OGH 27.04.2023, 9ObA20/23s
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Thomas Schaden (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat R* AG, *, vertreten durch Dr. Herbert Holzinger und Dr. Diana Holzinger LL.M., Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei R* AG, *, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH und Co KG in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 (1) ASGG über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 108/22v-29, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Mit seinem Hauptbegehren auf Feststellung, dass ArbeitnehmerInnen der Beklagten mit All-In-Gehalt, die Elternteilzeit oder eine Änderung der Lage der Arbeitszeit gemäß dem MSchG oder dem VKG in Anspruch nehmen, laufendes Gehalt sowie Sonderzahlungen in dem Ausmaß zu erhalten haben, dass eine Kürzung bzw Aliquotierung lediglich im Verhältnis der Stundenreduktion der Elternteilzeit erfolgt, will der klagende Betriebsrat erreichen, dass das Ausmaß der vom All-In-Gehalt abgedeckten Mehr- und Überstunden während der Elternteilzeit der vom Klagebegehren betroffenen ArbeitnehmerInnen nicht ruht (keine Kürzung der Bemessungsgrundlage), sondern das (gesamte) All-In-Gehalt im Verhältnis der Stundenreduktion ausbezahlt wird.
[2] Mit dem angefochtenen Teilurteil hat das Berufungsgericht das (allein revisionsgegenständliche) Hauptbegehren unter Bezugnahme auf die – eine Arbeitnehmerin der Beklagten betreffende – Entscheidung 8 ObA 22/22s abgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
[4] Nach der Entscheidung 9 ObA 30/15z ruht der Anspruch von Dienstnehmern auf eine vereinbarte Überstundenpauschale für die Zeit, für die sie von der Möglichkeit der Elternteilzeit nach dem Mutterschutzgesetz bzw dem Väterkarenzgesetz oder vergleichbarer österreichischer Rechtsvorschriften Gebrauch gemacht haben. Auch wenn die Arbeitsvertragsparteien eine All-in-Vereinbarung abgeschlossen haben, ruht nach jüngerer Rechtsprechung beider arbeitsgerichtlichen Fachsenate des Obersten Gerichtshofs (9 ObA 83/22d = ZAS 2023/7 [Schrank] = ecolex 2023/40 [Mazal] und 8 ObA 22/22a) während der Elternteilzeit jener Teil des Arbeitsentgelts, der über das Grundentgelt hinaus für die Leistung von Mehr- und Überstunden bezahlt wird.
[5] Die Beklagte begründet die Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision ausschließlich damit, dass sich der Oberste Gerichtshof in seinen Entscheidungen noch nicht mit der Frage auseinandergesetzt habe, ob eine Gehaltskürzung um einen Überstundenanteil in der Elternteilzeit im Ergebnis eine Diskriminierung von Teilzeitarbeitskräften bzw eine Diskriminierung wegen des Geschlechts darstelle. Auch wenn ArbeitnehmerInnen während der Elternteilzeit zu Mehrarbeit nicht verpflichtet seien, könnten – so der Kläger – ArbeitnehmerInnen der Beklagten aufgrund ihrer Tätigkeit und Positionen Mehrarbeit faktisch nicht verweigern.
[6] Richtig ist zwar, dass der Oberste Gerichtshof auch in seiner jüngeren (oben zitierten) Rechtsprechung nicht explizit zur Frage einer allfälligen Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten nach der TeilzeitarbeitsRL 97/81/EG und § 19d Abs 6 AZG und einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts iSd Art 157 AEUV und § 3 Z 2 GlBG Stellung genommen hat. Schon die Begründungen dieser Entscheidungen lassen die vom Revisionswerber behaupteten Diskriminierungen aber unbegründet erscheinen:
[7] Elternteilzeitbeschäftigte sind zur Arbeitsleistung über das vereinbarte Arbeitszeitausmaß (Mehrarbeit) nicht verpflichtet (§ 19d Abs 8 iVm Abs 3 AZG). Ein gänzlicher Wegfall der Überstundenleistung durch längere Zeit hindurch aufgrund dieses gesetzlichen Verbots führt zum Ruhen des Anspruchs während der Zeit des Verbots, weil die Grundlage für die Vereinbarung einer Überstundenpauschale in der beiderseitigen Annahme liegt, dass solche Überstunden auch tatsächlich geleistet werden dürfen. Aus einer Pauschalierungsvereinbarung ist aber zumindest konkludent auf eine vertragliche Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Leistung von Überstunden zu schließen. Eine Pauschalabgeltung wird regelmäßig in der Erwartung vereinbart, dass auch Überstunden zu leisten sein werden. Ist dies der Fall, dann wäre das von den Parteien dem Arbeitsvertrag zugrunde gelegte Synallagma zwischen Arbeitsleistung und Entgelt erheblich gestört, wäre die Arbeitgeberin verpflichtet, der Arbeitnehmerin die Überstundenpauschale weiter zu bezahlen, obwohl sie von der Arbeitnehmerin nicht einmal die Leistung von Mehrstunden fordern kann. Erbringen Elternteilzeitbeschäftigte jedoch einvernehmlich Mehrarbeit, dann steht ihnen selbstverständlich auch das entsprechende Entgelt – im Wege der Einzelverrechnung der erbrachten Mehrleistungen – zu. Abgesehen davon steht hier nicht fest, dass ArbeitnehmerInnen der Beklagten aufgrund ihrer Tätigkeit und Positionen Mehrarbeit faktisch nicht verweigern könnten. Eine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Elternteilzeitbeschäftigten gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten bzw gegenüber Männern ist daher nicht zu erkennen. Der Anregung des Revisionswerbers auf Einholung einer entsprechenden Vorabentscheidung durch den EuGH war daher nicht zu folgen.
[8] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00020.23S.0427.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAF-67737