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OGH 16.09.1993, 2Ob556/93

OGH 16.09.1993, 2Ob556/93

Rechtssatz


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Norm
RS0013465
Ein Wahlkind hat kein gesetzliches Erbrecht nach den Aszedenten des Annehmenden.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am verstorbenen, zuletzt in ***** wohnhaft gewesenen Pensionistin Ilse O*****, infolge Revisionsrekurses von Helene B*****, vertreten durch Dr.Herbert Rabitsch, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom , GZ 47 R 196/93-17, womit infolge Rekurses von Helene B***** der Beschluß des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom , GZ A 623/92-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

1. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

2. Der Antrag der Rechtsmittelwerberin, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der Bestimmung des § 182 Abs 1 ABGB wegen Verfassungswidrigkeit zu beantragen, wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Erblasserin Ilse O***** hatte keine leiblichen Nachkommen. Ihre leiblichen Großeltern waren Maria und Julius S*****. Diese hatten drei Söhne, nämlich Gustav S***** (den 1914 verstorbenen Vater der Erblasserin), Julius S***** und Oskar S*****. Julius S***** hatte zwei Söhne, nämlich Erwin S***** (verstorben 1989) und Otto S***** (verstorben 1988). Erwin S***** hatte zwei Kinder und zwar Herbert S***** und Gertraud M*****. Otto S***** hatte ebenfalls zwei Kinder und zwar Rosemarie H***** und Martin S*****.

Helene B***** wurde im Jahre 1932 von Oskar und Leopoldine S***** adoptiert; der Adoptionsvertrag wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom genehmigt.

Zum Nachlaß der Erblasserin haben Herbert S*****, Mag.Gertraud M*****, Rosemarie H***** und Ing.Martin S***** je zu einem Viertel eine bedingte Erbserklärung abgegeben, welche zu Gericht angenommen und das Erbrecht der Genannten für ausgewiesen erkannt wurde. Die von Helene B***** zur Hälfte des Nachlasses aufgrund des Gesetzes bedingt abgegebene Erbserklärung wurde zurückgewiesen. Dem dagegen erhobenen Rekurs der Helene B***** wurde nicht Folge gegeben, der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt.

Das Rekursgericht beurteilte zunächst die Rechtslage vor Inkrafttreten des Adoptionsrechtes von 1960 (BGBlNr 58/1960) und führte hiezu aus, daß gemäß § 755 ABGB in der damals geltenden Fassung Wahlkinder gegenüber den Verwandten des Annehmenden kein gesetzliches Erbrecht hatten.

Hinsichtlich der nunmehr geltenden Rechtslage vertrat es die Ansicht, aus § 182 Abs 1 ABGB ergebe sich, daß die Wirkungen der Kindesannahme sich grundsätzlich nicht auf die übrigen Verwandten der Annehmenden erstrecken sollten. Dies sei auch aus den Gesetzesmaterialien (RV vom , 107 BeilageNR 9.GP, 20) klar ersichtlich ("Es wäre aber nicht vertretbar, durch die Kindesannahme nicht nur zwischen dem Annehmenden und dessen Nachkommen einerseits und dem Wahlkind andererseits, sondern auch zwischen den übrigen Verwandten des Annehmenden und dem Wahlkind Rechtsbeziehungen entstehen zu lassen. Dadurch würden die Verwandten des Annehmenden durch seinen Willensentschluß in unbilliger Weise gebunden".). Es habe also das Wahlkind kein gesetzliches Erbrecht nach den Aszendenten und Seitenverwandten des Annehmenden.

Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sei durch diese gesetzliche Regelung nicht erfolgt, weil ihr eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung zugrundeliege; durch die Adoption sollten die Verwandten des Annehmenden nicht durch dessen Willensentschluß in unbilliger Weise gebunden werden, auch sei zu beachten, daß gemäß § 182 b ABGB die im Erbrecht begründeten Rechte zwischen leiblichen Eltern und deren Verwandten einerseits und dem Wahlkind anderseits auch nach der Adoption aufrecht blieben. Diese Rechtsmeinung entspreche auch der derzeitigen Judikatur (EFSlg 29.277) und Literatur (Zemen, Die gesetzliche Erbfolge nach der Familienrechtsreform, 141; Ent, Die erbrechtlichen Folgen der Annahme an Kindesstatt, NZ 1960, 177 ff, 181; Schwimann, Das öster.Adoptionsrecht nach seiner Reform, Familienrechtszeitung 1973, 345 ff; Kralik, Erbrecht3, 78).

Da von vornherein zweifelsfrei feststehe, daß ein gesetzliches Erbrecht der Rekurswerberin nicht gegeben sei, habe das Erstgericht zu Recht deren aufgrund des Gesetzes abgegebene Erbserklärung zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs von Helene B***** mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß die von ihr abgegebene Erbserklärung zur Hälfte des Nachlasses in der Verlassenschaft nach Ilse O***** angenommen und ihr Erbrecht für ausgewiesen erkannt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. In eventu wird weiters beantragt, das Revisionsrekursverfahren zu unterbrechen und die Akten dem Verfassungsgerichtshof zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 182 Abs 1 ABGB im Hinblick auf Art 7 Abs 1 B-VG vorzulegen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist wohl zulässig, weil zu der hier zu beurteilenden Frage noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt, er ist aber nicht berechtigt.

Im Revisionsrekurs wird die Ansicht vertreten, die vom Rekursgericht zitierten Gesetzesmaterialien seien vom Gesetzestext des § 182 nicht gedeckt. Es sei auch unrichtig, daß die Verwandten des Annehmenden durch die Zuerkennung eines Erbrechtes an das Wahlkind in unbilliger Weise gebunden werden, weil das Gesetz jedenfalls die Möglichkeit gebe, im Wege rechtsgeschäftlicher Erklärungen über das Vermögen von Todes wegen zu verfügen. Warum bei einem Wahlkind eine solche Bindung gesehen werde, bei einem leiblichen Kind jedoch nicht, ergebe sich nicht aus den Gesetzesmaterialien. Es gebe keinen gerechtfertigten Grund, warum die Verwandten des Annehmenden zwar die leiblichen Kinder zu respektieren hätten, die Entscheidung ein Wahlkind anzunehmen, für sie jedoch vom Gesetz her unbeachtlich sein sollte. Wenn § 182 Abs 1 ABGB von einer Gleichstellung des Wahlkindes mit dem ehelichen Kind ausgehe, und hier auf den Annehmenden und dessen Nachkommen einerseits und das Wahlkind und dessen im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Annahme minderjährigen Nachkommen anderseits verweise, so ergebe sich daraus unmittelbar noch kein Hinweis, daß das Wahlkind gegenüber den Verwandten des Annehmenden diskriminiert werden sollte. Die Regelung des § 1754 BGB, die dem Wahlkind ein Erbrecht auch gegenüber den Aszendenten des Erblassers einräume, sei für Österreich insoweit relevant, als auch § 182 Abs 1 ABGB von der Einräumung einer gleichen Rechtstellung zwischen Wahl- und leiblichen Kindern spreche. Schließlich seien auch wirtschaftliche Motive einer Adoption zu berücksichtigen, wonach grundsätzlich die Wahlkinder aus ärmeren Schichten stammten und die annehmenden Ehegatten vermögenden Kreisen angehörten. Es könne nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, die Stellung des Wahlkindes nur im Hinblick auf die Wahleltern und deren Nachkommen der des leiblichen Kindes bzw ehelichen Kindes anzugleichen. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß die Revisionsrekurswerberin im frühen Kindesalter adoptiert worden sei und man daher tatsächlich von einem "Wahlkind" sprechen könne.

