OGH 19.01.2006, 2Ob3/06i
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Sabrina Michaela T*****, vertreten durch den Vater Gerald T*****, infolge Revisionsrekurses der Mutter Irenia Bandera P*****, vertreten durch DDr. Georg M. Krainer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 4 R 318/05i-U-16, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom , GZ 4 P 145/04b-U-10, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Text
Begründung:
Die mj Sabrina Michaela T***** befindet sich in Obsorge des Vaters. Dieser stellte am den Antrag, die Mutter ab dem zu monatlichen Unterhaltsleistungen von EUR 204,-- zu verpflichten. Die Mutter sei als Serviererin in einem Cafe in Klagenfurt beschäftigt und beziehe ohne Trinkgelder ein monatliches Durchschnittseinkommen von zumindest EUR 950,--. Sie habe keine weiteren Sorgepflichten zu erfüllen; der begehrte Unterhalt entspreche dem Regelbedarf.
Die Mutter sprach sich gegen diesen Antrag aus. Sie sei weiterhin bereit, das Kind in ihrem Haushalt zu betreuen.
Das Erstgericht verpflichtete mit Beschluss vom die Mutter, für das Kind ab bis auf weiteres EUR 175,-- an Unterhalt zu leisten und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte fest, dass die Mutter über ein monatliches durchschnittliches Nettoeinkommen von EUR 1.091,61 verfüge. Der zugesprochene Unterhaltsbeitrag entspreche etwa 16 % des durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens der Mutter. Der Zuspruch des begehrten „Regelbedarfes" entbehre jeder Grundlage.
Das sowohl vom Kind als auch von der Mutter angerufene Rekursgericht erhöhte den Unterhaltsbeitrag auf EUR 204,-- monatlich ab . Es sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch über Antrag aber dahingehend ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zulässig sei. Die Prozentsatzmethode sei in Grenzsituationen nicht starr anzuwenden, vielmehr müsse in solchen Fällen auf den Bedarf des Kindes Rücksicht genommen werden. Das Kind benötige in den gegebenen einfachen und bescheidenen Verhältnissen den geforderten Unterhalt in Höhe des Regelbedarfs. Der Mutter verbleibe bei Leistung des geforderten Unterhaltes immer noch ein Betrag von knapp EUR 900,-- zur angemessenen Deckung ihrer eigenen Bedürfnisse. Der Unterhaltsbeitrag entspreche sohin dem Bedarf des Kindes und der Leistungsfähigkeit der Mutter.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur entscheidungswesentlichen Frage der Berechnung des Unterhaltes nach dem Regelbedarf oder nach der Prozentsatzmethode nicht einheitlich sei.
Die Mutter ficht die Entscheidung des Rekursgerichtes insoweit an, als überhaupt Unterhalt für den Zeitraum Jänner bis April 2005 und ab Mai 2005 in einer EUR 175,- übersteigenden Höhe zugesprochen wurde. Das Kind beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel der Mutter nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig, weil das Rekursgericht von der nunmehr ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; das Rechtsmittel ist auch teilweise berechtigt. Im Revisionsrekurs der Mutter wird geltend gemacht, nach der Rechtsprechung sei auch bei einem unterdurchschnittlichen Einkommen der Unterhaltsbeitrag grundsätzlich nach der Prozentsatzmethode auszumitteln; eine Verpflichtung zur Leistung von Geldunterhalt könne frühestens nach Zugang der erstgerichtlichen Obsorgeentscheidung, also frühestens ab eintreten.
Dazu ist auszuführen:
Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (RIS-Justiz RS0047388) bietet § 140 ABGB keine Grundlage für die Anwendung eines bestimmten Systems der Unterhaltsbemessung. Diese Bestimmung verknüpft die Bedürfnisse des Kindes mit den Lebensverhältnissen der Eltern und deren Verpflichtung, zum Unterhalt nach Kräften beizutragen. Maßgeblich sind dabei die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten einerseits und die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen andererseits.
Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung 2 Ob 548/94 ausgesprochen, zur Vermeidung einer Unteralimentierung sei primär auf die Bedürfnisse des Kindes abzustellen und der Regelbedarf ohne Berücksichtigung der Prozentsatzberechnung dann zuzusprechen, wenn den Unterhaltspflichtigen keine weiteren Sorgepflichten treffen. Diese Auffassung wurde in der Entscheidung 2 Ob 512/95 bekräftigt. Dieser Rechtsansicht ist der Senat 7 des Obersten Gerichtshofes in seiner Entscheidung 7 Ob 503/95 (JBl 1996, 781) entgegen getreten. Es sei zwar richtig, dass besonders atypische Fälle eine den tatsächlichen Verhältnissen angepasste individuelle Berücksichtigung der Bemessungskriterien erforderten und dass bei erheblich überdurchschnittlichem Einkommen des Unterhaltspflichtigen eine Obergrenze zur Vermeidung einer Überalimentierung gezogen werden müsse; andererseits müsse dem Unterhaltspflichtigen bei sehr geringem Einkommen und konkurrierenden Sorgepflichten noch ein gewisser Mindestbetrag verbleiben. Annähernd gleichgelagerte und vergleichbare Fälle sollten auch zu einer Gleichbehandlung der von der Entscheidung Betroffenen führen.
Auch der Senat 4 des Obersten Gerichtshofes hat sich in seiner Entscheidung 4 Ob 2285/96z (JBl 1997, 384) dieser letzteren Rechtsansicht angeschlossen. Durch die Anwendung der Prozentsatzmethode würden die Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen entsprechend berücksichtigt und werde die vom Gesetzgeber angestrebte Gleichbehandlung gleichartiger Fälle hergestellt. Wollte man bei Fehlen konkurrierender Unterhaltspflichten allein auf den Regelbedarf abstellen, wären Unterhaltspflichtige, die ein Einkommen unter dem österreichischen Durchschnitt bezögen, in Relation zu ihrer Leistungsfähigkeit überproportional belastet. Ein vernünftiger Grund dafür, dass das Einzelkind eines Unterhaltsverpflichteten, der keine konkurrierenden Unterhaltsansprüche zu erfüllen habe, über die konkreten Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen hinaus alimentiert werden solle, wogegen die Unterhaltspflicht bei konkurrierenden Sorgepflichten auf bestimmte Prozentsätze beschränkt werden sollte, könne nicht gefunden werden.
Der erkennende Senat ist bereits in seiner Entscheidung 2 Ob 567/95 (ÖA 1997, 133) von seiner zuvor wiedergegebenen Rechtsansicht abgegangen und hat sie in der Folge nicht mehr vertreten (vgl RIS-Justiz RS0017944; vgl auch Schwimann/Kolmasch Unterhaltsrecht³ 18; Neuhauser in Schwimann ABGB³ § 140 Rz 29; Stabentheiner in Rummel ABGB³ § 140 Rz 5c). Danach ist auch bei Vorhandensein nur einer Unterhaltsverpflichtung der Unterhalt des Kindes im Allgemeinen nach der Prozentsatzmethode zu bemessen.
Soweit die Mutter überhaupt das Bestehen einer Geldunterhaltsverpflichtung vor Zugang der erstgerichtlichen Obsorgeentscheidung, also vor dem bestreitet, ist ihr entgegen zu halten, dass die Erfüllung der Unterhaltspflicht durch Betreuung unabhängig vom Bestehen des Obsorgerechts zu sehen ist (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht³ 10; Stabentheiner in Rummel ABGB³ § 140 Rz 9 je mwN). Den nicht betreuenden Elternteil trifft grundsätzlich die Pflicht zur Leistung von Geldunterhalt, auch wenn sich das Kind gegen seinen Willen dauernd im Haushalt des anderen Elternteils aufhält. Auf den Zugang der erstgerichtlichen Obsorgeentscheidung kommt es daher nicht an. Da das Kind vom Vater betreut wurde, besteht die Verpflichtung der Mutter zur Leistung von Geldunterhalt bereits ab .
Der angefochtene Beschluss war daher im Sinne einer Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Kennung XPUBL Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in EFSlg 113.191 = EFSlg 113.477 = EFSlg 113.482 XPUBLEND |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2006:0020OB00003.06I.0119.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
HAAAF-73073