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OGH 27.09.2023, 9ObA64/23m

OGH 27.09.2023, 9ObA64/23m

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Karl Reiff (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Stepanowsky (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei L*, geboren am *, vertreten durch Dr. Alexander Burkowski und Dr. Maximilian Burkowski, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei M* GmbH, FN *, vertreten durch Dr. Roland Gabl Rechtsanwalts KG in Linz, wegen 2.680,56 EUR brutto sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 27/23m-35, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 64 Cga 85/22g-29, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 502,70 EUR (darin 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin war beim beklagten Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen in den Zeiträumen bis , bis und bis beschäftigt. Sie wurde dabei jeweils an die D* GmbH mit Standorten in G* und A* als Produktionsarbeiterin in Vollzeit überlassen. Am Beginn der Dienstverhältnisse, auf die der Kollektivvertrag für ArbeiterInnen im Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (kurz: KVAÜ) zur Anwendung kam, wurde je eine einmonatige Probezeit vereinbart. Die beiden ersten Arbeitsverhältnisse endeten durch einvernehmliche Auflösung.

[2] Während des ersten Dienstverhältnisses und bis im zweiten Beschäftigungsverhältnis arbeitete die Klägerin am Standort G* in der Produktion. Danach und während des dritten Arbeitsverhältnisses wurde die Klägerin am Standort A* für Verpackungstätigkeiten eingesetzt, wobei sich am Inhalt ihrer Tätigkeit ab nichts änderte.

[3] Am teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie krank sei. Nach der Übermittlung einer entsprechenden Krankmeldung erklärte die Beklagte die Auflösung des Dienstverhältnisses in der Probezeit.

[4] Die Klägerin begehrt von der Beklagten 2.680,56 EUR brutto sA an Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung für die Zeit bis . Das dritte Arbeitsverhältnis habe unter Bezugnahme auf die Probezeit nicht rechtswirksam gelöst werden können, weil deren Vereinbarung gesetz- und sittenwidrig bzw die Berufung darauf rechtsmissbräuchlich sei. Nachdem das dritte Arbeitsverhältnis bereits am begründet und die neuerliche Überlassung festgelegt worden sei, sei das zweite Arbeitsverhältnis offenbar deshalb, damit die Beklagte für die Zeit der Weihnachtsfeiertage keine „Stehzeit“ bezahlen müsse, auf Initiative der Beklagten beendet worden. Die Berufung auf eine Auflösung innerhalb der Probezeit für das dritte Dienstverhältnis stelle daher eine Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften dar, weil auch faktisch keine Notwendigkeit für eine „dritte Erprobung“ der Klägerin bestanden habe. Aber auch, weil die Auflösung des dritten Dienstverhältnisses im Hinblick auf den Krankenstand der Klägerin erfolgt sei, liege der Auflösung kein besonderer sachlicher Grund zugrunde.

[5] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die Vereinbarung einer Probezeit für jedes neue Arbeitsverhältnis nach Art IV Z 1 KVAÜ keiner sachlichen Rechtfertigung bedürfe. Das zweite Arbeitsverhältnis sei einvernehmlich beendet worden, weil die Beschäftigerin von bis Betriebsurlaub gehabt und die Klägerin eine ihr für diesen Zeitraum angebotene Tätigkeit als Lagerarbeiterin bei einem Kunden in E* nicht angenommen habe (obwohl sie nach dem Dienstvertrag dazu verpflichtet gewesen wäre). Im Übrigen sei wegen der Änderung des Tätigkeitsbereichs bzw des Umfeldes die Vereinbarung einer Probezeit im dritten Arbeitsverhältnis erforderlich gewesen.

[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 2.129,97 EUR brutto sA statt und wies das Mehrbegehren von 550,59 EUR brutto sA ab. Die Vereinbarung einer Probezeit in einem erneut abgeschlossenen Arbeitsvertrag sei nur dann zulässig, wenn auf Grundlage beider Verträge, sollten diese auch zeitlich unmittelbar aufeinander folgen, vom Arbeitnehmer inhaltlich unterschiedliche Tätigkeiten erbracht werden sollen. Da die Klägerin im dritten Beschäftigungsverhältnis aber die gleichen Tätigkeiten wie (ab ) im zweiten verrichtet habe, sei die Berufung der Beklagten auf eine Auflösung in der Probezeit nicht gerechtfertigt. Die Auflösung des dritten Arbeitsverhältnisses hätte daher von der Beklagten nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwei Wochen erfolgen können.

