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OGH 15.12.2020, 10Ob50/20f

OGH 15.12.2020, 10Ob50/20f

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mittlerweile volljährigen I*, geboren * 2002, wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 15 R 245/20k-33, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Rohrbach vom , GZ 2 Pu 218/16w-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die vom Träger der Kinder- und Jugendhilfe erstattete Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

II. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die Erhöhung der dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum von bis von monatlich 300 EUR auf monatlich 360 EUR.

[2] I. Das Kind war im Verfahren durch das Land Oberösterreich als Träger der Kinder- und Jugendhilfe vertreten. Es wurde im April 2020 volljährig. Damit ist die nach § 9 Abs 2 UVG bestehende Vertretungsbefugnis des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe ex lege erloschen (10 Ob 41/19f; RS0125790). Ist die Unterhalts-(vorschuss-)berechtigte volljährig geworden, ist sie dem weiteren Verfahren persönlich beizuziehen ( mwN). Dies geschah auch im vorliegenden Fall, ihr wurde sowohl die Entscheidung des Rekursgerichts als auch der vom Bund eingebrachte Revisionsrekurs zugestellt. Die Unterhaltsberechtigte beteiligte sich allerdings nicht am Revisionsrekursverfahren. Die vom Träger der Kinder- und Jugendhilfe eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung war, da dieser nicht mehr vertretungsbefugt ist, als unzulässig zurückzuweisen.

[3] II. Mit Beschluss vom gewährte das Erstgericht dem Kind aufgrund eines gerichtlichen Unterhaltsvergleichs des Vaters vom (bei ON 4) Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 100 EUR monatlich für den Zeitraum von bis (ON 5).

[4] Mit Beschluss des Erstgerichts vom wurde der Vater verpflichtet, dem Kind ab bis auf weiteres einen monatlichen Unterhalt von 300 EUR zu leisten (ON 9). Daraufhin erhöhte das Erstgericht mit Beschluss vom die dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse ab auf monatlich 300 EUR (ON 10).

[5] Mit Beschluss vom verpflichtete das Erstgericht den Vater, dem Kind ab bis auf weiteres, längstens bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit einen monatlichen Unterhalt von 360 EUR zu leisten (ON 19).

[6] Das Erstgericht erhöhte die dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum von bis auf monatlich 360 EUR. Der Beschluss vom über die Unterhaltserhöhung sei den Parteien am bzw am zugestellt worden. Er sei aber infolge der durch § 1 1. COVID-19-JuBG angeordneten Fristunterbrechung erst am in Rechtskraft erwachsen. Bei einem „gewöhnlichen“ Zeitablauf wäre der Erhöhungsbeschluss jedenfalls noch im März 2020 in Rechtskraft erwachsen. Die durch § 1 1. COVID-19-JuBG ausgelöste Fristunterbrechung dürfe nicht zu Lasten des Kindes gehen. Daher sei die nachträgliche Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse anzuordnen gewesen.

[7] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge. Eine ausschließlich rückwirkende Erhöhung von Unterhaltsvorschüssen sei gemäß § 19 Abs 2 UVG zwar ausgeschlossen. Diese Rechtsprechung sei jedoch aufgrund der besonderen „COVID-19-Umstände“ des vorliegenden Falls unsachlich und widerspreche der Gleichbehandlung, weshalb sie nicht aufrecht erhalten werden könne. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil das Rekursgericht von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgegangen sei.

[8] Gegen diesen Beschluss richtet sich der – von keiner der anderen Verfahrensparteien beantwortete –  Revisionsrekurs des Bundes, mit dem sich dieser gegen die Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse wendet.

[9] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und im Ergebnis berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1.1 § 19 Abs 2 UVG lautet in seiner geltenden Fassung BGBl 1980/278:

Änderung der Vorschüsse

§ 19 (1) …

(2) Wird der Unterhaltsbeitrag erhöht, so hat das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag die Vorschüsse bis zum Ende des im zuletzt gefassten Beschluss über die Gewährung oder Weitergewährung bestimmten Zeitraums zu erhöhen; die Erhöhung ist mit dem auf das Wirksamwerden der Unterhaltserhöhung folgenden Monatsersten, fällt die Erhöhung auf einen Monatsersten, mit diesem anzuordnen.

