OGH 24.04.2024, 9Ob41/24f
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätin und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stiefsohn in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. Na* 2016, *, 2. Nu* 2018, *, und 3. Ne* 2021, *, vertreten durch das Land Tirol (Amt für Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Innsbruck), 6020 Innsbruck, Ing.-Etzel-Straße 5, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter B*, vertreten durch Dr. Christian Ortner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 52 R 65/23z-77, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die drei mj Kinder Na* 2016, Nu* 2018, und Ne* 2021, sind die Kinder von S* und B*, wobei Na* und Nu* während aufrechter Ehe geboren wurden, Ne* nach der Scheidung der Eltern.
[2] Im Rahmen der einvernehmlichen Scheidung am vereinbarten die Eltern die alleinige Obsorge der Mutter für die mj Na* und Nu*. Da Ne* nicht während aufrechter Ehe auf die Welt kam und die Eltern nicht die gemeinsame Obsorge vereinbarten, obliegt die alleinige Obsorge für diesen ebenfalls der Mutter.
[3] Am beantragte die Kinder- und Jugendhilfe (kurz: KJH), der Mutter die Obsorge ihrer Kinder im Teilbereich Pflege und Erziehung sowie die gesetzliche Vertretung in diesem Bereich zu entziehen, und dem Land *, vertreten durch das Amt der Kinder- und Jugendhilfe des Stadtmagistrats * zu übertragen. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass die Kinder am im Rahmen einer Gefahr-im-Verzug-Maßnahme fremduntergebracht wurden. Die Stabilität der Mutter, die an einer bipolaren Störung leide, könne nicht eingeschätzt werden, weshalb das Kindeswohl bei einem Verbleib der Kinder im Haushalt der Mutter in Anbetracht der zunehmenden massiven Überforderung der Mutter gefährdet sei.
[4] Die Mutter sprach sich gegen die Obersorgeübertragung aus.
[5] Der Vater beantragte, ihm die Obsorge für die beiden mj Kinder Na* und Nu* in den Teilbereichen Pflege und Erziehung einschließlich der gesetzlichen Vertretung in diesen Bereichen zu übertragen.
[6] Das Erstgericht erklärte zunächst die vom KJH gesetzte Gefahr-im-Verzug-Maßnahme für vorläufig zulässig und wies den Antrag der Mutter, ihr die vorläufige Obsorge zu übertragen, zurück.
[7] In der Folge verwarf das Erstgericht den Ablehnungsantrag der Mutter gegen den Sachverständigen Mag. A* (Spruchpunkt 1.) und wies den Antrag der Mutter auf neuerliche Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen sowie jenen auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens ab (Spruchpunkt 2.). Es entzog der Mutter die Obsorge für ihre mj Kinder Na* und Nu* in den Teilbereichen Pflege und Erziehung einschließlich der gesetzlichen Vertretung in diesen Bereichen und übertrug sie der KJH (Spruchpunkt 3.). Den Antrag der KJH, der Mutter auch die Obsorge für den mj Ne* in den Teilbereichen Pflege und Erziehung einschließlich der gesetzlichen Vertretung in diesen Bereichen zu entziehen, wies es ab (Spruchpunkt 4.), wobei es diesem Spruchpunkt vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit gemäß § 44 AußStrG zuerkannte (Spruchpunkt 5.). Des Weiteren wies das Erstgericht den Antrag des Vaters, ihm die Obsorge für die beiden mj Na* und Nu* in den Teilbereichen Pflege und Erziehung einschließlich der gesetzlichen Vertretung in diesen Bereichen zu übertragen, ab (Spruchpunkt 6.). Schließlich erteilte es der Mutter Auflagen (Spruchpunkt 7.) und räumte ihr ein Kontaktrecht zu den mj Nu* und Na* im dort näher definierten Ausmaß ein (Spruchpunkt 8.).
[8] Das Rekursgericht gab dem gegen die Spruchpunkte 2., 3., 7. und 8. gerichteten Rekurs der Mutter keine Folge. Aufgrund der schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen bestehe auch nach Ansicht des Rekursgerichts keine Veranlassung für die Beauftragung eines weiteren Sachverständigen aus dem Fachbereich Familienpsychologie. Auch die unterlassene Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens stelle keinen Verfahrensmangel dar, da bei der Entscheidung über die Obsorge nur maßgebend sei, ob die Erziehungsfähigkeit in einem kindeswohlgefährdenden Ausmaß beeinträchtigt ist und nicht worauf diese Defizite zurückzuführen seien. Die Rechtsrüge zu Spruchpunkt 3. (Obsorgeentzug) gehe nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und sei insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt. Angesichts der festgestellten Umstände zur eingeschränkten Erziehungsfähigkeit der Mutter und der daraus resultierenden konkreten Gefährdung der Kinder Na* und Nu* könne in der Ansicht des Erstgerichts, dass mit der Ausübung der Pflege und Erziehung durch die Mutter eine Kindeswohlgefährdung verbunden wäre, kein Rechtsirrtum erblickt werden. Was die erteilten Auflagen anbelange, so handle es sich dabei nicht um eine Beschränkung der Rechte der Mutter, sondern sollten durch diese die Voraussetzungen geschaffen werden, unter denen das Gericht die Übertragung der Obsorge an die Mutter verantworten könne. Schließlich entspreche die vom Erstgericht vorgesehene Kontaktregelung (derzeit) jedenfalls dem Kindeswohl. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mangels einer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Entscheidung nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der außerordentlicheRevisionsrekurs derMutter, mit dem sie die Abweisung des Antrags der KJH auf Entzug der Obsorge für die mj Kinder Ne* (gemeint wohl: Na*) und Nu* sowie die Aufhebung der Auflagen in Spruchpunkt 7. anstrebt, zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG auf.
