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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.03.2025, RV/7100188/2025

Polnisches Betreuungsgeld für behindertes Kind: Familienleistung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Siegfried Fenz in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe für den Zeitraum Juni 2023 - September 2024, SVNR. ***Nr.***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Am erließ das Finanzamt folgenden beschwerdegegenständlichen Bescheid an den Beschwerdeführer (Bf.):
Rückforderungsbescheid Einzahlung
- Kinderabsetzbetrag (KG)
- Ausgleichzahlung gem. Verordnung (EG) 883/2004(DZ)
für das Kind
Name des Kindes VNR/Geb.dat. Art der Beihilfe Zeitraum
(Nachname wie Bf.) ***A.*** … .09.2022 KG Juni 2023 - Sep. 2024 DZ Juni 2023 - Sep. 2024
Der Rückforderungsbetrag beträgt
Art der Beihilfe Summe in €
KG € 1.042,80
DZ € 2.371,14
Rückforderungsbetrag gesamt: € 3.413,94
Sie sind verpflichtet, diesen Betrag nach § 26 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 Einkommensteuergesetz 1988 zurückzuzahlen.
Begründung:
Der Betrag der österreichischen Ausgleichszahlung wurde auf Grund der Änderung der anzurechnenden ausländischen Familienleistung neu berechnet.
Da für ihr Kind in Polen Pflegegeld (zasiłek pielęgacyjny und swiadczenie pielegacyjne) bezogen wird, musste eine Neuberechnung durchgeführt werden.

Der Bf. erhob Beschwerde wie folgt:
Für das Kind wird nur monatlich die Leistung zasiłek pielęgacyjny in Höhe von 215,84 PLN bezogen. Swiadczenie pielęgnacyjne bekommt die Kindesmutter als Ersatzleistung für verlorene Erwerbstätigkeit. Nach dem Urteil des Gerichtshofs EU C-347 12 vom in der Rechtssache Wiering ist zu unterscheiden zwischen Elternleistungen (im Zusammenhang mit der Erziehung und Betreuung des Kindes - dieser Leistungskatalog umfasst Elterngeld und Pflegegeld bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis) und klassischen Familienleistungen (dieser Leistungskorb umfasst u.a. Pflegegeld mit Zuschlägen, Erziehungsgeld, Behindertenpflegegeld Leistungen an pflegebedürftige Personen, die bestimmte Kriterien erfüllen.
Es wird um Berichtigung des Rückforderungszeitraumes ersucht und die zu Unrecht rückgeforderte Differenzzahlung aufheben.

Das Finanzamt erließ eine abweisende Beschwerdevorentscheidung, dies mit folgender Begründung:
Der Betrag der österreichischen Ausgleichszahlung wurde auf Grund der Änderung der anzurechnenden ausländischen Familienleistung neu berechnet.
Im Art. 1 lit. z der VO wird ausdrücklich geregelt, das als "Familienleistungen alle Geldleistungen zu betrachten sind, die zum Ausgleich von Familienlasten gezahlt werden."
Gemäß der geltenden Bestimmungen und der Regelungen in der VO sind diese in Polen erbrachten Familienleistungen bei den in Österreich gewährten Familienleistungen in Abzug zu bringen und nur die Differenz auszuzahlen.
Die polnischen Behindertenpflegegelder "zasilek pielegnacyjny", "swiadczenie pielegnacyjne" und "specjalny zasilek opiekunczy" sind Familienbeihilfeleistungen iSd VO 883/2004 und sind demnach bei der Berechnung der österreichischen Ausgleichszahlung zu berücksichtigen.
Polen selbst versteht unter Familienleistungen sämtliche Sach- bzw. Geldleistungen, die mit Ausgaben einer Familie verbunden sind. Somit ist das Pflegegeld ebenfalls eine solche Leistung (Kommentar Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Krzysztof Slebzak, Warschau 2012, S. 72-73).

