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OGH 27.01.2022, 9ObA128/21w

OGH 27.01.2022, 9ObA128/21w

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. N* B*, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält-Innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei W* GmbH, *, vertreten durch Körber-Risak Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 134.374,82 brutto, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsstreitwert: 73.293,45 EUR brutto sA), gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 52/21x-31, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Beklagte kündigte das Dienstverhältnis des Klägers zunächst zum auf. Die Kündigungsanfechtung des Klägers war erfolgreich (Ersturteil vom , Berufungsurteil vom ).

[2] Eventualiter sprach die Beklagte am die Kündigung des Klägers zum aus. Auch diese Kündigung focht der Kläger wegen Sozialwidrigkeit (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG) an.

[3] Mit der vorliegenden Klage vom begehrte der Kläger von der Beklagten ua das laufende Entgelt und eine jährliche Bonuszahlung von 25.000 EUR für den Zeitraum bis , eine Treueprämie, eine Ausgleichszulage, Pensionskassenbeiträge sowie einen Differenzbetrag aus der bereits gezahlten Abfertigung (alt) und der gezahlten Urlaubsersatzleistung.

[4] Mit Urteil vom , den Parteien am zugestellt, wurde die Eventualkündigung für rechtsunwirksam erklärt.

[5] Zunächst fällte das Erstgericht am ein Teilurteil, mit dem es dem Klagebegehren mit 651.685,96 EUR brutto sA stattgab. Es sprach dem Kläger gemäß § 1155 ABGB das laufende Entgelt sowie einen Teil der begehrten Bonuszahlungen bis , die geltend gemachten Pensionskassenbeiträge sowie die Differenz der Abfertigung alt ohne Berücksichtigung der Ausgleichszulage und auf Basis der festgestellten Bonuszahlungen (mindestens 22.089,95 EUR jährlich) zu.

[6] Mit Teilanerkenntnisurteil vom gab das Erstgericht dem restlichen Klagebegehren von 61.081,37 EUR brutto sA (Ausgleichszulage, restlicher Bonus, Treueprämie) statt und wies das Klagebegehren im Umfang von 73.293,45 EUR brutto sA (restliche Differenz Abfertigung und Urlaubsersatzleistung) mit Endurteil ab. Die Klagsabweisung stützte es darauf, dass zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung am das Dienstverhältnis infolge der erfolgreichen Kündigungsanfechtungsklage (Ersturteil vom ) im Hinblick auf die vorläufige Urteilswirkung gemäß § 61 ASGG aufrecht gewesen sei. Der Zuspruch der geltend gemachten Beendigungsansprüche setze aber eine Beendigung des Dienstverhältnisses voraus.

[7] Das Berufungsgericht teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts, gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Kläger vermag in seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision eine solche Rechtsfrage auch nicht aufzuzeigen.

[9] 1. Allgemein wird mit Wirksamwerden der Kündigung das Arbeitsverhältnis zum Kündigungstermin beendet. Wird der Rechtsgestaltungsklage auf Anfechtung einer Kündigung (nach § 105 ArbVG) rechtskräftig stattgegeben, so wird die Kündigung für rechtsunwirksam erklärt. Sie wird ex tunc vernichtet. Das Arbeitsverhältnis lebt mit all seinen Rechten und Pflichten rückwirkend wieder auf (9 ObA 25/16s [Pkt 11.]; 8 ObS 9/19k; RS0052018 [T9]).

