OGH 24.06.2021, 9ObA48/21f
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Frick (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C* W*, vertreten durch Doshi & Partner Rechtsanwälte OG in Feldkirch, gegen die beklagte Partei G* GmbH, *, vertreten durch Summer Schertler Kaufmann Droop Lerch Rechtsanwälte GmbH in Bregenz, wegen Kündigungsanfechtung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 9/21b-30, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 35 Cga 25/20b-24, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger stand bei der Beklagten von bis zum Abschluss der Lehre am in einem Lehrverhältnis. Ab war er bei der Beklagten unbefristet als Arbeiter beschäftigt. Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum auf. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Kollektivvertrag für ArbeiterInnen im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe (kurz: KollV) anzuwenden.
[2] Der Kläger ficht die Kündigung wegen eines verpönten Motivs im Sinne des § 105 Abs 3 Z 3 lit i ArbVG an.
[3] Die Beklagte bestritt das Vorliegen eines verpönten Motivs und beantragte die Abweisung der Klage.
[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren (ohne Feststellungen zum behaupteten Kündigungsmotiv zu treffen) ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass eine Kündigungsanfechtung im Sinne des ArbVG in Bezug auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Ablaufs der Behaltefrist nach einem Lehrverhältnis nicht zulässig sei.
[5] Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung Folge und hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf. Da das zwischen den Parteien neu begründete Arbeitsverhältnis das Lehrverhältnis nicht fortsetze, unterliege dieses dem allgemeinen Kündigungsschutz der §§ 105 ff ArbVG. Die während der Behaltefrist zu dessen Ende wirksam und termingerecht ausgesprochene Kündigung der Beklagten sei daher nach § 105 Abs 3 Z 3 lit i ArbVG anfechtbar.
[6] Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil zur Frage, ob allein wegen der noch nicht abgelaufenen Behaltefrist und trotz Arbeitsvertragsabschluss das Auflösungsregime der §§ 14, 15 BAG noch anwendbar sei, keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege.
[7] Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der „Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs) der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils.
[8] Der Kläger beantragt in seiner „Revisionsrekursbeantwortung“ (richtig: Rekurs-beantwortung), dem Rechtsmittel der Beklagten keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Rekurs der Beklagten ist zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
[10] 1. Gemäß § 18 Abs 1 Berufsausbildungsgesetz (BAG) ist der Lehrberechtigte verpflichtet, den Lehrling, dessen Lehrverhältnis mit ihm gemäß § 14 Abs 1 oder § 14 Abs 2 lit e endet, im Betrieb drei Monate im erlernten Beruf weiter zu beschäftigen. Die Pflicht zur Weiterbeschäftigung des Klägers ab lag hier vor, weil der Kläger nach erfolgreicher Lehrabschlussprüfung seine Lehre am beendet hatte (§ 14 Abs 2 lit e BAG). Gemäß Art IV Z 7 des KollV beträgt die Behaltefrist sechs Monate.
[11] 2. Die Weiterverwendungspflicht des ausgelernten Lehrlings bewirkt nicht schon einen automatischen Vertragsabschluss ex lege. § 18 Abs 1 BAG normiert lediglich eine einseitige Verpflichtung des Lehrberechtigten zum Abschluss eines entsprechenden Arbeitsvertrags. Bei der Weiterbeschäftigung des Lehrlings nach dem Ende der Lehrzeit wird nicht das bestehende Arbeitsverhältnis (= Lehrverhältnis) fortgesetzt, sondern ein neues Arbeitsverhältnis begründet (RS0053009 [T2]; Aust in Aust/Gittenberger/Knallnigg-Prainsack/Strohmayer, BAG2 § 18 Rz 7; Preiss/Spitzl in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 18 BAG Rz 6). In diesem Sinne haben die Parteien (unstrittig) schlüssig ab ein neues unbefristetes Arbeitsverhältnis abgeschlossen.
