OGH 17.07.2019, 1Ob102/19k
Entscheidungstext
Kopf
Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Parzmayr und Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj N*, geboren am * 2016, wegen Obsorge und Kontaktrecht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter D*, vertreten durch die Hornek Hubacek Lichtenstrasser Epler Rechtsanwälte OG, Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom , GZ 20 R 146/18x-69, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Oberwart vom , GZ 6 Ps 325/17w-48, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Der Antrag des Vaters, dem Beschluss des Rekursgerichts vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zuzuerkennen, wird abgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1. Seit dem KindNamRÄG 2013 soll die Obsorge beider Elternteile (eher) der Regelfall sein (RIS-Justiz RS0128811). Diese setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit voraus, weil es bei der gemeinsamen Obsorge erforderlich ist, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und Entschlüsse zu fassen. Es ist daher vom Gericht eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden oder in absehbarer Zeit mit einer solchen zu rechnen ist (RS0128812). Diese Beurteilung kann nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen und begründet im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG (RS0128812 [T5, T15, T19]). Eine solche vermag die Revisionsrekurswerberin auch nicht aufzuzeigen.
1.2. Das Erstgericht stellte fest, dass zwischen den Eltern eine grundsätzliche Gesprächsbasis gegeben ist. Es untermauerte dies mit – entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin – nachvollziehbaren Beispielen, etwa dass die Eltern bei einem gemeinsamen Gespräch mit der Sachverständigen ruhig und sachlich miteinander sprachen und die Ausübung des vorläufigen Kontaktrechts (§ 107 Abs 2 AußStrG) reibungslos funktioniert. Die Gesprächsbasis sei jedoch – aufgrund wechselseitiger Vorwürfe – beeinträchtigt und konfliktbehaftet. Bloße Kommunikationsprobleme bilden per se aber noch keinen Grund für den Ausschluss der gemeinsamen Obsorge, sofern diese grundsätzlich im Wohl des Kindes liegt (vgl etwa 10 Ob 53/16s; nach 10 Ob 8/19b sind gewisse Schwierigkeiten im gegenseitigen Umgang und Probleme in der Kommunikation für einen Obsorgestreit mehr oder weniger typisch; vgl auch 8 Ob 146/15a). Dass auch das Rekursgericht auf Grundlage der Feststellung, wonach zwischen den Eltern eine (wenngleich konfliktbeladene) grundsätzliche Gesprächsbasis besteht, ein für die sinnvolle Ausübung der gemeinsamen Obsorge erforderliches Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit annahm, bedarf keiner Korrektur. Der in diesem Zusammenhang behauptete Feststellungsmangel liegt nicht vor. Soweit die Revisionsrekurswerberin die Feststellung zur grundsätzlich bestehenden Gesprächsbasis der Eltern ignoriert, geht sie nicht vom maßgeblichen Sachverhalt aus, an den der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren gebunden ist (RS0006737 [T10]). Da sich aus den erstinstanzlichen Feststellungen auch ergibt, dass die gemeinsame Obsorge dem Wohl des Kindes entspricht (beiden Elternteilen wurde etwa ein entsprechend positiver Umgang mit dem Kind attestiert, das sich gegenüber beiden als ausgeglichen, offen und interessiert zeigt), bewegt sich die angefochtene Entscheidung im Rahmen des bei der Regelung der Obsorge bestehenden Beurteilungsspielraums.
1.3. Ob sich die Gesprächsbasis der Eltern durch die aufgetragene Elternberatung verbessern wird, muss nicht geprüft werden, wenn schon derzeit von einer ausreichenden Kommunikationsfähigkeit auszugehen ist. Die von der Revisionsrekurswerberin vermisste Zukunftsprognose begründet daher keinen Feststellungsmangel. Das Erstgericht ging im Übrigen von einer positiven Prognose hinsichtlich der künftigen Umsetzung des Kontaktrechts aus.
2. Die Entscheidung über das Kontaktrecht ist eine Ermessensentscheidung, für die das Wohl des Kindes ausschlaggebend ist (RS0087024). Sie hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, weshalb ihr grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zukommt, sofern nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden (RS0087024 [T6, T9]). Dass dies der Fall wäre, vermag die Revisionsrekurswerberin nicht aufzuzeigen. Soweit sie argumentiert, dass das Kontaktrecht des Vaters an drei Nachmittagen pro Woche und zusätzlich einmal im Monat von Freitag bis Samstag einer „Anbahnung“ durch weniger weitreichende Kontakte (ohne Übernachtung) bedurft hätte, wie dies im erstinstanzlichen Beschluss für einen gewissen (im Zeitpunkt der zweitinstanzlichen Entscheidung jedoch bereits vergangenen) Zeitraum vorgesehen war, wird übersehen, dass ohnehin bereits ein problemlos funktionierendes (vorläufiges) Kontaktrecht des Vaters festgelegt worden war. Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das bekämpfte Kontaktrecht (insbesondere die vorgesehene Übernachtung einmal pro Monat) das Wohl des Kindes gefährden könnte. Dass durch das Kontaktrecht an jedem Freitag Nachmittag ein „Recht der Mutter auf gemeinsame Freizeit mit dem Kind während des ganzen Wochenendes“ verletzt werden würde, vermag der Revisionsrekurs nicht nachvollziehbar darzulegen. Eine Beeinträchtigung des Kindeswohls behauptet die Revisionsrekurswerberin in diesem Zusammenhang gar nicht.
3. Da mit der Zustellung des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs die Entscheidung formell rechtskräftig wird, sodass deren Wirkungen eintreten, erübrigt sich eine vorläufige Wirksamkeitserklärung der Entscheidung zweiter Instanz iSd § 44 Abs 1 AußStrG. Der während des Revisionsrekursverfahrens gestellte Antrag des Vaters ist daher abzuweisen (vgl 9 Ob 39/16z mwN).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2019:E125726 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
CAAAF-68174