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OGH 28.09.2022, 9ObA99/22g

OGH 28.09.2022, 9ObA99/22g

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Christian Lewol (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DI R* H*, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch Dr. Wolfgang Kinner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 26/22k-31, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 31 Cga 125/20h-23, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war bei der Beklagten bzw deren Rechtsvorgängerinnen seit beschäftigt.

[2] Am schlossen die Beklagte und deren Zentralbetriebsrat mit Betriebsvereinbarung einen Sozialplan („Sozialplan S*“) ab, weil die Beklagte beabsichtigte, eine Sparte ihres Unternehmens in Wien zu schließen und Mitarbeiter abzubauen. Diese Betriebsvereinbarung galt zunächst bis . In der Folge wurde die Gültigkeit dieses Sozialplans bis verlängert.

[3] Am wurde die Betriebsvereinbarung Nummer 20 zwischen der S* AG Österreich und deren Zentralbetriebsrat über die Umsetzung der gesetzlichen Altersteilzeit (ATZ), die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Teilpension (erweiterte ATZ), den „gleitenden Pensionsübergang“ (GPÜ), die Einrichtung eines Langzeitkontos (LZK) und die Freistellung von Mitarbeitern mit Gültigkeit ab abgeschlossen.

[4] Mehrere Anbote der Beklagten (zuletzt ein Anbot vom November 2019), das Dienstverhältnis mit dem Kläger unter Berücksichtigung des Sozialplans einvernehmlich aufzulösen, nahm der Kläger nicht an, weil er mit den jeweils darin genannten Bedingungen (ua dem Beendigungsdatum) nicht einverstanden war.

[5] Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis des Klägers zum auf. Diese Kündigung focht der Kläger wegen Sozialwidrigkeit und eines verpönten Motivs an. Über die Kündigungsanfechtungsklage wurde bislang noch nicht entschieden.

Die Betriebsvereinbarung „Sozialplan S*“ enthält ua folgende Regelungen:

1. Präambel

Personalanpassungen

Es werden Bedingungen für folgende Maßnahmen personeller Art vereinbart:

-

Angebote gemäß BV-20 (ATZ, GPÜ) der S* AG Österreich

-

Versetzungen, Konzernübertritte

-

Beendigung von Dienstverhältnissen

Der Vorstand der S* hat beschlossen, dass eine bestimmte von der PG-Leitung definierte Gruppe von ArbeitnehmerInnen (im folgenden MitarbeiterInnen) ein Anbot für eine Maßnahme gemäß diesem Sozialplan erhalten. Die Vertragspartner sind sich einig, dass ein höchstmögliches Maß an Einvernehmlichkeit zwischen MitarbeiterInnen und Unternehmen erzielt werden soll. Als weitergehende Maßnahmen werden aus Sicht der S* betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen.

2. Geltungsbereich

Die Punkte 1–5 dieser Betriebsvereinbarung gelten für MitarbeiterInnen, die sich zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Betriebsvereinbarung in einem unbefristeten ungekündigten Dienstverhältnis befinden.

Sie gilt nicht für MitarbeiterInnen, deren Dienstverhältnis wegen Pensionierung (z.B. Alterspension, vorzeitiger Alterspension, Korridorpension, Berufsunfähigkeits-/ Invaliditätspension) endet. Im Hinblick auf die Zielsetzung des Sozialplanes sollen MitarbeiterInnen, die die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch aus der Pensionsversicherung erfüllen, diese Pensionsleistungen auch in Anspruch nehmen.

Bei Selbstkündigungen und bei Entlassungen gilt der Sozialplan nicht.

5. Beendigung von Dienstverhältnissen

Die Betriebsvereinbarung gilt, sofern eine Auflösungsvereinbarung-/erklärung nach dem Abschluss dieser BV und bis spätestens zum abgeschlossen/abgegeben wurde und der/die Mitarbeiterin bis spätestens aus dem Konzern ausscheidet.

Ansprüche aus einzelvertraglichen Auflösungsvereinbarungen, die über die gesetzlichen und/oder kollektivvertraglichen und/oder Betriebsvereinbarungs-Ansprüche hinausgehen, werden auf die Leistungen nach diesem Sozialplan angerechnet.

5.10. Auszahlungsmodus

Die gesetzlichen Ansprüche werden nach Abzug der gesetzlichen Abzüge mit Beendigung des Dienstverhältnisses zur Gänze fällig. Freiwillige Leistungen nach dieser Betriebsvereinbarung werden mit Beendigung des Dienstverhältnisses fällig, es sei denn, dass im gerichtlichen Weg der Weiterbestand des Dienstverhältnisses geltend gemacht wird (Kündigungsanfechtung).