(3) …“

[11] 1.2 Dem Gesetzgeber des BGBl 1980/278 war die erst mit der Entscheidung des verstärkten Senats 6 Ob 544/87 vom (= SZ 61/143; RS0034969) eröffnete Möglichkeit der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen auch für die Vergangenheit noch unbekannt (6 Ob 550/94). Er wollte mit der Bestimmung des § 19 Abs 2 UVG den Gleichlauf zwischen Unterhaltsvorschuss und Unterhaltstitel herstellen, wenn während des Laufens der Vorschüsse der Unterhaltsbeitrag (wenn auch noch nicht rechtskräftig) erhöht wird (ErläutRV 276 BlgNR 15. GP 7, 14; RS0107561; RS0109104). Bereits in der zitierten Entscheidung 6 Ob 550/94 (Leitentscheidung in RS0076743) führte der Oberste Gerichtshof aus, dass daher schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung und dem vom Gesetzgeber mit ihrer Schaffung verfolgten Zweck die Erhöhung von Unterhaltsvorschüssen auf Antrag gemäß § 19 Abs 2 UVG voraussetzt, dass Unterhaltsvorschüsse zumindest im Zeitpunkt der Antragstellung auf Erhöhung der Vorschüsse überhaupt noch gewährt werden.

[12] 1.3 Diese Rechtsprechung entwickelte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 526/95 weiter, in der er ausführte, dass eine Erhöhung des Unterhaltsvorschusses nicht nur dann ausgeschlossen ist, wenn die Vorschüsse im Zeitpunkt des Erhöhungsantrags bereits eingestellt sind, sondern auch dann, wenn selbst bei unverzüglicher Entscheidung über den Erhöhungsantrag kein laufender Vorschuss mehr erhöht werden kann, weil nur mehr eine Erhöhung der Vorschusszahlungen für die Vergangenheit und nicht auch eine Erhöhung künftiger Vorschusszahlungen möglich wäre. Ausgeschlossen ist demnach gemäß § 19 Abs 2 UVG eine ausschließlich rückwirkende Erhöhung von Unterhaltsvorschüssen. Die Periode, für die die Vorschüsse gewährt wurden, darf im Zeitpunkt der Beschlussfassung über deren Erhöhung weder abgelaufen noch auch durch einen davor gefassten Einstellungsbeschluss beendet sein (RS0076743 [T4]; ausführlich mwH zuletzt 10 Ob 24/19f; Neumayr in Schwimann/Kodek5 § 19 UVG Rz 23 aE).

[13] 1.4 Soll wie im vorliegenden Fall eine Erhöhung der Vorschüsse von Amts wegen erfolgen (ein Erhöhungsantrag wurde nicht gestellt), ist Voraussetzung, dass Unterhaltsvorschüsse zumindest im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz auf Erhöhung der Vorschüsse überhaupt noch gewährt werden (3 Ob 533/95; RS0076743 [T2, T4]). Daher kommt eine amtswegige Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse dann nicht in Betracht, wenn die Beschlussfassung über die Unterhaltsvorschusserhöhung nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit liegt, also der Beschluss erst nach Ablauf des Zeitraums gefasst wird, für den die letzten Unterhaltsvorschüsse gewährt wurden (3 Ob 538/95; 10 Ob 38/18p).

[14] 2.1 Dies ist hier der Fall: Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts, am , waren die bis gewährten Unterhaltsvorschüsse bereits ausgelaufen, denn das Kind hatte bereits im April 2020 die Volljährigkeit erreicht. Auf den Grund, aus dem eine Entscheidung gemäß § 19 Abs 2 UVG erst später getroffen wird, kommt es nicht an. Insbesondere sollte nach dem bereits erwähnten historischen Willen des Gesetzgebers die Neufassung des § 19 Abs 2 UVG mit der Novelle BGBl 1980/276 ja gerade der nach altem Recht unbefriedigenden Situation abhelfen, dass Unterhaltsvorschüsse erst erhöht werden durften, wenn der Beschluss, mit dem die Unterhaltsbeiträge erhöht werden, in Rechtskraft erwachsen ist (ErläutRV 276 BlgNR 15. GP 14).

[15] 2.2 Wesentlich ist vielmehr im konkreten Fall, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts die Erhöhung der dem Kind gewährten, aber bereits ausgelaufenen Unterhaltsvorschüsse ausschließlich rückwirkend erfolgt wäre. Die Vorschusserhöhung könnte nicht mehr dazu führen, dass die mittlerweile volljährige Unterhaltsberechtigte über den Vorschuss jenen Unterhaltsbeitrag erhält, den der Unterhaltsverpflichtete leisten muss. Es käme vielmehr zu einer Nachzahlung, die der Mutter als Zahlungsempfängerin zugute käme, die aber das Kind nicht mehr versorgt (4 Ob 526/95). Eine Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse ist in einem solchen Fall ausgeschlossen.

[16] Dem Revisionsrekurs des Bundes ist daher im Sinne einer ersatzlosen Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen, mit denen die Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum von bis rückwirkend erhöht wurden, Folge zu geben.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2021:E130651
Datenquelle

Fundstelle(n):
KAAAF-67908