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OGH 19.09.2024, 9ObA53/24w

OGH 19.09.2024, 9ObA53/24w

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

Rechtssatz


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Norm
W-PVG §35
RS0134912
Zur Auslegung des Beschränkungs- und Benachteiligungsverbots des § 35 W-PVG kann auf die Rechtsprechung zu §§ 115 ff ArbVG zurückgegriffen werden.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, Thomas-Klestil-Platz 7/1, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Alice Gao-Galler, Rechtsanwältin in Wien, wegen zuletzt 20.780,30 EUR brutto sA und Feststellung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 1/24m-67, mit dem den Berufungen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 7 Cga 17/22b-54, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger ist seit * 1992 als Vertragsbediensteter bei der Beklagten beschäftigt und seit 2000 als diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger tätig. Von 2010 bis 2014 war er zu 50 % freigestellter Personalvertreter, seit * 2014 ist er als Personalvertreter zur Gänze vom Dienst freigestellt. Er absolvierte im Juni 2019 erfolgreich die Sonderausbildung „Basales und mittleres Pflegemanagement“. Vor seiner Freistellung war der Kläger in die Verwendungsgruppe P3 als diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger eingestuft. Mit Schreiben vom beantragte er die Überreihung in die Verwendungsgruppe P4 samt Chargenzulage für einen Stationsleiter Pflege zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Dem wurde seitens der Beklagten nicht entsprochen.

[2] Der Kläger begehrt 20.780,30 EUR brutto sA. sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, auch weiterhin Bezüge in jener Höhe zu zahlen, die sich aus einer Einstufung in die Verwendungsgruppe P4 Gehaltsstufe 15 mit nächster Vorrückung am samt Chargenzulage iSd Anlage 3 Z 10 lit c der Besoldungsordnung 1994 ergäben. Das Leistungsbegehren errechne sich aus der monatlichen Differenz zwischen der Einstufung in P3 und der begehrten Einstufung in P4 laut Gehaltstabelle unter Berücksichtigung der Chargenzulage für den Zeitraum Juli 2019 bis Februar 2022. Die überwiegende Mehrheit jener Bediensteten, die in einer mit ihm vergleichbaren Situation stünden, nämlich diplomierte Krankenpfleger, die aufgrund ihrer Personalvertretertätigkeit zur Gänze freigestellt und um eine Beförderung bemüht gewesen seien, seien in P4 überreiht worden. Auf Grundlage des arbeitsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes habe er ebenfalls Anspruch auf eine Überreihung. Vergleichsmaßstab sei nicht die Gruppe der diplomierten Krankenpfleger mit der Prüfung für das basale und mittlere Pflegemanagement unabhängig von deren Tätigkeit als Personalvertreter, sondern die Gruppe der voll freigestellten Personalvertreter.

[3] Er hätte die begehrte Überstellung aber auch bereits erhalten, wenn er nicht freigestellter Personalvertreter wäre. Ein diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger (P3) werde in der Regel als erstes in P4 zum Fachbereichskoordinator (vormals Stationsvertretung) befördert. Dann absolviere man innerhalb von 4 Jahren die Weiterbildung für „Basales und mittleres Pflegemanagement“, übernehme eine Stationsleitungsfunktion und erhalte eine Chargenzulage. Er hätte daher bereits vor der Weiterbildung in P4 befördert werden müssen. Wäre er nicht freigestellter Personalvertreter, hätte er bei einem normalen Karriereverlauf die angestrebte Beförderung erhalten.

[4] Die Beklagte stellte das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit, bestritt es jedoch dem Grunde nach und wandte im Wesentlichen ein, dass es unter Zugrundelegung der vom Kläger für die Überreihung genannten Kriterien keinen Automatismus für die Beförderung gebe. Die Absolvierung der Weiterbildung „Basales und mittleres Pflegemanagement“ sei eine grundsätzliche Voraussetzung für eine Überstellung als Stationsleiter Pfleger in P4. Weitere Voraussetzungen seien ein vakanter Dienstposten eines Stationspflegers, die Bewerbung auf denselben, die Erlangung dieser Position und die Absolvierung der sechsmonatigen Probezeit. Andere Mitglieder der Personalvertretung hätten den Posten einer Stationsleitung tatsächlich bekleidet und seien daher entsprechend ihrer Verwendung vor ihrer Freistellung mit ihrer Freistellung in P4 eingestuft geblieben. Andere seien in Bezug auf ihre dienstrechtliche Stellung nicht mit dem Kläger vergleichbar. Allein die Ablegung der Ausbildung „Basales und mittleres Pflegemanagement“ würde den diplomierten Krankenpflegern, die nicht voll freigestellt wären und die Karriere einer Stationsleitung bzw eines Fachbereichskoordinators anstrebten, nicht weiterhelfen. Eine Umreihung erfolge erst bei tatsächlicher Ausübung.

