OGH 23.06.2021, 7Ob92/21m
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* Gesellschaft mbH, *, vertreten durch die Dr. Gerhard Horak Mag. Andreas Stolz Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, und die Nebenintervenientin U* Versicherungen AG, *, vertreten durch die WALCH/ZEHETBAUER/MOTTER Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei F* OY, *, Finnland, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in Wien, wegen 98.706,28 EUR sA, über die außerordentliche Revision der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 142/20x-77, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Nach der CMR ist die transportgerechte Verpackung des Gutes im Zweifel Sache des Absenders (7 Ob 159/16g; vgl RS0073756). Der Frachtführer ist gemäß Art 17 Abs 4 lit b CMR vorbehaltlich des Art 18 Abs 2 bis 5 CMR von seiner Haftung befreit, wenn der Verlust oder die Beschädigung auf das Fehlen oder Mängel der Verpackungen zurückzuführen ist, wenn die Güter ihrer Natur nach bei fehlender oder mangelhafter Verpackung Verlusten oder Beschädigungen ausgesetzt sind. Ob ein Frachtgut einer Verpackung bedarf, hängt davon ab, ob es in unverpacktem Zustand den bei einem ordnungsgemäß durchgeführten Straßentransport üblicherweise zu erwartenden äußeren Einwirkungen Stand zu halten vermag. Die Frage der Verpackungsbedürftigkeit lässt sich nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls entscheiden (RS0073720 [T1]).
[2] 1.2. Nach den Feststellungen wurde zwischen der Klägerin (Hauptfrachtführer) und dem beklagten (Unter-)Frachtführer keine besondere Vereinbarung über die Beschaffenheit des Transportfahrzeugs getroffen. Üblich ist ein mit Planen gedecktes Fahrzeug (RS0128978), wie es auch hier von der Beklagten verwendet wurde. Ein Sattelanhänger mit Planenaufbau ist grundsätzlich nicht geeignet, das Eindringen von Schnee zu 100 % zu verhindern. Das von der Absenderin versendete Verpackungsmaterial (Lebensmittelfolien in Rollen) darf aus lebensmittel- bzw hygienerechtlichen Gründen nicht einer Verschimmelungsgefahr ausgesetzt werden. Der Transport erfolgte im Jänner 2016 von Österreich nach Finnland. Zwar waren die Rollen mit Wickelfolie, Kartonstreifen und Schutzfolie verpackt; diese Art der Verpackung schützte nicht vor den – im Jänner in Finnland zu erwartenden – klimatischen Einflüssen wie Nässe, Schnee und Feuchtigkeit. Sowohl von oben als auch von unten konnte trotz Verpackung weiterhin Feuchtigkeit in das Transportgut eindringen.
[3] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das zu transportierende Verpackungsmaterial so dicht zu verpacken gewesen wäre, um ein Eindringen von Feuchtigkeit durch aufliegenden Flugschnee zu vermeiden, was nicht der Fall gewesen sei und für das mangels anderslautender Vereinbarung die Absenderin zu sorgen gehabt hätte, ist nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat im Rahmen der zitierten Rechtsprechung das Erfordernis einer die Feuchtigkeit abhaltenden Verpackung des Frachtguts im Hinblick auf den Transport im Winter nach Finnland in nicht zu beanstandender Weise bejaht.
[4] 2.1. Will der Anspruchsteller (hier: die Klägerin) den Frachtführer für den eingetretenen Schaden unbeschränkt haftbar machen, so hat er ihm gemäß Art 29 CMR qualifiziertes Verschulden nachzuweisen. Dem Vorsatz gleichstehendes Verschulden (Art 29 Abs 1 CMR) bedeutet in Österreich grobe Fahrlässigkeit; die Beweislast für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Frachtführers trifft grundsätzlich den Geschädigten (RS0073961 [T4, T6]; RS0062591 [T6, T23]). Die Beurteilung, ob ein Verhalten zum groben Verschulden zu rechnen ist, ist immer von den Umständen des Einzelfalls abhängig (RS0062591 [T5]).
