OGH 01.10.2003, 7Ob209/03s
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Leopold H*****, vertreten durch Nemetz & Nemetz, Rechtsanwalts-KEG in Wien, gegen die beklagte Partei E*****aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Mag. Dr. Oskar Wanka, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 20.635,68 sA und Feststellung (Gesamtstreitwert EUR 25.589,08), über die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 260/02y-20, womit das Teil- und Zwischenurteil des Handelsgerichtes Wien vom , GZ 35 Cg 264/01i-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, dass das erstinstanzliche Teil- und Zwischenurteil wiederhergestellt wird.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger hat bei der beklagten Partei am ua (ein zweiter in der Polizze angeführter Versicherungsort ist hier nicht von Belang) betreffend seine Liegenschaft in S***** eine Bündelversicherung abgeschlossen, die ua auch das Risiko des Einbruchdiebstahles umfasst. Dem Versicherungsvertrag wurden neben den Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS 1995) ua auch die Allgemeinen Einbruchdiebstahlversicherungs-Bedingungen (AEB) Fassung 1986 sowie die ebenfalls die Einbruchdiebstahlversicherung betreffende Klausel "E 0080 Vandalismusschäden" zugrundegelegt.
Art 2 der AEB 1986 enthält ua folgende Bestimmungen:
(1) Als Einbruchsdiebstahl im Sinne der Versicherungsbedingungen gilt ein Diebstahl nur, wenn ein Dieb in die Versicherungsräumlichkeit (Art. 5)
a) durch Eindrücken oder Aufbrechen der Türen, Fenster, Wände, Fußböden oder Decken eingebrochen hat,
b) unter Überwindung erschwerender Hindernisse durch eine bereits bestehende, zum Eintritt nicht bestimmte Öffnung, die eine normale Fortbewegung nicht gestattet, eingestiegen ist,
...
Der mit Versicherungsräumlichkeit übertitelte Art. 5 der AEB 1986 lautet:
Der Versicherer haftet nur für den Schaden, von dem die versicherten Sachen an dem Ort betroffen werden, welcher in der Polizze oder in den Nachträgen zu derselben bezeichnet ist (Versicherungsräumlichkeit). Werden sie daraus entfernt, so ruht der Versicherungsschutz. Ist die Entfernung nicht nur vorübergehend, so erlischt insoweit auch der Versicherungsvertrag.
Satz 1 der Klausel E 0080 Vandalismusschäden lautet:
Der Versicherer leistet auch dann Entschädigung, wenn der Täter versicherte Sachen ohne Diebstahlsabsicht vorsätzlich zerstört oder beschädigt, nachdem er gemäß Art 2 (1) und (2) der Allgemeinen Einbruchdiebstahlversicherungs-Bedingungen in die Versicherungsräumlichkeiten eingedrungen ist.
Das gegenständlich versicherte Gebäude auf der Liegenschaft des Klägers in S***** ist eine ehemalige Straßenmeisterei; das Gelände ist so weit es nicht durch das Gebäude abgegrenzt ist, auf zwei Seiten mit Mauern umschlossen und schließt an der vierten Seite direkt an eine Felswand an, die nach einer zunächst steilen Böschung etwa 50 m fast senkrecht bergauf ragt. Die beiden Seitenmauern der Halle schließen zu diesem Berghang hin ab, sodass man (um von hinten in die Halle eindringen zu können) entweder eine Mauer selbst überklimmen muss, oder aber den Berghang hinaufklettern muss, wobei sich jedoch von den Seitenmauern hin zum Berghang und diesen hinauf "bis zu einer Weite von ca 15 m" ein Stacheldrahtzaun zieht. Dieser muss im Falle des Eindringens in die Halle von der Berghangseite her (was möglich ist, da die Halle zum Berghang hin offen ist) entweder durchtrennt oder überstiegen werden.
Zu einem Zeitpunkt zwischen dem und dem drangen unbekannte Täter auf nicht näher bestimmbare Weise, jedoch jedenfalls unter Überwindung der dargestellten Sicherungen in die Halle ein und stahlen aus 13 der dort abgestellten 15 Kraftfahrzeuge die eingebauten Autoradios. An drei der Fahrzeugen wurden erhebliche (im Ersturteil detailliert festgestellte) Schäden angerichtet.
