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OGH 18.10.2001, 12Os60/01

OGH 18.10.2001, 12Os60/01

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. Adamovic, Dr. Habl und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Emsenhuber als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr. Franz V***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB, AZ 9a E Vr 8983/99 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die vom Generalprokurator zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom , AZ 24 Bs 74/00, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, des Vertreters des Privatanklägers Dr. Rami und des Verteidigers Dr. Sporn zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Der angefochtenen Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien liegt folgender (insoweit unbestrittener) Sachverhalt zugrunde:

In der in der Nacht zum ausgestrahlten ORF-Sendung ZIB 3 wurden Ausschnitte eines vom israelischen Fernsehen gestalteten Interviews mit Dr. Jörg H***** gezeigt, in dem dieser den damals aktuellen Plan einer gemeinsamen Veranstaltung Olympischer Spiele durch Italien, Slowenien und Österreich als ein Projekt "gemeinsam mit früheren Feinden" begrüßte. Diesen Kommentar nahm Dr. Franz V***** zum Anlass, sich in der laufenden Nachrichtensendung fernmündlich wie folgt zu Wort zu melden: "H***** sagt, wir wollten Olympische Spiele gemeinschaftlich mit früheren Feinden abwickeln. Dazu ist klar festzustellen, die Republik Österreich hatte weder frühere Feinde, noch hat sie heutige Feinde. Wenn er Jugoslawien oder Slowenien meint, dann war das eine Feindschaft mit Hitler-Deutschland. Und wenn und weil H***** ganz offensichtlich in seinem Kopf noch immer nicht eine Abgrenzung zwischen der Republik Österreich und Hitler-Deutschland vollziehen kann, macht ihn das so gemeingefährlich. Ich habe das seit Jahren gesagt und bleibe dabei und wie er heute gesagt hat, vor der eigenen Tür kehren, dann soll er in seinem eigenen Kopf kehren, um endlich diese ewigen Vorbehalte, mit denen er immer wieder konfrontiert ist, gegenüber der österreichischen Bevölkerung und unseren Partnern und Freunden im Ausland wegzubringen."

Dr. Jörg H***** erhob daraufhin am zu AZ 9a E Vr 8983/99 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien gegen Dr. Franz V***** Privatanklage wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB, in eventu wegen des Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB, und verband damit Antragstellungen nach §§ 37 Abs 1, 34 Abs 3 und 35 MedienG. Inkriminiert wurde der von Dr. V***** geäußerte Vorwurf, Dr. H***** könne "in seinem Kopf noch immer nicht eine Abgrenzung zwischen der Republik Österreich und Hitler-Deutschland vollziehen", und "das macht ihn so gemeingefährlich".

Der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien stellte das Verfahren mit Beschluss vom gemäß § 486 Abs 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG ein und verpflichtete den Privatankläger zum Kostenersatz.

In der Begründung des Einstellungsbeschlusses wird zwar zunächst mit Belegen aus einschlägiger historischer Fachliteratur eingeräumt, dass die Behauptung Dris. V*****, Jugoslawien bzw Slowenien wären nie Feinde der Republik Österreich gewesen, eine solche Feindschaft hätte lediglich gegenüber Hitler-Deutschland bestanden, falsch ist, weil es bereits 1918 im Rahmen der Bemühungen des damaligen SHS-Staates (Jugoslawien), große Gebiete Kärntens Slowenien einzuverleiben, zur militärischen Besetzung Kärntens durch sowohl serbische als auch slowenische Truppen und damit - völkerrechtlich gesehen - zu feindlichen Akten gekommen ist, und Jugoslawien und damit auch dessen damalige Teilrepublik Slowenien 1945 erneut - selbst nach dem Zusammentritt der provisorischen Staatsregierung Österreichs am und noch nach der Proklamation der Unabhängigkeit der Republik Österreich am - Gebietsansprüche durch militärische Besetzung von Teilen Südkärntens zu realisieren trachtete. Ungeachtet dessen, dass Dr. V***** von einem solcherart historisch unhaltbaren Denkansatz ausging, verneinte das Erstgericht eine nach § 111 Abs 1 und 2 StGB fassbare Tatbildmäßigkeit des gegen Dr. H***** erhobenen Vorwurfs mit Bezugnahme auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom , 11 Os 25/93 (MR 5/93 E 14), weil selbst mangelnde Fachkompetenz Kritik an einem politischen Gegner nicht ausschließen dürfe, der Beschuldigte im konkreten Fall ersichtlich gutgläubig gehandelt habe und die in Rede stehende Kritik angesichts der Bedeutung der Aufarbeitung des Geschehens während der NS-Zeit und der hieraus resultierenden Frage nach der Schädlichkeit einer politischen Äußerung für das Ansehen Österreichs nach Lage des Falles nicht als überzogen zu werten sei.

