OGH 29.04.2021, 9ObA13/21h
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W***** S*****, vertreten durch Dr. Bernhard Birek, Rechtsanwalt in Schlüßlberg, gegen die beklagte Partei Land *****, vertreten durch die Jäger Loidl Welzl Schuster Schenk Rechtsanwälte OG in Linz, wegen 1. 98.246,55 EUR sA und 2. Feststellung (Streitwert: 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 58/20s-28, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 19 Cga 20/20x-23, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die Kostenentscheidung wird der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger war vom bis bei der Beklagten als Vertragsbediensteter beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch Dienstgeberkündigung mit Schreiben vom .
[2] In der Zeit von bis August 2017 wies der Kläger die Beklagte mehrmals mündlich auf seine Ansprüche auf Nachzahlung der Bezugskürzung, die Abfertigung und die Jubiläumszuwendung hin. Bei allen Gesprächen erhielt er die gleichlautende Auskunft, dass ihm die Ansprüche aufgrund des Gesetzes nicht zustünden. Mit Schreiben vom – beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung eingegangen am – forderte der Kläger die Beklagte zur Zahlung der Gehaltsdifferenz, des anteiligen Urlaubsgeldes, des Jubiläumsgeldes und der Abfertigung auf.
[3] Der Kläger begehrte mit der vorliegenden Klage von der Beklagten den Betrag von 98.246,55 EUR sA, bestehend aus 7.172,55 EUR an Gehaltsdifferenz aufgrund einer unberechtigten Gehaltskürzung, 5.000 EUR an Schadenersatz wegen Mobbing, 400 EUR an anteiligen Sonderzahlungen, 48.000 EUR an Schadenersatz für entgangenen Lohn, 5.382 EUR an Jubiläumsgeld und 32.292 EUR an Abfertigung. Weiters begehrte er die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden aus der Kündigung. Er sei seit 1993 gemobbt geworden, was zu einer ungerechtfertigten Gehaltskürzung und der Beendigung des Dienstverhältnisses geführt habe.
[4] Die Beklagte bestritt sämtliche Ansprüche schon dem Grunde nach und beantragte Klagsabweisung. Da das Dienstverhältnis berechtigt wegen gröblicher Dienstpflichtverletzung (§ 53 Abs 2 Z 1 Oö LVBG) und Nichterreichung eines angemessenen Arbeitserfolges (§ 53 Abs 2 Z 3 Oö LVBG) gekündigt worden sei, habe der Kläger keinen Abfertigungsanspruch. Überdies seien sämtliche Klagsansprüche mangels rechtzeitiger gerichtlicher Geltendmachung verfristet und verjährt.
[5] In seinem Teil- und Zwischenurteil wies das Erstgericht das Leistungsbegehren im Umfang von 65.954,55 EUR und auch das Feststellungsbegehren ab, stellte aber fest, dass die Klagsforderung in Ansehung eines allfälligen Abfertigungsanspruchs in der Höhe von 32.292 EUR brutto nicht verjährt sei (§ 393a ZPO). Zur Wahrung der Verfallsfrist des § 51 Abs 6 Oö LVBG sei die mündliche Geltendmachung des Abfertigungsanspruchs binnen sechs Monaten ab Beendigung des Dienstverhältnisses ausreichend gewesen.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, die sich gegen das klagsstattgebende Zwischenurteil, mit dem festgestellt wurde, dass die Klagsforderung in Ansehung eines allfälligen Abfertigungsanspruchs in Höhe von 32.292 EUR brutto nicht verjährt sei, statt und wies das Klagebegehren
– einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teiles – zur Gänze ab. Die Verhinderung des Verfalls nach § 51 Abs 6 Oö LVBG erfordere die gerichtliche (zumindest aber die schriftliche) Geltendmachung des Anspruchs. Diese Auslegung beruhe zum einen auf dem Wortlaut der Bestimmung und zum anderen auf dem aus den Gesetzesmaterialien ersichtlichen Willen des Landesgesetzgebers. Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, da keine Rechtsprechung zur Frage bestehe, welche Form der Geltendmachung § 51 Abs 6 Oö LVBG zur Anspruchswahrung verlange.
[7] In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision des Klägers ist zulässig; sie ist auch berechtigt.
