OGH 22.12.2021, 3Ob225/21s
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die verpflichtete Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Friedrich Helml, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (§ 355 EO), aus Anlass des außerordentlichen Revisionsrekurses der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 14 R 134/21f, 14 R 135/21b-11, mit dem die Rekurse der verpflichteten Partei gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichts Urfahr vom , GZ 7 E 821/21s-4, und vom , GZ 7 E 821/21s-6, zurückgewiesen wurden, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
[1] Mit Beschluss vom (ON 4) bewilligte das Erstgericht der Betreibenden gegen die Verpflichtete aufgrund der vollstreckbaren einstweiligen Verfügung des Landesgerichts Linz vom , AZ 4 Cg 67/21x, die Exekution gemäß § 355 EO zur Erwirkung der Unterlassung, im geschäftlichen Verkehr während des aufrechten Wettbewerbsverbots in ***** ein Fitnessstudio bzw einen Betrieb zu eröffnen und zu betreiben oder sich daran direkt oder indirekt zu beteiligen, das in wesentlichen Bestandteilen auf dem M*****-System basiert. Gleichzeitig verhängte es wegen behaupteter Zuwiderhandlungen eine Geldstrafe von 1.500 EUR. Mit Beschluss vom (ON 6) verhängte das Erstgericht aufgrund des behaupteten neuerlichen Zuwiderhandelns der Verpflichteten eine weitere Geldstrafe von 4.000 EUR.
[2] Das Rekursgericht wies die Rekurse der Verpflichteten gegen diese beiden Beschlüsse wegen Verspätung zurück. Der Beschluss ON 4 sei dem Vertreter der Verpflichteten am und der Beschluss ON 6 am nachweislich zugestellt worden. Der am gegen den Beschluss ON 4 und der am gegen den Beschluss ON 6 eingebrachte Rekurs seien daher verspätet. Der ordentliche Revisionsrekurs sei jeweils nicht zulässig.
[3] In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs wegen Mangelhaftigkeit, unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung führt die Verpflichtete aus, dass die zurückgewiesenen Rekurse in Wirklichkeit rechtzeitig eingebracht worden seien. Aus den von ihrem Vertreter bei der Post veranlassten Sendungsverfolgungen ergebe sich, dass der Beschluss ON 4 zu Sendungsnummer BB00BBJ456210065091833 tatsächlich am am Zustellort Linz (Beilage ./B) und der Beschluss ON 6 zu Sendungsnummer BB00BBJ456210065514752 tatsächlich am ebenfalls am Zustellort Linz (Beilage ./D) zugestellt worden seien. Aus einem ähnlich gelagerten Fall sei dem Verpflichtetenvertreter bekannt, dass die Post bei Nachsendeaufträgen offenbar teilweise wegen eines EDV-Problems ein falsches Zustelldatum im Rückschein ausweise.
Rechtliche Beurteilung
[4] Über den außerordentlichen Revisionsrekurs kann derzeit noch nicht entschieden werden.
[5] 1. Nach § 22 Abs 1 ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis zu beurkunden. Die vom Zusteller ausgestellten Zustellnachweise sind nach § 292 Abs 1 ZPO öffentliche Urkunden, die – wenn sie die gehörige äußere Form aufweisen – den vollen Beweis dafür erbringen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist. § 292 ZPO gilt bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (vgl § 20 E-GovG) auch für den „hybriden Rückschein“. Auch wenn § 292 Abs 2 ZPO zur Widerlegung der beurkundeten Tatsachen den Beweis des Gegenteils erfordert, begnügt sich die Rechtsprechung beim Zustellnachweis mit dem Gegenbeweis, was mit dem Gebot der amtswegigen Überprüfung des Zustellvorgangs begründet wird (RS0006957; vgl auch RS0006965 und 4 Ob 90/21w EvBL-LS 2021/141 [Brenn]).
[6] Rechtsmittelausführungen, die Umstände betreffen, die jederzeit von Amts wegen wahrzunehmen sind, verstoßen nicht gegen das Neuerungsverbot (vgl RS0108589 [T1], RS0006957 [T3]). In Bezug auf die Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels kann auch der Oberste Gerichtshof Tatsacheninstanz mit Erhebungspflichten sein (RS0006965 [T16]).