Der gegen den Einstellungsbeschluss erhobenen Beschwerde des Privatanklägers gab das Oberlandesgericht Wien mit Entscheidung vom , AZ 24 Bs 74/00, Folge, indem es den angefochtenen Beschluss aufhob und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens auftrug. Dabei beurteilte das Beschwerdegericht den inkriminierten Vorwurf als einen durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK nicht gedeckten und solcherart nach § 111 Abs 1 und 2 StGB tatbildlichen Wertungsexzess, weil dem Privatankläger ohne tragfähiges Tatsachensubstrat ideologische Nähe zum Nationalsozialismus, sohin ein besonders diffamierendes Verhalten bzw eine solche Einstellung zum Vorwurf gemacht wurde. Gutgläubigkeit könne bei dem in Rede stehenden Medieninhaltsdelikt ausschließlich einem Medieninhaber oder einem Medienmitarbeiter unter der Voraussetzung der Wahrung journalistischer Sorgfaltspflicht zugute kommen, nicht aber dem hier ohne derartigen Funktionsbezug agierenden Beschuldigten (§ 29 MedienG).

Gegen diese Beschwerdeentscheidung richtet sich die zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde, die mit nachstehender Begründung Verletzungen der Bestimmungen des § 111 Abs 1 und 2 StGB und des Art 10 Abs 2 MRK geltend macht:

"Bei der vorliegenden Äußerung des Beschuldigten handelt es sich um die kritische Bewertung einer vom Privatankläger im Rahmen seiner Funktion als Politiker im Wege eines Fernsehinterviews abgegebenen Erklärung. Die bewertende Erörterung solcher Erklärungen ist im Lichte der in einer demokratischen Gesellschaft jedermann zustehenden Freiheit der Meinungsäußerung grundsätzlich zulässig (vgl insbesondere Art 10 Abs 1 und 2 MRK sowie Art 13 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dezember 1867, RGBl Nr 142). Ob sich der Kritisierte irritiert oder verletzt fühlt, ist dabei unmaßgeblich. Dies gilt für eine im engen Zusammenhang mit Tatsachenmitteilungen geäußerte kritische Beurteilung auch dann, wenn sie von einer Person geäußert wird, die nicht mit hinlänglicher Fachkompetenz ausgestattet ist. Denn im Lichte der jedermann garantierten Meinungsfreiheit bleibt das Recht zur kritischen Bewertung nicht Experten vorbehalten, sondern ist auch die Meinung eines Außenseiters, Querdenkers oder Dilettanten zu respektieren. Tatbildmäßig sind lediglich Wertungsexzesse, nämlich jenseits sachlicher Kritik liegende abfällige Werturteile, die entweder in Relation zum Tatsachensubstrat ganz unverhältnismäßig überzogen sind oder sonst jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lassen (formale Ehrenbeleidigungen; vgl hiezu neuerlich 11 Os 25/93 und Kienapfel, BT I4, Vorbem §§ 111 ff, Rz 11 und 13 ff). Die Beantwortung der Frage, ob ein Werturteil (ausnahmsweise) den Tatbestand einer Ehrenbeleidigung erfüllt, hängt demnach von einer Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalles ab. Eine solche fallbezogene Beurteilung der verschiedenen berührten Interessen zeigt im Lichte der vorbezeichneten rechtlichen Kriterien, dass ein solcher Wertungsexzess hier nicht vorliegt.

