OGH 24.01.2024, 9ObA96/23t
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Z*, gegen die beklagte Partei E* GmbH, *, vertreten durch Dr. Guido Bach, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 26/23v-28, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Nach § 105 Abs 3b zweiter und dritter Satz ArbVG sind bei älteren Arbeitnehmern sowohl bei der Prüfung, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, als auch beim Vergleich sozialer Gesichtspunkte der Umstand einer vieljährigen ununterbrochenen Beschäftigungszeit im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, sowie die wegen des höheren Lebensalters zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess besonders zu berücksichtigen. Dies gilt nicht für Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet haben.
[2] 2. Zur Auslegung dieser Bestimmung hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 86/19s unter Bezugnahme sowohl auf Vorjudikatur als auch Literatur ausführlich Stellung genommen.
[3] Richtig weist die Revision zwar darauf hin, dass auf den in der Vorentscheidung zu beurteilenden Sachverhalt noch § 105 Abs 3b ArbVG in der Fassung vor der Novelle BGBl I 2017/37 anwendbar war. Allerdings unterscheidet sich die Neuregelung nur dadurch, dass die in Satz 3 enthaltene zeitliche Beschränkung auf zwei Jahre entfallen ist. Diese Änderung hat daher für die hier relevante Auslegung im Hinblick auf die „besondere Berücksichtigung des Alters“ keine Bedeutung. Dazu kommt, dass die Vorentscheidung auch zu der damals bereits in Kraft getretenen – wenn auch auf den konkreten Sachverhalt noch nicht anwendbaren – Novelle Stellung genommen und diese argumentativ in die Begründung einbezogen hat.
[4] 3. Die Vorentscheidung hat sich auch mit den in der Revision zur Begründung eines anderen Standpunkts herangezogenen Argumenten auseinandergesetzt und diese als nicht stichhaltig erachtet. Eine Grundlage für eine Neubeurteilung findet sich in der Revision nicht.
[5] So wurde in der Vorentscheidung darauf verwiesen, dass Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Regelung dafür sprächen, dass Wiedereingliederungsschwierigkeiten bei nach dem 50. Lebensjahr eingestellten Arbeitnehmern, deren Dienstverhältnis in den ersten zwei Beschäftigungsjahren endet, nicht in „besonderem“ Ausmaß zu berücksichtigen sind, womit aber eine „normale“ Berücksichtigung wie auch sonst verbleibt. Dieses Verständnis werde auch durch die letzte Novelle bestätigt. Aus dem Ausschussbericht 1497 BlgNR 25. GP 2 zur letzten Novelle gehe als Wille des Gesetzgebers hervor, dass „das Alter nicht mehr gesondert, sondern nach demselben Maßstab wie bei jüngeren Arbeitnehmer/innen herangezogen werden“ solle. Das bedeute nichts anderes, als dass bei jüngeren und älteren (50+) Arbeitnehmern für die Frage der Wiedereingliederungsschwierigkeiten derselbe Prüfmaßstab – nicht aber dasselbe Alter – angelegt werden solle. Nur ältere Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, kämen danach im Sinn des Satz 2 noch in den Genuss einer besonderen Berücksichtigung von altersbedingten Wiedereingliederungsschwierigkeiten. Während der zweite Satz leg cit das Schutzniveau älterer Arbeitnehmer höher ansetze, schwäche der dritte Satz leg cit dieses gesteigerte Schutzniveau wieder auf ein Normalniveau für Arbeitnehmer, die ab 50 eingestellt wurden, wieder ab. Im Ergebnis bedeute das, dass aufgrund des konkreten Lebensalters zu erwartende Wiedereingliederungsschwierigkeiten bei ab dem 50. Lebensjahr eingestellten (noch nicht zwei Jahre beschäftigten) Arbeitnehmern im Rahmen der Prüfung der Interessenbeeinträchtigung eines Arbeitnehmers nach ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung für ihn nicht „besonders“, sondern wie bei einem jüngeren Arbeitnehmer, das heiße „gewöhnlich“ zu berücksichtigen seien.
[6] Dass die mit dem jeweiligen Alter zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt danach nicht zur Gänze auszublenden seien, unterwandere bei über dem 50. Lebensjahr eingestellten Arbeitnehmern auch noch nicht die gesetzliche Intention einer Einstellungsförderung bei 50+ Arbeitnehmern, weil in jedem Einzelfall die Gesamtsituation eines gekündigten Arbeitnehmers zu berücksichtigen sei. Eine abstrakte, alterslose Beurteilung würde nicht nur dem Prinzip widersprechen, dass die individuelle Interessenbeeinträchtigung des gekündigten Arbeitnehmers festzustellen sei, sondern ließe auch offen, welches Alter dafür als Vergleichsalter anzunehmen wäre. Altersbedingte Wiedereingliederungsschwierigkeiten könnten schon bei zB 35- oder 45-jährigen Arbeitnehmern unterschiedlich sein.
[7] 4. Wenn die Beklagte weiters argumentiert, dass bei dieser Auslegung für die Einschränkung nach Satz 3 kein Anwendungsbereich verbleibe, kann ihr nicht gefolgt werden. Würde der Gesetzgeber über die ohnehin auf den jeweiligen Einzelfall abgestellte Berücksichtigung des Alters hinaus bei der Arbeitsplatzsuche keine aus dem Alter resultierenden Faktoren als relevant erachten, wäre auch die Anordnung einer besonderen Berücksichtigung in Satz 2 nicht erforderlich. Abzustellen ist daher auf allfällige besondere Erschwernisse und Beeinträchtigungen, die sich aufgrund des Alters aus einer Arbeitsplatzsuche ergeben, ohne dass dazu generalisierende Aussagen getroffen werden können.
[8] 5. Da sich die Entscheidungen der Vorinstanzen somit im Rahmen der Rechtsprechung halten, von der abzuweichen die Revision der Beklagten keine Grundlage bietet, war diese mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00096.23T.0124.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAF-67798