[10] 1.1. Nach der Rechtsprechung kommt der nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden Entscheidung über die Übertragung der Obsorge im Einzelfall keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG zu, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen und keine leitenden Rechtsprechungsgrundsätze verletzt wurden (RS0115719; RS0007101). Das gilt insbesondere für die Frage, ob die Voraussetzungen für eine (Entziehung und) Übertragung der Obsorge gemäß § 181 ABGB erfüllt sind und eine Kindeswohlgefährdung vorliegt (vgl RS0115719 [T16]; RS0007101 [T21]).
[11] 1.2. Richtig ist, dass eine Verfügung, mit der die Obsorge entzogen wird, nur als ultima ratio in Betracht kommt (RS0132193). Sie setzt – wie bereits vom Rekursgericht zutreffend ausgeführt – eine offenkundige Gefährdung des Kindeswohls und die Notwendigkeit der Änderung des bestehenden Zustands voraus (RS0085168). Eine Gefährdung des Kindeswohls ist dann gegeben, wenn die Obsorgeberechtigten ihre Pflichten objektiv nicht erfüllen oder diese subjektiv gröblich vernachlässigen und durch ihr Verhalten schutzwürdige Interessen des Kindes wie die physische oder psychische Gesundheit, die altersgemäße Entwicklung und Entfaltungsmöglichkeit oder die soziale Integration oder die wirtschaftliche Sphäre des Kindes konkret gefährden (RS0048633 [T22]). Ob dies zutrifft, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0048633 [T24]; RS0048699 [T18]).
[12] 1.3. Soweit die Revisionsrekurswerberin als Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung die Frage releviert, ob ein Obsorgeentzug bei aktuell nicht vorliegender Gefährdung des Kindeswohls, weil sie derzeit und seit längerem psychisch stabil sei, schon aufgrund der Befürchtung, dass sich das in Zukunft ändern könnte, gerechtfertigt sein könne, geht sie, wie auch schon in ihrem Rekurs, nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Danach verfügt sie (aktuell) über keine ausreichende psychische Stabilität um drei Kinder zu erziehen und ihre Erziehungsfähigkeit ist (aktuell) deutlich eingeschränkt. Hinsichtlich der Kinder Na* und Nu* besteht eine unsichere/vermeidende Beziehungsstruktur und es gelingt der Mutter nicht ausreichend, zu ihren drei Kindern eine funktionale emotionale Bindung aufzubauen und ihnen ausreichend Geborgenheit einerseits und Regeln und Grenzen andererseits zu vermitteln. Wenn die Vorinstanzen auf Basis der festgestellten Erziehungsdefizite der Mutter, welche nach den Feststellungen hinsichtlich aller drei Kinder auch nicht durch externe Maßnahmen kompensiert werden können, von einer Gefährdung des Wohls der beiden älteren Kinder ausgingen, so ist dies nicht korrekturbedürftig. Von einer bloß potentiellen, erst bei Änderung der tatsächlichen Umstände möglicherweise eintretenden Kindeswohlgefährdung kann hier auf Basis des festgestellten Sachverhalts weder die Rede sein noch haben die Vorinstanzen ihre Entscheidungen darauf gestützt.
[13] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frage, ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll, eine solche der irrevisiblen Beweiswürdigung (RS0043320). Dies gilt auch für die Fragen, ob ein Sachverständigengutachten schlüssig und nachvollziehbar ist (RS0113643 [T7]), ob der beigezogene Sachverständige über die erforderliche Fachkunde verfügt (RS0043163 [T14]) sowie ob das eingeholte Sachverständigengutachten die getroffenen Feststellungen rechtfertigt (RS0043163). Die Vollständigkeit und Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens und die allfällige Notwendigkeit einer Ergänzung oder eines Vorgehens nach § 362 Abs 2 ZPO fallen demnach in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung.