Sollte jedoch § 182 Abs 1 ABGB im Sinne der Ausführungen des Rekursgerichtes ausgelegt werden, so sei diese Bestimmung verfassungswidrig, weil sie mit Art 7 B-VG nicht im Einklang stehe; im Falle einer derartigen Auslegung werde gegen den Grundsatz verstoßen, daß das Vorrecht der Geburt ausgeschlossen sei. Art 7 B-VG entspreche der Regelung des Art 3 Abs 3 GG (Bonner Grundgesetz), wonach niemand nach seiner Abstammung benachteiligt und bevorzugt werden dürfe. Dem trage die Regelung des § 1754 BGB Rechnung. Im Zuge der europäischen Integration sei ein gemeinsames Verständnis des in den Verfassungsrechtsordnungen demokratischer rechtsstaatlicher Staaten verankerten Gleichheitsgrundsatzes und seiner Anwendung geboten.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Gemäß § 182 Abs 1 ABGB entstehen zwischen dem Annehmenden und dessen Nachkommen einerseits und dem Wahlkind und dessen im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Annahme minderjährigen Nachkommen andererseits die gleichen Rechte, wie sie durch die eheliche Abstammung begründet werden. Schon eine einfache Wortinterpretation dieser Bestimmung ergibt, daß das Adoptionsverhältnis nicht mehr die Eltern des Annehmenden und deren Verwandte in der Seitenlinie oder in der aufsteigenden Linie erfaßt. Diese schon im Wortlaut des Gesetzes gegründete Auffassung steht mit der (vom Rekursgericht zutreffend zitierten) Absicht des Gesetzgebers im Einklang, sie entspricht auch der einhelligen Auffassung der Lehre (siehe neben den schon vom Rekursgericht zitierten Belegstellen weiters auch Schwimann/Schlemmer, ABGB, Rz 1 zu § 182 b; Pichler in Rummel2, Rz 4 zu § 182 b; Koziol-Welser II9, 305). Es trifft zwar zu, daß durch § 182 Abs 1 ABGB grundsätzlich die Wahlkinder den leiblichen Kindern gleichgestellt werden, dies gilt aber nur zwischen dem Annehmenden und dessen Nachkommen einerseits und dem Wahlkind und dessen im Zeitpunkte des Wirksamwerdens der Annahme minderjährigen Nachkommen anderseits. Alle Argumente des Revisionsrekurses müssen an dem klaren Gesetzeswortlaut des § 182 Abs 1 ABGB scheitern. Daß in der Bundesrepublik Deutschland eine andere Regelung besteht, hat für die Entscheidung dieses Rechtsstreites keine Bedeutung.

Es bestehen auch gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 182 Abs 1 ABGB im Hinblick auf Art 7 B-VG keine Bedenken. Das Verbot der Einräumung von Vorrechten mit Rücksicht auf Geburt und Stand richtet sich insbesondere gegen den Adel, der bereits durch das Gesetz vom , StGBl 211 aufgehoben wurde (Adamovich-Funk, Öster.Verfassungsrecht3, 382). Im übrigen ist der Gesetzgeber durch den Gleichheitsgrundsatz verpflichtet, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen; wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich müssen zu entsprechenden unterschiedlichen Regelungen führen (Walter-Mayer, Grundriß des österr.Bundesverfassungsrechts7, Rz 1347). Der ungleichen Behandlung des Erbrechtes von leiblichen Kindern und Wahlkindern liegen auch ungleiche Tatbestände zugrunde; während nämlich im einen Fall die Beziehung zu den Eltern durch die Geburt (bzw Zeugung) begründet wird, wird im anderen Fall die Beziehung zu den Wahleltern durch Vertrag begründet. Wenn der Gesetzgeber daraus verschiedene Rechtsfolgen abgeleitet hat, dann ist dies unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes nicht bedenklich.

Dem unberechtigten Rechtsmittel war sohin ein Erfolg zu versagen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:1993:0020OB00556.93.0916.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
UAAAF-73209