[5] 2.2. Das Berufungsgericht verneinte eine Verpflichtung der beklagten Frachtführerin, auf die Mangelhaftigkeit der Verpackung hinzuweisen, weil dem ersten Anschein nach eine offenkundig ausreichende Verpackung vorhanden gewesen sei. Dass diese zum Schutz gegen klimatische Einflüsse nicht geeignet gewesen sei, sei nicht leicht zu erkennen gewesen. Zwar habe der Planenaufbau des von der Beklagten verwendeten Sattelaufliegers, weil er nicht ideal eingestellt gewesen sei, das Eindringen von Schnee begünstigt, jedoch stehe nicht fest, in welchem Ausmaß. Nach den Feststellungen sei erst nach Abschluss des Transports das Vorhandensein von Flugschnee (auf 12 der insgesamt 26 Paletten des Transportguts) bemerkt worden; die Beklagte oder ihr Mitarbeiter sei nicht verpflichtet gewesen, für die Beseitigung von Schadensquellen, von denen diese keine Kenntnis gehabt hätten, Sorge zu tragen oder Weisungen einzuholen. Ihr sei zudem nicht mitgeteilt worden, dass das Verpackungsmaterial für Kaffee vor dem Eintritt jeglicher Feuchtigkeit zu schützen sei. Die beklagte Frachtführerin habe nicht mit dem Entstehen von Schäden an den unzureichend mit Folie umwickelten Rollen von Lebensmittelfolien rechnen müssen. Eine mangelhafte Routenführung sei ihr nicht anzulasten. Dass eine mehrtägige Stehzeit erforderlich gewesen sei, sei an der vereinbarten Übernahme des Transportguts und der erst später zu erfolgenden Ablieferung gelegen. Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden.
[6] 2.3. Soweit die Nebenintervenientin ihre Ausführungen in der Berufung wiederholt, zu denen das Berufungsgericht eingehend Stellung genommen hat, geht sie nicht auf dessen Argumente ein und zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Klägerin beauftragte bei der Beklagten nicht den Transport mit einem Sattelauflieger mit Kofferaufbau. Warum der Sattelanhänger mit Planenaufbau – als Folge des vereinbarten Zeitpunkts der Übernahme und der späteren Ablieferung – nicht zwei Tage im Freien in einem finnischen Hafen abgestellt werden hätte dürfen, auch wenn es zu Schneefall gekommen ist, vermag sie nicht darzulegen. Ob Schneefall einsetzt, hängt nicht von der Route ab. Warum die beklagte Frachtführerin die (fachkundige) Klägerin auf die Möglichkeit des Einsatzes eines LKW-Aufliegers mit Kofferaufbau aufmerksam hätte machen müssen, legt sie nicht dar. Zu wessen Lasten die Negativfeststellung geht, es könne nicht festgestellt werden, ob die Ware bereits bei der Übernahme mit Schimmelsporen kontaminiert gewesen sei, ist für die Beurteilung, ob grob fahrlässiges Verhalten der Beklagten vorliegt, was vom Berufungsgericht ohne Fehlbeurteilung verneint wurde, nicht relevant.
[7] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch die Dr. Gerhard Horak Mag. Andreas Stolz Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, und deren Nebenintervenientin U***** Versicherungen AG, *****, vertreten durch die WALCH/ZEHETBAUER/MOTTER Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei F***** OY, *****, Finnland, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in Wien, wegen 98.706,28 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 1 R 142/20x-76, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 und § 521a Abs 2 ZPO abgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Eine Absenderin – Versicherungsnehmerin der Nebenintervenientin (Transportversicherer) – beauftragte die Klägerin im Jänner 2016 mit dem Transport von Verbundpackungen von Wolfurt nach Helsinki. Die Klägerin erteilte ihrerseits für diesen Transport einen Subauftrag an die Beklagte zu einem Fixpreis. Die Nebenintervenientin hat als Transportversicherer aufgrund eines Schadensfalls an ihre Versicherungsnehmerin – die Absenderin – 70.000 EUR gezahlt.
