OGH 15.12.2020, 10Ob51/20b
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Y*, geboren * 2014, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 16, 17, 18 und 19, 1170 Wien, Kalvarienberggasse 29), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 48 R 65/20v-46, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 7 Pu 74/17k-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Rekursgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, die Zustellung jeweils einer Gleichschrift des Revisionsrekurses an den Vater A* zu Handen der Zustellkuratorin RA Dr. Elisabeth Nowak zu veranlassen.
Nach Erstattung der Revisionsrekurs-beantwortung bzw fruchtlosem Verstreichen der Frist sind die Akten erneut dem Obersten Gerichtshof vorzulegen.
Text
Begründung:
[1] Das Erstgericht wies den Antrag des durch den Kinder- und Jugendhilfeträger vertretenen Kindes auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 7 1.COVID-19-JuBG, BGBl I 2020/16, ab (ON 18).
[2] Das Rekursgericht bezog auch den Vater als Unterhaltsschuldner, die Mutter als Zahlungsempfängerin und den Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien in das Verfahren ein und gab dem dagegen vom Kind erhobenen Rekurs nicht Folge. Zunächst sprach das Rekursgericht aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei (ON 46).
[3] Gleichschriften der vom Kind eingebrachten Zulassungsvorstellung, verbunden mit einem ordentlichen Revisionsrekurs, wurden nach der Aktenlage vom Erstgericht weder dem Vater noch dem Bund zugestellt.
[4] Mit Beschluss vom gab das Rekursgericht der Zulassungsvorstellung des Kindes Folge, sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zulässig sei und stellte dem Vater und dem Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gemäß § 63 Abs 5 AußStrG die Beantwortung des ordentlichen Revisionsrekurses frei.
[5] Das Rekursgericht ordnete laut der Aktenlage (allein) die Zustellung des Beschlusses über die Zulassungsvorstellung an, nicht aber die Zustellung des Revisionsrekurses. Der Bund gab bekannt, keine Revisionsrekursbeantwortung einzubringen.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die Aktenvorlage an den Obersten Gerichtshof ist verfrüht, weil über das Rechtsmittel derzeit noch nicht entschieden werden kann.
[7] 1.1 Wird ein Revisionsrekurs, oder – wie hier – eine Zulassungsvorstellung, mit der ein ordentlicher Revisionsrekurs verbunden ist, gegen einen Beschluss erhoben, mit dem über die Sache entschieden worden ist und findet das Gericht erster Instanz keinen Grund zur Zurückweisung, so ist jeder anderen aktenkundigen Partei eine Gleichschrift zuzustellen (§ 68 Abs 1 AußStrG).
[8] 1.2 Unter einem Beschluss „über die Sache“ wird jede Entscheidung über den Verfahrensgegenstand verstanden (RS0120860). Die anderen Parteien können binnen 14 Tagen eine Beantwortung des Revisionsrekurses überreichen.
[9] 2.1 Im Gewährungsverfahren nach dem UVG ist das Kind Partei im formellen Sinn gemäß § 2 Abs 1 Z 1 AußStrG. Wie sich aus §§ 12, 14 UVG ergibt, kann dem Bund (vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts) und dem Geldunterhaltsschuldner, möglicherweise auch weitere Personen Parteistellung im Sinn des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG zukommen, soweit ihre rechtlich geschützte Stellung unmittelbar beeinflusst werden kann. Daher steht es im vorliegenden Fall auch dem Vater als Geldunterhaltsschuldner frei, gemäß § 68 Abs 1 und Abs 3 Z 2 AußStrG eine Beantwortung des Revisionsrekurses einzubringen (vgl 10 Ob 7/17b und 10 Ob 17/14m, jeweils zu Fällen, in denen vom Erstgericht ein Unterhaltsvorschuss gewährt worden war; RS0120860 [T12]).
[10] 2.2 Hat das Erstgericht die Gleichschrift des Revisionsrekurses nicht den weiteren Parteien zugestellt, ist dies vom Rekursgericht mit dem Beschluss, mit dem die Revisionsrekursbeantwortung freigestellt wird, nachzuholen (vgl 10 Ob 1/17w).
[11] 2.3 Das Rekursgericht hat zwar den Beschluss vom (mit dem der Revisionsrekurs für zulässig erklärt wurde) dem Vater und dem Bund zugestellt und diesen Parteien die Beantwortung des Revisionsrekurses freigestellt (§ 63 Abs 5 AußStrG). Eine Zustellung einer Gleichschrift des Revisionsrekurses an den Vater als Unterhaltspflichtigen (zu Handen der Zustellkuratorin) ist nach der Aktenlage aber bisher nicht erfolgt.