Der Kläger begehrte aus der Einbruchdiebstahl-Versicherung zuletzt (nach mehrfacher Klagsausdehnung) EUR 20.635,68 (sA) sowie die Feststellung der Versicherungsdeckung für allenfalls über diesen Betrag hinausgehende Schäden. Auch der Vandalismusschaden sei versichert.
Die beklagte Partei bestritt den Klagsanspruch dem Grunde und der Höhe nach. Soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich, wendete sie ein, es liege kein Einbruchsdiebstahl im Sinne des Art 2 (1) lit b AEB vor, da die Lagerhalle nach hinten zum Hang offen sei (wenn auch diese Öffnung möglicherweise zum Eintritt nicht bestimmt sei) und durch Überwindung eines 2,5 m hohen Hanges völlig frei betreten werden könne. Auch die Vandalismusschäden wären nur unter der - daher nicht gegebenen - Voraussetzung eines Einbruchsdiebstahles gedeckt.
Das Erstgericht gab mit Teil- und Zwischenurteil dem Feststellungsbegehren statt und sprach hinsichtlich des Zahlungsbegehrens aus, dass es dem Grunde nach zu Recht bestehe. Seine von ihm festgestellten, hier bereits eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Feststellungen beurteilte es rechtlich dahin, die unbekannten Täter hätten entweder die abgeschlossenen Türen zur Straßenseite hin aufbrechen müssen oder müssten über die Seitenmauern bzw den Berghang unter Überwindung des dort zur Sicherung befestigten Stacheldrahtes geklettert sein, sodass entweder Art 2 Abs 1 lit a oder lit b der AEB 1986 erfüllt sei. Der vom Kläger angezeigte Sachverhalt sei daher ein vom Versicherungsschutz umfasster und die Beklagte zur Deckung des Schadens verpflichtet. Die Feststellung der Höhe bleibe aus prozessökonomischen Gründen einer allfälligen Fortsetzung des Verfahrens nach Rechtskraft der Entscheidung vorbehalten.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten Folge und wies sowohl das Leistungs- als auch das Feststellungsbegehren ab, wobei es aussprach, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Unbekannte Täter seien auf nicht näher bestimmte Weise, "jedoch jedenfalls unter Überwindung der ....... dargestellten Sicherungen" in die Halle eingedrungen. Mit diesen Sicherungen seien offenbar die beiden Seitenmauern der - direkt an eine Felswand angebauten - Halle bzw der Berghang mit dem Stacheldrahtzaun gemeint. Nun gingen aber die AEB 1986 davon aus, dass ein Einbruchsdiebstahl nur dann vorliege, wenn in die Versicherungsräumlichkeit eingebrochen oder eingestiegen wurde. Die Überwindung einer Mauer, eines Zaunes oder eines sonstigen Hindernisses, um auf die Liegenschaft zu gelangen, auf der die Versicherungsräumlichkeit stehe, stelle keinen Einbruchsdiebstahl im Sinne der AEB 1986 dar. Der Vandalismusschaden, für den ein Ersatzanspruch ebenfalls nur bei einem Eindringen gemäß Art 2 (1) und (2) der AEB 1986 in die Versicherungsräumlichkeiten bestehe, sei daher ebenfalls nicht zu ersetzen.
Die ordentliche Revision wurde mit der Begründung zugelassen, die Frage, ob ein Einbruchsdiebstahl iSd AEB 1986 auch dann vorliege, wenn der Täter nicht in die Versicherungsräumlichkeit eingebrochen oder eingestiegen sei, sondern auf solche Art nur auf die Liegenschaft gelangt sei, auf der die Versicherungsräumlichkeit errichtet wurde, sei vom Obersten Gerichtshof noch nicht behandelt worden.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers, der Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Der Revisionswerber beruft sich vor allem darauf, dass schon in der ihm ausgefolgten, als Blg./A im Akt erliegenden Versicherungspolizze erkennbar sei, dass für die gesamte Liegenschaft (und nicht nur allein für die Halle) Versicherungsschutz bestehe; dies umso mehr, als laut Polizze (Pkt e) auch Schäden an der Grundstückseinfriedung durch versuchten oder vollbrachten Einbruchsdiebstahl mitversichert seien.