Zunächst ist davon auszugehen, dass Art 10 Abs 1 MRK die Freiheit der Meinungsäußerung auch solcher kritischen Äußerungen schützt, die geeignet sind zu verletzen, zu schockieren oder zu zerstören. Zudem sind die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern in Ausübung ihrer öffentlichen Funktion im Interesse einer offenen Diskussion über politische Probleme deutlich weiter gezogen als dies bei Privatpersonen der Fall ist, weshalb Politikern ein erheblich höherer Grad an Toleranz als jenen abverlangt wird (vgl insbesondere Kienapfel, aaO, Rz 19 ff, sowie MR 1/00 S 17 ff - jeweils mwN). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Politiker - wie hier - Beziehungen zu fremden Staaten unter dem sensiblen Gesichtspunkt früherer Konfliktsituationen aufgreift und von ehemaliger Feindschaft spricht. Nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist im vorliegenden Zusammenhang dagegen der Umstand, dass der Beschuldigte die historischen Gegebenheiten, wie das Erstgericht auf der Grundlage entsprechender Fachliteratur ausführte, insoweit unzutreffend beurteilte, als er eine frühere "Feindschaft" (auch im Sinn konkreter militärischer Aktionen) zwischen der Republik Österreich einerseits und Jugoslawien sowie Slowenien andererseits undifferenziert negierte und mit seiner Kritik ausschließlich auf Vorgänge während des Zweiten Weltkrieges zwischen diesen beiden Ländern und dem nationalsozialistischen Deutschland abstellte. Denn abgesehen davon, dass nach dem bereits Gesagten eine hinlängliche Sachkompetenz des Kritikers nicht erforderlich ist, nahm der Beschuldigte damit lediglich auf einen weiteren Abschnitt aus der Gesamtgeschichte der betreffenden Region Bezug, der für ihn im vorliegenden Zusammenhang unmissverständlich im Vordergrund steht. Wenn er hievon ausgehend - wiewohl historisch nicht völlig korrekt - die Äußerung des Angeklagten über "frühere Feinde" als dem Interesse Österreichs und seiner Bevölkerung insbesondere gegenüber dem Ausland abträglich beurteilt, kommt seiner Wortmeldung nur der Charakter einer kritischen Erwiderung im Rahmen der politischen Auseinandersetzung zu, die in einer demokratischen Gesellschaft stets zulässig sein muss.

Mit dem vom Angeklagten dem Beschuldigten dabei gemachten Vorwurf, in seinem Kopf noch immer keine Abgrenzung zwischen der Republik Österreich und Hitler-Deutschland vollziehen zu können, was ihn gemeingefährlich mache, wurde dem Privatankläger weder ideologische Nähe zum Nationalsozialismus an sich noch ein Verstoß gegen das Verbotsgesetz, sondern nur die Unfähigkeit, zwischen den erwähnten Völkerrechtssubjekten zu unterscheiden, unterstellt. Wie aus dem unmittelbar folgenden Hinweis auf "ewige Vorbehalte" (ua) gegenüber der österreichischen Bevölkerung hervorgeht, wurde mit seiner Bezeichnung als "gemeingefährlich" auf die nach Ansicht des Beschuldigten dem österreichischen Ansehen abträgliche Wirkung dieser - wie auch früherer - Wortmeldungen des Privatanklägers zu Aspekten der nationalsozialistischen Zeit Bezug genommen. Diese Kritik kann keineswegs als außerhalb jeglichen Sachbezuges gelegen und - nach dem für politische Auseinandersetzung gültigen Maßstab - unverhältnismäßig überzogen beurteilt werden. Vielmehr handelt es sich dabei um ein politisches Werturteil im Rahmen des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung. Für einen strafrechtlichen Eingriff in dieses Grundrecht bleibt - entgegen dem Standpunkt des Beschwerdegerichtes - unter den gegebenen Umständen kein Raum. Einer derartigen Einschränkung der Grundrechtsausübung bedarf es keineswegs zum Schutze des guten Rufes des Privatanklägers (Art 10 Abs 2 MRK) angesichts des klaren Zusammenhanges der in der Fernsehsendung telefonisch geäußerten Kritik mit dem unmittelbar zuvor (zutreffend) wiedergegebenen Interview des Privatanklägers. Da der (kritischen, aber nicht exzessiven) Bewertung des hier nicht in Frage stehenden Interviewverhaltens des Privatanklägers schon die Tatbildlichkeit fehlt, gehen jene Ausführungen des Berufungsgerichtes, wonach Strafausschließungsgründe (§§ 111 Abs 3 StGB, 29 MedienG) nicht anwendbar seien, völlig ins Leere. Sie beruhen überdies auf einer Verwechslung des vom Beschuldigten kritisierten Tatsachensubstrats (Interviewinhalts) mit jenem Wissensstand (an historischen Tatsachen), der als Grundlage eines Expertenurteils unerlässlich wäre. Das Fehlen solcher Fachkompetenz schließt - wie oben ausgeführt wurde - die Ausübung der Meinungsfreiheit durch einen Laien nicht aus. Besteht (wie im vorliegenden Fall) kein Zweifel an der richtigen Wiedergabe des bewerteten Verhaltens durch den laienhaften Kritiker, dann kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, dem Publikum jenes zusätzliche - ihm selbst nicht zu Gebote gestandene - Fachwissen vorenthalten zu haben, welches für ein Expertenurteil vorauszusetzen wäre."