[12] Dies ist vom Rekursgericht noch nachzuholen, weshalb die Akten dem Rekursgericht zurückzustellen sind.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Y*****, geboren ***** 2014, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 16, 17, 18 und 19, 1170 Wien, Kalvarienberggasse 29), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 48 R 65/20v-46, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 7 Pu 74/17k-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts zu lauten hat:
„1. Dem Kind wird von bis und von bis längstens gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG ein monatlicher Unterhaltsvorschuss von 370 EUR, jedoch höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß §§ 293 Abs 1 lit c, sublit bb erster Fall, 108 f ASVG gewährt.
2. Der Präsident des Oberlandesgerichts Wien wird um Auszahlung der Vorschüsse an die Mutter L***** als Zahlungsempfängerin ersucht.
3. Dem (durch die Zustellkuratorin vertretenen) Unterhaltsschuldner wird aufgetragen, die Pauschalgebühr von 370 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen.
4. Dem (durch die Zustellkuratorin vertretenen) Unterhaltsschuldner wird weiters aufgetragen, alle Unterhaltsbeträge – ansonsten ihnen keine schuldbefreiende Wirkung zukäme – an den Kinder- und Jugendhilfeträger Land Wien, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 16, 17, 18 und 19, Kalvarienberggasse 29, 1170 Wien (als gesetzlichen Vertreter des Kindes zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche) zu zahlen.
5. Der Kinder- und Jugendhilfeträger wird ersucht, die bevorschussten Unterhaltsbeträge einzutreiben und, soweit eingebracht, monatlich dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien zu überweisen.
6. Die Mutter des Minderjährigen sowie der Unterhaltsschuldner haben dem Gericht unverzüglich den Eintritt jeden Grundes für die Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse mitzuteilen. Auf die Ersatzpflicht nach § 22 UVG wird hingewiesen.“
Text
Begründung:
[1] Der unterhaltspflichtige Vater verpflichtete sich am mit Unterhaltsvereinbarung nach § 210 Abs 2 ABGB zu einer monatlichen Unterhaltsleistung an seinen Sohn Y***** von 370 EUR ab (AS 81). Bemessungsgrundlage war das damalige Nettoinkommen des Vaters als Flüchtlingsbetreuer von monatlich 2.766 EUR inklusive Sonderzahlungen und Honorare für seine Übersetzungstätigkeiten (AS 81, AS 50). Er ist für zwei weitere Kinder (geboren 2007 und 2019) unterhaltspflichtig.
[2] Am beantragte das Kind Titelvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG. Der Vater habe den laufenden Unterhalt nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels nicht zur Gänze geleistet. Dem Antrag war ein Exekutionsantrag nach § 294a EO an das Bezirksgericht Döbling vom angeschlossen.
[3] Mit Beschluss vom (ON 18) wies das Erstgericht den Antrag auf Gewährung von Titelvorschüssen mit der Begründung ab, dass statt eines Antrags nach § 294a EO ein Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen unter Berücksichtigung von § 372 EO einzubringen gewesen wäre. Nach dem dem Antrag beiliegenden Versicherungsdatenauszug vom habe der Vater als Unterhaltsschuldner bis Arbeitslosengeld bezogen. Wie sich aus einer neuerlichen Versicherungsdatenabfrage ergebe, habe er auch im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz () weiterhin keine Gehaltsforderungen oder keine anderen in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderungen. Ein Exekutionsantrag nach § 294a EO sei daher nicht zielführend.
[4] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Unterhaltsschuldner in die Gruppe der von § 3 Z 2 erster Fall UVG erfassten Schuldner einzuordnen sei, die zur Exekutionsführung nach § 294a EO verpflichtet seien, oder ob er zu jener Gruppe gehöre, gegen die eine Fahrnisexekution kombiniert mit einer Exekution nach § 372 EO geführt werden müsse, sei dessen sozial-wirtschaftliche Einordnung.
[5] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nachträglich zur Klärung der Frage zu, ob dieser Grundsatz auch dann gelte, wenn der Unterhaltsschuldner über längere Zeit kein Arbeitseinkommen iSd § 290a EO bezogen habe.
Rechtliche Beurteilung
[6] Der Revisionsrekurs des Kindes ist zulässig und im Sinne einer Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.
[7] Im Revisionsrekurs wird geltend gemacht, dass der Unterhaltsschuldner auch dann, wenn er derzeit keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehe, seiner sozial-wirtschaftlichen Einordnung nach offenbar der Gruppe der unselbständig Erwerbstätigen zuzuordnen sei, weshalb eine Exekutionsführung nach § 294a EO zu beantragen gewesen sei.