[10] 1. Auf das zwischen den Parteien bestandene Landesvertragsbedienstetenverhältnis ist unstrittig das Oö Landes-Vertragsbedienstetengesetz (Oö. LVBG) anzuwenden (§ 2 Abs 1 leg cit).
[11] 2. Gemäß § 56 Abs 1 Oö LVBG gebührt dem Vertragsbediensteten beim Enden des Dienstverhältnisses eine Abfertigung. Gemäß § 56 Abs 2 Z 2 Oö LVBG besteht der Anspruch dann nicht, wenn das Dienstverhältnis vom Dienstgeber nach § 53 Abs 2 Z 1, 3 oder 6 gekündigt wurde.
[12] 3. § 51 Abs 6 Oö LVBG lautet:
[13] „Sämtliche Leistungs-, Feststellungs- und rechtsgestaltende Begehren und Ansprüche aus dem Titel der Beendigung eines Dienstverhältnisses können bei sonstigem Ausschluss nur binnen sechs Monaten nach Ablauf des Tages des Zugangs der Beendigungserklärung geltend gemacht werden. Die Sechsmonatsfrist gilt auch für den Fall der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Rückversetzung in ein kündbares Dienstverhältnis.“
[14] 4. Nach der Rechtsprechung (9 ObA 94/16p Pkt. 10) wird der Fristbeginn des § 51 Abs 6 Oö LVBG so verstanden, dass die sechsmonatige Ausschlussfrist mit der Fälligkeit des Abfertigungsanspruchs zu laufen beginnt. Sie endete im Anlassfall daher am , also zu einem Zeitpunkt, in dem der Kläger seinen Anspruch zwar mündlich, aber weder schriftlich noch gerichtlich geltend gemacht hatte. Dies ist zwischen den Parteien auch nicht weiter strittig. Fraglich ist nur, welche Form zur Fristwahrung eingehalten werden muss.
[15] 5.1. Am Anfang jeder Gesetzesauslegung steht die wörtliche (sprachliche, grammatikalische) Auslegung, die nach dem Wortsinn der Norm und innerhalb des durch den äußerst möglichen Wortsinn abgesteckten Rahmens nach der Bedeutung eines Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch oder dem des Gesetzgebers und in seinem Zusammenhang innerhalb der Regelung fragt (RS0008896 [T4]). Die Gesetzesauslegung darf aber nicht bei der Wortinterpretation stehen bleiben. Zu berücksichtigen sind auch der Zusammenhang der auszulegenden Worte und Sätze mit anderen Worten und Sätzen der betreffenden Gesamtregelung und ihre systematische Stellung (logisch-systematische Auslegung; RS0008787), die – mit besonderer Vorsicht anzuwendende – historische Auslegung anhand der Feststellung des Willens des geschichtlichen Gesetzgebers anhand der Gesetzesmaterialien (RS0008776) und letztlich die objektiv-teleologische Interpretation, nämlich das Erfassen des Sinnes einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung, wobei der Auslegende die gesetzgeberische Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe selbständig weiter und zu Ende zu denken hat (RS0008836). Der äußerst mögliche Wortsinn steckt die Grenzen jeglicher Auslegung ab, die auch mit den sonstigen Interpretationsmethoden nicht überschritten werden darf (RS0008788 [T1, T2, T3]).
[16] 5.2. § 51 Abs 6 Oö LVBG schränkt die zur Anspruchswahrung gesetzlich vorgesehene Geltendmachung nicht auf eine bestimmte Form (gerichtlich, schriftlich) ein. Nach dem Wortlaut der Bestimmung ist daher – anders als es etwa die Bestimmungen der § 34 AngG, 1162d ABGB, § 34 GutsangestelltenG, § 38 Theaterarbeitsgesetz vorsehen – grundsätzlich jede Form der Geltendmachung (außergerichtlich oder gerichtlich, mündlich oder schriftlich) ausreichend.
[17] 5.3. Aus der systematischen Stellung (dem Gesamtzusammenhang) der in Rede stehenden Bestimmung kann für die Auslegung nichts Entscheidendes gewonnen werden. Ein Wertungswiderspruch zur Verjährungsregelung des § 21a Abs 2 Oö LVBG, wonach für die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung eine schriftliche Geltendmachung des Anspruchs gefordert wird, ist auch dann, wenn § 51 Abs 6 Oö LVBG jegliche Form der Geltendmachung zur Anspruchswahrung der Beendigungsansprüche zulässt, nicht zu erkennen. Es ist durchaus verständlich, zur Verhinderung des Verlustes von Ansprüchen des Dienstnehmers während des aufrechten (unter Umständen nicht friktionsfreien) Dienstverhältnisses eine schriftliche Geltendmachung zu fordern, nach Beendigung desselben jedoch eine mündliche Geltendmachung ausreichen zu lassen.
