OGH 23.06.2021, 7Ob87/21a
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F* B*, vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S* S.A., * Luxembourg, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 28.859,51 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 6 R 19/21p-22, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom , GZ 2 Cg 6/19d-17, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Der (in Österreich lebende) Kläger hat bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Lebensversicherungsvertrag mit Versicherungsbeginn und mit einer Laufzeit von 20 Jahren abgeschlossen. Der Antrag vom enthielt unmittelbar über der für die Unterschrift des Klägers vorgesehenen Stelle folgenden Hinweis:
„Ich bin darüber belehrt worden, dass ich innerhalb einer Frist von 14 Tagen (Personen mit Wohnsitz in Deutschland) oder 30 Tagen (Personen mit Wohnsitz in Österreich) nach Erhalt des Versicherungsscheins, der Policenbedingungen und der Verbraucherinformation dem Vertrag widersprechen kann. Zur Wahrung der Frist genügt rechtzeitiges Absenden der Widerspruchserklärung.“
[2] Der Lebensversicherungsvertrag unterliegt aufgrund des Wohnsitzes des Klägers unstrittig österreichischem Recht (Art 13.3 der Versicherungs-bedingungen).
[3] Der Kläger hat den Versicherungsschein, die Policenbedingungen und die Verbraucherinformation „zeitnah“ zur Unterfertigung des Versicherungsantrags erhalten. Er zahlte eine Einmalprämie von 28.859,51 EUR (netto) an die Beklagte. Weiters leistete er 1.154,38 EUR an Versicherungssteuer, die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten abgeführt wurde.
[4] Der Kläger begehrte mit der am eingebrachten Klage von der Beklagten nach Spätrücktritt wegen unrichtiger Belehrung über die Frist für die Ausübung des ihm zustehenden Rücktrittsrechts nach § 165a VersVG die Zahlung von 28.859,51 EUR sA. Für den Zeitraum November 2015 bis Dezember 2018 beansprucht er kapitalisierte Zinsen von 3.655,54 EUR sA. Die Verpfändung der Lebensversicherung als Sicherheit hindere sein Rücktrittsrecht nicht. Zudem habe die Bank seinem Rücktritt auch zugestimmt.
[5] Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, dass die Rücktrittsbelehrung nicht fehlerhaft sei und dem Kläger daher kein unbefristetes Spätrücktrittsrecht gemäß § 165a VersVG zukomme. Das Rücktrittsrecht werde rechtsmissbräuchlich ausgeübt, um das Veranlagungsrisiko auf sie zu überwälzen und seine Rendite zu erhöhen. Das Verhalten des Klägers sei widersprüchlich, weil er viele Jahre am Vertrag festgehalten habe. Ein allfälliger Anspruch auf Vergütungszinsen verjähre in drei Jahren. Der Kläger habe sämtliche Rechte und Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag verpfändet. Seit der Verpfändung seien ihm Verfügungen über das Versicherungsverhältnis versagt und ihm stehe auch kein Rücktrittsrecht mehr zu.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Rücktrittsbelehrung reiche aus. Das in der Belehrung zum Ausdruck kommende Schriftformerfordernis stelle keine relevante Erschwernis für den Versicherungsnehmer dar. Diesem komme daher kein unbefristetes Rücktrittsrecht zu. Die Diktion „Widerspruch“ anstatt „Rücktritt“ stelle für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer keinen Unterschied dar. Die in der Belehrung enthaltene unrichtige Frist von 30 Tagen anstatt 14 Tagen sei unerheblich, weil sie „keinen Einfluss auf den Lauf der Rücktrittsfrist“ habe und dem Versicherungsnehmer dadurch nicht die Möglichkeit genommen werde, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Rechtlich führte es aus, der Versicherer könne zum Vorteil des Versicherungsnehmers anstatt der im Gesetz vorgesehenen 14-tägigen Rücktrittsfrist eine solche von 30 Tagen einräumen. Darin liege ausschließlich eine Begünstigung des Versicherungsnehmers. Zudem gereiche es dem Versicherungsnehmer zum Vorteil, wenn der Versicherer die Rücktrittsfrist erst ab bestimmten Ereignissen rechne, hier ab Erhalt des Versicherungsscheins, der Policenbedingungen und der Verbraucherinformation. Ein späterer Fristbeginn könne für den Versicherungsnehmer nicht nachteilig sein. Die in der Belehrung genannten Ereignisse könnten, wenn sie nicht oder spät eintreten, höchstens den Fristbeginn zu Gunsten des Versicherungsnehmers hinausschieben. Die Schriftform stelle für die Ausübung des Rücktrittsrechts keine relevante Erschwernis dar. Die Diktion „Widerspruch“ statt „Rücktritt“ stelle für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer keinen relevanten Unterschied dar und mache für sich allein die Belehrung noch nicht unverständlich und unrichtig. Beide Ausdrücke seien in ihrer Bedeutung nicht wesentlich verschieden und brächten zum Ausdruck, dass der Erklärende den Versicherungsvertrag nicht mehr wolle.
