OGH 16.06.2009, 10Ob32/09t
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Franziska S*****, geboren am , und der mj Miriam S*****, geboren am , beide *****, vertreten durch das Land Kärnten als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan, Marktstraße 15, 9300 St. Veit an der Glan), über den Revisionsrekurs des Vaters Peter S*****, vertreten durch Dr. Thomas Primig, Rechtsanwalt in St. Veit an der Glan, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 3 R 32/08b, 3 R 33/08z-U11, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts St. Veit an der Glan vom , GZ 2 P 17/07z-U3 und -U4, bestätigt wurden, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Rekursgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, eine Gleichschrift des Revisionsrekurses des Vaters samt Ausfertigung des Beschlusses vom , 3 R 32/08b, 3 R 33/08z, auch der Mutter Beatrice S***** (Zahlungsempfängerin) und dem Bund zu Handen des Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz zur allfälligen Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zuzustellen und die Akten nach Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung bzw fruchtlosem Verstreichen der Frist erneut dem Obersten Gerichtshof vorzulegen.
Text
Begründung:
Mit Beschlüssen je vom wurden den beiden Kindern Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG von je 222 EUR monatlich für den Zeitraum vom bis gewährt. Den Rekursen des Vaters gab das Rekursgericht mit Beschluss vom nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs zunächst nicht zu. Dagegen richtete sich die mit dem ordentlichen Revisionsrekurs verbundene Zulassungsvorstellung des Vaters mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass die Vorschussanträge der beiden Kinder abgewiesen werden. Mit Beschluss vom gab das Rekursgericht der Zulassungsvorstellung Folge und änderte den Zulassungsausspruch dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts doch zugelassen wurde. Verfügt wurde die Zustellung dieses Beschlusses an das den Vertreter des Vaters, an den Jugendwohlfahrtsträger (als Vertreter der Kinder) und an das Erstgericht, letzteren beiden je mit dem Beisatz, dass dem Jugendwohlfahrtsträger die Beantwortung des Revisionsrekurses freigestellt wurde. Die Zustellung an den Jugendwohlfahrtsträger erfolgte am . Am gab der Jugendwohlfahrtsträger bekannt, dass keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet werde. Daraufhin legte das Erstgericht seinen Akt (im Wege des Rekursgerichts) dem Obersten Gerichtshof vor.
Rechtliche Beurteilung
Wie sich aus dem zwischenzeitig vom Obersten Gerichtshof eingeholten Akt des Rekursgerichts ergibt, ist die Aktenvorlage verfrüht. Über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen hat das Pflegschaftsgericht im Verfahren Außerstreitsachen zu entscheiden (§ 10 UVG). Wird ein Revisionsrekurs, oder - wie hier - eine Zulassungsvorstellung, mit der ein ordentlicher Revisionsrekurs verbunden ist, gegen einen Beschluss erhoben, mit dem über die Sache entschieden worden ist, und findet das Gericht erster Instanz keinen Grund zur Zurückweisung, so ist jeder anderen aktenkundigen Partei eine Gleichschrift zuzustellen (§ 68 Abs 1 AußStrG). Unter einem Beschluss „über die Sache" wird jede Entscheidung über den Verfahrensgegenstand verstanden (RIS-Justiz RS0120860 ua). Die anderen Parteien können binnen 14 Tagen eine Beantwortung des Revisionsrekurses mittels Schriftsatzes überreichen; § 65 Abs 1 zweiter Satz, Abs 2 zweiter Halbsatz, Abs 3 Z 3 bis 6 und § 66 AußStrG sind sinngemäß anzuwenden (§ 68 Abs 1 AußStrG). Auch die Mutter als Zahlungsempfängerin (9 Ob 129/06w; RIS-Justiz RS0120860 [T6, T12]) und der Bund, vertreten durch den Präsidenten des zuständigen Oberlandesgerichts (§ 34 UVG), sind Partei gemäß § 2 Abs 1 AußStrG (Neumayr, Die Parteistellung in familienrechtlichen Außerstreitverfahren, in Jahrbuch Zivilverfahrensrecht 2009, 117 [126]). Es steht ihnen gemäß § 68 Abs 1 und Abs 3 Z 2 AußStrG frei, eine Revisionsrekursbeantwortung einzubringen.
Wird aufgrund einer Zulassungsvorstellung, die mit einem ordentlichen Revisionsrekurs verbunden ist, vom Rekursgericht der Revisionsrekurs doch für zulässig erklärt, so hat es diesen Beschluss den Parteien zuzustellen und - soweit vorgesehen - den Revisionsrekursgegnern die Beantwortung des Revisionsrekurses freizustellen (§ 63 Abs 5 AußStrG). Die Frist für die Beantwortung des Revisionsrekurses beginnt in diesem Fall mit der Mitteilung des Rekursgerichts, dass „den anderen aktenkundigen Parteien" die Beantwortung des Revisionsrekurses freigestellt werde (§ 68 Abs 3 Z 2 AußStrG); die Revisionsrekursbeantwortung ist gemäß § 68 Abs 4 Z 1 AußStrG beim Rekursgericht einzubringen (wenn dieses „den anderen aktenkundigen Parteien" nach § 63 Abs 5 AußStrG freigestellt hat, eine Revisionsrekursbeantwortung einzubringen).
