der Klägerin. Sie sei lieblos gewesen und habe mutwillig die häusliche Lebensgemeinschaft verlassen. Die Parteien bestritten wechselseitig das Klagsvorbringen.

Die Klägerin war im erstinstanzlichen Verfahren zunächst anwaltlich vertreten. Sie erschien ladungsgemäß mit ihrem Rechtsvertreter zur Tagsatzung vom , wurde jedoch nicht vernommen. Zur Tagsatzung vom erschien sie nicht. Sie wurde von ihrem Rechtsvertreter entschuldigt, ohne dass er einen konkreten Grund angeben konnte, warum die Klägerin nicht erschienen war. Mit Schriftsatz vom teilte der Klagevertreter mit, dass das Vollmachtsverhältnis aufgelöst werde. Die Klägerin wurde zur nächsten Tagsatzung vom neuerlich geladen. Mit Fax von diesem Tag vor Beginn der Tagsatzung entschuldigte sich die Klägerin damit, dass sie erst am nach Innsbruck gekommen sei, sie über kein Auto verfüge und es ihr daher nicht möglich sei, zu dem Termin pünktlich zu erscheinen. Die Tagsatzung wurde erstreckt. Das Erstgericht lud die Klägerin zur Tagsatzung vom mit RSa und dem Beisatz: „Für den Fall Ihres Nichterscheinens kann ohne Sie verhandelt werden und ein der (Wider-)Klage entsprechendes Urteil ergehen (§ 381 ZPO)." Die Ladung wurde durch Hinterlegung am zugestellt (erster Zustellversuch: ; 2.

Zustellversuch und Beginn der Abholfrist: ). Die Sendung wurde nicht behoben. Die Klägerin erschien zur Tagsatzung vom nicht. Das Erstgericht ging davon aus, dass die Zustellung der Ladung ausgewiesen sei, vernahm den Beklagten und schloss die Verhandlung.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus dem Alleinverschulden der Klägerin und legte dem Urteil mangels gegenteiliger Beweisergebnisse den Sachverhalt zugrunde, der der Aussage des Beklagten entsprach. Die Klägerin habe den Beklagten (nicht umgekehrt) geschlagen. Sie habe ihm ihre Einstellungen aufgezwungen und die Ehewohnung grundlos verlassen. Auf Grund ihres Verhaltens sei die Ehe für den Beklagten unheilbar zerrüttet. Das Urteil wurde der Klägerin am zugestellt. Die von ihr innerhalb der Berufungsfrist beantragte Verfahrenshilfe wurde bewilligt. In der Berufung machte die Klägerin unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend, dass sie unverschuldet der Tagsatzung vom ferngeblieben sei. Es sei ihr keine Möglichkeit geboten worden, ihr Vorbringen unter Beweis zu stellen, weil ihr die Ladung nicht (rechtzeitig) zugegangen sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens liege nicht vor. Eine Vorgangsweise nach § 87 GOG sei im streitigen Scheidungsverfahren nur anwendbar, wenn das persönliche Erscheinen einer Partei zur Klärung amtswegig zu ermittelnder Umstände unbedingt erforderlich sei, also nicht zur bloßen Beweisaufnahme. Mit der Bestimmung des § 460 Z 1 ZPO habe der Gesetzgeber nicht einer aussageunwilligen Partei, die das Verfahren verzögern wolle, zu einem Verfahrensmangel im Rechtsmittelverfahren verhelfen wollen. Der Klägerin sei bereits mehrmals die Möglichkeit geboten worden, als Partei auszusagen, sodass das Gericht zu Recht das Fernbleiben nach § 381 ZPO gewürdigt habe. Das Erstgericht sei nicht verhalten gewesen, die Tagsatzung neuerlich zu erstrecken. Im Übrigen übernahm das Berufungsgericht die erstgerichtlichen Feststellungen als unbedenklich und bestätigte das angefochtene Urteil.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig, sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Es ist zwar richtig, dass die Berufung formell lediglich eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens rügt. Das Berufungsgericht übersieht aber, dass mit dem Vorbringen in der Berufung auch ein Nichtigkeitsgrund geltend gemacht wird. Als der Klägerin das Ladungsformular B 9 zur Tagsatzung vom zugestellt wurde, war sie nicht mehr anwaltlich vertreten. Sollte ihr also die Ladung zur Tagsatzung nicht wirksam zugestellt worden sein, so würde dies einen Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO bewirken, weil ihr rechtliches Gehör dadurch verletzt worden wäre, dass ihr die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, genommen worden wäre (vgl RIS-Justiz RS0107383; Kodek in Rechberger³, § 477 ZPO, Rz 7). Der von der Klägerin erkennbar geltend gemachte Nichtigkeitsgrund hätte aber vom Berufungsgericht geprüft werden müssen. Die Zustellvorschriften sind zwingendes Recht; ihre Einhaltung hat das Gericht von Amts wegen zu überprüfen (5 Ob 261/05a; 7 Ob 5/06w; RIS-Justiz RS0036440). Der vom Zusteller paraphierte Zustellnachweis ist eine öffentliche Urkunde mit den dieser zukommenden Wirkungen und macht zunächst vollen Beweis darüber, dass die darin beurkundeten Zustellvorgänge eingehalten wurden. Der Gegenbeweis ist zulässig. Hat die Klägerin nun Umstände vorgebracht, die im Hinblick auf ihre frühere zeitweilige Ortsabwesenheit zumindest berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorganges aufkommen lassen, so hat das Berufungsgericht den Zustellvorgang zu prüfen, um das Vorliegen eines allfälligen Nichtigkeitsgrundes beurteilen zu können. Das Berufungsgericht hat dies unterlassen.

Das Berufungsgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren die Wirksamkeit der Zustellung der Ladung zur Tagsatzung vom an die Klägerin durch Hinterlegung am überprüfen müssen. Über das Vorliegen eines allfälligen Nichtigkeitsgrundes kann nur dann entschieden werden, wenn durch amtswegige Erhebungen geklärt ist, ob die Klägerin während der Zustellversuche und der Abholfrist ortsanwesend war oder nicht, ob also die Zustellung der Ladung im Sinn des § 17 Abs 3 ZustG wirksam war oder nicht.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2007:0070OB00242.07Z.1212.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
SAAAF-75826