OGH 17.02.2022, 9ObA153/21x
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T* R*, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei K* GmbH, *, vertreten durch Mag. Philipp Moritz, Rechtsanwalt in Graz, wegen 3.102,82 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsstreitwert: 1.142,68 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Ra 41/21b-26, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Nach § 1 Abs 1 der am kundgemachten und am in Kraft getretenen Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über Maßnahmen bei der Einreise aus Italien (BGBl II 87/2020) mussten Personen, die aus diesem Land nach Österreich einreisen wollten, ein (nicht älter als 4 Tage altes) ärztliches Zeugnis über ihren Gesundheitszustand mit sich führen und einen negativen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 vorweisen. Abweichend davon wurde bestimmten Personen, unter anderem jenen, die ihren Haupt- oder Nebenwohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben und sich zu einer unverzüglich anzutretenden 14-tägigen selbstüberwachten Heimquarantäne verpflichten, die Einreise erlaubt. Im Falle, dass ein während dessen durchgeführter molekularbiologischer Test auf SARS-CoV-2 negativ ist, konnte die Heimquarantäne beendet werden (§ 2 VO). Diese Verpflichtungen wurden mit VO vom (BGBl II 92/2020) auf die Länder Schweiz und Liechtenstein und mit VO vom (BGBl II 104/2020), in Kraft getreten am , auf die Länder Deutschland, Ungarn und Slowenien ausgedehnt.
[2] Der bei der Beklagten als Monteur beschäftigt gewesene Kläger ist ungarischer Staatsbürger. Am teilte die Beklagte ihm und den anderen Arbeitnehmern mit, dass sie vorerst zu Hause bleiben sollten, weil nicht sicher sei, ob auf der Baustelle weitergearbeitet werden könne. Am darauffolgenden Tag reiste der Kläger mit seiner Familie nach Ungarn, weil er zwei Wochen Urlaub nehmen wollte, um seine Familie zu besuchen und sein Haus zu renovieren. Nach seiner Wiedereinreise am musste er sich 14 Tage in selbstüberwachte Heimquarantäne begeben.
[3] Die Vorinstanzen wiesen die Compensandoforderung des Klägers auf Entgeltfortzahlung für diesen Zeitraum (8 Arbeitstage) ab. Der Kläger habe seine Dienstverhinderung leicht fahrlässig verschuldet, weil er sich weder zum Zeitpunkt des Antritts seiner Ausreise aus Österreich noch während seines Aufenthalts in Ungarn mit den entsprechenden Einreisebestimmungen auseinandergesetzt habe. Diese Verpflichtung habe unter anderem deshalb bestanden, weil aufgrund des damaligen Pandemiegeschehens mit Einreisebeschränkungen zu rechnen gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[5] 1. Gemäß § 1154b Abs 5 ABGB behält der Dienstnehmer ferner den Anspruch auf das Entgelt, wenn er durch andere wichtige, seine Person betreffende Gründe ohne sein Verschulden während einer verhältnismäßig kurzen Zeit an der Dienstleistung verhindert wird. Dass schon leichte Fahrlässigkeit den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers ausschließt (Rebhahn/Ettmayer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1154b Rz 23; vgl Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 8 AngG Rz 147; ua) zieht die außerordentliche Revision des Klägers nicht in Zweifel.
[6] 2. Leichte Fahrlässigkeit ist einem Arbeitnehmer vorzuwerfen, der es an der (gemessen an den jeweiligen Umständen des Einzelfalls) notwendigen Sorgfalt mangeln lässt (Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 8 AngG Rz 147). Der Arbeitnehmer muss – ausgehend von einer objektiven ex-ante-Betrachtung – alle ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um ein pünktliches Erscheinen am Arbeitsplatz zu ermöglichen (Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 8 AngG Rz 148; dieselbe, Urlaubsrechtliche Fragen anlässlich der COVID-19-Pandemie, ASoK 2020, 282 [289]; Engelbrecht, Reisen in Zeiten von COVID-19 aus arbeitsrechtlicher Sicht, ZAS 2021/4 [22]; Burger in Reissner, AngG³, § 8 Rz 87 mwN). Überdies ist nach herrschender Rechtsprechung jedermann verpflichtet, sich Kenntnis von den ihn nach seinem Lebenskreis betreffenden Gesetzesvorschriften zu verschaffen. Die Verletzung dieser Pflicht führt dann zu einem Verschuldensvorwurf, wenn bei Anwendung gehöriger Sorgfalt eines Durchschnittsmenschen die Rechtskenntnis in zumutbarer Weise erlangt hätte werden können (RS0013253).
[7] 3. Die angefochtene Entscheidung bewegt sich im Rahmen dieser Grundsätze. Einen Korrekturbedarf zeigt die außerordentliche Revision mit ihrem Argument, zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers aus Österreich sei diese noch mit keinen Konsequenzen verbunden gewesen, und die Einreisebestimmungen der VO BGBl II 104/2020 seien noch nicht in Kraft gestanden, nicht auf. Damit wird die Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger hätte sich in der damaligen Pandemiesituation zum Zeitpunkt des Antritts seiner Ausreise aus Österreich bzw während seines Aufenthalts in Ungarn über die entsprechenden Einreisebestimmungen informieren müssen, nicht entkräftet.
[8] 4. Sind die Vorinstanzen im Hinblick auf die Umstände des vorliegenden Einzelfalls in vertretbarer Weise von einem Verschulden des Klägers am Nichtzustandekommen der Arbeitsleistung ausgegangen, stellt sich die weitere in der außerordentlichen Revision als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, nämlich ob die mit einer Wiedereinreise nach Österreich verbundene Quarantäne an sich als wichtiger Grund im Sinne des § 1154b ABGB anzusehen ist, daher hier nicht. Die Vorinstanzen haben diese Rechtsfrage im Übrigen ohnedies übereinstimmend bejaht. Die ebenfalls in der Revision relevierte Frage, ob eine Dienstverhinderung von zwei Wochen (8 Arbeitstagen) einer „verhältnismäßig kurzen Zeit“ entspricht, muss – ausgehend von einem Verschulden des Klägers an der Dienstverhinderung – hier ebenfalls nicht beantwortet werden.
[9] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00153.21X.0217.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAF-69589