[18] 5.4. Im Übrigen wird auch zu kollektivvertraglichen und arbeitsvertraglichen Verfalls-
regelungen, die nicht ausdrücklich vorsehen, dass die Frist nur durch gerichtliche Geltendmachung gewahrt werden kann, der Standpunkt vertreten, dass in diesen Fällen das außergerichtliche, rechtzeitig gestellte Verlangen auf Zahlung des in Rede stehenden Anspruchs zur Fristwahrung ausreicht (RS0008876; 9 ObA 92/07f; 8 ObA 9/09w [Pkt. VIII]; Preiss in ZellKomm³ § 1486 ABGB Rz 71).
[19] 5.5. Entstehungsgeschichte und Gesetzes-
materialien sind für die Auslegung nur dann maßgeblich, wenn die Ausdrucksweise des Gesetzes zweifelhaft ist (RS0008800); ansonsten ist ein kundgemachtes Gesetz aus sich selbst auszulegen (RS0008806). Die historische Auslegung, die Feststellung des Willens des geschichtlichen Gesetzgebers an Hand der Gesetzesmaterialien, bedarf besonderer Vorsicht, weil diese Materialien nicht Gesetz geworden sind und mit dem wahren (finalen) Willen des Gesetzgebers nicht übereinstimmen müssen (RS0008776 [T4]). Nach den Gesetzesmaterialien zum ersten Satz des mit dem 2. Oö Landes- und Gemeinde-Dienstrechtsänderungs-
gesetz 2011, LGBl 2011/100, eingeführten § 51 Abs 6 Oö LVBG, ist diese Einfügung „eine Klarstellung im Sinn der bisherigen Auslegung und Praxis der Arbeits- und Sozialgerichte. Unter analoger Heranziehung des § 34 AngG bzw § 1162a ABGB (vergleichbare Bestimmungen finden sich auch im § 34 GAngG und § 38 Theaterarbeitsgesetz) verjährten schon bislang bei einer vorzeitigen Lösung des Dienstverhältnisses Leistungs-, Feststellungs- und rechtsgestaltende Begehren und Ansprüche aus diesem Dienstverhältnis, wenn diese nicht binnen sechs Monaten nach Zugang der Beendigungserklärung gerichtlich geltend gemacht wurden“ (AB Blg 477/2011 Oö LT XXVII. GP S 22 = RV Blg 414/2011 Oö LT XXVII. GP S 23). Diese Gesetzesmaterialien sind im vorliegenden Fall für die Auslegung aber nicht maßgeblich, weil in § 51 Abs 6 Oö LVBG nicht einmal angedeutet ist, dass die Geltendmachung des Anspruchs nur in einer bestimmten Form, also schriftlich oder sogar gerichtlich, zu erfolgen hat (vgl RS0008799).
[20] 5.6. Letztlich führt aber auch die objektiv-teleologische Interpretation, nämlich das Erfassen des Sinnes einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung, nicht zu dem von der Beklagten gewünschten Ergebnis. Dem Ziel der Verfallsfrist, nämlich dem Dienstgeber in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum nach der Beendigung des Dienstverhältnisses Klarheit über die aus Sicht des Dienstnehmers noch offenen Ansprüche zu verschaffen (vgl 9 ObA 163/05v), wird auch eine außergerichtliche, mündliche Geltendmachung gerecht.
[21] 6. Zusammengefasstist § 51 Abs 6 Oö LVBG dahin auszulegen, dass es zur Anspruchswahrung genügt, wenn ein Abfertigungsanspruch nach diesem Landesgesetz binnen sechs Monaten nach dessen Fälligkeit (Ende des Dienstverhältnisses; vgl 9 ObA 94/16p Pkt. 10) außerge-
richtlich und mündlich gegenüber dem Dienstgeber geltend gemacht wird.
[22] Der Revision des Klägers ist daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.
[23] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00013.21H.0429.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAF-69579