OGH 02.09.2021, 9ObA76/21y
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.-Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Oblasser (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Mag. Martin Platte, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei N* GmbH, *, vertreten durch Mag. Petra Laback, Rechtsanwältin in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 22/21b-30, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 30 Cga 26/20t-20, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.217,42 EUR (darin 369,57 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Aufgabengebiete der Beklagten sind die Durchführung von Dopingkontrollen, Informations- und Präventionsarbeit und die Durchführung sportrechtlicher Verfahren. Dementsprechend gibt es bei der Beklagten eine Abteilung Dopingkontrollsystem (DKS), eine Präventions- und Informationsabteilung und eine Rechtsabteilung. Weiters gibt es Stabstellen wie Personaladministration, Buchhaltung/Lohnverrechnung und Assistenztätigkeiten für den Geschäftsführer.
[2] Die Klägerin ist seit im Ausmaß von 38,5 Wochenstunden im Betrieb der Beklagten als Büroangestellte beschäftigt und bezog zuletzt ein Bruttomonatsgehalt von 3.260,51 EUR. Am wurde ihr Sohn geboren, danach befand sie sich in Mutterschutz und in Karenz. Nach der mit der Beklagten getroffenen Vereinbarung sollte sie ihren Dienst am wieder antreten. Die Klägerin war in der Abteilung Dopingkontrollsystem (DKS) tätig. Schwerpunkt ist die organisatorische Abwicklung der Dopingkontrollen. Als die Klägerin ihren Mutterschutz antrat, wurde eine andere Mitarbeiterin (unbefristet) eingestellt.
[3] Mit Schreiben vom teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie nach ihrer Karenz ab bis Elternteilzeit im Ausmaß von 25,5 Stunden pro Woche in Anspruch nehmen wolle mit Arbeitszeiten Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, jeweils von 7:45 Uhr bis 16:45 Uhr. Mit Schreiben vom teilte die Beklagte mit, dass im Betrieb nicht mehr als 20 Dienstnehmer regelmäßig beschäftigt seien und daher kein Anspruch auf Elternteilzeit bestehe.
[4] Die in den genannten Abteilungen im Büro der Beklagten tätigen (im Juli und August 2020) 14 Mitarbeiter werden intern als Stammmitarbeiter bezeichnet. Weiters gibt es etwa 115 fallweise Beschäftigte (etwa 100 in der Abteilung DKS, etwa 35 davon Einsatzleiter), die zwischen Jänner und Juni 2020 für die Beklagte tätig waren (s Beil ./5). Diese sind in anderen Berufen und für die Beklagte über Rahmenvereinbarungen tätig. Sie dürfen zur Sicherstellung der Qualifikation als fallweise Beschäftigte aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen höchstens 13 Sozialversicherungstage pro Monat bzw sechs Tage durchgehend beschäftigt werden. Nach interner Anweisung dürfen diese bei der Beklagten einen Tag weniger angemeldet werden. Die Einsatzfrequenz ist unterschiedlich und vom jeweiligen Hauptberuf des Beschäftigten abhängig. Sie führen bei der Beklagten (mit Ausnahme einer Dienstnehmerin, die auch bei der Lohnverrechnung eingesetzt wurde) ausschließlich Dopingkontrollen durch und halten Vorträge. Die Beklagte führt unter normalen Verhältnissen (vor den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie) etwa 3.000 Dopingkontrollen jährlich bzw zwischen sieben und neun täglich (sieben Mal pro Woche) durch. Teils werden mehrere Proben bei einem Event genommen. Bei einer Kontrolle, die durchschnittlich etwa zwei Stunden dauert, müssen mindestens zwei Mitarbeiter anwesend sein.
