OGH 23.06.2021, 6Ob118/21b
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen M***** S*****, geboren am ***** 2014, und M***** S*****, geboren am ***** 2014, beide *****, vertreten durch das Land Niederösterreich (Bezirkshauptmannschaft *****) als Kinder- und Jugendhilfeträger, über den „außerordentlichen“ Revisionsrekurs des Vaters J***** S*****, vertreten durch TWS rechtsanwälte og in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 144/21f-40, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom , GZ 15 PU 122/20d-34, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
[1] Im vorliegenden Verfahren geht es um die Unterhaltsansprüche der beiden Kinder gegenüber ihrem Vater. Das Erstgericht verpflichtete den Vater unter anderem zu laufenden monatlichen Unterhaltszahlungen in Höhe von 630 EUR je Kind ab .
[2] In seinem Rekurs beantragte der Vater, den laufenden monatlichen Unterhalt ab Juli 2020 mit 493 EUR je Kind festzusetzen.
[3] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
[4] Dagegen erhob der Kindesvater einen „außerordentlichen“ Revisionsrekurs, der dem Obersten Gerichtshof unmittelbar vorgelegt wurde.
Rechtliche Beurteilung
[5] Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
[6] Die Vorgehensweise des Erstgerichts entspricht nicht der Rechtslage. Gemäß § 62 Abs 3 AußStrG ist der Revisionsrekurs – außer im Fall des § 63 Abs 3 AußStrG – jedenfalls unzulässig, wenn der
Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt und das Rekursgericht nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hat. In einem solchen Fall kann eine Partei nach § 63 Abs 1 und Abs 2 AußStrG einen Antrag an das Rekursgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch für zulässig erklärt werde (Zulassungsvorstellung).
[7] Im
Unterhaltsbemessungsverfahren hat das Rekursgericht keine Bewertung des
Entscheidungsgegenstands gemäß § 59 Abs 2 AußStrG vorzunehmen, weil der Streitgegenstand rein vermögensrechtlicher Natur ist und ausschließlich in einem Geldbetrag besteht. Maßgeblich ist im Anlassfall jener
Unterhaltsbeitrag, der zum Zeitpunkt der Entscheidung zweiter Instanz zwischen den Parteien noch strittig war, wobei der Wert des Entscheidungsgegenstands des Rekursgerichts für jedes Kind einzeln zu beurteilen ist (RS0112656). Bei der Ermittlung des Entscheidungsgegenstands des Rekursgerichts in Unterhaltsverfahren kommt es, wenn (auch) laufende Ansprüche zu beurteilen sind, grundsätzlich auf den 36-fachen Betrag jenes monatlichen Unterhaltsbeitrags an, der zum Zeitpunkt der Entscheidung der zweiten Instanz zwischen den Parteien noch strittig war; Unterhaltsansprüche, die vor diesem Zeitpunkt strittig waren, haben hingegen unberücksichtigt zu bleiben (RS0042366 [T9]). Der Wert des Entscheidungsgegenstands beträgt daher je Kind 4.932 EUR ([630 – 493 = 137] mal 36) und übersteigt somit nicht 30.000 EUR.
[8] Wird gegen eine Entscheidung, die nur mit Zulassungsvorstellung angefochten werden kann, ein ordentlicher oder ein außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben, so hat das Erstgericht dieses Rechtsmittel – auch wenn es direkt an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist – dem Rekursgericht vorzulegen, weil derartige Rechtsmittel als Anträge im Sinne des § 63 AußStrG zu werten sind (RS0109623 [T13]). Ob der dem Rekursgericht vorzulegende Schriftsatz den Erfordernissen des § 63 Abs 1 AußStrG entspricht oder ob er einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RS0109623 [T14]).
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen M* S* und M* S*, vertreten durch das Land Niederösterreich (Bezirkshauptmannschaft *) als Kinder- und Jugendhilfeträger, über den Revisionsrekurs des Vaters J* S*, vertreten durch TWS rechtsanwälte og in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 144/21f-40, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom , GZ 15 PU 122/20d-34, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nachträglich gemäß § 63 Abs 3 AußStrG „im Hinblick auf [die] in Abweichung einer bis dahin ständig vertretenen Judikatur ergangene Entscheidung [6 Ob 182/20p] zur Berechnung des (normalen) Kontaktrechts und zur Wahrung der Rechtseinheit und -sicherheit“ zu. Der Revisionsrekurs ist jedoch nicht zulässig, weil – wie das Rekursgericht im angefochtenen Beschluss selbst erkannt hat – die von ihm abweichend zu der zitierten Entscheidung vertretene Rechtsansicht im vorliegenden Fall – jedenfalls im Ergebnis – nicht entscheidungsrelevant ist:
[2] 1. Der Vater betreute die in Obsorge der Mutter befindlichen Zwillinge im Jahr 2017 an 95, im Jahr 2018 an 92 und im Jahr 2019 an 97 Tagen. Dazu kamen noch gemeinsam mit der Mutter im Haus des Vaters in Kroatien verbrachte Urlaubstage (2017: 16 Tage, 2018: 21 Tage, 2019: 16 Tage).
