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OGH 24.11.2021, 7Ob151/21p

OGH 24.11.2021, 7Ob151/21p

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* Z*, vertreten durch die Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei C*, vertreten durch die BINDER GRÖSSWANG Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 39.393,06 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 30/21z-22, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 4 Cg 117/20h-14, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.206,08 EUR (darin 367,68 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Ein inzwischen verstorbener Versicherungsnehmer schloss einen (Ab-)Lebensversicherungsvertrag mit einem Versicherer samt einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung („Zusatzversicherung für Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit“) mit der Beklagten ab. Die Klägerin, die Ehefrau des Versicherungsnehmers, ist im Versicherungsantrag (und auch in der Polizze) als Bezugsberechtigte „im Ablebensfall“ angeführt. Das Verlassenschaftsverfahren nach dem verstorbenen Versicherungsnehmer ist noch nicht abgeschlossen.

[2] Nach Art 1.1. der Versicherungsbedingungen für die Ablebensrisikoversicherung leistet der Versicherer bei Ableben der versicherten Person den im Versicherungsvertrag für den Ablebensfall angeführten Betrag.

[3] Die Versicherungsbedingungen für die Zusatzversicherung für Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit lauten auszugsweise:

1. Umfang des Versicherungsschutzes

[…]

2. Versichert sind die Risiken

Arbeitsunfähigkeit für selbständig und unselbständig erwerbstätige versicherte Personen (gem. § 2 Zi. 3) und

Arbeitslosigkeit ausschließlich für versicherte Personen, die Arbeitnehmer (gem. § 2 Zi. 4) bzw Selbständige (gem. § 2 Zi. 5) sind oder

Krankenhausaufenthalt ausschließlich für versicherte Personen, die weder die Voraussetzungen für die Arbeitnehmer (gem. § 2 Zi. 4) noch die Voraussetzungen für Selbständige (gem. § 2 Zi. 5) erfüllen.

[…]“

[4] Die Klägerin begehrt von der Beklagten aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung 39.393,06 EUR sA, wobei die Zahlung ausschließlich zu Gunsten des Kreditkontos der Klägerin zu leisten sei. Ihr im April 2020 verstorbener Ehemann sei seit Februar 2016 aufgrund einer schweren Erkrankung berufsunfähig gewesen. Sie sei aktiv legitimiert, weil sie im Versicherungsantrag und in der Polizze als Bezugsberechtigte im Ablebensfall genannt sei. Die Versicherung sei anlässlich der gemeinsamen Kreditaufnahme bei einem Kreditinstitut abgeschlossen worden, wobei die Leistungen aus der Versicherungspolizze zu Gunsten des Kreditinstituts verpfändet worden seien.

[5] Die Beklagte wendete – soweit im Revisionsverfahren von Relevanz – ein, die Klägerin sei nicht aktiv legitimiert, weil sich ihr Bezugsrecht nur auf Leistungen im Ablebensfall und somit nur auf Leistungen aus der Lebensversicherung beziehe. Da der von der Klägerin behauptete Versicherungsfall mit dem Eintritt der Berufsunfähigkeit eintrete und ihr Ehemann zu diesem Zeitpunkt noch am Leben gewesen sei, könne die Regelung eines Bezugsrechts im Ablebensfall bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung schon grundsätzlich nicht zur Anwendung gelangen.

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Leistungsanspruch aus der Berufsunfähigkeitsversicherung sei bereits zu Lebzeiten des Ehegatten entstanden und falle in die Verlassenschaft nach dem verstorbenen Versicherungsnehmer.

[7] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Rechtlich führte es – soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz – aus, eine Bezugsberechtigung der Klägerin betreffend die „Zusatzversicherung für Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit“ könne nach der Erklärung des Versicherungsnehmers nicht angenommen werden, weil der Versicherungsfall in der Berufsunfähigkeitsversicherung der Eintritt der Berufsunfähigkeit, bei der Ablebensversicherung hingegen das Ableben des Versicherungsnehmers sei und nach dem Zweck der Berufunfähigkeitsversicherung die daraus erfließenden Leistungen dem Versicherungsnehmer zukommen sollten. Das Bezugsrecht ziele ausdrücklich auf den Ablebensfall ab, womit der Eintritt des Versicherungsfalls bei der Ablebensversicherung angesprochen sei. Anhaltspunkte dahin, dass eine derartige Bezugsberechtigung auch für den Fall des Eintritts des Versicherungsfalls in der „Zusatzversicherung für Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit“ statuiert werden hätte sollen, seien nicht ersichtlich. Allenfalls aufrechte Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung würden entsprechend § 531 ABGB in den Nachlass fallen; die Klägerin sei nicht aktiv legitimiert.

[8] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorlägen.