[5] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie die Elternteilzeit zu den von ihr bekannt gegebenen Bedingungen ab bis antreten könne; in eventu, die Beklagte zu verpflichten, in die begehrte Elternteilzeit ab dem bis einzuwilligen. Im Betrieb der Beklagten seien regelmäßig mehr als 20 Arbeitnehmer (derzeit zwölf Vollzeitmitarbeiter sowie weitere 180 zumindest regelmäßig beschäftigte Dienstnehmer) beschäftigt. Der von ihr beantragten Elternteilzeit stünden keine sachlichen Ablehnungsgründe der Beklagten gegenüber. Es seien die regelmäßig Beschäftigten der letzten zwölf Monate vor dem Antritt der Teilzeitbeschäftigung wesentlich.
[6] Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Es seien lediglich 14 Dienstnehmer (inklusive Klägerin und Geschäftsführer) regelmäßig beschäftigt. Darüber hinaus gebe es etliche (auf Basis eines Rahmenvertrags) fallweise Beschäftigte, die in einer unregelmäßigen Beschäftigungsabfolge zum Zweck der Durchführung und Überwachung von Dopingkontrollen oder als Referenten tätig seien. Diese seien durchschnittlich sechs Tage monatlich tätig und könnten Einsätze darüber hinaus ablehnen. Durch die COVID-19-Epidemie fänden keine bzw weniger Sportveranstaltungen (etwa -50 %) und Vorträge (etwa -90 %) statt und würden auch keine bzw weniger fallweise Beschäftigten eingesetzt. Die fallweise Beschäftigten seien nicht regelmäßig im Betrieb beschäftigt. Es bestehe kein Anspruch auf Elternteilzeit nach § 15h MSchG. Auch stünden sachliche Gründe der Teilzeitbeschäftigung entgegen, weil der unbedingt geforderte direkte Informationsfluss bei Aufteilung der Stelle der Klägerin durch zwei Teilzeitkräfte zwischen Abteilungsleiter, fallweise Beschäftigten und Geschäftsführung nicht gewährleistet sei. Zudem müsste eine weitere Teilzeitkraft aufgenommen werden, weil niemand die Tätigkeiten der Klägerin übernehmen könne und ein anderer Einsatzbereich nicht möglich sei. Die Klägerin habe die Meldepflicht betreffend eine vereinbarte Elternteilzeit nicht eingehalten, weil im Schreiben vom ausschließlich ein Anspruch auf Elternteilzeit gemäß § 15k MSchG geltend gemacht worden sei.
[7] Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ab und gab dem eventualiter erhobenen Leistungsbegehren statt. Die fallweise beschäftigten Mitarbeiter würden gänzlich andere Aufgabenbereiche als die Klägerin verrichten und seien daher bei der Ermittlung der Anzahl der Mitarbeiter nach § 15h Abs 1 Z 2 MSchG nicht zu berücksichtigen. Sachliche Gründe, die gegen eine Elternteilzeit stünden, seien nicht ersichtlich. Die Beklagte habe daher der Inanspruchnahme der Elternteilzeit nach § 15i MSchG zuzustimmen.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte die Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Hauptbegehrens ab, weil die Beklagte – in Zusammenfassung der ausführlichen Begründung des Berufungsgerichts – iSd § 15h Abs 3 S 1 MSchG unter Berücksichtigung der fallweise Beschäftigten regelmäßig mehr als 20 Dienstnehmer beschäftige. Die Revision sei zur Frage, wie fallweise Beschäftigte bei der Berechnung der maßgeblichen Dienstnehmeranzahl iSd § 15h Abs 1 S 1 Z 2 und Abs 3 S 1 MSchG zu behandeln seien, zulässig.