[2] Die Klägerin begehrt von der beklagten Frachtführerin im Wege der Drittschadensliquidation die Zahlung von 98.706,28 EUR sA als Schadenersatz, hilfsweise die Feststellung, dass diese ihr für den aus dem Transportschadensfall entstandenen und noch entstehenden Schaden zu haften habe.
[3] Die Nebenintervenientin trat dem Streit auf Seite der Klägerin bei. Die Schadenersatzansprüche der Absenderin gegenüber der Klägerin seien gemäß § 67 VersVG auf sie als deren Transportversicherer übergegangen. Ihr stehe ein Regressanspruch in der Höhe des gezahlten Betrags gegenüber der Klägerin zu.
[4] Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Nebenintervention mangels rechtlichen Interesses.
[5] Das Erstgericht wies die Nebenintervention zurück, das von der Nebenintervenientin angerufene Rekursgericht ließ ihre Nebenintervention zu. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[6] Mit ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf.
[7] 1. Ein rechtliches Interesse hat ein Nebenintervenient dann, wenn sich die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privat- oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig auswirkt. Das rechtliche Interesse muss allerdings ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über ein bloß wirtschaftliches Interesse hinausgeht (RS0035724).
[8] Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RS0035638). Im Allgemeinen wird ein rechtliches Interesse daher gegeben sein, wenn durch das Obsiegen der Hauptpartei die Rechtslage des Dritten verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert wird (RS0035724 [T3]).
[9] 2. Nach diesen Kriterien hält sich die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die Nebenintervention des Transportversicherers, der der Absenderin deren Schaden im Ausmaß von 70.000 EUR (Versicherungsleistung) ersetzt hat, auf Seite der Klägerin, die im Rahmen der Drittschadensliquidation den Prozess im Interesse der in dieser Höhe geschädigten Nebenintervenientin führt, im Rahmen der Judikatur und ist nicht zu beanstanden:
[10] 3. Nach der Rechtsprechung ist auch im CMR-Haftpflichtprozess die Drittschadensliquidation durch den beauftragten Spediteur oder Frachtführer (hier: Klägerin) nicht nur für den Absender, sondern auch für einen Transportversicherer, der dem Absender dessen Schaden ersetzt, zulässig (7 Ob 216/10f = SZ 2011/54 = RS0126933). In der Transportversicherung sind Frachtführer und Unterfrachtführer regelmäßig regresspflichtige Dritte im Sinn des § 67 Abs 1 VersVG (RS0081390). Die Nebenintervenientin kann als Transportversicherer den gemäß § 67 VersVG auf sie in der Höhe ihrer Versicherungsleistung übergegangenen Schadenersatzanspruch der Absenderin – der Auftraggeberin der Klägerin – gegen diese geltend machen. Obsiegt die Klägerin im Prozess gegen die von ihr beauftragte (Unter-)Frachtführerin, wirkt sich diese Entscheidung unmittelbar auf die Rechtsstellung der Nebenintervenientin aus, deren behaupteter Schadenersatzanspruch im ersiegten Betrag Deckung findet. Dass die Schadenersatzansprüche der Nebenintervenientin aus dem Rechtsverhältnis zwischen der Absenderin und der Klägerin resultieren und damit aus einem anderen Rechtsverhältnis als dem zwischen Klägerin und Beklagter, nimmt der Nebenintervenientin – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht ihr rechtliches Interesse. Die Klägerin macht als Interessenvertreterin der Auftraggeberin (Absenderin) und damit der Nebenintervenientin im Rahmen der Drittschadensliquidation einen eigenen Anspruch auf Ersatz eines fremden Schadens geltend und kann deshalb auf Leistung entweder an sich selbst oder an den Geschädigten klagen (7 Ob 216/10f; RS0073768; RS0107085; RS0107088). Daraus ergibt sich – nicht korrekturbedürftig vom Rekursgericht erkannt – das rechtliche Interesse der Nebenintervenientin am Obsiegen der Klägerin.
[11] 5. Eine vor Zustellung der Mitteilung nach § 508a Abs 2 Satz 1 ZPO erstattete Beantwortung ist nicht zu honorieren (RS0043690).
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2021:E132322 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
EAAAF-69303