[9] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[11] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1. Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist eine Summenversicherung; die Versicherungsleistung erfolgt unabhängig vom Nachweis eines Schadens, insbesondere einer Einkommenseinbuße. Versicherte Gefahr in der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der vorzeitige Rückgang oder der Verlust der beruflichen Leistungsfähigkeit (RIS-Justiz RS0112258).

[13] 2. § 166 VersVG trifft für die Kapitallebensversicherung – wozu die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht zählt – Regelungen über die Bezugsberechtigung. Die in dieser Bestimmung vorgesehene Bezeichnung eines Dritten als Bezugsberechtigter betrifft das Verhältnis zum Versicherer. § 166 VersVG begründet ein Gestaltungsrecht des Versicherungsnehmers zur Bezeichnung eines Bezugsberechtigten. Nach verbreiteter Ansicht handelt es sich bei der Ausübung dieses Gestaltungsrechts im Regelfall um eine mangels abweichender Vereinbarung formfrei mögliche, einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung (7 Ob 52/20b mwN = ZVers 2021, 22 [P. Gruber], 7 Ob 105/06a mwN = SZ 2006/92).

[14] Mit dem Eintritt des Versicherungsfalls verwirklicht sich das Bezugsrecht und erwirbt der bis dahin widerruflich Bezugsberechtigte den Anspruch auf die Versicherungsleistung unmittelbar, originär und unwiderruflich (7 Ob 87/09h = RS0125496).

[15] 3. Auszulegen ist die formularmäßig vorgegebene Willenserklärung des Versicherungsnehmers im Versicherungsantrag, dass das „Bezugsrecht im Ablebensfall“ der Klägerin zustehen soll. Die aus einer Erklärung abzuleitenden Rechtsfolgen sind nicht danach zu beurteilen, was der Erklärende sagen wollte oder was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat, sondern danach, wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sachlage zu verstehen ist (RS0014160; RS0113932 ua).

4. Für den vorliegenden Fall bedeutet das:

[16] Der Eintritt des Versicherungsfalls in der (Ab-)Lebensversicherung ist das Ableben der versicherten Person (Art 1.1. der Versicherungsbedingungen für die Ablebensrisikoversicherung). Mit dem Eintritt des Versicherungsfalls erwirbt der Bezugsberechtigte unmittelbar das widerrufliche Recht, die Versicherungsleistung zu fordern (7 Ob 105/06a mwN = SZ 2006/92).

[17] In der Berufsunfähigkeits-(zusatz-)versicherung stellt das Ableben gerade keinen Versicherungsfall dar, sondern nur der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, der Arbeitslosigkeit oder ein Krankenhausaufenthalt (Art 1.2. der Versicherungsbedingungen für die Zusatzversicherung für Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit). Der Versicherungsfall ist gegeben, wenn Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverlust kausal für den Rückgang der beruflichen Leistungsfähigkeit sind. Der Versicherungsnehmer ist bei Eintritt des Versicherungsfalls noch am Leben und der Zweck der Berufsunfähigkeitsversicherung ist es gerade, seinen sozialen Abstieg im Arbeitsleben und in der Gesellschaft, das heißt im sozialen Umfeld, zu verhindern (RS0111998).

[18] Ein Wille des Versicherungsnehmers, durch die Erklärung schon zu Lebzeiten auf seine Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zu Gunsten der „Bezugsberechtigten“ zu verzichten, ist nicht erkennbar, weil diese erst bei seinem Tod bezugsberechtigt sein soll. Da sich das Bezugsrecht mit dem Eintritt des Versicherungsfalls verwirklichen würde, der Versicherungsnehmer der Berufsunfähigkeits-(zusatz-)versicherung zu diesem Zeitpunkt aber noch am Leben ist, kann sich seine Erklärung, dass das „Bezugsrecht im Ablebensfall“ der Klägerin zustehen solle, nur auf die (Ab-)Lebensversicherung beziehen. Allfällige Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung fallen daher entsprechend § 531 ABGB in die Verlassenschaft; die Klägerin ist – wovon die Vorinstanzen zutreffend ausgingen – nicht aktiv legitimiert.

[19] 5. Auf die Frage, ob ein Bezugsrecht im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung überhaupt eingeräumt werden könnte, ist nicht weiter einzugehen.

[20] Auf die Rechtswirkung der (unstrittigen) Ansprüche ist daher nicht weiter einzugehen.

[21] 6. Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

[22] Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Der ERV-Erhöhungsbetrag gemäß § 23a RATG für die Revisionsbeantwortung beträgt nur 2,10 EUR, weil ein Rechtsmittelschriftsatz kein das Verfahren einleitender Schriftsatz ist (vgl RS0126594).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00151.21P.1124.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
SAAAF-69145