[9] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
[12] 1. Nach § 15h Abs 1 S 1 MSchG hat die Dienstnehmerin einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung längstens bis zum Ablauf des siebenten Lebensjahres oder einem späteren Schuleintritt des Kindes, wenn
1. das Dienstverhältnis zum Zeitpunkt des Antritts der Teilzeitbeschäftigung ununterbrochen drei Jahre gedauert hat,
2. die Dienstnehmerin zu diesem Zeitpunkt in einem Betrieb (§ 34 Arbeitsverfassungsgesetz – ArbVG, BGBl Nr 22/1974) mit mehr als 20 Dienstnehmern und Dienstnehmerinnen beschäftigt ist und
3. die wöchentliche Normalarbeitszeit um mindestens 20 vH reduziert wird und zwölf Stunden nicht unterschreitet (Bandbreite).
[13] Nach § 15h Abs 3 MSchG ist für die Ermittlung der Dienstnehmerzahl nach Abs 1 Z 2 leg cit maßgeblich, wie viele Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen regelmäßig im Betrieb beschäftigt werden. In Betrieben mit saisonal schwankender Dienstnehmerzahl gilt das Erfordernis der Mindestanzahl der Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen als erfüllt, wenn die Dienstnehmerzahl im Jahr vor dem Antritt der Teilzeitbeschäftigung durchschnittlich mehr als 20 Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen betragen hat.
[14] 2. Wie zu 9 ObA 39/18b ausgeführt, wird durch die Mindestzahl von 21 Dienstnehmern verhindert, dass der Arbeitgeber in kleineren Betrieben (solchen mit nicht mehr als 20 Dienstnehmern) beim Personaleinsatz vor unlösbare Probleme gestellt wird, zumal hier beim Personaleinsatz typischerweise weniger flexibel agiert werden kann als in größeren Betrieben (vgl ErläutRV 399 BlgNR 22. GP 4.6; Kraft, Die neue Elternteilzeit [2004] 22). Erst ab einer bestimmten Anzahl von Dienstnehmern in einem Betrieb – die der Gesetzgeber mit 21 angenommen hat – verfügt ein Arbeitgeber typischerweise über hinreichende personelle Kapazitäten, um die wegen einer Teilzeitbeschäftigung von einer Dienstnehmerin nicht mehr zu leistende Arbeit auf andere zu verteilen oder sonst Abhilfe zu schaffen (vgl Ercher/Stech in Ercher/Stech/Langer, Mutterschutzgesetz und Väter-Karenzgesetz [2005] § 15h MSchG Rz 26; Burger, Voraussetzungen der Elternteilzeit nach MuttSchG und VKG, ZAS 2007, 66 [70]; Schrank/Schrank, Teilzeiten im Arbeitsrecht [ASoK-Spezial November 2015] 91; Schrank in Schrank, Arbeitszeitgesetz6 [2021] § 15h MSchG Rz 18).
[15] 3. Wie zu 9 ObA 39/18b (mwN) weiter ausgeführt, differenziert das Gesetz nicht danach, um was für einen Dienstnehmer es sich handelt. Deshalb und zumal der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der durch die Teilzeitbeschäftigung entstehende Ausfall durch die anderen (regelmäßig beschäftigten) Dienstnehmer aufgefangen werden kann, kommt es allein auf deren Zahl, somit die „Zahl der verfügbaren Köpfe“ an (Ercher/Stech aaO; Burger aaO). Irrelevant ist damit, ob es sich um befristet oder unbefristet aufgenommene Arbeitnehmer handelt (Ercher/Stech aaO), ebenso mangels Relevanz des Umfangs der Beschäftigung, ob ein Dienstnehmer nur geringfügig beschäftigt ist (Schrank/Mazal, Arbeitsrecht4 [2008] 147; Ercher/Stech aaO Rz 25). Zumal „Dienstnehmer“ im Sinne des Arbeitsvertragsrechts zu verstehen ist und mangels einer diesbezüglichen Unterscheidung sind auch GmbH-Geschäftsführer mit Dienstvertrag und leitende Angestellte mitzuzählen (Kraft aaO 21 f; Wolf Elternteilzeit [2016] 78). Das Gesetz unterscheidet auch nicht danach, mit wem ein Dienstnehmer einen Dienstvertrag hat, sodass – auch, weil auch sie zum Auffangen der durch die Teilzeitbeschäftigung freiwerdenden Arbeit eingesetzt werden können – dem Betrieb überlassene Arbeitnehmer mitzuzählen sind (Ercher/Stech aaO Rz 26; Schrittwieser in Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Thomasberger Mutterschutzgesetz und Väter-Karenzgesetz3 [2020] 478 f; Schrank/Schrank aaO 91).