(…)

[6] Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er auch im Falle der rechtswirksamen Beendigung des Dienstverhältnisses durch die Kündigung des Dienstgebers Anspruch auf Leistungen aus der Betriebsvereinbarung-Sozialplan vom habe, wobei diese Leistungen insbesondere die freiwillige Leistung nach Punkt 5.2., das Jubiläumsgeld nach Punkt 5.4., den Familienzuschuss nach Punkt 5.6. und den Sozialfonds gemäß Punkt 5.8.1. der Betriebsvereinbarung-Sozialplan umfassten.

[7] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte Klagsabweisung und wandte – soweit für das Revisionsverfahren relevant – ein, dass ein gekündigter Mitarbeiter keinen Anspruch auf Leistungen aus dem Sozialplan habe.

[8] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren insofern teilweise statt, als es feststellte, dass der Kläger auch im Falle der rechtswirksamen Beendigung des Dienstverhältnisses zwischen den Streitteilen durch die Kündigung des Dienstgebers Anspruch auf Leistungen aus der Betriebsvereinbarung – Sozialplan vom hat. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren wurde rechtskräftig abgewiesen. Aus dem Wortlaut und Zweck des Sozialplans gebührten die Leistungen daraus auch dem von der Beklagten gekündigten Kläger.

[9] Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts und gab der Berufung der Beklagten gegen den klagsstattgebenden Teil der Entscheidung nicht Folge. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil die Auslegung des gegenständlichen Sozialplans für eine große Anzahl von Mitarbeitern der Beklagten, und damit über den Einzelfall hinaus, von Bedeutung sei und noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum gegenständlichen Sozialplan vorliege.

[10] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

[13] Im Revisionsverfahren ist zwischen den Parteien alleine strittig, ob der Kläger auch im Fall der rechtswirksamen Beendigung seines Dienstverhältnisses durch Kündigung der Beklagten Anspruch auf Leistungen aus dem Sozialplan vom hat.

Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

[14] 1.1. Der normative Teil von (hier: Sozialplan-) Betriebsvereinbarungen ist – wie jener von Kollektivverträgen – nach den für die Interpretation von Gesetzen geltenden Regeln (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen (RS0050963 [T2, T4]). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RS0010088 [T30]). In erster Linie ist bei der Auslegung einer Betriebsvereinbarung daher der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text der Betriebsvereinbarung ergebende Absicht der Betriebsparteien zu berücksichtigen (RS0008782, RS0010089 ua). Bei der Auslegung muss zumindest im Zweifel unterstellt werden, dass die Parteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RS0008897, RS0008828).

[15] 1.2. Zahlreiche Ansprüche, die Sozialpläne gewähren, verfolgen das Ziel, den Arbeitnehmern bisher zugestandene Rechtspositionen solange wie möglich zu erhalten bzw deren Verlust auszugleichen (RS0107237). Der typische Zweck eines Sozialplans, die sich aus einer betrieblichen Änderung für alle oder einen erheblichen Teil der Arbeitnehmerschaft ergebenden wesentlichen Nachteile zu verhindern, zu beseitigen oder zu mildern, ist bei der Auslegung des Sozialplans zu berücksichtigen (RS0010088 [T19]).

[16] 2.1. Die Präambel der Betriebsvereinbarung, die die Beklagte in den Vordergrund ihrer Überlegungen stellt, hält zunächst fest, dass die Beklagte bestimmten Mitarbeitern (dass der Kläger einer dieser Mitarbeiter ist, ist zwischen den Parteien nicht strittig) ein Anbot zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses unter Berücksichtigung des Sozialplans machen wird. Sollte ein Mitarbeiter dieses Anbot nicht annehmen, behält sich die Beklagte eine betriebsbedingte Kündigung dieses Mitarbeiters vor. Dass ein betriebsbedingt gekündigter Mitarbeiter dann aber nicht in den Genuss der Leistungen des Sozialplans kommen kann, lässt sich dem Wortlaut der Präambel nicht entnehmen. Vielmehr haben die Betriebsvereinbarungsparteien in Punkt 2. (Geltungsbereich) ausdrücklich festgehalten, dass der Sozialplan bei Selbstkündigungen und Entlassungen nicht gilt. Hätten die Betriebsvereinbarungsparteien beabsichtigt, dass der Sozialplan auch bei Kündigungen durch den Dienstgeber nicht gilt, hätte dies wohl im Text seinen Niederschlag gefunden. Dieses Auslegungsergebnis steht auch mit dem Zweck des Sozialplans, die sich aus einer betrieblichen Änderung für einen bestimmten Teil der Mitarbeiter der Beklagten ergebenden wesentlichen Nachteile zu verhindern, zu beseitigen oder – im Falle einer Beendigung von Dienstverhältnissen durch Gewährung freiwilliger Leistungen der Beklagten – zu mildern, in Einklang. Damit haben die Betriebsvereinbarungsparteien auch einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten herbeigeführt.