[7] 2. Die Verpflichtete hat in ihrem Rechtsmittel Umstände vorgebracht, die geeignet sind, im Hinblick auf den Zeitpunkt der Zustellung der erstgerichtlichen Beschlüsse ON 4 und ON 6 Zweifel an der Richtigkeit der beurkundeten Angaben in den betreffenden Zustellscheinen zu begründen. Die Zustellvorgänge sind daher amtswegig zu überprüfen.
[8] 3.1 Aus der Aktenlage und den vorgelegten Bescheinigungsmitteln ergibt sich bisher:
[9] Die RSb-Sendung (Kuvert zum Hybrid-RSb) zu ON 4 (BB00BBJ456210065091833) war an den Kanzleisitz des Verpflichtetenvertreters in Wien adressiert. In der Jv-Zustellübersicht scheinen dazu folgende Angaben auf: „Nachgesendet am (Helml Rechtsanwälte. ***** Linz)“; „Zugestellt am “; Übernahmeverhältnis: Empfänger (Dr. Friedrich Helml, LL.M.). Auf der Zustellkarte ist das Übernahmedatum mit „“ angegeben; die Unterschrift deutet auf „M*****“ hin und scheint identisch mit jener auf der Zustellkarte zu ON 6 zu sein. Unterhalb der Unterschrift findet sich der Vermerk: „Nachsender: ***** Linz“. In Beilage ./B (Nachschau für Briefsendungen) finden sich die Angaben: „Erfassungszeitpunkt: “; „Status Sendung: zugestellt“. Bei den „Trackevents“ ist (unter „Beschreibung“) zum der Vermerk „Nachsendung Exportiert“ und zum „Empfänger Exportiert“ angegeben. Auf Beilage ./A ist der Stempel „ – H*****.AT“ angebracht.
3.2 Die RSb-Sendung (Kuvert zum Hybrid-RSb) zu ON 6 (BB00BBJ456210065514752) war ebenfalls an den Kanzleisitz des Verpflichtetenvertreters in Wien adressiert. In der Jv-Zustellübersicht scheinen folgende Angaben auf: „Nachgesendet am (Helml Rechtsanwälte. ***** Linz)“; „Zugestellt am “; „Übernahmeverhältnis: Arbeitnehmer (M*****)“. Auf der Zustellkarte ist das Übernahmedatum mit „“ angegeben; die Unterschrift deutet auf „M*****“ hin und scheint identisch mit jener auf der Zustellkarte zu ON 4 zu sein. Unterhalb der Unterschrift findet sich der Vermerk: „Nachsender: ***** Linz“. In Beilage ./D (Nachschau für Briefsendungen) finden sich die Angaben: „Erfassungszeitpunkt: “; „Status Sendung: zugestellt“. Bei den „Trackevents“ ist (unter „Beschreibung“) zum der Vermerk „Nachsendung Exportiert“ und zum „Arbeitnehmer Exportiert“ angegeben. Auf Beilage ./C ist der Stempel „ – H*****.AT“ angebracht.
[10] 4.1 Zur Klärung der Rechtzeitigkeit der Rekurse der Verpflichteten gegen die Beschlüsse ON 4 und ON 6 sind – im Weg des Erstgerichts – Erhebungen zu folgenden Fragen durchzuführen:
Zu den Zustellkarten zu ON 4 und ON 6:
- Von wem stammt die jeweilige „Unterschrift“ (das Schriftbild); in welchem Verhältnis steht diese Person zum Verpflichtetenvertreter; wurden die „Unterschriften“ auf Papier oder auf einem elektronischen Gerät geleistet?
- An welchem Tag und an welchem Ort wurde die jeweilige „Unterschrift“ geleistet?
- Von wem, wann und auf welche Weise wurde die jeweilige Nachsendung vom Kanzleisitz des Verpflichtetenvertreters in Wien an die Sprechstelle in Linz veranlasst; handelte es sich um einen Nachsendeauftrag im Einzelfall und wurde dieser nach einem Zustellversuch oder aus Anlass eines Zustellversuchs in Wien erteilt, oder handelte es sich um einen generellen, vor einem konkreten Zustellversuch erteilten Nachsendeauftrag; wie lautet gegebenenfalls der generelle Nachsendeauftrag, zumal sich der Kanzleisitz des Verpflichtetenvertreters in Wien befindet?