[5] Das Erstgericht sprach aus, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger ab Bezüge in jener Höhe zu bezahlen, die sich aus einer Einstufung in die Verwendungsgruppe P4, Gehaltsstufe 16 samt Chargenzulage iSd Anlage 3 Z 10 lit c der Besoldungsordnung 1994 ergäben. Das Leistungsbegehren wies es ab. Es traf Feststellungen zu den Karriereverläufen anderer namentlich genannter freigestellter Personalvertreter und führte rechtlich aus, dass der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz den Arbeitgeber verpflichte, einzelne Arbeitnehmer nicht willkürlich, also ohne sachliche Rechtfertigung schlechter zu behandeln als die übrigen. Voll freigestellte Personalvertreter wie der Kläger hätten im Schnitt nach acht Jahren Tätigkeit als voll freigestellte Personalvertreter nach Ablegung der entsprechenden Sonderausbildung und Antragstellung eine Überreihung erfahren. Eine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung des Klägers liege nicht vor. Das Leistungsbegehren habe dennoch abgewiesen werden müssen, da es sich auf einen Zeitraum beziehe, in dem der Kläger noch keinen Anspruch auf Überreihung gehabt habe. Dem Feststellungsbegehren sei ab mit der Modifikation stattzugeben gewesen, dass zu diesem Zeitpunkt die Vorrückung in die 16. Gehaltsstufe bereits erfolgt sei.

[6] Den Berufungen des Klägers gegen den klagsabweisenden Teil dieses Urteils und der Beklagten gegen den klagsstattgebenden Teil dieses Urteils gab das Berufungsgericht Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies es zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück an das Erstgericht.

[7] Der arbeitsrechtliche (betriebliche) Gleichbehandlungsgrundsatz gelte grundsätzlich auch für Vertragsbedienstete, finde seine Grenzen jedoch in den – zwingenden Charakter aufweisenden – Einstufungs- und Entlohnungsvorschriften des Vertragsbedienstetenrechts. Dabei stehe die Prüfung im Vordergrund, ob der Behandlung besser gestellter Arbeitnehmer ein erkennbares generalisierendes Prinzip zugrunde liege, von dem der Arbeitgeber im Einzelfall willkürlich oder ohne sachlichen Grund abgewichen sei. Dies bedeute, dass im Rahmen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes eine Überstellung des Klägers in die Verwendungsgruppe P4 samt Chargenzulage für einen Stationsleiter nur in Betracht komme, wenn er die diesbezüglichen gesetzlichen, auf ihn Anwendung findenden Einstufungs- und Entlohnungsvorschriften des Vertragsbedienstetenrechts dafür erfülle. Dies sei vom Erstgericht mit den Parteien zu erörtern und die Parteien seien diesbezüglich zu ergänzendem Beweisvorbringen samt Beweisanbot anzuleiten.

[8] Davon sei zu unterscheiden, dass der Kläger wegen der Ausübung seiner Funktion als zur Gänze freigestellter Personalvertreter gemäß § 35 Abs 1 2. Satz des Wiener Personalvertretungsgesetzes (W-PVG) nicht benachteiligt werden dürfe. Zur Auslegung des § 35 W-PVG könne auf die Rechtsprechung zur vergleichbaren Regelung des § 25 Bundes-Personalvertretungsgesetz (PVG) zurückgegriffen werden. Durch die Tätigkeit als Personalvertreter solle für den betreffenden Bediensteten keine besoldungsrechtliche Benachteiligung, aber auch keine Bevorzugung gegeben sein. Dabei sei zu beachten, dass der Personalvertreter selbst keinen Rechtsanspruch auf Rechtsakte habe, die seine Laufbahn nicht benachteiligen. Da die Unterlassung eines entsprechenden Rechtsaktes aber das Benachteiligungsverbot verletze, könnten bei einem Vertragsbediensteten, der als Personalvertreter tätig sei, Schadenersatzansprüche entstehen.