[8] Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu:
[9] 1. Zum Erfordernis der Exekutionsführung:
[10] 1.1 § 3 Z 2 UVG setzt bei Geldunterhaltspflichtigen mit laufenden Entgeltansprüchen (Lohn, Gehalt, sonstige fortlaufende Bezüge) einen Exekutionsantrag nach § 294a EO und bei Geldunterhaltspflichtigen ohne laufende Bezüge iSd § 290a EO einen Antrag auf Fahrnisexekution, kombiniert mit einer Exekution nach § 372 EO voraus (10 Ob 24/17b).
[11] 1.2 Aufgrund der Subsidiarität der Vorschussgewährung gegenüber der Hereinbringung des Geldunterhalts vom Unterhaltsschuldner muss der Exekutionsantrag grundsätzlich erfolgversprechend in dem Sinn sein, dass damit die Möglichkeit besteht, den Geldunterhaltsanspruch auch zu lukrieren (RIS-Justiz RS0126246). Das Kind hat dabei nur einen, aber den „richtigen“ Schritt zu setzen, abhängig davon, welcher der beiden in § 3 Z 2 angeführten Gruppen der Unterhaltsschuldner zuzurechnen ist (2 Ob 241/01g; 10 Ob 35/10k; Neumayr in Schwimann/Kodek I4 § 3 UVG Rz 21 und 23).
[12] 1.3 Ein Exekutionsantrag nach § 294a EO ist bei einem Unterhaltsschuldner zu stellen, der den unselbständig Erwerbstätigen oder sonstigen Beziehern fortlaufender Bezüge (§ 290a EO) zuzurechnen ist, selbst wenn er gerade keiner Beschäftigung nachgeht, sonst aber im Allgemeinen aus einem solchen Einkommen (zB einem Arbeits- oder Pensionseinkommen) seinen Lebensunterhalt bestreitet. Eine Exekution zur Sicherstellung ist nur erforderlich, wenn der Unterhaltsschuldner offenbar nicht Bezieher eines Arbeitseinkommens im weiten Sinn des § 290a Abs 1 EO ist, sondern als selbständig Erwerbstätiger anzusehen ist.
[13] 1.4 Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Unterhaltsschuldner zu den von § 3 Z 2 erster Fall UVG erfassten Schuldnern gehört, gegen die verpflichtend eine Exekution nach § 294a EO zu führen ist, oder ob er zu jener Gruppe gehört, gegen die Fahrnisexekution kombiniert mit Exekution nach § 372 EO geführt werden muss, ist seine sozial-wirtschaftliche Einordnung (2 Ob 241/01g; RS0131663).
[14] 1.5 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, welcher Gruppe der Unterhaltsschuldner zugehört, ist prinzipiell der Zeitpunkt der Exekutionsantragstellung, sofern ein konkreter zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang zwischen Exekutionsantrag und Vorschussantrag besteht (Neumayr in Schwimann/Kodek I5 § 3 UVG Rz 25). Dieser Zusammenhang ist vorliegendenfalls sowohl in zeitlicher als auch inhaltlicher Hinsicht zu bejahen.
[15] 1.6 Nach der Aktenlage war der geldunterhaltspflichtige Vater zuletzt 13 Jahre lang unselbständig als Flüchtlingsbetreuer (Sozialarbeiter) vollzeitbeschäftigt und erzielte neben seinem Einkommen aus dieser Tätigkeit auch noch zusätzliches Einkommen aus Honoraren für Übersetzungstätigkeiten. Nach Beendigung seiner unselbständigen Tätigkeit im Juni 2018 bezog er von bis Weiterbildungsgeld nach dem AlVG. Von bis hatte er Anspruch auf Arbeitslosengeld (AS 77). Von bis war er arbeitssuchend gemeldet. Zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz () scheint keine Meldung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit auf.
[16] 1.7 Stellt man für die Beurteilung der Frage der sozial-wirtschaftlichen Einordnung auf den Zeitpunkt der Exekutionsantragstellung im Februar 2020 ab, steht fest, dass der Unterhaltsschuldner ab Anfang Dezember 2019 weder Gehaltsforderungen noch andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderungen mehr hatte. Im Hinblick auf die vorher langjährige unselbständige Beschäftigung ändert weder dieser Umstand noch die Tatsache des Arbeitsplatzverlustes etwas an der grundsätzlichen Einordnung in die Gruppe der unselbständig Erwerbstätigen (10 Ob 24/17b; Neumayr in Schwimann/Kodek I5 § 3 UVG Rz 25).