[8] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof in seiner Judikatur zum Spätrücktritt von Lebensversicherungen noch nicht dazu Stellung genommen habe, ob die Verwendung der Worte „widersprechen kann“ und „Widerspruchserklärung“ anstatt von „vom Vertrag zurücktreten kann“ und „Rücktrittserklärung“ ohne Hinzutreten sonstiger Mängel der Belehrung noch als hinreichend korrekt toleriert werden könne.
[9] Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
[10] Die Beklagte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsbegehrens auch berechtigt.
[12] 1.1. Die zum Zeitpunkt des Antrags und des Vertragsabschlusses maßgebliche Fassung des § 165a Abs 1 Satz 1 VersVG idF BGBl I 1997/6 lautete: „Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten.“
[13] 1.2. Der Versicherer hat den Kläger im Antrag wie folgt belehrt: „Ich bin darüber belehrt worden, dass ich innerhalb einer Frist von 14 Tagen (Personen mit Wohnsitz in Deutschland) oder 30 Tagen (Personen mit Wohnsitz in Österreich) nach Erhalt des Versicherungsscheins, der Policenbedingungen und der Verbraucherinformation dem Vertrag widersprechen kann. Zur Wahrung der Frist genügt rechtzeitiges Absenden der Widerspruchserklärung.“
[14] 1.3. Die wiedergegebene Belehrung entspricht
– wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 7 Ob 200/20t zu einem inhaltsähnlichen Hinweis der Rechtsvorgängerin der Beklagten ausgesprochen hat – nach ihrem Wortlaut nicht § 165a Abs 1 Satz 1 VersVG (aF) und diese ist für einen verständigen Versicherungsnehmer auch nicht zweifelsfrei als eine solche nach dieser Gesetzesbestimmung erkennbar. Der Oberste Gerichtshof kam aber schon wegen einer zweiten, abweichenden Belehrung, die mit der Polizze übersandt wurde, und des Umstands, dass der Versicherungsnehmer die Verbraucherinformation und die Policenbedingungen nicht erhalten hat, zu dem Ergebnis, dass dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen wurde, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben.
[15] Der vorliegende Fall ist aber anders gelagert. Es liegt zwar die schon als unzutreffend erkannte Belehrung vor, aber keine weitere, davon abweichende. Der Kläger hat außerdem nach den Feststellungen den Versicherungsschein, die Policenbedingungen und die Verbraucherinformation „zeitnah“ zur Unterfertigung des Versicherungsantrags erhalten. Es ist daher hier zu prüfen, ob dem Kläger schon allein durch die unklare und nicht dem § 165a Abs 1 Satz 1 VersVG (aF) entsprechende Rechtsbelehrung des Versicherers die Möglichkeit genommen wurde, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben.