[9] Zusätzlich könne auch die Rechtsprechung zu §§ 115 ff ArbVG herangezogen werden. Nach dieser dürften die Mitglieder des Betriebsrats in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht beschränkt und wegen dieser, insbesondere hinsichtlich des Entgelts, der Aufstiegsmöglichkeiten und betrieblicher Schulungs- und Umschulungsmaßnahmen, nicht benachteiligt werden, aber auch aus ihrem Mandat keinen Vorteil ziehen. Referenzpersonen für die Feststellung allfälliger Benachteiligungen von Betriebsratsmitgliedern seien Arbeitnehmer im Betrieb, die hinsichtlich ihrer Verwendung (Art der Tätigkeit), Leistung und Stellung im Betrieb vergleichbar seien. Es solle nicht nur eine Verminderung der Entlohnung hintangehalten, sondern auch das „Übergehen“ des Betriebsratsmitglieds bei der lohnmäßigen und personellen Entwicklung im Betrieb verhindert werden. Dies gelte auch dann, wenn das Betriebsratsmitglied von der Arbeitspflicht freigestellt und deshalb von Veränderungen in arbeitsmäßiger Hinsicht nicht unmittelbar, aber doch in seiner künftigen Karriere- und Entgeltentwicklung berührt sei. Hinsichtlich längere Zeit zur Gänze freigestellter Betriebsratsmitglieder sei bei der Ermittlung des mutmaßlichen Verdienstes grundsätzlich die sogenannte „Fiktionsmethode“ heranzuziehen. Diese Methode gebiete es, anhand normativer, „objektivierter“ Vergleichspersonen (Arbeitnehmer, die mit dem Mandatar vor seiner Freistellung weitgehend vergleichbar gewesen seien) einen Karriereverlauf des Betriebsratsmitglieds zu fingieren. Die sich auf Grund langdauernder Freistellung kontinuierlich mindernde Qualifikation für den ursprünglich eingenommenen Arbeitsplatz müsse bei der Betrachtung ausgeklammert bleiben. Beförderungen, die eine Zusatzqualifikation erforderten, welche das Betriebsratsmitglied nicht erbringe, seien entgeltmäßig nicht mitzuvollziehen, es sei denn, das Betriebsratsmitglied – bzw hier der Kläger – wurde von der Qualifizierungsmaßnahme ausgeschlossen oder hat die Qualifizierung ohnehin erfolgreich mitgemacht.

[10] Bei der Prüfung des fiktiven Karriereverlaufs des Klägers sei demnach nicht auf den Karriereverlauf anderer freigestellter Personalvertreter abzustellen, sondern auf die Arbeitnehmer der Beklagten, die mit dem Kläger vor dessen Freistellung weitgehend vergleichbar gewesen seien. Zu betonen sei aber, dass nicht nur eine Benachteiligung des Klägers als freigestellter Personalvertreter, sondern auch dessen Bevorzugung unzulässig sei. Für den Rechtsstandpunkt des Klägers sei daher nichts gewonnen, wenn die von ihm angeführten anderen dienstfrei gestellten Personalvertreter gegenüber den „allgemeinen“ Bediensteten der Beklagten aufgrund ihrer Tätigkeit als (dienstfrei gestellte) Personalvertreter bevorzugt worden seien. Zu beachten sei aber, dass im Falle einer Benachteiligung in Bezug auf seine dienstliche Laufbahn der Kläger keinen Rechtsanspruch auf Rechtsakte habe, die seine Laufbahn nicht benachteiligen, sondern insofern (lediglich) Schadenersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte in Betracht kommen könnten.

[11] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil es keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 35 W-PVG und dazu gebe, ob die zu §§ 115 ff ArbVG ergangene höchstgerichtliche Rechtsprechung auch auf Personalvertreter nach dem W-PVG Anwendung finden könne.

