OGH 20.10.2020, 4Ob176/20s
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin d***** gmbH, *****, vertreten durch Aigner Rechtsanwalts GmbH in Linz, gegen die Beklagte B***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Daniel Schöpf und andere Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Einwilligung (Streitwert 76.082,58 EUR), im Verfahren über die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 62/20p-12, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom , GZ 5 Cg 107/19h-8, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Berufungsgericht mit dem Auftrag übermittelt, sein Urteil durch einen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands zu ergänzen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrte von der Beklagten, gegenüber einer Versicherung in die Neuausstellung einer Garantieurkunde einzuwilligen sowie der Übermittlung der Garantieurkunde zu Handen der Klägerin zuzustimmen, in eventu der Klägerin eine von der Versicherung neu ausgestellte Garantieurkunde zu übergeben.
[2] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage.
[3] Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts, mit dem die Klage abgewiesen wurde, und ließ die ordentliche Revision zu, ohne den Entscheidungsgegenstand zu bewerten.
Rechtliche Beurteilung
[4] Besteht der Entscheidungsgegenstand – wie hier – nicht ausschließlich in einem Geldbetrag, so muss das Berufungsgericht nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO in sein Urteil einen Bewertungsausspruch aufnehmen. Der Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision ersetzt diesen Ausspruch nicht, weil die rein formale Zulässigkeit des Rechtsmittels das Überschreiten der Wertgrenze von 5.000 EUR voraussetzt und der Oberste Gerichtshof zwar nicht an den Ausspruch über die Zulässigkeit wegen Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage, wohl aber – innerhalb bestimmter Grenzen – an die Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Berufungsgericht gebunden ist (RS0042429; 5 Ob 199/14x; 1 Ob 234/15s; 4 Ob 56/18s).
[5] Dem Berufungsgericht ist daher ein entsprechender Ergänzungsauftrag zu erteilen.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin d***** gmbh, *****, vertreten durch Aigner Rechtsanwalts GmbH in Linz, gegen die Beklagte B***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Daniel Schöpf und andere Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Abgabe einer Willenserklärung (Streitwert 76.082,58 EUR), über die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 62/20p-12, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom , GZ 5 Cg 107/19h-8, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 2.305,10 EUR (darin 384,18 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin beauftragte die Beklagte mit der Durchführung von Bauarbeiten. Die Klägerin war berechtigt, den vereinbarten Haftrücklass von 5 % der gesamten Abrechnungssumme (76.082,58 EUR) auf die Dauer von drei Jahren und drei Monaten zurückzuhalten, wobei der Betrag vereinbarungsgemäß durch eine Bankgarantie freigemacht werden konnte. Die Beklagte übergab der Klägerin eine Bankgarantie über den genannten Betrag, die Klägerin bezahlte daraufhin den Haftrücklassbetrag an die Beklagte. Das Original der der Klägerin übergebenen Bankgarantie geriet bei ihr in Verstoß.
[2] Die Klägerin begehrt von der Beklagten, gegenüber der Emittentin der Bankgarantie in die Neuausstellung der Original-Garantieurkunde einzuwilligen sowie der Übermittlung derselben an die Klägerin zuzustimmen, in eventu, die Beklagte schuldig zu erkennen, der Klägerin eine neu ausgestellte Original-Garantieurkunde zu übergeben. Der Garantiebetrag könne nur gegen Vorlage der Originalurkunde abgerufen werden. Die Verweigerung der Beklagten in die Einwilligung der Neuausstellung sei vertragswidrig und verstoße gegen Treu und Glauben.
[3] Die Beklagte wendete ein, sie habe ihre Vertragspflicht durch die einmalige Ausstellung der Garantieurkunde erfüllt, zu einer Übergabe einer weiteren Garantieurkunde sei sie nicht verpflichtet. Die Originalurkunde sei durch auffallende und unüblich grobe Sorgfaltswidrigkeit der Klägerin in Verstoß geraten, das Verlustrisiko treffe die Klägerin. Die Beklagte habe ein berechtigtes Interesse daran, dass keine zweite Original-Bankgarantie in Umlauf gebracht werde.
[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Klägerin habe gegenüber der Emittentin der Garantieurkunde den Garantiefall noch nicht behauptet. Ob es zur Inanspruchnahme der Garantie überhaupt der Vorlage der Original-Garantieurkunde bedürfe, sei im gegenständlichen Garantievertrag gar nicht geregelt. Bereits deshalb habe die Beklagte keine Veranlassung, in die Neuausstellung einer Original-Urkunde einzuwilligen. Darüber hinaus sei die Einwendung der Beklagten zutreffend, dass sie ein berechtigtes Interesse daran habe, dass keine zweite Original-Bankgarantie in Umlauf gebracht werde, sodass ihr Vorgehen nicht gegen Treu und Glauben verstoße.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete nachträglich den Wert des Entscheidungsgegenstands mit 30.000 EUR übersteigend und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage aufgefunden werden könne, ob und unter welchen Voraussetzungen den Werkunternehmer als Auftraggeber einer Haftrücklassgarantie eine vertragliche Nebenpflicht gegenüber dem Werkbesteller und Garantiebegünstigten treffe, in die Neuausstellung einer Haftrücklassgarantie einzuwilligen, wenn während der laufenden Gewährleistungsfrist die Original-Garantieurkunde in der Sphäre des Begünstigten in Verlust geraten sei.
[6] Die Klägerin beantragt mit ihrer Revision, der Klage stattzugeben; die Beklagte beantragt mit ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[7] Weder der Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts noch die Revision zeigen eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Dass Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, begründet noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0122015 [T4]; RS0102181; RS0110702). Die Revision ist daher nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.
[8] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Mangel im erstinstanzlichen Verfahren, der in der Berufung zwar geltend gemacht, vom Berufungsgericht aber verneint wurde, nicht mehr in der Revision erfolgreich gerügt werden (RS0042963).
[9] 1.2. Das Vorliegen eines Verfahrensmangels wegen Unterlassung der Einvernahme einer Zeugin wurde bereits vom Berufungsgericht behandelt und verneint, weshalb dieser Umstand nicht mehr an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden kann.
[10] 1.3. Ob die Klägerin einen Anspruch auf Auszahlung des Garantiebetrags auch ohne Vorlage der Originalgarantie hat, ist entgegen der Ansicht der Revisionswerberin keine feststellungsfähige Tatsachenfrage, sondern – wie vom Berufungsgericht richtig angenommen – eine Rechtsfrage.
[11] 2.1. Die Auslegung von Garantieerklärungen gemäß §§ 914 ff ABGB wirft regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0017670 [T15] = 6 Ob 35/15p).
[12] 2.2. Im vorliegenden Fall hängt die Auszahlung der Bankgarantie nur von einer Erklärung des Begünstigten ab. Die Klägerin muss zwar die in der Garantieurkunde genannten Anspruchsvoraussetzungen aufgrund der uneingeschränkten Geltung der formellen Garantiestrenge genau erfüllen (vgl RS0121551), aber die Vorlage der Original-Garantie-Urkunde ist nach dem Wortlaut der Garantieurkunde nicht vorgesehen.
[13] 2.3. Die Vorinstanzen haben daher vertretbar das Erfordernis der Ausstellung einer neuen Originalurkunde und – mangels Handelns wider Treu und Glauben – die Verpflichtung der Beklagten zur Zustimmung zu deren Ausstellung bzw Vorlage derselben verneint.
[14] 3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00176.20S.1020.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAF-68629