[7] Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung Folge und hob das Ersturteil im Umfang des Zuspruchs von 2.129,97 EUR brutto zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf. Es vertrat zusammengefasst die Rechtsauffassung, dass es nach der Rechtsprechung bei wiederholter Beschäftigung im Anwendungsbereich des KVAÜ keiner besonderen sachlichen Rechtfertigung für die Vereinbarung einer (neuen) Probezeit bedürfe. Die Grenze für die Zulässigkeit einer Probezeit im zweiten Arbeitsverhältnis sei aber dort zu ziehen, wo unter den gegebenen Umständen eine Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften zu befürchten sei, beispielsweise die systematische Auflösung von Arbeitsverhältnissen in der Probezeit vorgenommen werde, um sie dann erneut zu begründen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter Berufung auf die Probezeit sei daher auch dann nicht jedenfalls missbräuchlich, wenn ein Arbeitnehmer bei demselben Beschäftigerbetrieb am identen Arbeitsplatz eingesetzt werde. Zu prüfen sei aber, ob im Anlassfall dennoch aufgrund der vorliegenden Umstände die Berufung der Beklagten auf den kollektivvertraglich vorgesehenen Probemonat beim dritten Arbeitsverhältnis rechtsmissbräuchlich sei. Unstrittig sei, dass aufgrund der Schließung des Standorts der Beschäftigerin von bis wegen Betriebsurlaubs Handlungsbedarf bei der Beklagten bestanden habe. Die Standpunkte der Streitteile zu den genauen Hintergründen der Beendigung des zweiten Arbeitsverhältnisses würden jedoch divergieren. Während die Klägerin behaupte, die einvernehmliche Auflösung sei auf Initiative der Beklagten zur Umgehung der Bezahlung einer „Stehzeit“ erfolgt, begründe die Beklagte die einvernehmliche Auflösung damit, dass diese aus Kulanz erfolgt sei, weil die Klägerin einen anderen Arbeitseinsatz abgelehnt habe. Zu diesen Vorbringen fehlten aber Feststellungen.

[8] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zur Klarstellung der über den Einzellfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage zulässig sei, ob das Nicht-Abbedingen des kollektivvertraglich vorgesehenen Probemonats zu Beginn eines dritten Arbeitsverhältnisses zwischen denselben Parteien bei gleich bleibendem Tätigkeitsfeld per se einen Rechtsmissbrauch darstelle, oder ob es zusätzlich darauf ankomme, auf wessen Initiative die vorangehenden Beschäftigungsverhältnisse geendet hätten.

[9] Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Abänderungsantrag, das erstgerichtliche Urteil wieder herzustellen.

[10] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung (richtig: Rekursbeantwortung), den Revisionsrekurs (richtig: Rekurs) der Klägerin als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Rekurs der Klägerin ist nicht zulässig, weil darin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 519 Abs 2 iVm § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird. Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage wurde von diesem anhand der bisherigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs richtig beantwortet.

[12] 1. Nach ständiger Rechtsprechung (8 ObA 42/05t; 9 ObA 68/21x; 8 ObA 43/21p) ist Art IV Z 1 des anzuwendenden Kollektivvertrags für ArbeiterInnen im Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung, nach dem der erste Monat als Probemonat gilt, so auszulegen, dass eine Probezeit mangels Einschränkung auf ein „erstes“ Arbeitsverhältnis auch bei jedem neuen Arbeitsverhältnis zum Tragen kommt. Bei wiederholter Beschäftigung gilt daher kraft Kollektivvertrags grundsätzlich eine neue Probezeit. Die neuerliche Probezeit im zweiten Arbeitsverhältnis setzt keinen besonderen sachlichen Grund voraus.

[13] 2. Die Grenze für die Zulässigkeit einer Probezeit im zweiten (oder einem weiteren) Arbeitsverhältnis ist nach dieser Rechtsprechung aber immer dort zu ziehen, wo unter den gegebenen Umständen eine Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften zu befürchten ist, beispielsweise etwa die systematische Auflösung von Arbeitsverhältnissen in der Probezeit vorgenommen wird, um sie dann erneut zu begründen.

[14] 3. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist Rechtsmissbrauch nicht nur dann anzunehmen, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht, wenn also das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt (RS0026265 [T33]; RS0025230 [T7]; RS0026271 [T20, T23, T24]). Die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grundsätzlich zugestanden werden soll, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (RS0025230 [T8]; RS0026271 [T26]).

[15] 4. Ob für einen Rechtsmissbrauch ausreichende Anhaltspunkte gegeben sind, kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (9 ObA 68/21x Rz 8; 8 ObA 43/21p Rz 4).

[16] 5.1. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zu den Voraussetzungen einer rechtsmissbräuchlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit sind zutreffend. Die Überlassung des Arbeitnehmers an denselben Beschäftiger bei gleicher Tätigkeit und Auflösung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit stellt für sich alleine nicht per se einen Rechtsmissbrauch dar. Dazu müssen weitere Umstände hinzutreten, die erkennen lassen, dass das unlautere Motiv der Rechtsausübung (Auflösung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit durch den Arbeitgeber) das lautere Motiv eindeutig überwiegt. Ein Kriterium für diese Beurteilung ist auch der Umstand, auf welche Art und gegebenenfalls auf welche Initiative die Auflösung des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses erfolgte (vgl 9 ObA 68/21x Rz 9 mwN).

[17] 5.2. Im vorliegenden Fall ist für die Beurteilung der Frage, ob die Auflösung des (dritten) Arbeitsverhältnisses der Klägerin während der Probezeit durch die Beklagte einen Rechtsmissbrauch darstellt, insbesondere relevant, ob die einvernehmliche Auflösung – so die Behauptung der beweispflichtigen Klägerin – auf Initiative der Beklagten zur Umgehung der Bezahlung einer „Stehzeit“ während des Betriebsurlaubs der Beschäftigerin erfolgte. Dazu hat das Erstgericht aber keine Feststellungen getroffen, weshalb die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung durch das Berufungsgericht zu Recht erfolgte.

[18] 6. Die Zurückweisung des Rekurses mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 528a ZPO; RS0043691). Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht.

[19] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses in ihrer Rekursbeantwortung hingewiesen (RS0123222 [T8]).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00064.23M.0927.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
LAAAF-67776

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