Was die Mutter der Minderjährigen und den Bund betrifft, sind die Zustellungen der Rechtsmittelgleichschrift bzw des Beschlusses nach § 63 Abs 3 AußStrG samt Freistellung der Beantwortung des Revisionsrekurses zu Unrecht unterblieben. Auch ihnen wird daher eine Beschlussausfertigung (samt Gleichschrift des Revisionsrekurses) mit dem Beisatz zuzustellen sein, dass ihnen die allfällige Erstattung einer Beantwortung des zugelassenen Rechtsmittels freisteht. Erst nach Einlangen einer allfälligen Revisionsrekursbeantwortung dieser weiteren Verfahrensparteien oder nach fruchtlosem Ablauf der Revisionsrekursbeantwortungsfrist wird der Akt wieder vorzulegen sein.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Franziska S*****, geboren am , und der mj Miriam S*****, geboren am , beide *****, vertreten durch das Land Kärnten als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan, Marktstraße 15, 9300 St. Veit an der Glan), über den Revisionsrekurs des Vaters Peter D*****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Thomas Primig, Rechtsanwalt in St. Veit an der Glan, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 3 R 32/08b, 3 R 33/08z-U11, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts St. Veit an der Glan vom , GZ 2 P 17/07z-U3 und -U4, bestätigt wurden, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die am geborene Franziska S***** und die am geborene Miriam S***** sind die Töchter von Beatrice S***** und Peter D*****. Die genannten Personen sind Staatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland. Die Kinder wohnen bei der Mutter in Österreich; der Vater ist in Deutschland wohnhaft und beschäftigt. Mit Beschlüssen je vom (ON U3 und U4) gewährte das Erstgericht den beiden Kindern auf die Geldunterhaltspflicht des Vaters Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG von je 222 EUR monatlich für den Zeitraum vom bis . Das Erstgericht stellte fest, dass die Mutter seit in Österreich Notstandshilfe bezieht und bei der Kärntner Gebietskrankenkasse krankenversichert ist.
Das Rekursgericht gab den Rekursen des Vaters mit Beschluss vom nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs zunächst nicht zu (ON U11). Mit Beschluss vom (ON U28) änderte das Rekursgericht über Zulassungsvorstellung des Vaters den Zulassungsausspruch dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zugelassen wurde, weil das Rekursgericht von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen sei, wonach es im Hinblick auf den Beschäftigungsort des Vaters in Deutschland an einer österreichischen Leistungszuständigkeit fehle.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters (ON U25b) aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im antragsabweisenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Das durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretene Kind, der durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz vertretene Bund und die Mutter haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
Im Revisionsrekurs macht der Vater geltend, dass in Österreich aufhältige Kinder mit der Staatsbürgerschaft eines anderen EU-Mitgliedstaats, die Familienangehörige eines nur in diesem anderen Mitgliedstaat erwerbstätigen Geldunterhaltsschuldners seien, keinen Anspruch auf Gewährung österreichischer Unterhaltsvorschüsse hätten; leistungszuständig sei vielmehr nur der Beschäftigungsstaat des Geldunterhaltsschuldners.
Diese Rechtsfrage wurde jedoch vom Obersten Gerichtshof zuletzt einheitlich gegenteilig entschieden.
1. Der für Unterhaltsvorschusssachen fachzuständige 10. Senat des Obersten Gerichtshofs ist nämlich schon in einer großen Zahl von Fällen (siehe RIS-Justiz RS0124515) von der in den drei Entscheidungen 4 Ob 4/07b, 6 Ob 121/07y und 1 Ob 267/07g (RIS-Justiz RS0122131) vertretenen Ansicht abgegangen, dass der Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse als Familienleistungen iSd Wanderarbeitnehmerverordnung 1408/71 daran anknüpfe, in welches System der sozialen Sicherheit der Geldunterhaltsschuldner eingebunden ist.
Die Rückkehr zur früheren Rechtsprechung (4 Ob 117/02p = SZ 2002/77;
9 Ob 157/02g = RIS-Justiz RS0115509 [T3] ua) wurde bereits in den
Entscheidungen 10 Ob 75/08i, 10 Ob 83/08s, 10 Ob 78/08f und 10 Ob 87/08d, je vom , ausführlich begründet und kann folgendermaßen zusammengefasst werden:
1.1. Für die Anspruchsberechtigung nach der Wanderarbeitnehmer-VO 1408/71 (im Folgenden: „VO") ist neben der Familienangehörigen-Eigenschaft in erster Linie entscheidend, ob ein Elternteil des anspruchsberechtigten Kindes in eine - in Bezug auf Familienleistungen - von der VO erfasste Gruppe (tätige oder arbeitslose Arbeitnehmer, Selbständige) fällt.