Der Vorlageantrag wurde eingebracht wie folgt:
Das Kind ***A.*** erhält monatlich Grund-Kindergeld in Polen von 800zl. Zusätzlich wird Behindertenpflegegeld monatlich 215,84zl bezogen. Der Kindesmutter werden swiadczenie pielegnacyjne z tytulu rezygnacji z zatrudnienia lub das ist Pflegegeld bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis monatlich 2.458zl PLN gezahlt ( - siehe dazu auch die Information über den Eingang) Übersetzung: Es wird beschlossen, das Recht dazu zu gewähren Betreuungsleistungen für Frau (Nachname wie Bf.) in einer Beziehung mit der Notwendigkeit, sich um das Kind ***A.*** zu kümmern (… .09.2022) in Höhe von 2458,00 PLN im Berichtszeitraum vom bis laufend.
Es wird um Berichtigung des Rückforderungszeitraumes ersucht und die zu Unrecht rückgeforderte Differenzzahlung aufzuheben. Bis zum Abschluss der Entscheidung wird um Aussetzung der Einhebung ersucht. Ausstehende Beträge an Differenzzahlung wird um Auszahlung ersucht.

Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Polen hat für das Kind ***A.*** ***Nachname.wie.Bf.*** 2458.00 PLN świadczenie pielęgacyjne für den Zeitraum und 2988.00 PLN świadczenie pielęgnacyjne für den Zeitraum sowie 215.84 PLN zasiłek pielęgacyjny für den Zeitraum gewährt.
Im Zuge der Überprüfung des Familienbeihilfenanspruches vom wurden aus Polen bezogene Leistungen der Österreichischen Familienbeihilfe angerechnet.
Höhe der anzurechnenden ausländischen Familienleistung wurde auf folgende Beträge korrigiert:
11/2024 10/2026 Differenzzahlung PL PL 4.003,84 Minderjährig (§ 2 (1) lit. a)
Überprüfung Beschäftigung, Beschäftigung gleichgestellte Situation, Rentenbezug Automatische Überprüfung
01/2024 10/2024 Differenzzahlung PL PL 4.003,84 Minderjährig (§ 2 (1) lit. a)
Sonstiges Automatische Überprüfung
06/2023 12/2023 Differenzzahlung PL PL 3.173,84 Minderjährig (§ 2 (1) lit. a)
Sonstiges Automatische Überprüfung
Am erging ein Rückforderungsbescheid für das Kind ***A.*** ***Nachname.wie.Bf.*** geb. am
… .09.2022 von KG Juni 2023 bis September 2024, DZ Juni 2023 bis September 2024 im Gesamtbetrag Euro 3.413,94, mit der Begründung, der Betrag der österreichischen Ausgleichszahlung wurde auf Grund der Änderung der anzurechnenden ausländischen Familienleistung neu berechnet. Da für ihr Kind in Polen Pflegegeld (zasiłek pielęgacyjny und świadczenie pielęgacyjne) bezogen wird, musste eine Neuberechnung durchgeführt werden.
Davor wurde ein am mittels Vorhalteverfahrens ersucht folgende Unterlagen vorzulegen:
Nachweis sämtlicher Pflegegeldleistungen ab 11/2024-laufend (świadczenie pielęgacyjne, zasiłek pielęgacyjny) Bescheide übersetzt vorlegen.
Geantwortet wurde auf das Schreiben per Finanzonline indem mitgeteilt wurde, dass die benötigten Unterlagen bis März nachgereicht werden.
Am wurde das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den gegenständlichen Rückforderungsbescheid erhoben. In der Beschwerde wurde angeführt, dass für das Kind ***A.*** ***Nachname.wie.Bf.*** nur die Leistung zasilek pielegnacyjny in Höhe von 215,84 PLN bezogen wird und dass die gewährten Leistungen Swiadczenie pielegnacyjne der Mutter als Ersatzleistungen für verlorene Erwerbstätigkeit zustehen.
Am erging die Beschwerdevorentscheidung mit der Begründung:
Der Betrag der österreichischen Ausgleichszahlung wurde auf Grund der Änderung der anzurechnenden ausländischen Familienleistung neu berechnet. Im Art. 1 lit. z der VO wird ausdrücklich geregelt, das als "Familienleistungen alle Geldleistungen zu betrachten sind, die zum Ausgleich von Familienlasten gezahlt werden." Gemäß den geltenden Bestimmungen und der Regelungen in der VO sind diese in Polen erbrachten Familienleistungen bei den in Österreich gewährten Familienleistungen in Abzug zu bringen und nur die Differenz auszuzahlen. Die polnischen Behindertenpflegegelder "zasiłek pielęgnacyjny", "świadczenie pielęgnacyjne" und "specjalny zasiłek opiekuńczy" sind Familienbeihilfeleistungen iSd VO 883/2004 und sind demnach bei der Berechnung der österreichischen Ausgleichszahlung zu berücksichtigen. Polen selbst versteht unter Familienleistungen sämtliche Sach- bzw. Geldleistungen, die mit Ausgaben einer Familie verbunden sind. Somit ist das Pflegegeld ebenfalls eine solche Leistung (Kommentar Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Krzysztof Slebzak, Warschau 2012, S. 72-73)
Am wurde der Vorlageantrag eingebracht.
Beweismittel:
Als Beweismittel dienen die vorgelegten Aktenteile.
Stellungnahme:
Nach Art. 67 und 68 der VO 883/2004 hat der vorrangig zuständige Mitgliedstaat die Familienleistungen in voller Höhe auszuzahlen. Der nachrangig zuständige Mitgliedstaat zahlt nach Art. 68 der VO den Differenzbetrag als Ausgleichszahlung. Die EUGH-Entscheidung Wiering wird so umgesetzt, dass bei der Berechnung der Ausgleichszahlungen zwei Körbe gebildet werden: • der erste Korb betrifft die Kinderbetreuungsgeld-Leistungen (Elterngeld, Erziehungsgeld, Karenzgeld usw.), • der zweite Korb betrifft alle anderen Familienleistungen wie z.B. die Familienbeihilfe. Da die verschiedenen Pflegegelder keine kinderbetreuungsgeldähnlichen Leistungen sind, werden sie nicht dem ersten Korb angerechnet und sind daher bei der Familienbeihilfe anzurechnen. Laut Entwurf der Europäischen Kommission zur Änderung der VO 883/2004 sind - in Entsprechung der Umsetzung der EuGH-Entscheidung in der RS Wiering - alle Leistungen, die nicht KBG/Elterngeld/Erziehungsgeld sind, im 2. Korb (Familienbeihilfe und alle anderen Leistungen) anzurechnen. Dem entspricht die Vorgangsweise. Die polnischen Behindertenpflegegelder "zasiłek pielęgnacyjny", "świadczenie pielęgnacyjne" und "specjalny zasiłek opiekuńczy" sind Familienbeihilfeleistungen iSd VO 883/2004 und sind demnach bei der Berechnung der österreichischen Ausgleichszahlung zu berücksichtigen. (Vgl. auch das Erkenntnis des ) Polen selbst versteht unter Familienleistungen sämtliche Sach- bzw. Geldleistungen, die mit Ausgaben einer Familie verbunden sind. Somit ist das Pflegegeld ebenfalls eine solche Leistung (Kommentar Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Krzysztof Slebzak, Warschau 2012, S. 72-73) In der Missoctabelle (Vergleichsdatenbank der EU unter anderem für die jeweiligen Familienbeihilfen) ist das polnische Pflegegeld unter 3. Sonderleistungen für Kinder mit Behinderungen zu finden und hat somit denselben Status wie der österreichische Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe für behinderte Kinder. Die polnischen Behindertenpflegegelder "zasiłek pielęgnacyjny", "świadczenie pielęgnacyjne" und "specjalny zasiłek opiekuńczy" sind Familienbeihilfeleistungen iSd. VO (EG) Nr. 883/2004 und sind demnach bei der Berechnung der österreichischen Ausgleichszahlung zu berücksichtigen.
Vom Finanzamt wird daher die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf. ist polnischer Staatsangehöriger und in Österreich berufstätig (Behördenabfrage aus dem Zentralen Melderegister, Abgabeninformationssystemabfrage).
Seine polnische Ehegattin und sein im September 2022 geborener Sohn ***A.***, ein Kind mit Behinderung, wohnen in Polen, die Ehegattin ist in Polen erwerbstätig.
Für das Kind ***A.*** wurde in Polen das Grund-Kindergeld iHv monatlich 800zl erhalten, zusätzlich wurde Behindertenpflegegeld iHv monatlich 215,84zl bezogen Pflegegeld (zasiłek pielęgacyjny und swiadczenie pielegacyjne) bezogen (Antrag, Finanzanwendungen - Sonstige Anbringen (Lohnzettel/Meldungen), Bescheid, Beschwerdevorentscheidung, Vorlageantrag und Beschwerdevorlage).