[16] Wie auch vom Berufungsgericht ausgeführt, ist in diesem Sinne auch ein Dienstnehmer für die Mindestgröße des Betriebs zu berücksichtigen, der auf einem Arbeitsplatz im Betrieb beschäftigt ist, der üblicherweise von nur kurzfristig beschäftigten Personen – dies aber regelmäßig – besetzt wird (Burger, Voraussetzungen der Elternteilzeit nach MuttSchG und VKG, ZAS 2007/11, 71; Kraft aaO 23). Nicht mitzuzählen sind etwa freie Dienstnehmer (ErläutRV 399 BlgNR 22. GP 5 f).
[17] 4. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Ermittlung der Anzahl der Dienstnehmer ergibt sich aus einer Zusammenschau des § 15h Abs 1 S 1 MSchG, wonach die Dienstnehmerin „zum Zeitpunkt des Antritts der Teilzeitbeschäftigung“ in einem Betrieb mit mehr als 20 Dienstnehmern beschäftigt sein muss, und des Abs 3 leg cit, wonach für die Ermittlung der Dienstnehmeranzahl nach Abs 1 Z 2 leg cit maßgeblich ist, wie viele Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen regelmäßig im Betrieb beschäftigt werden.
[18] Nach Ercher/Stech (aaO Rz 26) kommt es nicht darauf an, wie viele Arbeitnehmer zum Antrittszeitpunkt tatsächlich anwesend sind, sondern wie viele dem Arbeitgeber regelmäßig zur Arbeitsleistung zur Verfügung stehen („Zahl der verfügbaren Köpfe“).
[19] Kraft (aaO 23) spricht sich für eine „zumindest analoge Anwendung“ der Durchschnittsberechnung bei saisonal schwankender Arbeitnehmerzahl aus, auch für den Fall, dass keine Saisonschwankungen, jedoch aus anderen Gründen Schwankungen gegeben sind. Er bezieht sich auf den Willen des historischen Gesetzgebers, der größere Betriebe ganz allgemein als Betriebe mit „mehr als 20 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Jahresdurchschnitt“ definiert (ErläutRV 399dBlg NR 22. GP 3).
[20] Nach Schrank (in Schrank, Arbeitszeitgesetz6 [2021] § 15h MSchG Rz 22, F. Schrank/V. Schrank, ASoK-Spezial: Teilzeiten im Arbeitsrecht [2015] 92) ist, um die Regelmäßigkeit beurteilen zu können, ein „Blick nach vorne zu richten und die Dauerhaftigkeit bzw Regelmäßigkeit des Personalstandes dynamisch einzuschätzen“. Es sei dabei „von den aktuellen Umständen und Erfahrungswerten auszugehen, unter Bedachtnahme auf den Gesetzeszweck vor allem auch auf die begründet zu erwartende Entwicklung“. Das Kriterium der Regelmäßigkeit der beschäftigten Arbeitnehmer stehe dabei im Vordergrund und dieses Kriterium schwäche die bloße Stichtagsbetrachtung ab.
[21] Diese Ansichten stehen nicht in Widerspruch zu einer Ermittlung der maßgeblichen Arbeitnehmeranzahl, wie sie sich aufgrund des Verweises des § 15h Abs 3 MSchG auf § 15h Abs 1 Z 2 MSchG aus einer notwendigen Zusammenschau der beiden Absätze ergibt. Danach ist keine reine Stichtagsbetrachtung vorzunehmen, sondern im Hinblick auf den Zeitpunkt des Antritts der Teilzeitbeschäftigung zu beurteilen, ob mehr als 20 Dienstnehmer regelmäßig im Betrieb beschäftigt werden.