Rechtliche Beurteilung

Die vorliegend zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde richtet sich gegen (die in zweiter Instanz ausgesprochene) Anordnung der Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über eine Privatanklage, sohin gegen eine strafgerichtliche Entscheidung, deren Gegenstand vorweg nur einen verhältnismäßig schmalen Bereich eröffnet, in dem jener spezifische Bedarf an ultimativer Abhilfe durch den Obersten Gerichtshof in Betracht kommen kann, den die Rechtseinrichtung nach § 33 Abs 2 StPO nach ihrem rechtlichen Widmungskonzept im Auge hat. Liegt doch der Hauptzweck der Wahrungsbeschwerde seit ihrer Aufnahme in die Stammfassung der Strafprozeßordnung 1873 primär in der Behebung (sonst nur im Gnadenweg zu beseitigender) gesetzeswidriger Nachteile für Verurteilte (Angeklagte bzw Beschuldigte), in der Hintanhaltung dem Gesetz widerstreitender Tendenzen der Rechtsanwendung und in der Abklärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, die sonst nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden können. Mit der Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über eine Privatanklage wird - sieht man von einer allenfalls schikanösen Inanspruchnahme des Privatanklagerechts ab, welcher im Übrigen bereits durch die besondere Regelung des Kostenersatzes bei Prozessverlust wirksam vorgebeugt ist - grundsätzlich keine dieser Zielsetzungen virulent:

Gemäß § 46 Abs 1 StPO muss eine zur Privatanklage berechtigte Person bei sonstigem Verlust ihres Anklagerechtes binnen sechs Wochen von dem Tag, an dem ihr die strafbare Handlung und ein der Tat hinlänglich Verdächtiger bekannt geworden sind, einen Verfolgungsantrag gegen diesen stellen. Daraus folgt, dass bei Vorliegen hinlänglichen Tatverdachtes in Richtung einer der Ahndung durch Privatanklage vorbehaltenen Deliktsverwirklichung grundsätzlich vom Recht des Verletzten auf Privatanklage und deren im Gesetz vorgesehene prozessuale Behandlung auszugehen ist. Wohl sieht das Gesetz (hier: § 41 Abs 5 MedienG iVm §§ 485 Abs 1, 486 Abs 3 StPO) die Möglichkeit der Einstellung (auch) des Privatanklageverfahrens a limine (vorliegend durch den Einzelrichter ohne Entscheidung der Ratskammer) für den Fall vor, dass (ua) nach gerichtlicher Ansicht die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat keine zur Zuständigkeit der Gerichte gehörige strafbare Handlung begründet, es an genügenden Gründen fehlt, den Beschuldigten der Tat für verdächtig zu halten bzw Umstände vorliegen, durch die die Strafbarkeit der Tat aufgehoben oder die Verfolgung wegen der Tat ausgeschlossen ist. Die Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung a limine sind jedoch primär auf der Basis des Tatsachenvorbringens in der Privatanklage zu beurteilen, das den Anspruch auf eine gesetzeskonforme prozessuale Behandlung (Sondierung sämtlicher entscheidungswesentlicher Komponenten und abschließende meritorische Beurteilung) bereits mit der vertretbar begründeten Behauptung allein der objektiven Tatbestandsverwirklichung eines Privatanklagedeliktes erwirbt, ohne darüberhinaus unabdingbar auf eine nachvollziehbare Substantiierung auch der - in der Regel vom objektiven Behauptungssubstrat implizierten - subjektiven Tatseite angewiesen zu sein (EvBl 1994/20). Es entspricht einem tragenden Grundsatz gefestigter Rechtsanwendung zur Problematik vorzeitiger Verfahrensfinalisierung (§§ 213 Abs 1; 451 Abs 2; 485 Abs 1 StPO), dass Tatumstände, die der kontroversiellen Aufbereitung durch die Prozessparteien eröffnet und solcherart der richterlichen Würdigung (§ 258 StPO) vorbehalten sind, bei einer derartigen Entscheidung nicht vorweggenommen werden dürfen. Schon aus der Sicht dieser grundsätzlichen Erwägungen steht nicht die Begründung der angefochtenen Rechtsmittelentscheidung sondern die Beschwerdeargumentation mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Die Beschwerdeausführung gibt zwar die Rechtslage zum Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und die Prinzipien der Rechtsanwendung zu Art 10 Abs 1 und 2 MRK zutreffend wieder, geht aber bei deren Übertragung auf die hier in Rede stehende Sachverhaltskonstellation am entscheidenden Kern des inkriminierten Tatverhaltens vorbei. Voranzustellen ist zunächst, dass die Zeit des NS-Regimes mit allen ideologischen Auswüchsen und verheerenden Auswirkungen einen exzeptionell belasteten Geschichtsabschnitt darstellt, von dessen Gedankengut sich jedes rechtsstaatlich fundierte Demokratieverständnis aus allgemein einsichtigen Gründen auf das Entschiedenste distanziert. Es versteht sich daher von selbst, dass der Vorwurf nationalsozialistischer Gesinnungsnähe eine extrem ehrenrührige Anschuldigung darstellt, deren (bei begründetem Anlass nicht bloß zulässiger, aus der Sicht rechtsstaatlicher Wachsamkeit vielmehr gebotener) rechtskonformer Einsatz gerade wegen des Gewichtes der damit verbundenen Aussagebedeutung regelmäßig eine sorgfältige und sensible Sondierung der in Betracht kommenden Tatsachengrundlagen erfordert. Dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn es sich bei dem Angegriffenen um einen aktiven Politiker handelt, weil der Vorwurf nationalsozialistischer Verhaltens- bzw Gesinnungsaffinität gerade bei einem Verwantwortungsträger mit exponierten Einflussmöglichkeiten eine dementsprechend berufsspezifisch aggravierte Akzentuierung beinhaltet. Schon davon ausgehend erweist es sich in hohem Maß als problematisch, auch in diesem notorisch hochsensiblen Kontext die Grenzen zulässiger ehrenrühriger Angriffe (wie sonst in gefestigter Rechtsanwendung) danach zu differenzieren, ob es sich bei dem Vorwurfsadressaten um einen Politiker oder um den Vertreter einer weniger exponierten Berufsgruppe handelt. Gerade im bedeutungsschweren Extrembereich des Vorwurfs mentaler Nähe zum "Hitler-Deutschland" bleibt das Postulat eines im Sinn der erhobenen Anschuldigung tragfähigen Tatsachensubstrats da wie dort ohne prinzipiell fassbare Differenzierungskritierien gleichermaßen unverzichtbar. Eine darauf ausgerichtete Überprüfung der in der inkriminierten Wortmeldung Dris. V***** aufgegriffenen Interviewpassage führt zu dem Ergebnis, dass das vom Beschuldigten kritisierte Statement des Privatanklägers die ihm unterstellte Eignung bei objektiver Betrachtung nicht einmal ansatzweise erkennen lässt, dem insoweit unmissverständlichen Wortlaut und Sinngehalt nach vielmehr eine Meinungsbildung mit diametral gegenläufiger Grundtendenz zum Ausdruck bringt. Jene Passage aus dem Fernsehinterview Dris. H*****, zu deren Kommentierung sich Dr. V***** veranlasst sah, bedeutet aus der Sicht eines sachlich unvoreingenommenen, objektiven Betrachters nichts anderes als die unmissverständliche Klarstellung, dass der Interviewte dem Zusammenwirken ehemals verfeindeter Staaten bei der gemeinsamen Veranstaltung - begriffsessentiell völkerverbindender - Olympischer Spiele gerade deshalb aufgeschlossen gegenüberstand. Wenn Dr. V***** daraus unter subjektiv-einseitiger Vernachlässigung wesentlicher historischer Zusammenhänge von für die Republik Österreich einschneidender Bedeutung eigeninitiativ und vor der qualifiziert breiten Öffentlichkeit des Fernsehpublikums Indikatoren nationalsozialistischer Gesinnungsnähe ableitete, so bewegten sich seine dazu angestellten "Schlussfolgerungen" soweit außerhalb sachlich denkmöglicher Zusammenhänge mit dem Anlassinterview, dass sie sich im Ergebnis als nach Lage des Falles subjektive Konstruktion des nach den Rahmenbedingungen aus der Luft gegriffenen Vorwurfs mentaler Nähe zum "Hitler-Deutschland" darstellen. Dieser ermangelt es sohin schon in objektiver Hinsicht ebenso an einem nachvollziehbaren Tatsachensubstrat, wie der zusätzlichen Aggravierung der inkriminierten Anschuldigung mit dem Hinweis auf eine entsprechende "Gemeingefährlichkeit" Dr. H*****s. Als gleichermaßen nicht nachvollziehbar erweist sich aber auch die Beschwerdeargumentation, dem Privatankläger werde mit dem Vorwurf, "in seinem Kopf noch immer keine Abgrenzung zwischen der Republik Österreich und Hitler-Deutschland vollziehen zu können, was ihn gemeingefährlich mache", weder ideologische Nähe zum Nazionalsozialismus an sich noch ein Verstoß gegen das Verbotsgesetz, sondern nur die Unfähigkeit, zwischen den erwähnten Völkerrechtssubjekten zu unterscheiden, unterstellt. Weder isoliert betrachtet noch im Gesamtzusammenhang lässt der ersichtlich gezielt klare Wortlaut der Interviewkommentierung durch Dr. V***** einen denklogischen Freiraum in der Richtung offen, die inkriminierte Äußerung wäre anders als im Sinn angeblicher Gemeingefährlichkeit Dr. H*****s wegen seines (fortgesetzten) Verständnisses der Republik Österreichs als "Hitler-Deutschland" zu verstehen. Selbst der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ging in der Begründung der von ihm ausgesprochenen Verfahrenseinstellung davon aus, dass sich die inkriminierte Äußerung für den Medienkonsumenten als Angriff in der Richtung darstellte, "dass eben der Privatankläger die Abgrenzung zwischen der Republik Österreich und Hitler-Deutschland noch immer nicht vollziehen könne, was für den Medienkonsumenten erkennbar den Vorwurf zum Inhalt hat, noch immer in gefährlicher Weise in der Ideologie Hitler-Deutschlands zu verharren" (AS 29 in 9a E Vr 8983/99 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien). Dem Beschwerdestandpunkt zuwider unterlag das Oberlandesgericht Wien bei der Begründung seiner hier bekämpften Rechtsmittelentscheidung daher keiner Fehlbeurteilung, wenn es die - wie dargelegt ohne auch nur ansatzweise wertungsspezifisch geeignetes Begründungssubstrat erhobene - inkriminierte Anschuldigung als prozessual taugliche Grundlage für die wegen übler Nachrede nach § 111 StGB erhobene Privatanklage beurteilte.

