OGH 24.06.2021, 9Ob23/21d
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei E***** P*****, vertreten durch Dr. Anton Hintermeier ua, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei W***** P*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloß ua, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Unterhalt, über die „außerordentliche“ Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom , GZ 23 R 456/20m-24, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Gegenstand des Berufungsverfahrens war das Begehren der Klägerin, ihr neben in der Vergangenheit aufgelaufenen Rückständen ab Unterhalt von monatlich 93,21 EUR zu leisten. Das Berufungsgericht sprach der Klägerin monatlich 10 EUR an laufendem Unterhalt zu und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Die vom Erstgericht verfügte Vorlage des als „außerordentliche“ Revision bezeichneten Rechtsmittels des Beklagten an den Obersten Gerichtshof ist verfrüht.
[2] Die Ermittlung des Werts des vom Berufungsgericht behandelten Entscheidungsgegenstands richtet sich nach den allgemeinen Bewertungsvorschriften der JN (§ 500 Abs 3 ZPO). Er bestimmt sich beim Unterhalt nach § 58 Abs 1 JN mit dem 36-fachen des monatlichen Unterhalts, wobei für die Bewertung des Entscheidungsgegenstands des Berufungsgerichts der 36-fache Betrag jenes monatlichen Unterhaltsbeitrags maßgeblich ist, der zum Zeitpunkt der Entscheidung zweiter Instanz zwischen den Parteien noch strittig war (RS0122735). Dabei ist nur auf den laufenden Unterhalt abzustellen. Bereits fällig gewordene Beträge sind nicht gesondert zu berücksichtigen (RS0114353 [insb T1]; RS0122735 [insb T5, T8]). Der Wert des Entscheidungsgegenstands im Berufungsverfahren betrug hier demnach 3.355,56 EUR (36 x 93,21 EUR).
[3] Übersteigt aber der Entscheidungsgegenstand insgesamt 30.000 EUR nicht und hat das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt, ist gemäß § 502 Abs 4 ZPO in den in § 49 Abs 2 Z 1 und 2 JN bezeichneten familienrechtlichen Streitigkeiten die Revision, außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO, jedenfalls unzulässig. In diesem Fall kann eine Partei nur gemäß § 508 Abs 1 und 2 ZPO binnen vier Wochen nach Zustellung des Berufungsurteils den beim Erstgericht einzubringenden Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde. Ein solcher Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, muss die Gründe dafür anführen, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 502 Abs 1 ZPO die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsmittelwerber in dem Schriftsatz keinen Antrag im Sinn des § 508 Abs 1 ZPO gestellt hat, weil dieser Mangel gemäß § 84 Abs 3 ZPO einer Verbesserung zugänglich ist (RS0109620).
[4] Das Rechtsmittel des Beklagten wäre vom Erstgericht daher nicht dem Obersten Gerichtshof, sondern allenfalls gemäß § 507b Abs 2 ZPO dem Berufungsgericht vorzulegen gewesen (s RS0109620, RS0109623). Ob der Schriftsatz den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder ob er einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RS0109501 [T12]; RS0109623 [T5]).
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei * P*, vertreten durch Dr. Anton Hintermeier ua, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei * P*, vertreten durch Dr. Stefan Gloß ua, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Unterhalt (Revisionsinteresse: 970 EUR sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom , GZ 23 R 456/20m-24, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom , GZ 18 C 22/20p-19, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 335,64 EUR (darin 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Der Oberste Gerichtshof ist an den – hier nachträglich erfolgten – Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Zurückweisung der Revision des Beklagten kann sich auf die Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[2] Mit Kaufvertrag vom übertrugen die Streitteile eine in ihrem Miteigentum stehende Liegenschaft ihrem Sohn ins Alleineigentum. Dieser räumte ihnen an je einer Wohnung ein lebenslanges und unentgeltliches, nicht übertragbares Wohnungsgebrauchsrecht ein und verpflichtete sich, sämtliche Betriebs- und Erhaltungskosten zu tragen. Das unentgeltliche und lebenslange Wohnungsgebrauchsrecht ist mit einem Betrag von jeweils 5.000 EUR pro Jahr bewertet. Weder die Klägerin noch der Beklagte haben für die Benützung ihrer Wohnungen Ausgaben.
[3] Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom wurde die Ehe der Streitteile aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden. Beide Streitteile befinden sich in Pension.
