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OGH 25.11.2021, 9Ob73/21g

OGH 25.11.2021, 9Ob73/21g

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A* und 2. A* F*, beide *, beide vertreten durch Dr. Stefan Rieder, Rechtsanwalt in Salzburg, sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Parteien Stadtgemeinde S*, vertreten durch Dr. Bernhard Zettl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei S* AG *, vertreten durch Zumtobel Kronberger Rechtsanwälte OG in Salzburg, sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei G* GmbH, *, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 10.759,12 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 53 R 117/21v-41, womit infolge Berufung der klagenden Parteien und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 23 C 27/20g-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der klagenden Parteien wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei je die mit 946,39 EUR (darin 157,73 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks mit einer an das Nachbargrundstück grenzenden Mauer. Bei diesem Nachbargrundstück handelt es sich um eine öffentliche Straße, die im Eigentum der auf Seiten der Kläger beigetretenen Nebenintervenientin (kurz: Stadt) steht. Im Frühjahr 2018 führte das auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenientin beigetretene Bauunternehmen auf der Straße Grabe- und Einbauarbeiten (Verlegung von Strom- und Lehrrohren) durch. Den Auftrag für diese Arbeiten hatte die S* GmbH der Beklagten erteilt, die wiederum das Bauunternehmen beauftragt hatte. Zwischen der Stadt und der Beklagten (als damalige Leitungsbetreiberin) besteht ein Übereinkommen aus dem Jahr 1992 (novelliert 2003), das der Verwaltungsvereinfachung für Grabe- und Einbauarbeiten an im Eigentum der Stadt stehenden öffentlichen Grundstücken dient. Die Stadt hatte der S* GmbH, deren Alleingesellschafterin die Beklagte ist, vor Baubeginn die Grabe- und Einbauerlaubnis erteilt.

[2] Die Kläger behaupteten, dass ihre Mauer durch die Arbeiten des Bauunternehmens beschädigt worden sei und begehrten von der Beklagten – gestützt auf die nachbarrechtliche Haftung nach den §§ 364, 364a und 364b ABGB sowie (deliktischen) Schadenersatz – den Ersatz eines Teils der Schadensbehebungskosten.

[3] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete im Wesentlichen ein, dass sie nicht passiv klagslegitimiert sei. Sie sei weder Nachbar der Kläger noch hafte sie für ein allfälliges Fehlverhalten der auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenientin schadenersatzrechtlich.

[4] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Nicht die Beklagte habe Bauarbeiten im eigenen Verantwortungsbereich auf der öffentlichen Straße vorgenommen, sondern diese habe lediglich einen Auftrag für solche Arbeiten von der S* GmbH übernommen und diesen an das Bauunternehmen weitergegeben. Störende Immissionen beim Leitungsbau seien daher allenfalls von der S* GmbH ausgegangen. Zwischen der Beklagten und der Stadt habe auch keine Sonderbeziehung bestanden, mit der ein nachbarrechtlicher Anspruch begründet werden könnte. Mangels eines zwischen den Parteien bestandenen Vertragsverhältnisses scheide auch eine Schadenersatzhaftung der Beklagten nach § 1295 iVm § 1313a ABGB aus.

[5] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil es zur Rechtssicherheit über den Anlassfall hinausgehend einer vertiefenden Klarstellung bedürfe, ob ein Sonderverhältnis eines Betreibers von Versorgungsleitungen zum Eigentümer eines öffentlichen Straßengrundstücks auch dann besteht, wenn ein Übereinkommen über Rechte und Pflichten zwischen der Stadtgemeinde und der Leitungsbetreiberin als Aktiengesellschaft geschlossen worden sei, später aber der Auftrag für Grabe- und Einbauarbeiten von einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft als GmbH erteilt worden sei, die von der ursprünglichen Aktiengesellschaft abgesplittet worden sei und sich anlässlich der Auftragserteilung der Leitungsbetreiberin als Aktiengesellschaft als Subunternehmerin bedient habe.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die gegen die Berufungsentscheidung erhobene Revision der Kläger ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[7] 1. Die vom Berufungsgericht bezeichnete Rechtsfrage stellt sich hier nicht. Dieser Frage liegt nämlich zugrunde, dass die Beklagte „Leitungsbetreiberin“ ist. Dies ist aber nicht der Fall. Das Stromleitungsnetz der Stadt betreibt seit 2005 die S* GmbH, ein Tochterunternehmen der Beklagten. Dies wird in der Revision der Kläger auch nicht in Frage gestellt.

[8] Eine andere im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage zeigt die Revision der Kläger nicht auf.

[9] 2.1. Die übereinstimmende Rechtsauffassung der Vorinstanzen, die Beklagte sei für einen aus nachbarrechtlichen Bestimmungen abgeleiteten Ersatzanspruch passiv nicht legitimiert, ist im konkreten Fall nicht zu beanstanden. Richtig ist, dass die nachbarrechtlichen Ansprüche auch im Verhältnis zwischen einem Privatgrundstück und einer öffentlichen Straße gelten, die nach der Rechtsprechung als behördlich genehmigte Anlage iSd § 364a ABGB gilt (RS0010565; RS0010596).