[12] Gegen diese Entscheidung wendet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, sie dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben wird, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[13] Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Der Rekurs ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

[15] 1. Unstrittig ist der Kläger Personalvertreter nach dem Wiener Personalvertretungsgesetz (W-PVG). Nach § 35 Abs 1 zweiter Satz W-PVG dürfen die Personalvertreterinnen und Personalvertreter in der Ausübung ihrer Funktion nicht eingeschränkt und wegen dieser nicht benachteiligt werden. Weiters ist nach § 35 Abs 4 W-PVG den Personalvertreterinnen und Personalvertretern (…) unter Fortzahlung ihres Diensteinkommens mit Ausnahme der Aufwandsentschädigungen, Tagesgelder, Auslagenersätze bzw Kostenersätze und Fehlgeldentschädigungen die zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten notwendige freie Zeit zu gewähren.

[16] Diese Regelung entspricht inhaltlich, wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, in ihren wesentlichen Punkten § 25 PVG und § 115 ArbVG:

[17] Nach § 25 Abs 1 PVG dürfen die Leiterinnen oder Leiter der Dienststellen die Personalvertreterinnen oder Personalvertreter in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht beschränken und sie aus diesem Grunde auch nicht benachteiligen. Nach § 25 Abs 2 PVG darf aus ihrer oder seiner Tätigkeit als Personalvertreter einer oder einem Bediensteten bei der Leistungsfeststellung und der dienstlichen Laufbahn kein Nachteil erwachsen.

[18] § 115 Abs 3 ArbVG lautet: „Die Mitglieder des Betriebsrates dürfen in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht beschränkt und wegen dieser, insbesondere hinsichtlich des Entgelts, der Aufstiegsmöglichkeiten und betrieblicher Schulungs- und Umschulungsmaßnahmen, nicht benachteiligt werden.“

[19] 2. Dementsprechend ist bereits das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diesen Bestimmungen dieselben gesetzgeberischen Wertungen zugrunde liegen, weshalb die zu § 115 ArbVG ergangene Rechtsprechung und die sich mit der Auslegung dieser Bestimmung befassenden Lehrmeinungen auch für die Auslegung des § 35 W-PVG nutzbar gemacht werden können.

[20] Durch das Beschränkungs- und Benachteiligungsverbot des § 115 Abs 1 ArbVG soll einerseits verhindert werden, dass der Betriebsinhaber Mitglieder des Betriebsrats in der Ausübung ihrer Tätigkeit einschränkt und damit die Interessenvertretungsaufgabe erschwert oder unmöglich macht. Andererseits wird dem Betriebsinhaber untersagt, jene Arbeitnehmer, die ein Betriebsratsmandat haben, hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen zu benachteiligen, um sie dadurch für ihr Eintreten für die Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs zu „bestrafen“ bzw andere Arbeitnehmer davon abzuhalten, in Hinkunft die Aufgaben eines Betriebsratsmitglieds zu übernehmen (Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht6 § 115 ArbVG, Rz 29; vgl auch Köck, „Fiktive Karriere“ und andere Sonderprobleme der dauernden Freistellung von Betriebsratsmitgliedern, ZAS 2020/35, 210 [211]).

[21] Dieselbe Wertung lässt sich dem Beschränkungs- und Benachteiligungsverbot des § 35 W-PVG bzw des § 25 PVG entnehmen, die nicht nur dem Wortlaut der Bestimmungen nach sondern auch von der ihnen immanenten Bedeutung dieses Schutzes für die unabhängige Ausübung der Vertretungstätigkeit dem ArbVG entsprechen (vgl dazu auch die Rechtsprechung des VwGH, der im Zusammenhang mit der Auslegung des § 25 PVG auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofs zum Benachteiligungsverbot gemäß § 115 Abs 3 ArbVG Bezug nimmt, etwa VwGH 2005/12/0261 [zu § 65 Abs 3 PBVG]; 2005/12/0145 [zu § 65 Abs 3 PBVG]; 2003/12/0086 [zu § 65 Abs 3 PBVG]). Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber ein öffentlicher Rechtsträger ist (Gemeinde Wien bzw Bund) ändert daran nichts, weshalb richtiger Weise die Rechtsprechung zu §§ 115 ff ArbVG auch für die Auslegung des § 35 W-PVG herangezogen werden kann.

[22] 3. Gemäß § 117 Abs 1 ArbVG ist den freigestellten Betriebsratsmitgliedern das Entgelt fortzuzahlen. Die Höhe dieses Entgelts richtet sich danach, was das Betriebsratsmitglied verdient hätte, wenn es während dieser Zeit gearbeitet hätte. Es gilt daher das Ausfallsprinzip. Zu ersetzen ist nur der mutmaßliche Verdienst. Dieser umfasst das, was der betreffende Arbeitnehmer, hätte er nicht eine die Freistellung erfordernde Betriebsratsfunktion bekleidet, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge – also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit – weiterhin bezogen hätte (9 ObA 10/21t Rz 5; 9 ObA 1/91; Mosler in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 117 ArbVG Rz 21; Resch in Jabornegg/Resch/Födermayr, ArbVG § 117 Rz 45).