Bezüglich der Feststellung des Anspruches auf Betreuungsgeld für das Kind ***A.*** ***Nachname.wie.Bf.*** wurde beschlossen (vorgelegte Übersetzung):
"Für den Zeitraum bis zum … für das Kind ***A.*** (Nachname wie Bf.) Anspruch auf Pflegegeld in Höhe von 215,84 PLN pro Monat zu gewähren.
Rechtfertigung:
Zu den Aufgaben des Woiwoden im Bereich der Familienleistungen gehört gemäß Artikel 21 des Gesetzes über Familienleistungen die Tätigkeit als zuständiger Träger im Zusammenhang mit der Beteiligung der Republik Polen an der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit … .
Gemäß Artikel 1 der Verordnung Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates handelt es sich bei einer Familienleistung um jede Sach- oder Geldleistung, die dazu bestimmt ist, die Ausgaben der Familie zu decken, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsleistungen im Anhang I der Verordnung. Nr. 883/2004.
… wurde … ein Antrag auf Feststellung der Behinderung des Kindes ***A.*** (Nachname wie Bf.) eingereicht."

2. Beweiswürdigung

Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den angeführten Grundlagen, die unbedenklich sind; die Feststellungen sind unstrittig.
Weiterer Ausführungen zur Beweiswürdigung bedarf es dementsprechend nicht.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

§ 26 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 bestimmt:
Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

Artikel 1 lit. z der VO (EG) 883/2004 bestimmt:
Begriffsbestimmungen
Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck "Familienleistungen" alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I.

Artikel 67 der VO 883/2004 bestimmt:
Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen
Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats.
Artikel 68 der VO 883/2004 bestimmt:
Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen
(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:
a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.
b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:
i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;
ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;
iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.
(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.
(3) Wird nach Artikel 67 beim zuständigen Träger eines Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften gelten, aber nach den Prioritätsregeln der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels nachrangig sind, ein Antrag auf Familienleistungen gestellt, so gilt Folgendes:
a) Dieser Träger leitet den Antrag unverzüglich an den zuständigen Träger des Mitgliedstaats weiter, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, teilt dies der betroffenen Person mit und zahlt unbeschadet der Bestimmungen der Durchführungsverordnung über die vorläufige Gewährung von Leistungen erforderlichenfalls den in Absatz 2 genannten Unterschiedsbetrag;
b) der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, bearbeitet den Antrag, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre; der Tag der Einreichung des Antrags beim ersten Träger gilt als der Tag der Einreichung bei dem Träger, der vorrangig zuständig ist.

Nach Art. 67 und 68 der VO 883/2004 hat der vorrangig zuständige Mitgliedstaat die Familienleistungen in voller Höhe auszuzahlen. Der nachrangig zuständige Mitgliedstaat zahlt nach Art. 68 der VO den Differenzbetrag als Ausgleichszahlung.

Gemäß § 3a Abs. 1 BPGG haben Unionsbürger nur dann Anspruch auf österreichisches Pflegegeld, wenn nicht ein anderer Unionsstaat nach der VO (EG) 883/2004 für Pflegeleistungen zuständig ist.