[17] 2.2. Dass die Betriebsvereinbarungsparteien im Zusammenhang mit der Beendigung von Dienstverhältnissen nicht nur auf Auflösungsvereinbarungen, sondern auch auf Auflösungserklärungen Bedacht genommen haben, zeigt insbesondere auch der Text des Punktes 5. der BV („Auflösungsvereinbarung/-erklärung“). Da Dienstnehmer, die selbst eine Beendigung des Dienstverhältnisses (jedenfalls durch Kündigung) erklärt haben und jene, die von der Beklagten (jedenfalls berechtigt) entlassen wurden, nicht in den Geltungsbereich der BV fallen (Punkt 2. der BV), bleibt als eine Auflösungserklärung nur eine Kündigung der Beklagten, die damit gemeint sein kann. Andernfalls hätten die Betriebsvereinbarungsparteien eine inhaltslose Regelung getroffen, was diesen aber nicht unterstellt werden kann. Die Frage, ob nur betriebsbedingte Kündigung in den Geltungsbereich der BV fallen oder auch personenbedingte, bedarf hier keiner Klärung. Unstrittig wurde der Kläger betriebsbedingt gekündigt.

[18] 2.3. Nicht zuletzt haben die Vorinstanzen bei ihrer – vom Wortlaut der BV ausgehenden – Auslegung zutreffend auch auf Punkt 5.10. (Auszahlungsmodus) hingewiesen. Darin wird sogar ausdrücklich auf den Fall einer Kündigungsanfechtung Bedacht genommen und bestimmt, dass im Falle einer Kündigungsanfechtung die freiwilligen Leistungen gegenüber dem Dienstnehmer nicht bereits bei Beendigung des Dienstverhältnisses fällig werden. Dem erstinstanzlichen Vorbringen des Klägers, diese Regelung könne nur so verstanden werden, dass die Beklagte die Zahlungen erst dann leisten müsse, wenn über eine Kündigungsanfechtung rechtskräftig entschieden sei, weil der Dienstgeber nicht verpflichtet sein solle, die Zahlungen aus dem Sozialplan an den gekündigten Dienstnehmer auszuzahlen, solange nicht feststehe, ob dieser allenfalls mit einer Kündigungsanfechtung durchdringe und das Dienstverhältnis weiterbestehe, trat die Beklagte nicht entgegen. Ihre im Rechtsmittelverfahren vorgetragene Argumentation, aus Punkt 5.10. des Sozialplans ergebe sich deutlich, dass ua dann keine „freiwilligen“ Leistungen aus dem Sozialplan (womit andere als gesetzliche Ansprüche gemeint sind) gebührten, wenn der Dienstnehmer im gerichtlichen Weg den Weiterbestand des Dienstverhältnisses (ausdrücklich werde damit eine „Kündigungsanfechtung“ angesprochen) geltend mache, überzeugt nicht. Die Behauptung der Revisionswerberin, die Betriebsvereinbarungsparteien hätten mit dieser Regelung nur klarstellen wollen, dass – wie bereits aus anderen Bestimmungen der BV hervorgehe – im Falle einer Kündigung keine Sozialplanleistungen gebühre, aber dies lediglich legistisch etwas unglücklich in einen (verneinenden) Nebensatz zu einer Regelung über Auszahlungsmodi aufgenommen hätten, widerspricht dem klaren Wortlaut der Bestimmung. Eine derartige Absicht der Betriebsvereinbarungsparteien kann der Leser dem Text der BV nicht entnehmen.

[19] 2.4. Aus der Entscheidung 9 ObA 9/21w ist für den Standpunkt der Revisionswerberin schon deshalb nichts zu gewinnen, weil im dort zu beurteilenden Sozialplan die Sozialplanleistung einer freiwilligen Abfertigung vom Unterlassen der Anfechtung der Kündigung bei Gericht durch den Dienstnehmer abhängig gemacht wurde. Zu beurteilen war daher nur, ob dies rechtlich zulässig war. Ein mit dieser Entscheidung vergleichbarer Sachverhalt liegt nicht vor.

