Suchen Hilfe
OGH 27.04.2022, 9ObA40/22f

OGH 27.04.2022, 9ObA40/22f

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Hon.-Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Dr. Robert Toder (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * L*, vertreten durch Rainer-Rück Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ö* AG, *, vertreten durch E+H Eisenberger+Herzog Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 25.970,36 EUR sA, in eventu 13.009,15 EUR sA, und Feststellung (10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 110 Ra 10/21p-36, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Gemäß § 117 Abs 1 ArbVG ist den freigestellten Betriebsratsmitgliedern das Entgelt fortzuzahlen. Wie zuletzt zu 9 ObA 10/21t ausgeführt, richtet sich die Höhe dieses Entgelts danach, was das Betriebsratsmitglied verdient hätte, wenn es während dieser Zeit gearbeitet hätte. Es gilt daher das Ausfallsprinzip. Zu ersetzen ist nur der mutmaßliche Verdienst. Dieser umfasst das, was der betreffende Arbeitnehmer, hätte er nicht eine die Freistellung erfordernde Betriebsratsfunktion bekleidet, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge – also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit – weiterhin bezogen hätte (9 ObA 1/91; Mosler in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 117 ArbVG Rz 21; Resch in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 117 Rz 45).

[2] Dies trifft auch auf die Ermittlung des mutmaßlichen Verdienstes eines länger freigestellten Betriebsratsmitglieds und dessen festzustellender mutmaßlicher betrieblicher Karriere bei länger andauernder Freistellung zu. Der Karriereverlauf ist anhand von Arbeitnehmern, die mit dem Betriebsratsmitglied vor dessen Freistellung weitgehend vergleichbar waren, zu fingieren. Auch der fiktive Karriereverlauf muss überwiegend wahrscheinlich sein, also einer typischerweise verlaufenden betrieblichen „Durchschnittskarriere“ entsprechen (Köck, „Fiktive Karriere“ und andere Sonderprobleme der dauernden Freistellung von Betriebsratsmitgliedern, ZAS 2020/35, 210 [213 f]).

[3] Diese Grundsätze entsprechen dem Beschränkungs- und Benachteiligungs- bzw dem Privilegierungsverbot. Betriebsratsmitglieder dürfen insbesondere hinsichtlich des Entgelts und der Aufstiegsmöglichkeiten nicht benachteiligt werden (§ 115 Abs 3 ArbVG). Andererseits ist aber auch eine höhere bzw günstigere Entgeltfortzahlung für die Betriebsratstätigkeit im Hinblick darauf unzulässig, dass die Zuwendung jeglicher materieller Vorteile aus dem Anlass der Betriebsratstätigkeit rechtswidrig ist (RS0051326; RS0051303; 9 ObA 133/12t, DRdA 2013/53 [Jabornegg]; ZAS 2013/228 [Gerhartl]).

[4] 2. Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Kläger als Zugbegleiter ausgebildet wurde, bis zu seiner Freistellung () gemäß § 117 ArbVG als solcher verwendet wurde und in die Gehaltsgruppe VIa eingestuft ist. Von den österreichweit insgesamt 386 Mitarbeitern, die im Zeitraum 1990 bis inklusive 1992 die Dienstprüfung für Zugfahrer bei der Beklagten absolvierten, weisen 76,4 % die gleiche Einstufung wie der Kläger auf. Der Durchschnitt der bei der Beklagten beschäftigten Zugbegleiter erlangt die Stelle eines Teamleiters (Gehaltsgruppe VIIb) oder Teamkoordinators (Gehaltsgruppe VIIa) nicht. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Kläger, wie von ihm vorgebracht, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge bis zum die Position des Teamleiters bzw Teamkoordinators erreicht hätte. Davon ausgehend haben die Vorinstanzen die von ihm begehrte Entlohnung nach Maßgabe einer Einstufung ab in die Gehaltsgruppe VIIb, in eventu in die Gehaltsgruppe VIIa verneint.

[5] 3. In seiner außerordentlichen Revision bringt der Kläger vor, die Negativfeststellung habe nur den Zeitraum vor dem betroffen. Aufgrund weiterer (im einzelnen genannter) Feststellungen wäre jedoch anzunehmen gewesen, dass er fiktiv die entsprechenden Positionen erreicht hätte.

[6] Dem kann nicht gefolgt werden. Die Negativfeststellung wurde im Hinblick auf das Leistungsbegehren des Klägers, mit dem er Entgeltdifferenzen ab dem genannten Zeitpunkt geltend gemacht hat, getroffen. Damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass nicht feststeht, dass die Einstufungsvoraussetzungen, die zu jenem Zeitpunkt gegeben sein mussten, auch fiktiv angenommen werden konnten. Aus den in der Revision ins Treffen geführten Feststellungen lässt sich auch kein späterer Zeitpunkt ableiten, ab dem der Kläger die genannten Positionen fiktiv erreicht hätte, wobei in der Revision gar nicht behauptet wird, dass neuerlich Planstellen zu besetzen gewesen wären. Damit ist aber auch nicht ersichtlich, inwiefern der Vorwurf des Klägers einer Verletzung des dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot immanenten Willkürverbots zielführend sein könnte. Die Notwendigkeit einer tatsächlichen Bewerbung auf die genannten Positionen hat das Berufungsgericht nicht angenommen.

[7] 4. Da insgesamt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird, ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00040.22F.0427.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
ZAAAF-67754