Art 10 Abs 2 MRK steht dem nicht entgegen. Nach dieser Konventionsbestimmung kann die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, weil sie Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse (ua) des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, (auch) um das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten. Die hier in Rede stehende Fallkonstellation ist - wie ausgeführt - in ihrem wesentlichen Kern davon gekennzeichnet, dass einer bei objektiver Betrachtung unverkennbar auf die Befürwortung einer völkerverbindenden Initiative zwischen ehemaligen Feindstaaten ausgerichteten Gesprächseinlassung zumindest objektiv geradezu willkürlich ein nicht nur diametral entgegengesetzter sondern in Richtung manifester nationalsozialistischer Gesinnungsnähe auch aggravierter Sinn beigelegt, damit aber keine kritische Wertung sondern dem Wortlaut nach ein bedeutungsschwerer diffamierender Vorwurf in einem - wie dargelegt - hochsensiblen Zusammenhang geäußert und auf diese Weise noch dazu über das Fernsehen eine breite Öffentlichkeit kontaktiert wurde.

Auch unter Bedachtnahme auf den Stellenwert der Meinungspluralität in einer funktionierenden rechtsstaatlichen Demokratie entspricht es im Interesse individuellen Rechtsschutzes und des Ansehens der über Richtungsdifferenzen politischer Gruppierungen stehenden Unparteilichkeit der Rechtsprechung fundamentalem gesellschaftlichem Anliegen, die nach den objektiven Rahmenbedingungen im Sinn des § 46 Abs 1 StPO "hinlänglich" fundierte Privatanklagebehauptung hier exzessiver Ausübung des Anspruchs auf freie Meinungsäußerung - wie nach dem Gesetz grundsätzlich vorgesehen und in vergleichbaren Fällen (unbeschadet der Person des jeweils Verletzten) auch regelmäßig praktiziert - der strafprozessualen Sondierung zuzuführen. Kann doch die Unterlassung jedweder Ermittlungstätigkeit zu einem nicht vorweg obsoleten Parteienvorbringen speziell aus der Sicht des Grundrechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz ein wesentliches Kriterium behördlicher Willkür ausmachen (ua ).