1.2. Der weiters als Grundvoraussetzung für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu fordernde gemeinschaftliche grenzüberschreitende Bezug setzt voraus, dass Personen, Sachverhalte oder Begehren eine rechtliche Beziehung zu einem anderen Mitgliedstaat aufweisen. Diese Umstände können in der Staatsangehörigkeit, dem Wohn- oder Beschäftigungsort, dem Ort eines die Leistungspflicht auslösenden Ereignisses, vormaliger Arbeitstätigkeit unter dem Recht eines anderen Mitgliedstaats oder ähnlichen Merkmalen gesehen werden. Dieser notwendige grenzüberschreitende Bezug kann daher nicht nur dadurch zustande kommen, dass der Unterhaltsschuldner von der Freizügigkeit als tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer oder Selbständiger Gebrauch macht oder Grenzgänger ist, sondern auch dadurch, dass dies der Elternteil tut, bei dem sich das Kind aufhält.
Im vorliegenden Fall besteht der grenzüberschreitende Gesichtspunkt darin, dass die Mutter, bei der sich die Antragstellerinnen aufhalten, eine deutsche Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich ist.
1.3. Schließlich ist zu prüfen, ob für die von den Antragstellerinnen begehrte Familienleistung nach den Koordinierungsregeln der VO 1408/71 die österreichische Leistungszuständigkeit besteht.
1.3.1. Abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen unterliegen Personen, für die die VO gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats (Art 13 Abs 1 der VO); dieser ist nach Titel II der VO zu bestimmen. Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staats (Beschäftigungslandprinzip, Art 13 Abs 2 lit a der VO).
1.3.2. Grundsätzlich ist das Recht des Mitgliedstaats anwendbar, in dem der Arbeitnehmer oder Selbständige beschäftigt ist, der die Anwendung der VO begründet. Eine Einschränkung der Anknüpfung ausschließlich an die Stellung des Geldunterhaltsschuldners ist den Koordinierungsregelungen der VO nicht zu entnehmen. Familienleistungen werden daher in der Regel nach den Vorschriften des Mitgliedstaats gewährt, in dem derjenige Arbeitnehmer bzw Selbständige beschäftigt ist, durch den der Anspruch auf Familienleistungen vermittelt wird.
1.3.3. Daraus ist zu folgern, dass auch dann, wenn der geldunterhaltspflichtige Elternteil den Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nach dem Recht seines Bechäftigungsstaats vermittelt, nicht ausgeschlossen ist, dass auch ein Anspruch auf Vorschüsse in einem anderen Mitgliedstaat durch den betreuenden Elternteil vermittelt wird. Für den Fall, dass für ein und dasselbe Kind in mehreren Mitgliedstaaten Anspruch auf Familienleistungen bestehen kann, ist in Art 10 Abs 1 lit b sublit i der VO 574/72 für den Fall, dass Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaats von einer Berufstätigkeit abhängen, eine Priorität der Familienleistungen des Wohnsitzstaats der Familienangehörigen normiert (Wohnortstaatprinzip; Igl in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 Art 73 Rz 2). Im anderen nachrangig zuständigen Staat gebühren Ausgleichszahlungen, wenn die Familienleistungen des vorrangig zuständigen Staats niedriger sind.
2. Für den vorliegenden Fall ist daraus Folgendes abzuleiten:
Da im Falle eines Zusammentreffens von Ansprüchen aus mehreren Mitgliedstaaten der Anspruch im Wohnsitzstaat der Kinder vorgehen würde, ist maßgeblich, ob die Mutter der Antragstellerinnen zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz (10 Ob 87/08d; 10 Ob 26/09k) in Österreich als tätige oder arbeitslose Arbeitnehmerin oder als Selbständige in das System der sozialen Sicherheit eingebunden war. Den Feststellungen des Erstgerichts in seinen Beschlüssen je vom (ON U3 und U4) ist zu entnehmen, dass die Mutter ab Notstandshilfe bezog und bei der Kärntner Gebietskrankenkasse krankenversichert war. Aufgrund ihres Anspruchs auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung ist sie als arbeitslose Arbeitnehmerin in das System der sozialen Sicherheit in Österreich integriert (4 Ob 124/05x; 10 Ob 36/08d; 10 Ob 84/08p = RIS-Justiz RS0116469 [T3]). In einem solchen Fall besteht eine primäre Leistungszuständigkeit des Wohnortstaates des Kindes.
3. Da der Oberste Gerichtshof in der Zwischenzeit ganz eindeutig von den dem Revisionsrekurs zugrunde liegenden Entscheidungen 4 Ob 4/07b, 6 Ob 121/07y und 1 Ob 267/07g abgegangen ist, liegt eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht vor, weshalb der Revisionsrekurs des Vaters zurückzuweisen ist.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2009:0100OB00032.09T.0616.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
BAAAF-69852