[16] Die längere Frist (vgl 7 Ob 6/21i mwN) schadet ebenso wenig wie das Abhängigmachen des Beginns des Fristenlaufs vom Zugang von bestimmten Urkunden, wenn diese klar erkennbar ohnehin spätestens mit der Polizze zugestellt werden, sodass sich die unrichtige Belehrung auf den Beginn des Fristenlaufs nicht auswirkt und daher keine Zweifel beim Versicherungsnehmer entstehen können. Der Versicherer ging (wie sich aus dem Antrag und den Bedingungen ergibt) von Kunden mit Sitz in Deutschland und Österreich aus und nahm, soweit eine „einheitliche“ Rechtsbelehrung erfolgte, diese mit aus dem deutschen Recht stammenden Begriffen (vgl 7 Ob 19/21a) vor. Der Begriff „Verbraucherinformation“ ist, wie schon zu 7 Ob 200/20t ausgesprochen, im österreichischen Recht nicht konkret definiert, sodass der Versicherungsnehmer keine Klarheit darüber hat, ob und wann er alle Informationen erhalten hat, die die Rücktrittsfrist auslösen sollen, selbst wenn sie spätestens mit der Polizze übersandt würden, was hier mit „zeitnah zur Unterfertigung des Antrags“ ohnehin nicht feststeht. Darüber, dass der Fristbeginn das Zustandekommen des Vertrags ist, wurde der Kläger nicht informiert. Das VersVG kennt für die Vertragsauflösungserklärung ohne Grund nur den Begriff „Rücktritt“, nicht hingegen „Widerspruch“. Der Widerspruch des Versicherungsnehmers nach § 5 VersVG (bei Abweichen der Versicherungspolizze vom Antrag oder den getroffenen Vereinbarungen) ist im wörtlichen Sinn ein „Widerspruch“, hat aber keinen Zusammenhang mit dem Rücktrittsrecht nach § 165a Abs 1 Satz 1 VersVG (aF). Durch die Verwendung eines im österreichischen Recht im vorliegenden Zusammenhang nicht auffindbaren Begriff wird es dem Versicherungsnehmer erschwert, sich über die anzuwendenden konkreten gesetzlichen Bestimmungen und seine Rechte zu informieren (vgl 7 Ob 19/21a). Dies führt zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht des Klägers.
[17] 2. Hat der Versicherer den Kläger wegen der unklaren Belehrung nicht fehlerfrei über sein Rücktrittsrecht informiert, so begründet eine auch Jahre später erfolgte Ausübung dieses Rechts allein keinen Rechtsmissbrauch (7 Ob 8/20g; 7 Ob 200/20t).
[18] 3. Ein vom Kläger berechtigt vorgenommener Rücktritt führt zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrags (7 Ob 19/20z; 7 Ob 10/20a; 7 Ob 11/20y; 7 Ob 15/20m; 7 Ob 19/21a). Der Kläger hat in diesem Fall aufgrund der infolge eines wirksamen Rücktritts vorzunehmenden bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung grundsätzlich Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien (7 Ob 8/20g; 7 Ob 200/20t; 7 Ob 19/21a).
[19] Aufgrund der nicht geteilten Rechtsansicht der Vorinstanzen wurden zu den anderen aufgeworfenen Rechtsfragen keine Feststellungen getroffen, insbesondere zum Einwand der Beklagten über die Verpfändung sämtlicher Rechte und Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag an ein Kreditunternehmen, woraus sie ableitet, dass der Kläger zur Ausübung des Rücktrittsrechts nicht berechtigt war und zur Auszahlung des Klagsbetrags an ihn selbst nicht aktivlegitimiert ist (vgl dazu 7 Ob 20/20x [5.]). Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren entsprechende Feststellungen zu treffen haben.
[20] Zudem wäre zu berücksichtigen, dass die Verjährung der Zinsen mit dem Zeitpunkt der Zahlung der Prämie zu laufen beginnt (RS0133108 [T1]). Für die gesamte mehr als drei Jahre vor Klageerhebung geleistete Prämie würden Zinsen nur dann zustehen, wenn deren Verjährung der effektiven Ausübung des Rücktrittsrechts entgegenstünde (eingehend dazu 7 Ob 137/20b [7.3.]). Diese Voraussetzungen waren bislang nicht Gegenstand des Verfahrens und wurden nicht mit den Parteien erörtert.
[21] 4. Damit ist der Revision Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen sind aufzuheben und die Rechtssache ist zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
[22] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2021:E132290 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
DAAAF-69296