OGH 22.06.2021, 10ObS75/21h
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 85/20d-18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 43 Cgs 142/20z-11, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 377,50 EUR (darin enthalten 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin bezog anlässlich der Geburt ihrer Tochter am von bis Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens. Es ist unstrittig, dass die fünfte, spätestens im 14. Lebensmonat vorzunehmende Untersuchung des Kindes (§ 7 Mutter-Kind-Pass-Verordnung 2002 [MuKiPassV, BGBl II 2001/470 idF BGBl II 2013/420]) verspätet erst am vorgenommen wurde. Der Nachweis dieser Untersuchung wurde der beklagten Österreichischen Gesundheitskasse am übermittelt. Thema des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob die Klägerin diese Säumnis zu vertreten hat oder nicht (§ 24c Abs 2 Z 1 KBGG).
[2] Die Tochter der Klägerin wurde seit ihrer Geburt von einem Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde behandelt, der auch sämtliche Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen vornahm. Die Klägerin und ihr Mann, ein Arzt, haben zu diesem Kinderarzt ein besonderes Vertrauensverhältnis. Da der Arzt aus medizinischen Gründen (zur Beurteilung der Entwicklung des Kindes) die fünfte Mutter-Kind-Pass-Untersuchung möglichst zum Ende der im Gesetz normierten Frist (bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats am ) durchführen wollte, setzte er den Untersuchungstermin mit fest. Am sagte die Ordinationsmitarbeiterin diesen Untersuchungstermin wegen einer Erkrankung des Arztes ab und verschob ihn auf den . Der Klägerin wurde auch mitgeteilt, dass die Vertretungsärztin keine Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen durchführt. Die Untersuchung fand am „schnellstmöglich“ nach der Genesung des Arztes statt.
[3] Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt telefonierte die Klägerin mit einem Mitarbeiter der Beklagten und berichtete von der Verschiebung des für geplanten Untersuchungstermins. Sie erhielt die Antwort, dies sei kein Problem, wenn die Nachweise bis zum 18. Lebensmonat des Kindes übermittelt würden.
[4] Mit Bescheid vom sprach die beklagte Österreichische Gesundheitskasse aus, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens um 1.300 EUR reduziere und forderte die Klägerin zur Rückzahlung auf.
[5] In ihrer Klage verwies die Klägerin auf die zweimalige, aufgrund der Erkrankung des Kinderarztes erfolgte Verschiebung des Untersuchungstermins. Aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses sei es ihr nicht vorzuwerfen, für die Mutter-Kind-Pass-Untersuchung keinen anderen Kinderarzt gewählt zu haben. Aufgrund der telefonischen Auskunft durch die Beklagte sei sie davon ausgegangen, eine spätere Untersuchung sei kein Problem, wenn nur die Nachweise über die Untersuchung bis spätestens zur Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes übermittelt wurden.
[6] Die Beklagte wendete ein, der Klägerin sei es zumutbar gewesen, bei Verhinderung ihres Kinderarztes die Untersuchung bei einem anderen Kinderarzt ihrer Wahl innerhalb der vorgesehen Frist durchführen zu lassen.