Die im Anlassfall infolge vorzeitiger Verfahrenseinstellung zunächst unterbliebene prozessuale Behandlung der Privatanklage erweist sich umsomehr als geboten, als sich die in Rede stehende Fallkonstellation vor allem in subjektiver Hinsicht als nicht abschließend entscheidungsreif darstellt. Die - dem Beschwerdestandpunkt zuwider weder mit den sinngemäßen Hinweisen auf ein allfälliges zeithistorisches Bildungsdefizit des Beschuldigten bzw eine besondere "Reizqualität" des vom Privatankläger angesprochenen Begriffes "ehemaliger Feinde" noch sonst überzeugend zu problematisierende - Eignung des Vorwurfs (noch dazu) gemeingefährlicher nationalsozialistischer Gesinnungsnähe nach Art der inkriminierten Äußerung zur objektiven Tatbestandsverwirklichung nach § 111 Abs 1 und 2 StGB wurde bereits dargetan, weshalb im Sinn der bekämpften Beschwerdeentscheidung jedenfalls (mit entsprechendem Feststellungsbedarf) auch in die Prüfung der subjektiven Tatseite einzutreten sein wird. In Bezug auf die subjektive Deliktsverwirklichung kommt zwar der Frage nach dem Tatmotiv nicht unmittelbar zentrale Bedeutung zu. Ein nicht unbeachtliches Gewicht kann der im Anlassfall bestimmenden Motivation des Beschuldigten zu der inkriminierten Äußerung jedoch vorweg aus der Sicht nicht abgesprochen werden, dass insbesondere auch nach supranationaler Rechtsfindung (EGMR) beim Ausspruch einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen einer in freier Meinungsäußerung erfolgten Deliktsverwirklichung zusätzlich zu prüfen ist, ob der darin gelegene Eingriff in das hochrangige Grundrecht auf allgemeine Meinungsfreiheit im Sinn des Art 10 Abs 2 MRK (als "pressing social need") notwendig und solcherart dem damit angestrebten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig ist (dazu etwa Okresek in ÖJZ 1993, S 335). Je weiter sich der dem ehrenrührigen Vorwurf zugrundeliegende Beweggrund von der an geltenden Rechtsprinzipien und gefestigten Wertmaßstäben orientierten gesellschaftlichen Akzeptanz entfernt, desto geringer wiegt das Risiko, dass der verurteilungsbedingte Grundrechtseingriff gegenüber dem damit verfolgten legitimen Ziel der Rechtsstabilisierung durch bewusstseinsbildende Tatahndung außer Verhältnis steht. So gesehen kann aber nach Lage des Falles auch der Frage mitausschlaggebendes Gewicht zukommen, welcher der unter den damals aktuellen Rahmenbedingungen in Betracht kommenden Beweggründe für das hier inkriminierte Verhalten bestimmend war (das dazu denkmögliche Spektrum reicht von unbewusst selektiver Wahrnehmung - wenn auch einschneidender - zeitgeschichtlicher Zusammenhänge bis hin zu taktischer Einstimmung auf die innenpolitisch hochbrisante Startphase der Regierungsneubildung im Anschluss an die Nationalratswahl 1999). Daraus folgt aber, dass eine gesetzeskonforme finale Beurteilung des Privatanklagevorbringens unabdingbar von der Durchführung des damit angestrebten kontradiktorischen Verfahrens abhängt. Dem damit verbundenen Klärungsbedarf trägt die angefochtene Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien sowohl aus der Sicht des § 111 StGB als auch aus jener des Art 10 Abs 2 MRK rechtskonform Rechnung, weshalb die geltend gemachten Gesetzesverletzungen entgegen der vom Generalprokurator vertretenen Auffassung nicht vorliegen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Strafrecht
Schlagworte
Kennung XPUBL
Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in
MR 2001,359
XPUBLEND
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2001:0120OS00060.01.1018.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
SAAAF-70995