Dies ist insofern zutreffend, als in der Polizze Blg./A die (gesamte) Liegenschaft ***** S***** EZ ***** als Versicherungsort genannt wird. Ob sich - zumindest im Zweifel (§ 915 ABGB zweiter Halbsatz) - der Versicherungsschutz daher nicht nur auf das Gebäude samt darin befindlichen Gegenständen, sondern auf das ganze Grundstück erstreckt, muss allerdings nicht weiter untersucht werden, da der gegenständliche Schadensfall auch dann als Einbruchsdiebstahl zu qualifizieren ist, wenn nur das Gebäude (die Halle) das versicherte Objekt darstellt.
Gemäß Art 2 (1) lit b AEB 1986 stellt ua auch ein Diebstahl, bei dem der Dieb unter Überwindung erschwerender Hindernisse durch eine bereits bestehende, zum Eintritt nicht bestimmte Öffnung, die eine normale Fortbewegung nicht gestattet, in die Versicherungsräumlichkeit eingestiegen ist, einen versicherten Einbruchsdiebstahl (iS eines "erschwerten Diebstahls" - vgl 7 Ob 25/94) dar. Ein solcher sog. "Einsteigdiebstahl" liegt nach den Feststellungen der Vorinstanzen, gemessen am maßgeblichen Horizont eines durchschnittlich verständigen Versicherten (wbl 1989, 287; 7 Ob 1007/92, RIS-Justiz RS0091027) hier aber zweifellos vor: Der oder die Täter mussten, um von der Bergseite her in die Halle zu gelangen, eine Mauer bzw einen Stacheldrahtzaun überwinden und dann noch einen steilen Berghang hinunter klettern, um von der offenen Rückseite her in die Halle zu gelangen. Dass diese offene Rückseite keineswegs eine zum Eintritt in die Halle bestimmte Öffnung darstellt, räumt die Revisionsgegnerin selbst ein. Davon, dass der Zutritt durch diese Öffnung, wie sie aber meint, "in normaler Fortbewegung" möglich war, kann gar keine Rede sein. Mussten doch zunächst die genannten Hindernisse (Mauer bzw Stacheldrahtzaun und steiler Berghang) überwunden werden. Dass die allerletzte Wegstrecke (die Distanz zwischen Berghang und Hallenöffnung ist zwar nicht exakt festgestellt, kann aber jedenfalls nur eine ganz geringe sein) "in normaler Fortbewegung" zurückgelegt, die Halle also aufrecht betreten werden konnte, vermag an der Qualifizierung eines solchen Eindringens in die Halle durch eine "ungewöhnliche Art der Fortbewegung" (vgl Kollhosser in Prölss/Martin, VVG26 Rz 24 zu § 1 AERB 81) unter "Überwindung erschwerender Hindernisse" (vgl RIS-Justiz RS0081027) als "Einsteigen" selbstredend nichts mehr zu ändern. Die vom Berufungsgericht vertretene Gegenmeinung läuft der aus der gewählten Formulierung des Art 2 (1) lit b AEB 1986 klar hervorgehenden Intention, Versicherungsschutz auch gegen Diebstahl durch "Einsteigen" zu gewähren, entgegen. Die beklagte Versicherung hat daher für den Diebstahls- bzw den Vandalismusschaden des Klägers dem Grunde nach Deckung zu gewähren.
Ohne auf die weiteren Revisionsausführungen eingehen zu müssen, erweist sich das Rechtsmittel des Klägers demnach als berechtigt. Die von der Beklagten ursprünglich erhobenen Einwände, die Diebstähle seien nur vorgetäuscht worden bzw es mangle an einem Feststellungsinteresse, werden von der Revisionsgegnerin in dritter Instanz ohnehin nicht mehr aufrecht erhalten. Darauf muss daher nicht mehr eingegangen werden.
Es war daher der Revision stattzugeben und spruchgemäß zu entscheiden.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO iVm § 393 Abs 4 ZPO.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2003:0070OB00209.03S.1001.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
GAAAF-75788