[10] 2.1. Wird schon – wie hier – der Kündigungsanfechtung mit einem erstinstanzlichen Urteil stattgegeben, so hat der Arbeitnehmer aufgrund der vorläufigen Wirksamkeit des Urteils gemäß § 61 ASGG sogar schon während des laufenden Verfahrens Anspruch auf das Entgelt nach § 1155 ABGB, allerdings nur vorläufig. Wird die Anfechtungsklage später endgültig abgewiesen, so muss der Arbeitnehmer die für die Dauer des Prozesses erhaltenen Beträge zurückzahlen. Die Folge dieser vorläufigen Verbindlichkeitswirkung nach § 61 ASGG besteht darin, dass das Arbeitsverhältnis vorläufig als fortbestehend fingiert wird, was die vorläufige Anwendbarkeit des § 1155 ABGB ermöglicht, der ein Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraussetzt (8 ObS 10/15a [Pkt 2.2] mwN; RS0113094; Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 61 ASGG Rz 18 mwN). Die Änderung der materiellen Rechtslage durch das erstgerichtliche Rechtsgestaltungsurteil bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 61 Abs 1 ASGG tritt mit der Urteilszustellung für die weitere Prozessdauer ein (Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 61 ASGG Rz 17). Auch in anderen Prozessen zwischen den Arbeitsvertragsparteien besteht eine Bindung an diese neu geschaffene Rechtslage (Kodek in Sonntag, ASGG § 61 Rz 21; Konecny, Wirkungen erstinstanzlicher Urteile in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten gemäß § 61 ASGG, ZAS 1986, 155 [160] mwN; Schrank, Wichtige Anwendungsfragen zur vorläufigen Wirksamkeit erstinstanzlicher Urteile nach § 61 ASGG, RdW 1987, 86 [90 f]; vgl allgemein zur Wirkung der Gestaltungskraft gegen jedermann Rechberger, ZPO5 Vor § 390 ZPO Rz 36 und Klicka in Fasching/Konecny³ III/2 § 411 ZPO Rz 160).

[11] 2.2. Die gegenteilige Rechtsansicht des Klägers, die vorläufige Verbindlichkeitswirkung des § 61 ASGG trete nur dann ein, wenn sich der Arbeitnehmer darauf berufe, findet weder in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch im Schrifttum eine Stütze. Auch Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht6 § 105 Rz 186, auf welche Autorin sich die Revision beruft, hält fest, dass während der Zeit, in der das Urteil erster Instanz vorläufig wirksam ist, sämtliche Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis aufrecht sind. Die Autorin spricht sich (nur) dafür aus, dass der Arbeitnehmer aber nicht dazu gezwungen werden dürfe, aufgrund eines noch nicht rechtskräftigen Urteils das Arbeitsverhältnis wieder aufzunehmen, wenn ihm dies, etwa weil er in der Zwischenzeit ein anderes Arbeitsverhältnis eingegangen sei, nicht zumutbar sei. Diese Frage stellt sich im gegenständlichen Verfahren aber nicht.

[12] 2.3. Die außerordentliche Revision führt zwar insoweit zutreffend aus, dass unter dem Begriff „Ansprüche auf das rückständige laufende Arbeitsentgelt“ in § 61 Abs 1 Z 1 ASGG die Beendigungsansprüche nicht erfasst sind (vgl Kuderna, ASGG² § 61 Anm 11; Feitzinger-Tades, ASGG², 61 ASGG Anm 6), dies ändert aber nichts an der durch die rechtsgestaltende Wirkung des klagsstattgebenden Ersturteils neu geschaffenen materiellen Rechtslage. Insofern bestimmt § 61 Abs 1 Z 1 ASGG nur die Verfahren („Rechtsstreitigkeiten ... über“), in denen der Erstentscheidung eine vorläufig verbindliche Wirkung zukommt und bezieht sich nicht unmittelbar auf die Ansprüche, hinsichtlich dieser eine sofortige Vollstreckbarkeit in Frage kommt (Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 61 ASGG Rz 12). Die vom Kläger relevierte Rechtsfrage, ob die Kündigungsanfechtungsklage nach § 105 ArbVG der Bestimmung des § 61 Abs 1 Z 1 ASGG oder jener des § 61 Abs 1 Z 5 ASGG unterfällt, ist daher im Anlassfall nicht entscheidend.

[13] 3. Ausgehend von der materiellen Rechtslage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz (RS0036969) sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass die für einen Zuspruch der begehrten Beendigungsansprüche (Abfertigung und Urlaubsersatzleistung) – unstrittig – erforderliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht vorlag. Dass es im Anlassfall nicht auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz ankäme, behauptet der Kläger weder im Berufungsverfahren noch begründet er damit eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO, sodass der Oberste Gerichtshof darauf nicht weiter eingehen musste (vgl RS0107501; § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[14] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00128.21W.0127.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
TAAAF-69577

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