- Wurde die jeweilige Zustellung am Kanzleisitz des Verpflichtetenvertreters in Wien versucht und hat sich der Postzusteller zu diesem Zweck in die Kanzlei in Wien begeben; an welchem Tag ist dies gegebenenfalls geschehen?
- Wurden die elektronischen Zustellkarten vom Postzusteller qualifiziert elektronisch signiert oder sind sie mit einer Amtssignatur gegebenenfalls welcher Stelle versehen; steht der Vermerk „Zustellung beurkundet gem. ZustellG § 22 Abs 1“ mit einer elektronischen Signatur in Verbindung; wie wurden die elektronischen Zustellkarten bzw Zustellnachweise an das Erstgericht übermittelt?
Zu den Beilagen ./B und ./D:
- An welchem Tag ist nach der jeweiligen Beilage die Zustellung erfolgt und auf welchen Zustellungsort bezieht sich diese Angabe?
- Was bedeuten die Vermerke „Nachsendung Exportiert“ und „Empfänger Exportiert“ konkret?
Zu den Beilagen ./C und ./D:
- Warum scheint in Beilage ./D zum Vermerk „Arbeitnehmer Exportiert“ das Datum auf, obwohl auf Beilage./C der Kanzleistempel „H-*****.AT“ bereits am angebracht wurde?
Zu den Rekursen gegen beide Beschlüsse:
- Von wem stammt die Unterschrift auf diesen Rekursen?
Zur Entscheidung des Rekursgerichts ON 11:
- Warum wurde diese Entscheidung am Kanzleisitz des Verpflichtetenvertreters in Wien zugestellt und nicht an die Sprechstelle in Linz nachgesandt?
4.2 Zu diesen Fragen wollen vom Erstgericht folgende Personen einvernommen werden:
- Zuständige(r) Postzusteller/in in Wien;
- Zuständige(r) Postzusteller/in in Linz;
- Informierter Vertreter/in des Teams Behördenanfragen – Hybrid der Österreichischen Post AG, Kundenservice Wien;
- Verpflichtetenvertreter;
- Mitarbeiter/in „M*****“ des Verpflichtetenvertreters.
[11] 4.3 Die Erhebungsergebnisse wollen den Parteien (gesammelt) zur Kenntnis gebracht und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei M* GmbH, *, vertreten durch Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die verpflichtete Partei B* GmbH, *, vertreten durch Dr. Friedrich Helml, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (§ 355 EO), über den Revisionsrekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 14 R 134/21f, 14 R 135/21b-11, mit dem die Rekurse der verpflichteten Partei gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichts Urfahr vom , GZ 7 E 821/21s-4, und vom , GZ 7 E 821/21s-6, zurückgewiesen wurden, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über die Rekurse der verpflichteten Partei vom (ON 7) und vom (ON 9) unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekurses sind als weitere Kosten des Rekursverfahrens zu behandeln.
Text
Begründung:
[1] Mit Beschluss vom (ON 4) bewilligte das Erstgericht der Betreibenden gegen die Verpflichtete aufgrund der vollstreckbaren einstweiligen Verfügung des Landesgerichts Linz vom , AZ 4 Cg 67/21x, die Exekution gemäß § 355 EO zur Erwirkung der Unterlassung, im geschäftlichen Verkehr während des aufrechten Wettbewerbsverbots in * L* ein Fitnessstudio bzw einen Betrieb zu eröffnen und zu betreiben oder sich daran direkt oder indirekt zu beteiligen, das in wesentlichen Bestandteilen auf dem M*-System basiert. Gleichzeitig verhängte es wegen behaupteter Zuwiderhandlungen eine Geldstrafe von 1.500 EUR. Mit Beschluss vom (ON 6) verhängte das Erstgericht aufgrund des behaupteten neuerlichen Zuwiderhandelns der Verpflichteten eine weitere Geldstrafe von 4.000 EUR.