[3] Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, diese Ferienaufenthalte seien im Hinblick darauf, dass der Vater das Haus unentgeltlich zur Verfügung gestellt hatte und sich daher die Mutter den Aufwand für ein entsprechendes Urlaubsquartier erspart habe, „zumindest teilweise“ zu berücksichtigen. Ausgehend von vom Vater vorgebrachten 116 Betreuungstagen pro Jahr im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2019 (inklusive Ferienaufenthalte) erachtete das Rekursgericht einen Abschlag von 10 % (vom hier unstrittig zugrunde gelegten doppelten Regelbedarf) von dem vom Vater zu zahlenden Unterhalt für die Jahre 2017 bis 2019 als gerechtfertigt.
[4] Im Revisionsrekurs vertritt der Vater unter Berufung auf die Entscheidung 6 Ob 182/20p die Ansicht, es stünde ihm wegen „übermäßiger“ Betreuungsleistungen ein Abzug von 15 % vom doppelten Regelbedarf zu. Allerdings ist auch nach der zitierten Entscheidung der vom Rekursgericht vorgenommene Abzug von 10 % nicht korrekturbedürftig:
[5] Sowohl das Rekursgericht als auch der Vater legen nämlich fälschlich die vom Vater vorgebrachten, jedoch nicht die tatsächlich festgestellten Betreuungstage ihrer Beurteilung zugrunde. Nimmt man aber für die „teilweise“ Berücksichtigung der Urlaubstage im Haus in Kroatien durch das Rekursgericht (im Zweifel) die Hälfte, so ergeben sich an Hand der Feststellungen für das Jahr 2017 103 Betreuungstage (95 + 8), für das Jahr 2018 102,5 (92 + 10,5) und für das Jahr 2019 105 Betreuungstage (97 + 8).
[6] Rechnet man nun nach der Formel der Entscheidung 6 Ob 182/20p, so ergibt sich für alle drei Jahre unter Abzug von 52 Tagen von den für die Jahre ermittelten Betreuungstagen als Differenz jeweils rund 52 Tage, somit rund ein zusätzlicher Betreuungstag pro Woche. Die Rechtsprechung nimmt nach der Prozentabzugsmethode in einem solchen Fall regelmäßig einen Abzug von 10 % vor (6 Ob 182/20p [ErwGr 3.2.1.] mwN). Das Rekursgericht ist somit im Ergebnis unter Zugrundelegung der festgestellten (und nicht der vom Vater vorgebrachten) Betreuungstage von der Entscheidung 6 Ob 182/20p nicht abgewichen, an der der erkennende Senat im Übrigen trotz der vom Rekursgericht geäußerten Bedenken festhält:
[7] Der Oberste Gerichtshof hat zur Prozentabzugsmethode bereits ausgesprochen, dass der Unterhaltsanspruch in der Regel altersunabhängig um 10 % pro wöchentlichem Betreuungstag zu reduzieren ist, an dem sich das Kind über das übliche Ausmaß des Kontaktrechts hinaus beim geldunterhaltspflichtigen Elternteil befindet; als üblich und damit unterhaltsneutral wird dabei ein Kontaktrechtstag pro Woche angesehen, für jeden weiteren Tag wird eine Minderung von 10 % des Geldunterhalts als angemessen erachtet (7 Ob 172/16v; 1 Ob 151/16m; 9 Ob 57/17y; vgl auch RS0128043). Nur solange die 80 Tage nicht erreicht werden, hat es bei der (ungeschmälerten) Anwendung der Prozentwertmethode zu bleiben (vgl 10 Ob 17/15w; 8 Ob 69/15b [ErwGr 2.]; 6 Ob 55/16f uva). Entgegen der Auffassung des Rekursgerichts ist damit die Entscheidung 6 Ob 182/20p nicht von „einer bis dahin ständig vertretenen Judikatur [abgewichen]“.
[8] 2. Wenn der Vater im Revisionsrekurs den Familienbonus plus und die Transferleistungen (Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag) ins Treffen führt, so ist ihm zu entgegnen, dass er nicht darlegt, inwieweit sich dadurch seine Unterhaltspflicht vermindern würde.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00118.21B.0623.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
CAAAF-68897