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OGH 19.12.1995, 1Ob51/95

OGH 19.12.1995, 1Ob51/95

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Otto H*****, vertreten durch Dr.Peter Kaliwoda, Rechtsanwalt in St.Pölten, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 250.000 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom , GZ 14 R 92/95-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom , GZ 31 Cg 19/94-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Prozeßkosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist der uneheliche Sohn des am verstorbenen Erblassers. Das Verlassenschaftsverfahren wurde beim Bezirksgericht St.Pölten geführt. In diesem Verfahren wurde ein zwischen dem Erblasser und dessen Frau am geschlossener, durch ein wechselseitiges Testament über das der letztwilligen freien Verfügung vorbehaltenen reinen Nachlaßviertels ergänzter Erbvertrag kundgemacht. Gleichzeitig mit dem Erbvertrag (und wechselseitigen Testament) schenkten einander der Erblasser und dessen Ehefrau mittels eines weiteren Notariatsakts wechselseitig je einen Viertelanteil an einer bestimmten Liegenschaft auf den Todesfall und verzichteten darin auf den einseitigen Widerruf dieser Schenkung. Eine Verlassenschaftsabhandlung fand mangels Nachlaßvermögens nicht statt; die Verlassenschaft wurde gemäß § 72 Abs 1 AußStrG armutshalber abgetan. Der Kläger wurde weder vom Verlassenschaftsverfahren noch vor dem Beschluß, mit dem ausgesprochen worden war, daß eine Verlassenschaftsabhandlung nicht stattfinde, verständigt. Er erfuhr von der Schenkung auf den Todesfall erst nach dem Tod seiner am verstorbenen Großmutter.

Mit seiner Amtshaftungsklage begehrt der Kläger die Verurteilung des beklagten Rechtsträgers zum Ersatz seines mit S 250.000 bezifferten Schadens im wesentlichen mit der Begründung, daß er als Pflichtteilsberechtigter nach seinem Vater Anspruch auf ein Drittel des Wertes des diesem gehörigen Liegenschaftsanteils gehabt habe, er habe mangels Verständigung vom Verlassenschaftsverfahren von diesem Vermögen erst nach dem erfahren. Zu diesem Zeitpunkt habe er seinen Pflichtteilsanspruch infolge Verjährung nicht mehr mit Erfolg geltend machen können. Die Unterlassung der Verständigung vom Verlassenschaftsverfahren, insbesondere davon, daß die Verlassenschaft armutshalber abgetan wurde, stelle ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten der Organe der beklagten Partei dar.

Die beklagte Partei hielt dem entgegen, daß die Rechtsansicht des Verlassenschaftsgerichts und des im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens tätig gewordenen Notars, wonach die Verlassenschaft armutshalber abgetan werden könne, vertretbar sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging davon aus, daß in der Todfallsaufnahme die Schenkung auf den Todesfall ebenso wie der Kläger als uneheliches Kind des Verstorbenen angeführt gewesen sei. Die Rechtspfleger des Bezirksgerichtes St.Pölten und die in dessen Sprengel tätigen Notare hätten nach Kenntnis der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom , 1 Ob 726/85 = SZ 59/9, „festgelegt“, daß ein Schenkungsobjekt nur auf Antrag eines in seinem Pflichtteil durch die Schenkung verkürzten Noterben geschätzt und inventarisiert werden sollte. Diese Rechtsansicht sei nicht unvertretbar. Die erwähnte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes habe sich auch nicht mit der Verständigungspflicht des Noterben auseinandergesetzt, sondern lediglich die Frage entschieden, ob über Antrag eines Noterben ein Inventar zu errichten sei. Es sei daher vertretbar, Noterben im Verfahren nach § 72 Abs 1 AußStrG nicht zu benachrichtigen bzw bei einer den gesamten Nachlaß erschöpfenden Schenkung auf den Todesfall die Verlassenschaft armutshalber abzutun.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß es das Klagebegehren mit Zwischenurteil als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannte; es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Der pflichtteilsberechtigte Kläger könne seinen Anspruch nicht im Verlassenschaftsverfahren, sondern nur im streitigen Verfahren gegen den Erben oder Beschenkten durchsetzen. Es sei daher nicht zu entscheiden, ob über allfälligen Antrag des Klägers im Verlassenschaftsverfahren ein Inventar hätte errichtet werden müssen bzw ob die Verlassenschaft angesichts einer das Verlassenschaftsvermögen erschöpfenden Schenkung auf den Todesfall armutshalber hätte abgetan werden dürfen. Wohl aber hätte der Kläger zur Wahrung seiner auf dem streitigen Rechtsweg durchzusetzenden Rechte am Verlassenschaftsverfahren beteiligt werden müssen. Werde eine Verlassenschaft armutshalber abgetan, dann habe das Gericht nicht nur die zur Erbschaft Berufenen, sondern auch die pflichtteilsberechtigten Noterben mit dem Beisatz zu verständigen, daß es ihnen freistehe, die Einleitung der Verlassenschaftsabhandlung zu begehren. Eine solche Verständigung sei entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut - und damit schuldhaft - unterblieben. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes habe der Kläger weder von der Schenkung noch vom Nachlaßverfahren und dessen Erledigung Kenntnis gehabt. Da aus dem Verlassenschaftsakt sowohl der Liegenschaftsanteil als auch die Person der Beschenkten zu entnehmen gewesen seien, sei die schuldhafte Unterlassung auch für den vom Kläger behaupteten Schaden kausal.

Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Im Verlassenschaftsverfahren haben die Noterben die Rechte aus den §§ 784, 804 und 812 ABGB und sind deshalb Beteiligte im Sinne des § 9 AußStrG. Damit sie ihre Rechte ausüben können, müssen sie vom Verfahren verständigt werden. Die Nichtbeiziehung eines Pflichtteilsberechtigten hat die Nichtigkeit des Abhandlungsverfahrens zur Folge, wenn dem Gericht das Vorhandensein des Pflichtteilsberechtigten aufgrund der Aktenlage bekannt war. Die Beteiligung der Noterben dient der Wahrung ihrer Rechte (Welser in Rummel, ABGB2, Rz 11 zu §§ 762 bis 764 mwN). Aufgrund seiner Beteiligtenstellung sind dem Noterben die im Verlassenschaftsverfahren gefaßten Beschlüsse zuzustellen (Welser aaO Rz 12).

Unbestritten ist, daß der Kläger dem Verlassenschaftsverfahren nach seinem Vater nicht beigezogen wurde, obwohl er in der Todfallsaufnahme als dessen uneheliches Kind genannt war. Weiters ist in der Todfallsaufnahme auch das Vermögen des Vaters (Liegenschaftsanteil) angeführt, dessenthalben der Kläger einen Pflichtteilsanspruch geltend macht. Nach völlig einheitlicher Rechtsprechung und Lehre, ist bei der Berechnung des Pflichtteils eines Noterben auch der Wert der geschenkten Sachen bei Schenkungen auf den Todesfall im Nachlaß zu berücksichtigen und wertmäßig in Anschlag zu bringen. Es ist nämlich Ziel des Pflichtteilsrechtes, den Pflichtteilsberechtigten in bestimmter Weise am Vermögen partizipieren zu lassen, das dem Erblasser zum Zeitpunkt seines Ablebens zur Verfügung gestanden ist (NZ 1988, 42; SZ 59/9; NZ 1981, 36; SZ 32/73; Welser in NZ 1978, 165; derselbe in Rummel aaO Rz 9 zu § 785). Das Erstgericht wäre verpflichtet gewesen, den Kläger dem Verlassenschaftsverfahren beizuziehen, ihm also zumindest den Beschluß zuzustellen, mit welchem die Verlassenschaft armutshalber abgetan wurde, um ihm die Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs zu ermöglichen. Dessen unterlassene Verständigung ist daher ein rechtswidriges Verhalten der für die beklagte Partei tätigen Organe, das auch für den vom Kläger behaupteten Schaden kausal war, weil er vom Vermögen seines Vaters erst zu einem Zeitpunkt Kenntnis erlangte, als sein Pflichtteilsanspruch bereits verjährt war.

Zu prüfen bleibt, ob den Organen der beklagten Partei ein schuldhaftes Verhalten anzulasten ist oder ob sie in vertretbarer Rechtsauffassung gehandelt haben. Nach ständiger Rechtsprechung ist an die Haftung des Rechtsträgers grundsätzlich der gleiche Maßstab anzulegen wie an die Haftung von Rechtsanwälten, Notaren und sonstigen Fachleuten, die nur für die Unkenntnis der Gesetze, nicht aber auch dann zu haften haben, wenn ein vertretbarer Rechtsstandpunkt in der Folge von der Rechtsprechung nicht geteilt wird (JBl 1991, 177 und 526; SZ 60/217; JBl 1986, 182; JBl 1985, 171; SZ 52/56). Maßgeblich ist im vorliegenden Fall nur, daß die Organe der beklagten Partei den Kläger dem Verlassenschaftsverfahren nicht beigezogen haben. Hiebei sind sie von einer klaren Gesetzeslage sowie von der oben dargestellten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen und haben auch nicht erkennen lassen, daß das auf einer sorgfältigen und damit auch schriftlich begründeten Überlegung beruhte. Darin ist das Verschulden der befaßten Organe zu erkennen (SZ 60/217; JBl 1985, 171; SZ 52/56; Schragel, AHG2 Rz 147). Es ist also - wie schon das Gericht zweiter Instanz zutreffend ausführte - im Amtshaftungsverfahren gar nicht entscheidungswesentlich, ob im Verlassenschaftsverfahren ein Inventar zu errichten gewesen wäre und der auf den Todesfall geschenkte Liegenschaftsanteil darin hätte aufgenommen werden müssen (SZ 59/9; NZ 1984, 63; Schubert in Rummel aaO Rz 3 zu § 956), und ebenso ist die Frage unerheblich, ob es zulässig war, die Verlassenschaft aufgrund einer das Verlassenschaftsvermögen erschöpfenden Schenkung auf den Todesfall „armutshalber abzutun“ (so GlU 2987). Die darauf abzielenden Ausführungen der Revisionswerberin gehen somit ins Leere.

Der Revision ist nicht Folge zu geben und das angefochtene Zwischenurteil zu bestätigen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO, weil die Kostenersatzpflicht von der Höhe des zuzuerkennenden Betrags abhängig ist.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:1995:0010OB00051.95.1219.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
BAAAF-72521