[2] Das Rekursgericht wies die Rekurse der Verpflichteten gegen diese beiden Beschlüsse wegen Verspätung zurück. Der Beschluss ON 4 sei dem Vertreter der Verpflichteten am und der Beschluss ON 6 am nachweislich zugestellt worden. Der am gegen den Beschluss ON 4 und der am gegen den Beschluss ON 6 eingebrachte Rekurs seien daher verspätet. Der ordentliche Revisionsrekurs sei jeweils nicht zulässig.
[3] In ihrem Revisionsrekurs wegen Mangelhaftigkeit, unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung führt die Verpflichtete aus, dass die zurückgewiesenen Rekurse in Wirklichkeit rechtzeitig eingebracht worden seien. Aus den von ihrem Vertreter bei der Post veranlassten Sendungsverfolgungen ergebe sich, dass der Beschluss ON 4 zu Sendungsnummer BB00BBJ456210065091833 tatsächlich am am Zustellort L* (Beilage ./B) und der Beschluss ON 6 zu Sendungsnummer BB00BBJ456210065514752 tatsächlich am ebenfalls am Zustellort L* (Beilage ./D) zugestellt worden seien. Aus einem ähnlich gelagerten Fall sei dem Verpflichtetenvertreter bekannt, dass die Post bei Nachsendeaufträgen offenbar teilweise wegen eines EDV-Problems ein falsches Zustelldatum im Rückschein ausweise.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt:
[5] 1.1 Im Anlassfall erfolgte hinsichtlich der beiden Beschlüsse des Erstgerichts ON 4 (Exekutionsbewilligung vom ) und ON 6 (Beschluss vom ) keine elektronische Zustellung im Rahmen des ERV, sondern eine Zustellung mittels hybriden Rückscheins. Die Rechtsgrundlage dafür findet sich – seit dem Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, BGBl I 2008/5 – in § 22 Abs 3 ZustG (elektronische Übermittlung einer eingescannten physischen Zustellkarte) und in § 22 Abs 4 ZustG (Übermittlung eines elektronischen Zustellnachweises).
[6] 1.2 In der ursprünglichen Variante des hybriden Rückscheins nach § 22 Abs 3 ZustG (ab ) wurde der Zustellnachweis (die Zustellkarte) physisch ausgefüllt und unterschrieben. Der Zustellvorgang wurde somit auf der physischen Zustellkarte festgehalten. Anschließend wurde die Zustellkarte eingescannt und als PDF-Dokument an die Zustellbehörde bzw das Gericht übermittelt; zudem wurden die Informationen zum Zustellstatus von der Post elektronisch gemeldet (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny3 § 22 ZustG Rz 22).
[7] 1.3 Seit Juni 2016 wird die Zustellkarte im Regelfall nicht mehr eingescannt, sondern unter Verwendung eines Handhelds (PDA) elektronisch erstellt (elektronischer Zustellnachweis nach Abs 4). In diesem Fall „unterschreibt“ der Empfänger nicht auf Papier, sondern – im Rahmen der physischen Zustellung des Schriftstücks – auf einem Handheld des Zustellers. Dabei werden das „Unterschriftzeichen“ und die sonstigen zustellrelevanten Daten elektronisch erfasst sowie der Zustellnachweis (die Zustellkarte) elektronisch generiert und gespeichert. Die elektronisch generierte Zustellkarte sieht ein Feld für ein dem Zusteller zuordenbares Namenszeichen vor, in das (aufgrund der gewählten technischen Umsetzung) die Personalnummer des Zustellers eingespielt wird (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny3 § 22 ZustG Rz 23).
[8] 2.1 § 22 Abs 4 ZustG betrifft somit die elektronische Erfassung des Zustellvorgangs und die Generierung einer elektronischen Zustellkarte. Die Erfassung des „Unterschriftzeichens“ des Empfängers über den Touchscreen des Handhelds (PDA) des Zustellers ist keine elektronische Signatur und demnach auch keine „elektronische Unterfertigung des Zustellnachweises“. Dafür bedürfte es gemäß § 4 Abs 1 SVG der Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur (Brenn, „U-Pad-Unterschriften“ sind keine Unterschriften, NZ 2010/41, 161; siehe auch 294 RV BlgNR 23. GP 20).