[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, dass der Anspruch der Beklagten auf Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 1.300 EUR nicht zu Recht besteht. Es sei nicht der Sphäre der Klägerin zuzurechnen, wenn der das Kind seit seiner Geburt behandelnde (Vertrauens-)Kinderarzt einen Termin für die Mutter-Kind-Pass-Untersuchung zum Ende der gesetzlich vorgegebenen Frist vergebe, weil er dies zur Beurteilung der Entwicklung des Kindes für medizinisch indiziert gehalten habe. Nach der Absage des Termins sei es nicht von der Klägerin zu vertreten, dass sie keinen anderen Kinderarzt gesucht habe, um doch noch bis einen Untersuchungstermin zu erhalten. Die Richtigkeit ihres Handelns sei durch die Auskunft des Mitarbeiters der beklagten Partei bestätigt worden. Die Nachweise über die Untersuchungen habe die Klägerin innerhalb der Nachfrist des § 24c Abs 1 Z 3 KBGG übermittelt.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, wies das Klagebegehren ab und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz von 1.300 EUR Kinderbetreuungsgeld. Seiner rechtlichen Beurteilung nach sei – anders als in dem zu 10 ObS 15/20h entschiedenen Fall (Verschiebung des fristgerecht angesetzten Untersuchungstermins aufgrund einer Erkrankung des Kindes) – die Verschiebung der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung über den in § 7 Abs 6 MuKiPassV über den Untersuchungszeitraum hinaus von der Mutter zu vertreten. Daran ändere die unrichtige Auskunft eines Mitarbeiters der Beklagten als reine Wissenserklärung nichts. Diese Auskunft sei auch nicht kausal für die Verschiebung des Untersuchungstermins gewesen, weil der Zeitpunkt der Auskunft nicht feststehe. Die Revision sei nicht zulässig, weil die Frage, ob das Überschreiten der verordneten Untersuchungstermine vom beziehenden Elternteil zu vertreten sei, von den Umständen des Einzelfalls abhänge.
[9] Die – nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof beantwortete – außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt, weil die Beurteilung des Berufungsgerichts einer Korrektur bedarf.
Rechtliche Beurteilung
[10] 1.1 Gemäß § 24c Abs 1 Z 2 KBGG besteht der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe nur, sofern die 2. bis 5. Untersuchung des Kindes bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats vorgenommen und spätestens bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes durch Vorlage der entsprechenden Untersuchungsbestätigungen nachgewiesen werden.
[11] 1.2 Nach § 24c Abs 2 KBGG besteht trotzdem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe, wenn die Vornahme oder der Nachweis der Untersuchungen nur aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt (Z 1) oder die jeweiligen Nachweise bis spätestens zur Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes nachgebracht werden (Z 2).
[12] 1.3 Nach § 24a Abs 4 KBGG reduziert sich der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für jeden Elternteil um 1.300 EUR, wenn die in § 24c KBGG vorgesehenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht bis zu den vorgesehenen Zeitpunkten nachgewiesen werden.
[13] 2.1 Die Frage, ob der Kinderbetreuungsgeld beziehende Elternteil das Überschreiten der verordneten Untersuchungstermine zu vertreten hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, weshalb sie in der Regel keine die Zulässigkeit der Revision begründende Rechtsfrage bildet (RIS-Justiz RS0130213). Hier liegt ein Fall vor, in dem die Beurteilung des Berufungsgerichts zu korrigieren ist.
[14] 2.2 In den Gesetzesmaterialien zu den jeweiligen Fassungen des § 7 KBGG wurde als möglicher Grund für unterbliebene Untersuchungen, der nicht von den beziehenden Eltern zu vertreten ist, der Aufenthalt im Ausland genannt, wo entsprechende Untersuchungen nicht möglich sind (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 61). Als weiterer Grund für das Absehen von Untersuchungen und deren Nachweis wird höhere Gewalt angeführt (ErläutRV 248 BlgNR 22. GP 2)
und eine spätere Adoption des Kindes (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 12; siehe auch 10 ObS 140/15h SSV-NF 30/6; 10 ObS 88/16p SSV-NF 30/53).
[15] 2.3 Das allgemeine Ansteckungsrisiko bei einer Grippewelle im Warteraum eines Kinderfacharztes als Grund für eine verspätete Vornahme einer Untersuchung reicht nicht aus, um einen nicht von den Eltern zu vertretenden Grund anzunehmen (10 ObS 45/15p SSV-NF 29/27; 10 ObS 26/16w SSV-NF 30/35). Nicht zu vertreten ist hingegen die Verschiebung eines Untersuchungstermins durch den behandelnden Kinderarzt, der der Mutter anlässlich der telefonischen Bekanntgabe einer Erkrankung des Kindes erklärte, sie könne mit dem kranken Kind nicht zur Untersuchung kommen (10 ObS 15/20h).