Aus § 26 Abs. 1 FLAG 1967 und § 33 Abs. 3 EStG 1988 ergibt sich eine objektive Rückzahlungspflicht desjenigen, der Familienbeihilfe (allenfalls in Form einer Ausgleichszahlung / Differenzzahlung) und Kinderabsetzbetrag zu Unrecht bezogen hat. Es kommt nur auf die objektive Rechtswidrigkeit des Bezugs der Familienleistungen an), also auf das Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug. Subjektive Momente, wie Verschulden an der (ursprünglichen oder weiteren) Auszahlung der Familienleistungen, Gutgläubigkeit des Empfangs der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags oder die Verwendung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge unerheblich. Gleiches gilt für den gutgläubigen Verbrauch der Beträge ().

Diese objektive Erstattungspflicht hat zur Folge, dass der Behörde, sobald die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag nicht mehr gegeben sind, hinsichtlich der Rückforderung von bereits bezogener Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag kein Ermessensspielraum bleibt (vgl. bspw. ).

Das Bundesfinanzgericht erwog im Erkenntnis vom , RV/7105196/2019, betreffend zuerkannte Familienleistungen "Zasizek Pielegnacyjny" - laut einer von jenem Beschwerdeführer vorgelegten Übersetzung "Pflegegeld":
Der Oberste Gerichtshof (siehe OGH 10 Obs 123/16k vom ) hat ausdrücklich bestätigt, dass Pflegegeld in den Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 fällt und in Österreich kein Pflegegeld zusteht, wenn ein anderer Mitgliedsstaat dafür zuständig ist.
Wenn also Pflegegeld in einem Mitgliedsstaat bezogen wird (Polen) so ist automatisch die VO anzuwenden, wenn noch ein anderer Mitgliedsstaat (Österreich) betroffen ist.
Im Art. 1 lit. z der VO wird ausdrücklich geregelt, das als "Familienleistungen alle Geldleistungen zu betrachten sind, die zum Ausgleich von Familienlasten gezahlt werden".
Die polnischen Behörden haben daher, völlig zurecht, das in Polen ausbezahlte "Zasizek Pielegnacyjny" (= Pflegegeld) als Familienleistung im Sinne der VO behandelt und deren Bezug bestätigt.
Gemäß der geltenden Bestimmungen und der Regelungen in der VO sind diese in Polen erbrachten Familienleistungen bei den in Österreich gewährten Familienleistungen in Abzug zu bringen und nur die Differenz auszuzahlen. Das Finanzamt hat genau das getan. Der Vorwurf des Bf. das Finanzamt habe ihm über Jahre die Familienbeihilfe vorenthalten ist schlicht unzutreffend.
Das Finanzamt lag mit seiner "Anrechnung" der polnischen Familienleistungen (Pflegegeld) durchaus richtig.

Dass die Rechtsgrundlagen für Pflegegeld in Polen und Österreich unterschiedlich sein mögen, ist noch kein Hinweis darauf, dass die VO (EG) 883/2004 nicht anwendbar sein könnte. Der OGH und auch das BFG sind vielmehr der Überzeugung, dass auch das Pflegegeld unter diese VO fällt und aus Art 1 lit. z der VO ergibt sich zweifelsfrei, dass die polnischen Behörden das in Polen ausbezahlten Pflegegeld zurecht als Familienleistungen behandelt und bestätigt haben.
In Österreich müssen in der Regel alle Leistungen die zu Unrecht bezogen wurden zurückerstattet werden, das gilt nicht nur für das Pflegegeld, sondern natürlich auch für alle anderen Leistungen, wie z.B. die Familienbeihilfe (siehe dazu § 26 FLAG).

Auf die im Lichte dieser Rechtsausführungen zutreffenden Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung und der Beschwerdevorlage wird verwiesen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzungen sind auf Grund der eindeutigen und klaren Rechtslage und des auf der Sachverhaltsebene zu lösenden Falles nicht gegeben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 26 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
ECLI
ECLI:AT:BFG:2025:RV.7100188.2025

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
LAAAF-72989