[12] 3. Wurde – wie hier – der Behaltepflicht durch Abschluss eines neuen unbefristeten Arbeitsverhältnisses entsprochen, kann dieses vom Arbeitgeber durch Kündigung aufgelöst werden, wobei die entsprechenden gesetzlichen und kollektivvertraglichen Bestimmungen über Kündigungsfristen und -termine einzuhalten sind (9 ObA 187/94; vgl 9 ObA 78/20s [Rz 29]; RS0014451; Aust in Aust/Gittenberger/Knallnigg-Prainsack/Strohmayer, BAG2 § 18 Rz 28, 31; Preiss/Spitzl in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 18 BAG Rz 13).
[13] 4.1. Das im Sinne des § 18 Abs 1 BAG zur Erfüllung der Weiterverwendungspflicht des ausgelernten Lehrlings (befristet oder unbefristet) abgeschlossene neue Arbeitsverhältnis unterliegt grundsätzlich (eine der Ausnahmebestimmungen des § 36 Abs 2 Z 1 bis 7 ArbVG liegt hier unstrittig nicht vor) dem allgemeinen Kündigungsschutz der §§ 105 ff ArbVG. Eine „Weitergeltung des besonderen Kündigungsschutzes für Lehrlinge“, wie die Beklagte in ihrem Rekurs behauptet, lässt sich mit den §§ 14, 15 BAG, die ausdrücklich auf das „Lehrverhältnis“ abstellen, nicht in Einklang bringen. § 14 BAG bestimmt in seinem Abs 1, dass das Lehrverhältnis mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit endet; Abs 2 leg cit enthält Tatbestände, bei deren Verwirklichung das Lehrverhältnis ex lege (automatisch) vor Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer endet. § 15 Abs 1 BAG sieht darüber hinaus bestimmte Arten der vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses durch die Vertragsparteien vor; § 15 Abs 3 BAG enthält Gründe, die den Lehrberechtigten zur vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses berechtigen.
[14] 4.2. Somit unterscheidet sich die Aufkündbarkeit des in Entsprechung der Weiterverwendungspflicht nach § 18 BAG auf unbestimmte Zeit neu eingegangenen Arbeitsverhältnisses wesentlich von der Aufkündbarkeit von Arbeitsverhältnissen, die dem besonderen Kündigungsschutz unterliegen. Letztere können rechtswirksam erst nach Ablauf der im jeweiligen Gesetz zwingend geregelten Schutzfrist ausgesprochen werden (vgl Aust in Aust/Gittenberger/Knallnigg-Prainsack/Strohmayer, BAG2 § 18 Rz 31). Nur solange der besondere Kündigungsschutz der Lehrlinge zur Unzulässigkeit der Kündigung während der Lehrzeit führt, ist der allgemeine Kündigungsschutz nicht relevant (RS0051423; Strohmayer in Aust/Gittenberger/Knallnig-Preinsack/Strohmayer, BAG2, § 15 Rz 6). Der allgemeine Kündigungsschutz greift dann aber nach Wegfall des besonderen Kündigungsschutzes im neuen Arbeitsverhältnis zur Erfüllung der Weiterverwendungspflicht des ausgelernten Lehrlings im Sinne des § 18 Abs 1 BAG.
[15] 4.3. Die Überlegungen der Rekurswerberin zum Fristablauf eines für die Dauer der Behaltezeit befristet abgeschlossenen Arbeitsverhältnisses tragen ihren gegenteiligen Rechtsstandpunkt nicht. Ein befristetes Arbeitsverhältnis wurde im vorliegenden Fall nicht vereinbart.
[16] 5. Zusammengefasst sind auf ein in Entsprechung der Weiterverwendungspflicht nach § 18 BAG auf unbestimmte Zeit neu eingegangenes Arbeitsverhältnis die Bestimmungen über den allgemeinen Kündigungsschutz der §§ 105 ff ArbVG anzuwenden.
[17] Dem Rekurs der Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts war daher nicht Folge zu geben.
[18] Der Kostenvorbehalt beruht auf den §§ 50, 52 ZPO.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2021:E132461 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
PAAAF-69616