[10] 2.2. Nach der Rechtsprechung haftet nicht nur der Eigentümer des Nachbargrundstücks für den durch Immissionen der in § 364a ABGB umschriebenen Art verursachten Schaden, sondern jeder, der die Beeinträchtigung durch eine, wenn auch behördlich genehmigte Anlage herbeiführt (RS0010519). Der Anspruch besteht nicht nur gegen den Grundeigentümer, sondern gegen jeden, der das Grundstück für seine Zwecke nutzt (RS0010519 [T2]; RS0010654 [T1, T17]), wobei eine Beziehung zum emittierenden Grundstück bzw ein „gewisser Zusammenhang zwischen Sachherrschaft und Immission“ gefordert wird (9 Ob 1/18i Pkt 5.). Ein derartiges Sonderverhältnis, das die Revision im Verwaltungsübereinkommen aus dem Jahr 2003 begründet sieht, weil die Kläger nicht wissen konnten, dass im Jahr 2005 eine Auslagerung des Teilbetriebs „Netz“ von der Beklagten an die S* GmbH erfolgt ist, besteht hier zwischen der Stadt als Eigentümerin des öffentlichen Grundstücks und der Beklagten als bloße Auftragnehmerin (Subunternehmerin) der S* GmbH aber nicht.

[11] 2.3. Als Nichtnachbar wird die Beklagte, die den Auftrag für die Bauarbeiten von der S* GmbH erhielt und damit die auf ihrer Seite beigetretene Nebenintervenientin, das selbständige Bauunternehmen, mit den Bauarbeiten beauftragt hat, bloß dadurch, dass dieses Baunternehmen anlässlich der Auftragserfüllung Immissionen von und nach Liegenschaften Dritter verursacht hat, aber nicht selbst zum verschuldensunabhängig nach §§ 364 f ABGB ausgleichspflichtigen Nachbarn. Es kommt hier auch nicht darauf an, dass die Beklagte als Gesellschafterin rechtlich in der Lage wäre, der Geschäftsführung der GmbH Weisungen zu erteilen (8 Ob 8/20i Pkt 4.). Abgesehen davon wird nach der Rechtsprechung eine „nachbarrechtliche“ Passivlegitimation des Bauunternehmers für Immissionen verneint, die seine Leute bei Erfüllung eines Auftrags des Liegenschaftseigentümers verursacht haben (RS0010598). Ein bloßes wirtschaftliches Interesse an der Erfüllung des Auftrags begründet die verschuldensunabhängige nachbarrechtliche Haftung nicht (8 Ob 8/20i Pkt 3.).

[12] 2.4. Auch aus den Entscheidungen 6 Ob 608/95 und 6 Ob 216/13b ist mangels mit dem gegenständlichen Fall vergleichbarer Sachverhalte für den Standpunkt der Kläger nichts zu gewinnen. In 6 Ob 608/95 (RdU 1996/133 [krit Kerschner]) war die Beklagte die Generalunternehmerin der Bauunternehmungen, die durch die Benutzung der öffentlichen Straße durch LKW das Haus der dortigen Klägerin schädigten. Zudem ging es um die Benutzung der Straße als behördlich genehmigte Anlage und nicht um Bauarbeiten an dieser. In 6 Ob 216/13b (immolex 2014/55 [Limberg] = RdU 2014/55 [Schickmair] = ZVB 2014/51 [Oppel] = EvBl 2014/95 [Schima]) war die Beklagte zwar Eigentümerin der Nachbarliegenschaft der Klägerin, die Immission ging aber nicht (direkt) von einem „Baubetrieb“ aus, sondern der Baustellenverkehr, also die „normale“ Nutzung einer öffentlichen Straße verursachte die Schäden an der Liegenschaft der Kläger. Das Erfordernis des Vorliegens einer von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit der nachbarrechtlichen Haftung geforderten „Sonderrechtsverhältnisses“ zwischen dem unmittelbaren Störer und dem Eigentümer des Nachbargrundstücks, musste nicht hinterfragt werden, weil diese Sonderbeziehung vorlag.

[13] 3. Soweitdie Revision einen deliktischen Schadenersatzanspruch damit begründen will, dass das bauausführende Unternehmen sorgfaltswidrig vorgegangen sei und daher eine gegen ÖNormen verstoßende Schutzgesetzverletzung im Sinne des § 1311 ABGB vorliege, welche eine Zurechnung (über § 1315 ABGB hinaus) qua § 1313a ABGB erlaube, übersieht sie, dass ÖNormen, die nicht durch konkrete Rechtsvorschriften für verbindlich erklärt wurden, nur insofern Bedeutung haben, als sie zum Gegenstand von Verträgen gemacht wurden (vgl RS0038622). Ein Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen liegt aber unstrittig nicht vor.

[14] 4. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung auf Grundlage des von den Klägern in ihrer Berufung unbekämpften Sachverhalts getroffen. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nach § 503 Abs 1 Z 3 ZPO kann nicht als Ersatz für eine im Revisionsverfahren unzulässige Beweisrüge herangezogen werden (RS0117019).

[15] Die Revision der Kläger ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

[16] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte und ihre Nebenintervenientin haben auf die Unzulässigkeit der Revision der Kläger in ihren Revisionsbeantwortungen hingewiesen (RS0035979).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2021:0090OB00073.21G.1125.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
NAAAF-69553