[23] Dieses Prinzip gilt auch für die Ermittlung des mutmaßlichen Verdienstes eines länger freigestellten Betriebsratsmitglieds und dessen festzustellender mutmaßlicher betrieblicher Karriere bei länger andauernder Freistellung. Der Karriereverlauf ist anhand von Arbeitnehmern die mit dem Betriebsratsmitglied vor dessen Freistellung weitgehend vergleichbar waren, zu fingieren. Auch der fiktive Karriereverlauf muss überwiegend wahrscheinlich sein, also einer typischerweise verlaufenden betrieblichen „Durchschnittskarriere“ entsprechen (9 ObA 10/21t Rz 6; Köck, „Fiktive Karriere“ und andere Sonderprobleme der dauernden Freistellung von Betriebsratsmitgliedern, ZAS 2020/35, 210 [213 f]).

[24] 4. Vergleichsgruppe sind daher nicht andere freigestellte Betriebsräte, sondern Arbeitnehmer ohne Freistellung. Verglichen wird mit dem durchschnittlichen Karriereverlauf von Nichtbetriebsratsmitgliedern. Richtig hat schon das Berufungsgericht herausgestrichen, dass dies dem Beschränkungs- und Benachteiligungs- bzw dem Privilegierungsverbot entspricht. Betriebsratsmitglieder dürfen hinsichtlich des Entgelts und der Aufstiegsmöglichkeiten nicht benachteiligt werden. Andererseits ist aber auch eine höhere bzw günstigere Entgeltfortzahlung für die Betriebsratstätigkeit im Hinblick darauf unzulässig, dass die Zuwendung jeglicher materieller Vorteile aus dem Anlass der Betriebsratstätigkeit rechtswidrig ist (RS0051326; RS0051303).

[25] 5. Der Rekurs wendet sich nicht grundsätzlich gegen die Richtigkeit dieser Rechtsauffassung, sondern dagegen, dass die Rechtsprechung zu Betriebsratsmitgliedern auf Personalvertreter übertragen werden könne, denn die Arbeits- und Dienstverhältnisse seien nicht vergleichbar. Gründe, die gegen eine Vergleichbarkeit sprechen, nennt der Rekurs jedoch nicht. Verwiesen wird nur darauf, dass einem Personalvertreter wegen der Anzahl der Dienstnehmer kein ausreichendes Datenmaterial für einen solchen Vergleich zur Verfügung stehe. Mit diesem Argument spricht der Kläger keine Frage der Auslegung des § 35 W-PVG, sondern beweisrechtliche Probleme an. Die Rechtsprechung stellt aber, wie bereits ausgeführt, für den Beweis des typischen Karriereverlaufs ohnehin auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit ab (9 ObA 10/21t, 9 ObA 1/91).

[26] Dass § 35 W-PVG eine von §§ 115 ff ArbVG abweichende Interessenlage zugrunde liegt, wird dagegen im Rekurs nicht aufgezeigt und ist davon auch nicht auszugehen. Insbesondere hätte es bei einem Vergleich nur mit anderen Personalvertretern der Arbeitgeber in der Hand, durch Schaffung einer eigenen Entlohnungsgruppe für Personalvertreter durch besondere Begünstigungen oder einer Schlechterstellung gegenüber anderen Arbeitnehmern auf die Personalvertreter Einfluss zu nehmen.

[27] 6. Zu Recht ist daher das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass das Verfahren hinsichtlich des fiktiven durchschnittlichen Karriereverlaufs, zu dem das Erstgericht keine Feststellungen getroffen hat, ergänzungsbedürftig ist. Schon aus diesem Grund hat es bei der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zu bleiben.

[28] Auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zum arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kommt der Rekurs nicht mehr zurück. Darauf muss daher nicht weiter eingegangen werden.

[29] 7. Dem Rekurs des Klägers war daher nicht Folge zu geben.

[30] 8. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00053.24W.0919.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
SAAAF-67765