[22] 5. Das Berufungsgericht hat auch den Begriff „regelmäßig“ zutreffend auf die Anzahl der Dienstnehmer bezogen und nicht, wie die Revision alternativ erwägt, auf die regelmäßige Beschäftigung der einzelnen Dienstnehmer. Das entspricht nicht nur dem Wortlaut der Bestimmung (arg: „wie viele Dienstnehmer … regelmäßig beschäftigt werden“), sondern auch dem gesetzlichen Grundgedanken, dass ab einer bestimmten Arbeitnehmerzahl der Personaleinsatz flexibler gestaltbar ist (oben Pkt 2.), und fügt sich auch zu § 15 Abs 3 S 2 MSchG, wonach bei saisonal schwankender Dienstnehmeranzahl das Erfordernis der Mindestanzahl der Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen als erfüllt gilt, wenn die Dienstnehmerzahl im Jahr vor dem Antritt der Teilzeitbeschäftigung durchschnittlich mehr als 20 Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen betragen hat. Es geht somit nicht um die personelle Zusammensetzung, sondern um die regelmäßige zahlenmäßige Stärke der Arbeitnehmerschaft (Kraft aaO 23), sohin um den „Beschäftigtenstand“. Wie häufig und in welchen Intervallen die einzelnen Arbeitnehmer herangezogen werden, ist dagegen nicht entscheidend.
[23] In der Regel nicht zu berücksichtigen sind folglich vorübergehende, fallweise und nur kurzfristige Über- oder Unterschreitungen der Zahlengrenze (s ErläutRV 399 BlgNR 22. GP 51), weil sie für gewöhnlich das Kriterium der Regelmäßigkeit nicht erfüllen. Aus diesem Grund kann es auch nicht darauf ankommen, ob gerade am Tag des Beschäftigungsantritts selbst mehr als 20 Dienstnehmer beschäftigt sind. Dass hier nicht feststeht, wie viele Dienstnehmer für den Beklagten am konkret tätig waren, schadet daher nicht.
[24] 6. An diesen Grundsätzen ist zu messen, ob fallweise Beschäftigte zu den „regelmäßig im Betrieb“ beschäftigten Dienstnehmern zu zählen sind.
[25] Fallweise Beschäftigte sind Personen, die in unregelmäßiger Folge tageweise beim selben Dienstgeber beschäftigt werden und deren Beschäftigung kürzer als eine Woche vereinbart ist (§ 33 Abs 3 ASVG). Dabei handelt es sich um einen Begriff aus dem Sozialversicherungsrecht, der für die arbeitsrechtliche Beurteilung nicht ausschlaggebend ist (9 ObA 55/20h [Pkt 4.]). Maßgeblich ist vielmehr die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse dieser Personen, nämlich die unregelmäßige unterbrochene Aneinanderreihung verschiedener, kurzzeitig befristeter Dienstverhältnisse. Aus arbeitsrechtlicher Sicht handelt es sich bei solchen fallweisen Beschäftigungen um aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse auf Basis einer Rahmenvereinbarung (8 ObA 8/14f [Pkt 2.] mwN). Da es für die Berücksichtigung eines Dienstnehmers weder auf die Befristung noch auf den Umfang der Beschäftigung ankommt, sind diese Dienstnehmer für die Mitarbeiterzahl nach § 15h Abs 1 S 1 Z 2 MSchG nicht von vornherein unerheblich, sondern bei der Prüfung des Beschäftigtenstands im dargelegten Sinn der Anzahl der regelmäßig beschäftigten Dienstnehmer zu berücksichtigen.
[26] 7. Dass es sich im konkreten Fall um freie Dienstnehmer handle, die bei der Ermittlung der Dienstnehmeranzahl nicht zu berücksichtigen wären, behauptet die Beklagte nicht.