[9] 2.2 Aufgrund der speziellen gesetzlichen Anordnung in § 22 Abs 4 ZustG gilt die Einhaltung der beschriebenen Vorgangsweise aber als „elektronische Beurkundung“ der Zustellung. Damit wird die elektronische Beurkundung (in Bezug auf den elektronischen Zustellnachweis) der Beurkundung der Zustellung auf dem herkömmlichen Papier-Zustellnachweis iSd § 22 Abs 1 leg cit gleichgestellt. Da die Beurkundung nur durch ein (hier beliehenes) Organ erfolgen kann, wird die Beurkundungswirkung in der konkreten technischen Umsetzung durch Einspielen der Personalnummer des Zustellers auf der elektronischen Zustellkarte herbeigeführt. Aus der beschriebenen rechtlichen Gleichstellung folgt, dass auch der hybride Rückschein iSd § 22 Abs 4 ZustG eine öffentliche Urkunde ist, auf die § 292 ZPO zur Anwendung gelangt (abw in der Begründung 4 Ob 90/21w EvBl-LS 2021/141 [Brenn]).
[10] 2.3 Nach § 292 Abs 1 ZPO erbringt ein gemäß § 22 ZustG beurkundeter Zustellnachweis als öffentliche Urkunde – wenn er die gehörige äußere Form aufweist – den vollen Beweis dafür, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist. Auch wenn § 292 Abs 2 ZPO zur Widerlegung der beurkundeten Tatsachen an sich den Beweis des Gegenteils erfordert, begnügt sich die Rechtsprechung beim Zustellnachweis mit dem Gegenbeweis, was mit dem Gebot der amtswegigen Überprüfung des Zustellvorgangs begründet wird. Für die Annahme der Unwirksamkeit der Zustellung reicht es demnach aus, dass letztlich Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung verbleiben (4 Ob 90/21w mwN). Dazu bedarf es konkreter Darlegungen des Adressaten zu den beanstandeten Zustellmängeln sowie eines Bescheinigungsangebots, das geeignet ist, diese zumindest glaubhaft zu machen (6 Ob 93/09h).
[11] 3. Ausgehend von dieser Rechtslage wurden über Auftrag des Obersten Gerichtshofs Erhebungen zur Zustellung der Beschlüsse ON 4 und ON 6 durchgeführt, und zwar insbesondere durch Einholung einer Auskunft bei der Post (ON 19), Einvernahme der Mitarbeiterin des Verpflichtetenvertreters (ON 20) sowie die Beischaffung von Urkunden (Nachsendeauftrag ON 18 und Zustellkarten zu ON 4 und ON 6). Daraus ergibt sich zu den beiden in Rede stehenden Zustellvorgängen Folgendes:
[12] Am erteilte der Verpflichtetenvertreter der Post einen vom bis gültigen Nachsendeauftrag vom Kanzleisitz in W* an seine Zweigniederlassung in L*. Am Kanzleisitz in W* wurden in dieser Zeit keine Zustellversuche durchgeführt (ON 18, 19 und 20).
[13] Die Exekutionsbewilligung (ON 4) wurde dem Verpflichtetenvertreter am sowie der Beschluss vom (ON 6) am mittels hybriden Rückscheins iSd § 22 Abs 4 ZustG an der Zweigniederlassung in L* zugestellt und dort von der Mitarbeiterin „M*“ übernommen. Die Zustellkarten wurden dabei elektronisch generiert und mit der jeweiligen Personalnummer des Postzustellers versehen (ON 19 und 20). In der Folge wurde dem Erstgericht der jeweilige Zustellstatus elektronisch zur Verfügung gestellt (ON 19: „exportiert“). Die auf den elektronischen Zustellkarten zu den Beschlüssen ON 4 und ON 6 angeführten Zustelldaten entsprechen nicht den Tatsachen.
[14] 4. Die Rekurse der Verpflichteten vom (ON 7) zur Exekutionsbewilligung ON 4 sowie vom (ON 9) zum Beschluss ON 6 waren damit rechtzeitig, weshalb der Zurückweisungsbeschluss durch das Rekursgericht zu Unrecht erfolgte. Das Rekursgericht wird diese Rechtsmittel nunmehr unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund zu erledigen haben.
[15] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO.
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00225.21S.1222.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
MAAAF-68538