[20] Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

[21] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DI R* H*, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch Dr. Wolfgang Kinner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über den Antrag des Klägers „auf Einsicht zum Verfahren 9 ObA 99/22g“, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Antrag wird mit der Einschränkung stattgegeben, dass sämtliche Beratungsprotokolle und Abstimmungsvermerke, Aufzeichnungen des Berichterstatters, Entscheidungsentwürfe und Anmerkungen, die auf die innere Willensbildung sowie die Person des Berichterstatters Rückschlüsse zulassen, von der Akteneinsicht ausgenommen sind.

Text

Begründung:

[1] Der Oberste Gerichtshof hat in der gegenständlichen Arbeitsrechtssache mit Urteil vom zu AZ 9 ObA 99/22g der Revision der beklagten Partei nicht Folge gegeben.

[2] Nach Ausfertigung der Entscheidung wurden die (nicht digital geführten) Akten der Vorinstanzen an diese zurückgestellt.

[3] Am beantragte der Kläger mit einer an den Obersten Gerichtshof gerichteten, von ihm selbst verfassten Eingabe „Einsicht zum Verfahren 9 ObA 99/22g“. Dieser Antrag ist inhaltlich als Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht in den Akt 9 ObA 99/22g des Obersten Gerichtshofs zu verstehen.

[4] Nach § 5 Abs 1 Satz 3 OGHG hat über das Recht auf Akteneinsicht der/die Senatsvorsitzende allein zu entscheiden.

[5]

Rechtliche Beurteilung

Dem Antrag kommt (mit den sich aus § 219 Abs 1 ZPO ergebenden Einschränkungen) Berechtigung zu.

[6] 1. Die ursprüngliche, auf § 20 OGHG gestützte Rechtsprechung, wonach eine Einsicht in die Akten des Obersten Gerichtshofs ausdrücklich (und grundsätzlich) ausgeschlossen sei, wurde in weiterer Folge nicht aufrecht erhalten (RS0071142 [T1]). Vielmehr sind nach der nunmehrigen Rechtsprechung die Bestimmungen über die Akteneinsicht auch auf Ob-Akten anzuwenden (6 Ob 153/15s vom ; 6 Ob 83/21f Rn 7; vgl auch Rassi in Fasching/Konecny II/33 [2015]; § 219 ZPO Rz 19).

[7] 2.1 Nach § 219 Abs 1 ZPO können die Parteien in sämtliche ihre Rechtssache betreffenden, bei Gericht befindlichen Akten Einsicht nehmen und sich davon auf ihre Kosten Abschriften (Kopien) und Auszüge (Ausdrucke) erteilen lassen. Von der Akteneinsicht im Sinn der genannten Bestimmung sind aber Entwürfe zu Urteilen und Beschlüssen, Protokolle über Beratungen und Abstimmungen des Gerichts ausgenommen.

[8] 2.2 Die Gewährung der Akteneinsicht hat sich nach § 170 Abs 2 GeO zu richten, wonach Beratungsprotokolle und andere Schriftstücke, die ua zufolge § 219 Abs 1 ZPO von der Einsicht ausgeschlossen sind, vorher dem Akt zu entnehmen sind.

[9] 3. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind somit sämtliche Beratungsprotokolle und Abstimmungsvermerke, Aufzeichnungen des Berichterstatters, Entscheidungsentwürfe und Anmerkungen, die auf die innere Willensbildung sowie die Person des Berichterstatters Rückschlüsse zulassen, weiters Stellungnahmen und Äußerungen von Senatsmitgliedern sowie das Original der Entscheidungsbegründung von der Akteneinsicht ausgenommen (RS0071142 [T1]; 6 Ob 153/15s vom ). Diese Verbote richten sich auch gegen die Parteien des Verfahrens selbst (Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 219 Rz 5).

[10] 4. Dem Akteneinsichtsbegehren war daher nur mit diesen Einschränkungen stattzugeben. Wie bereits mehrfach festgehalten wurde, verbleibt in tatsächlicher Hinsicht im Ergebnis somit lediglich ein „inhaltsleerer“ Rechtsmittelakt (6 Ob 551/90 [zu einem Ob-Akt]), weil der Akteneinsichtnehmende nur jene Entscheidung zur Einsicht bekommt, deren Ausfertigung den Parteien ohnedies zugestellt wurde (6 Ob 83/21f Rn 3).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00099.22G.0928.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
AAAAF-67800