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OGH 21.10.2021, 3Ob96/21w

OGH 21.10.2021, 3Ob96/21w

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Korn & Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei E*, vertreten durch Pallauf Meissnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Anfechtung eines Vertrags, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 21 R 336/20p-45, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hallein vom , GZ 3 C 13/18i-40, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.774,70 EUR (darin 462,45 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision im Wesentlichen mit der Begründung zu, dass es ungeklärte Rechtsfragen zur grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 934 ABGB auf Scheidungsfolgenvereinbarungen gebe.

[2] Der Kläger zeigt in seiner Revision die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht auf. Das Rechtsmittel ist daher entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1.1 Gemäß § 934 ABGB kann der Vertragsteil, der bei einem zweiseitig verbindlichen Geschäft nicht einmal die Hälfte dessen erhalten hat, was er dem anderen gegeben hat, den Vertrag anfechten. Ein Wertvergleich im Sinn des § 934 ABGB setzt – wie sich auch aus § 935 ABGB ergibt – voraus, dass beide vertraglichen Leistungen bewertbar sind (P. Bydlinski in KBB6, § 934 Rz 1 mwN; Gruber in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 934 Rz 6).

[4] 1.2 Nach den allgemeinen Regeln über die Beweislastverteilung trifft für die Verkürzung den „Verkürzten“ die Beweislast (RS0108170 [T1]). Zur schlüssigen Geltendmachung der Anfechtung des Vertrags wegen laesio enormis bedarf es daher konkreter Behauptungen und Beweisanbote, die eine nachvollziehbare Bewertung der beiderseitigen Leistungen ermöglichen (8 Ob 52/21m mwN); die bloße Behauptung, dass Leistung und Gegenleistung in einem auffallenden Missverhältnis stünden bzw dass die Voraussetzungen des § 934 ABGB gegeben seien, reicht nicht aus (RS0016915 [T3]). Der nach § 934 ABGB maßgebliche „gemeine Wert“ ist nach ständiger Rechtsprechung der „gemeine Preis“ des § 305 ABGB (RS0018877 [T7]).

[5] 1.3 Die Anfechtung nach § 934 ABGB setzt ein entgeltliches Rechtsgeschäft voraus (1 Ob 2342/96k; Perner in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 934 Rz 2; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 934 Rz 2; Gruber in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 934 Rz 1). Unterhaltsvereinbarungen und einvernehmliche Regelungen über die vermögensrechtlichen Beziehungen von Ehepartnern nach § 55a EheG werden nach herrschender Ansicht aus dem Anwendungsbereich des § 934 ABGB ausgenommen (2 Ob 579/84 = RS0019031; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 934 Rz 26 mwN und § 917 Rz 32; Hopf/Kathrein, Eherecht3 § 55a Rz 12); dies ergibt sich im Wesentlichen aus dem fehlenden Austauschverhältnis, weshalb derartige Vereinbarungen auch als „entgeltfremd“ bezeichnet werden (Gschnitzer in Klang2, § 934 A1 [S 558] und § 917 A III 3 [S 436]; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 917 Rz 32).

[6] 2.1 Die vom Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung zitierte Entscheidung 2 Ob 579/84, in der ausgesprochen wurde, dass die von den Parteien im Rahmen einer einvernehmlichen Scheidung vereinbarten „Leistungen“ (Unterhaltsregelungen, Ausgleichszahlung für die Eigentumsübertragung an der gemeinsamen Liegenschaft und Aufteilung des Gebrauchsvermögens sowie der Ersparnisse) einer Bewertung nicht zugänglich seien, betraf eine Vereinbarung nach § 55a Abs 2 EheG. In einem Verfahren über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse nach den §§ 81 ff EheG ist nach ständiger Rechtsprechung der maßgebliche Grundsatz die Billigkeit (RS0079235 [T1]), wobei in erster Linie auf Gewicht und Umfang des Beitrags jedes Ehegatten Bedacht zu nehmen ist (vgl auch RS0057923).

[7] 2.2 Mit der – hier vom Kläger (unter anderem) wegen § 934 ABGB angefochtenen – „Scheidungsfolgen-vereinbarung“ vom regelten die Parteien die Folgen einer künftigen Scheidung. Dass diese Vorwegvereinbarung über die Scheidungsfolgen hier nach ihrer Natur und ihrem Zweck einer Vereinbarung gemäß § 55a Abs 2 EheG gleichkommt, haben die Parteien selbst nie in Zweifel gezogen, sondern jeweils gerade aufgrund dieses Begriffsverständnisses argumentiert. Die Streitteile erklärten in der Vereinbarung vom zusammengefasst, wechselseitig auf jeglichen Unterhalt sowie auf eine Ausgleichszahlung für die Ehewohnung zu verzichten, die Kraftfahrzeuge im jeweiligen Eigentum der Zulassungsbesitzer zu belassen und das eheliche Gebrauchsvermögen einvernehmlich aufzuteilen. Außerdem hielten sie fest, dass die Prämienzahlungen für eine (näher bezeichnete) Lebensversicherung ausnahmslos von der Beklagten erfolgt seien, weshalb ihr der zur Auszahlung gelangende Betrag alleine zustehe, und dass sie in den letzten drei Jahren mindestens 4.000 Überstunden unentgeltlich für den Betrieb der Tischlerei geleistet habe, weshalb sich der Kläger im Fall einer Scheidung verpflichte, diese Überstunden in Geld abzulösen.