[27] 8. Die Situation bei der Beklagten stellte sich für den Zeitpunkt des begehrten Antritts der Teilzeitbeschäftigung der Klägerin so dar, dass sie 14 Stammmitarbeiter und etwa 115 fallweise Beschäftigte hatte. Sie führt durchschnittlich etwa zwischen sieben und neun Doping-Kontrollen täglich durch, wobei teils mehrere Proben bei einem Event genommen werden und bei einer Kontrolle mindestens zwei Mitarbeiter anwesend sein müssen. Wie die Beklagte vorbrachte, ist der größte Teil der Dienstnehmer im Durchschnitt sechs Mal im Monat im Einsatz. Aus der vom Erstgericht dem Urteil beigefügten Beil ./5, einer Art „Einsatzliste“, geht überdies hervor, dass im Zeitraum Jänner bis Juni 2020 mindestens sieben vom Berufungsgericht exemplarisch genannte Arbeitnehmer wiederholt (in fünf von sechs Monaten) für die Beklagte tätig wurden, davon jeder einzelne monatlich durchschnittlich 16 bis 93 Stunden in diesen sechs Monaten. Mit Ausnahme von März/April 2020 (erster Lockdown) waren in den einzelnen Monaten jeweils mehr als 35 Mitarbeiter für die Beklagte tätig, im Juni 2020 etwa 49 Mitarbeiter an 27 Tagen. Das Berufungsgericht führte aus, dass begründet zu erwarten sei, dass zumindest sieben Dienstnehmer auch weiterhin in einer ähnlichen Häufigkeit zur Dienstleistung herangezogen werden. Das wird in der Revision auch nicht in Frage gestellt. Bei dieser Sachlage kann aber zwanglos davon ausgegangen werden, dass eine Anzahl von mindestens sieben fallweise zum Einsatz kommende Dienstnehmer nicht nur der Abdeckung eines bloß kurzfristigen und vorübergehenden, sondern eines laufend, nämlich nahezu täglich wiederkehrenden Bedarfs der Beklagten dient. Ausgehend vom Beurteilungszeitpunkt ist damit nicht weiter zweifelhaft, dass die Beklagte regelmäßig insgesamt mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigt.
[28] 9. Der Umstand, dass die Tätigkeiten der Klägerin und der fallweise Beschäftigten nicht ident sind, ist für die Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen nach § 15h MSchG nicht relevant. Der Gesetzgeber fordert keine Prüfung, ob genügend Arbeitnehmer mit vergleichbaren Tätigkeiten vorhanden sind, sondern stellt typisierend darauf ab, dass ab einer Dienstnehmerzahl von 21 betrieblich eine Umschichtung der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte möglich und zumutbar ist.
[29] Die weiteren Anwendungsvoraussetzungen des § 15h Abs 1 MSchG stehen hier nicht in Frage.
[30] 10. Zusammenfassend ist für die Inanspruchnahme einer Teilzeitbeschäftigung im Hinblick auf § 15h Abs 3 MSchG für den Zeitpunkt des Antritts der Teilzeitbeschäftigung zu prüfen, ob mehr als 20 Dienstnehmer regelmäßig im Betrieb beschäftigt werden. Da es dafür nicht auf die jeweiligen Personen, sondern auf die Anzahl der beschäftigten Dienstnehmer ankommt, können auch fallweise Beschäftigte zu diesen zu zählen sein. Da die Voraussetzung einer regelmäßigen Beschäftigung von mehr als 20 Dienstnehmern hier unter Berücksichtigung der fallweisen Beschäftigten der Beklagten erfüllt ist, besteht der Anspruch der Klägerin auf die begehrte Teilzeitbeschäftigung im Sinn ihres Hauptbegehrens zu Recht. Der Revision der Beklagten ist keine Folge zu geben.
[31] 11. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2021:E132854 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-69648