[4] Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin vom Beklagten die Zahlung von seit rückständigem sowie laufenden monatlichen Unterhalt. Die Vorinstanzen haben das Wohnungsgebrauchsrecht der Klägerin als bedarfsmindernd beurteilt (Wohnkostenersparnis, s RS0047254). Das Berufungsgericht bezog darüber hinaus das Wohnungsgebrauchsrecht des Beklagten in die Unterhaltsbemessungsgrundlage mit ein und gab dem Klagebegehren teilweise Folge.
Rechtliche Beurteilung
[5] In seiner dagegen gerichteten – hier nachträglich zugelassenen – Revision zeigt der Beklagte keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:
[6] 1. Der Beklagte richtet sich gegen die Einbeziehung des ihm zukommenden Wohnungsgebrauchsrechts in die Unterhaltsbemessungsgrundlage. Eine pauschale Gleichsetzung der Wohnungsgebrauchsrechte der beiden Streitteile sei nicht gerechtfertigt. Das ihm zukommende Wohnungsrecht sei höchstpersönlicher Art und in Geld nicht verwertbar. Wenn er berechtigterweise aus dieser Wohnung ausziehe, beziehe er daraus keinen wirtschaftlichen Nutzen.
[7] Nach ständiger Rechtsprechung zählen zum als Unterhaltsbemessungsgrundlage dienenden Einkommen alle tatsächlich erzielten Einnahmen des Unterhaltspflichtigen in Geld oder geldwerten Leistungen, über die er verfügen kann (RS0107262; s auch RS0013386). Bloß freiwillig geleistete, jederzeit widerrufliche Zuwendungen von Familienangehörigen, die ohne rechtliche Verpflichtung aus familiären Gründen erbracht werden, fallen nicht darunter (RS0107262 [T10, T12, T20]; RS0129468). In diesem Zusammenhang wurde die in der kostenlosen Wohnmöglichkeit liegende Ersparnis daher nicht als regelmäßiges Einkommen angesehen (RS0107262 [T10, T12]). Diese Rechtsprechung ist in der Literatur insofern auf Kritik gestoßen, als freiwillige Leistungen ungeachtet des für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Leistungsfähigkeitsprinzips ausgeklammert werden, wodurch eine Ungleichbehandlung von Unterhaltsberechtigten und -verpflichteten entstehen kann (Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 Rz 305 f; Schwimann/Kolmasch Unterhaltsrecht9 21 ff). Eine derartige Zuwendung liegt hier aber nicht vor, weil der Beklagte – nicht anders als die Klägerin – einen Rechtsanspruch auf das ihm eingeräumte Wohnungsgebrauchsrecht hat. Unter dem Aspekt der Gleichbehandlung ist ein anderes Ergebnis gerade im vorliegenden Fall, in dem beiden Streitteilen gegen Übertragung des (Mit-)Eigentums an der Liegenschaft jeweils das Wohnungsgebrauchsrecht eingeräumt wurde, umso weniger geboten.
[8] 2. Das Vorbringen, dass es nach Neuordnung der Unterhaltsverhältnisse im Jahre 2012 zu keiner Änderung der Vermögens- und Unterhaltsverhältnisse gekommen sei und die Klägerin bei Scheidung der Ehe im September 2017 bei überwiegendem Verschulden des Beklagten unterhaltsmäßig vollkommen gleichgestellt wie vor der Scheidung gewesen sei, könnte nur dann beachtlich sein, wenn im Jahr 2012 eine bindende Unterhaltsvereinbarung zwischen den Streitteilen auch für den Fall geänderter Verhältnisse (zur Umstandsklausel RS0018900, RS0018984) und auch einer Scheidung getroffen worden wäre. Das Vorliegen einer solchen Vereinbarung wurde vom Beklagten in erster Instanz nicht behauptet, das entsprechende Revisionsvorbringen ist daher unzulässig (RS0042025).
[9] 3. Soweit der Beklagte meint, dass sich die Klägerin auch Betriebskosten von monatlich wenigstens 250 EUR erspart habe, woraus sich eine höhere Bemessungsgrundlage für die Klägerin ergebe, wurde diesbezüglich Punkt 4.5. des Kaufvertrags erörtert, infolge dessen der Gesamtwert des Wohnungsgebrauchsrechts mit 5.000 EUR pro Jahr festgestellt wurde. Dass die Übernahme der Betriebskosten durch den Sohn einer gesonderten Bewertung bedurft hätte, geht daraus nicht hervor.
[10] 4. Da der Beklagte danach insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist seine Revision zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2021:0090OB00023.21D.0624.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
DAAAF-69513