[8] 2.3 Einen insgesamt im Sinn des § 934 ABGB bewertbaren „Leistungsaustausch“ enthalten diese Regelungen nicht. Diese Vereinbarung stand überdies im Zusammenhang mit der am selben Tag (ebenfalls notariell) abgeschlossenen Übertragung des überschuldeten Tischlereiunternehmens vom Kläger auf die Beklagte. Die Ehewohnung befand sich (ebenso wie die Tischlerei) auf einer von der Beklagten in die Ehe eingebrachten, nach wie vor in ihrem Alleineigentum stehenden Liegenschaft.

[9] 2.4 Wenn die Vorinstanzen davon ausgingen, dass sich die „Leistungen“ der Parteien in der vom Kläger gemäß § 934 ABGB angefochtenen Vereinbarung vom einer Bewertung entziehen und die Geltendmachung von laesio enormis daher nicht möglich sei, so steht dies im Einklang mit der erwähnten Rechtsprechung und Lehre. Im Zeitpunkt der in dieser Vereinbarung für den Fall einer Scheidung abgegebenen, wechselseitigen Verzichtserklärungen betreffend Unterhalts- und Ausgleichsansprüche konnten die Parteien noch nicht einmal wissen, ob und wer nach einer allenfalls und dann tatsächlich erfolgten Scheidung Ansprüche auf Ausgleichs- und/oder Unterhaltszahlungen erheben könnte. Auch der rund zwei Jahre vor der vom Kläger vorgenommenen Einleitung des Scheidungsverfahrens erklärte Verzicht auf eine Ausgleichszahlung für die Ehewohnung begründet daher keinen „Leistungsaustausch“ im Sinn des § 934 ABGB, steht doch in diesem Zusammenhang fest, dass sich die Beklagte im Zeitpunkt des Abschlusses der nun angefochtenen Vereinbarung angesichts der (gleichzeitig) mit dem Tischlereibetrieb übernommenen Schulden für den Fall einer möglichen Scheidung finanziell absichern wollte. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers ist daher die Bestimmung des § 934 ABGB auf die vorliegende Vereinbarung nicht anwendbar. Es reicht dafür nämlich nicht die vom Kläger behauptete „Bewertbarkeit“ einzelner, einen Regelungsgegenstand bildender Vermögensteile durch einen Sachverständigen. Vielmehr wäre ein „gemeiner Preis“ im Sinn des § 305 ABGB (Verkehrswert; vgl RS0010074) der wechselseitigen Verpflichtungen erforderlich, die sich aber wegen ihres weitgehend entgeltfremden Charakters einer marktgängigen Bewertung entziehen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts bedarf daher im vorliegenden Einzelfall keiner Korrektur.

[10] 3.1 Auch die Frage, ob die Voraussetzungen des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB vorliegen, ist eine solche des Einzelfalls (RS0016861 [T1]). Die Revision zeigt nicht auf, dass die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach der Kläger der ihm obliegenden Darlegungslast nicht nachgekommen sei, eine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung wäre. Die schwere Lungenerkrankung des Klägers ist kein Grund, von einer „Zwangslage“ bei Unterfertigung der Vereinbarung auszugehen, steht doch ausdrücklich fest, dass die Beklagte und der gemeinsame Sohn die beiden Verträge mit dem Kläger rund zwei Monate hindurch laufend besprachen und dass der Kläger deren Inhalt verstand und wusste, was er unterschrieb.

[11] 3.2 Die Ausführungen der Revision zur (angeblich eingeschränkten) Entscheidungs- und Geschäftsfähigkeit des Klägers bei Unterfertigung der Vereinbarung entfernen sich vom festgestellten Sachverhalt und sind daher nicht gesetzmäßig (vgl RS0043312 [T14]). Es steht nämlich fest, dass beim Kläger eine Einschränkung seiner Entscheidungsfähigkeit zu keinem Zeitpunkt bestand.

[12] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16]).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2021:E133354
Datenquelle

Fundstelle(n):
UAAAF-68570