[17] 1.8 Es reichte daher aus, einen Exekutionsantrag nach § 294a EO zu stellen.
[18] 2. Zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 UVG:
[19] 2.1 Im Fall eines Antrags auf Titelvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG sind die Vorschüsse nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG ausnahmsweise ganz oder teilweise zu versagen, wenn sich die materielle Unrichtigkeit des Titels aus der Aktenlage ergibt (RS0076391 [T16]; 10 Ob 37/16p; 10 Ob 24/17b). Der aufgrund des Exekutionstitels gewährte Vorschuss soll der jeweiligen materiellen gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen (RS0076391), um eine Belastung des Staates mit hohen, offensichtlich nicht der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechenden Unterhaltsvorschüssen zu verhindern (10 Ob 24/17b).
[20] 2.2 An die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Voraussetzungen für die Versagung der Unterhaltsvorschüsse iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist ein strenger Maßstab anzulegen (RS0108443).
[21] 2.3 Anhaltspunkte gegen den aufrechten materiellen Bestand des Titels (§ 7 Abs 1 Z 1 UVG) könnten dann vorliegen, wenn sich aus der Aktenlage starke Anhaltspunkte für eine Änderung der Verhältnisse nach Titelschaffung ergeben. Diese könnten im vorliegenden Fall darin bestehen, dass der Unterhaltspflichtige seit dem Verlust seines Arbeitsplatzes nicht mehr in der Lage ist, seiner Unterhaltsverpflichtung entsprechend dem Titel nachzukommen.
[22] 2.4 An einer hohen Wahrscheinlichkeit der Unrichtigkeit des Titels im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 UVG fehlt es dann, wenn die Voraussetzungen für die Anspannung des Unterhaltsschuldners auf einen Unterhalt in Titelhöhe gegeben sind, dieser sich also an jenem Einkommen messen lassen muss, das er bei zumutbarer Ausschöpfung seiner Möglichkeiten („Anspannung seiner Kräfte“) zu erzielen in der Lage wäre (RS0076377 [T5]).
[23] 2.5 Die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes setzt voraus, dass ausreichende, beweismäßig erfassbare Fakten für die Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners vorhanden sind (10 Ob 33/17a).
[24] 2.6 Nach der Aktenlage wurde der unterhaltspflichtige Vater 1975 in Palästina geboren, wo er ein Bachelor Degree in Business Administration erwarb, ohne jedoch in diesem Bereich gearbeitet zu haben. In Österreich war er 13 Jahre lang unselbständig als Flüchtlingsbetreuer beschäftigt. Sein aus dieser Berufstätigkeit erzieltes Einkommen von monatlich 2.000 EUR netto (exklusive Sonderzahlungen) und seine für Übersetzungstätigkeiten erzielten Honorare wurden der Unterhaltsvereinbarung im Jahr 2016 mit 370 EUR monatlich zugrunde gelegt. Da die D***** GmbH (der Arbeitgeber des Vaters) einige Häuser, in denen Flüchtlinge betreut worden waren, „zugesperrt“ hat, wurde das Arbeitsverhältnis des Vaters 2018 beendet. Bis Juni 2018 arbeitete er noch; danach war er ein Jahr lang in Bildungskarenz und absolvierte einen Spanischkurs. Informationen über seinen derzeitigen Aufenthalt sowie darüber, ob er einer Berufstätigkeit nachgeht, bestehen nicht; sein Aufenthalt ist unbekannt.
[25] 2.7 Legt man diese aktenmäßig erfassten Umstände der Einschätzung der Leistungsfähigkeit zugrunde, hat das Kind hinreichende Tatsachen glaubhaft gemacht, die den Schluss auf die Anspannbarkeit des Unterhaltsschuldners auf ein weiterhin erzielbares Einkommen in Höhe des bereits im Jahr 2016 verdienten Einkommens zulassen. Demnach kann nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die im Exekutionstitel im Jahr 2016 festgesetzte Unterhaltsverpflichtung zwischenzeitig materiell unrichtig geworden wäre. Allein Bedenken gegen die materielle Richtigkeit des Titels reichen für die gänzliche oder teilweise Versagung nicht aus.
[26] 2.8 In Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen sind dem Kind ab Titelvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG längstens bis zu gewähren. Die Einschränkung um den Zeitraum von bis folgt daraus, dass dem Kind zwischenzeitig mit rechtskräftigem Beschluss vom (ON 49) Unterhaltsvorschüsse gemäß § 7 1. COVID-19-JuBG, BGBl I 2020/16, in Höhe von monatlich 370 EUR gewährt worden waren.
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2021:E131598 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAF-67910