[16] 3.1 Die Ursache der Verschiebung des Termins für eine Mutter-Kind-Pass-Untersuchung lag auch im vorliegenden Fall nicht in der Ingerenz der Mutter. Wenn der das Kind seit der Geburt untersuchende und behandelnde Kinderarzt, in den beide Eltern ein besonderes Vertrauen setzen, aus seiner Ansicht nach medizinisch indizierten Gründen einen Termin für die Mutter-Kind-Pass-Untersuchung 14 Tage vor Ablauf der in § 24c Abs 1 Z 2 KBGG vorgesehenen Frist (Vollendung des 14. Lebensmonats) festsetzt, kann auch von einer besonders sorgfältig agierenden Mutter nicht erwartet werden, dass sie diese Entscheidung des Arztes hinterfragt und auf einen früheren Termin drängt, zumal auch die Terminplanung von Ärzten zu berücksichtigen ist. Die Absage des Termins wegen Erkrankung des Arztes, die Festsetzung eines neuen Termins und dessen neuerliche Verschiebung ist der Mutter ebenfalls nicht zuzurechnen, weil sie die Dauer der Erkrankung und die Terminvergabe nicht beeinflussen konnte. Was ihr das Berufungsgericht vorwirft, ist die Tatsache, dass sie nicht versuchte, einen Arzt zu finden, der innerhalb einer 14-tägigen Frist die Mutter-Kind-Pass-Untersuchung rechtzeitig vornimmt. Die Vertretungsärztin des erkrankten Arztes kam dafür nicht in Frage, weil sie keine Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen durchführte, was der Mutter bei der Absage des ursprünglichen Untersuchungstermins auch mitgeteilt wurde. Selbst die Beklagte behauptet nicht ausdrücklich, einen Termin bei einem (Fach-)Arzt innerhalb einer derartig kurzen Frist zu bekommen, sei selbstverständlich ohne besondere Schwierigkeiten möglich. Die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Frist für eine Mutter-Kind-Pass-Untersuchung ist auch nicht als medizinischer Notfall zu bezeichnen.
[17] 3.2 In diesem Einzelfall ist der Klägerin nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs nicht vorzuwerfen, dass die 5. Untersuchung des Kindes nicht bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats vorgenommen werden konnte. Aus diesem Grund war auch die Vorlage der entsprechenden Untersuchungsbestätigung bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes (§ 24c Abs 1 Z 2 KBGG) nicht möglich. Die Nachfrist zur Erbringung des Nachweises bis spätestens zur Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes (§ 24c Abs 2 KBGG) hielt die Klägerin ein. Der Nachweis für die am durchgeführte Untersuchung wurde der Beklagten am übermittelt.
[18] 4. Aus diesen Erwägungen besteht der Rückforderungsanspruch der Beklagten nicht zu Recht. Das Urteil des Erstgerichts ist wiederherzustellen.
[19] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Gegenstand dieses Verfahrens ist der Anspruch der Beklagten auf Rückforderung einer bezogenen Leistung. § 77 Abs 2 ASGG ist nicht anzuwenden, Bemessungsgrundlage ist die Höhe des zurückgeforderten Betrags (RS0085754; 10 ObS 15/19g).
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann (Senat nach § 11a Abs 3 Z 1 ASGG) in der Sozialrechtssache der Klägerin C*****, vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, infolge der außerordentlichen Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 7 Rs 85/20d-18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 43 Cgs 142/20z-11, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Kostenentscheidung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 10 ObS 75/21h, wird dahin berichtigt, dass sie lautet:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 377,50 EUR (darin enthalten 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.“
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Bei der Kostenentscheidung im Urteil vom liegt eine offenkundige Unrichtigkeit vor, die iSd § 419 ZPO zu berichtigen ist.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2022:E132253 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
ZAAAF-68042