[14] 2.2. Die im außerordentlichen Revisionsrekurs im Zusammenhang mit der vom Rekursgericht bestätigten erstgerichtlichen Abweisung des Antrags auf Einholung weiterer Sachverständigengutachten erhobenen Vorwürfe sind daher einer näheren Überprüfung des Obersten Gerichtshofs entzogen. Der Vollständigkeit halber ist aber darauf hinzuweisen, dass der dem Verfahren beigezogene Sachverständige die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Mutter nicht aus psychiatrischen Diagnosen abgeleitet hat, sondern vielmehr auf die im Rahmen der Befundaufnahme beobachteten Erziehungsdefizite gestützt hat. Soweit die Revisionsrekurswerberin die Anwendung eines bestimmten Testverfahrens beanstandet, hat bereits das Rekursgericht zutreffend festgehalten, dass die Methodenwahl grundsätzlich zum Kern der Sachverständigentätigkeit gehört (RS0119439). Besteht keine gesetzlich vorgeschriebene Methode, so unterliegt das von den Tatsacheninstanzen gebilligte Ergebnis eines Gutachtens grundsätzlich keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof, weil es um eine Tatfrage geht (RS0118604). Eine Nachprüfung kommt nur dann in Betracht, wenn gegen zwingende Denkgesetze und zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks verstoßen wurde (RS0043404) oder die vom Gericht gewählte Methode auf abstrakten Überlegungen ohne entsprechenden Tatsachenermittlungen basierte (RS0118604 [T3]) oder sie aus anderen Gründen völlig inadäquat ist (RS0118604 [T5, T8]). All dies ist hier nicht der Fall. Überdies war das bemängelte Testverfahren nicht das einzige, das vom Sachverständigen angewendet wurde, sondern nur eines von zahlreichen Untersuchungsverfahren, sodass dem Gutachten insgesamt keine ungeeignete Methode zugrunde gelegt wurde.
[15] 3.1. Die Entscheidung des Rekursgerichts über eine Mängel- oder Beweisrüge ist mangelfrei, wenn es sich mit diesen überhaupt befasst, das Verfahren des Erstgerichts überprüft, nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält (RS0043144; RS0043150). Das ist hier erfolgt. Das Rekursgericht hat sich sehr eingehend mit der Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens auseinandergesetzt und diese seine Entscheidung darüber ausführlich begründet; von einer nicht durch die Aktenlage gedeckten Begründung kann hier keine Rede sein. Ein (bloß) unerwünschtes Ergebnis der Behandlung der Beweisrüge kann nicht als Mangel des Rekursverfahrens releviert werden (vgl RS0043371 [T28]).
[16] 3.2. Eine unrichtige Protokollierung ist sofort, dh spätestens bis zum Ende der Verhandlung zu rügen (RS0120115). Da die Mutter dies unterlassen hat, ist dem Rekursgericht kein Verfahrensmangel unterlaufen, wenn es den behaupteten (im Übrigen hier für die Entscheidung nicht relevanten) Protokollierungsfehler nicht wahrgenommen hat.
[17] 3.3. Ein qualifizierter Begründungsmangel nach § 57 Z 1 AußStrG liegt vor, wenn die Fassung des Beschlusses so mangelhaft ist, dass dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann, der Beschluss mit sich selbst in Widerspruch steht oder keine Begründung enthält und diesen Mängeln durch eine Berichtigung des Beschlusses nicht abgeholfen werden kann. Damit entspricht § 57 Z 1 AußStrG im Wesentlichen § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (RS0121710), weshalb die in Lehre und Judikatur entwickelten Kriterien zum Vorliegen dieses Nichtigkeitstatbestands heranzuziehen sind (RS0121710 [T4]). Demnach begründet nur ein Widerspruch im Spruch selbst eine Nichtigkeit (RS0042133 [T2]; RS0042171 [T2]). Ein solcher liegt vor, wenn einzelne Aussprüche innerhalb des Spruchs der Entscheidung einander logisch ausschließen (RS0042171). Ein (angeblicher) Widerspruch in den Entscheidungsgründen bewirkt hingegen keine Nichtigkeit (RS0042133 [T7, T8]). Da die Revisionsrekurswerberin mit der Behauptung, einerseits werde ihre aktuelle Erziehungsfähigkeit vorausgesetzt, weil ihr die Obsorge für das jüngste Kind belassen worden sei, andererseits sei aber bei den beiden älteren Kindern eine Kindeswohlgefährdung wegen mangelnder Erziehungsfähigkeit der Mutter angenommen worden, nur eine solche (angebliche) Widersprüchlichkeit der Begründung der Entscheidung geltend macht, liegt der behauptete Nichtigkeitsgrund nicht vor.
[18] 4. Nur die für das Urteil wesentliche Aktenwidrigkeit bildet den Revisionsgrund nach § 503 Z 3 ZPO (RS0043265). Diese Voraussetzung begründet die Tatsache, dass die Mutter nur vorübergehend besachwaltert war, nicht.
[19] 5. Der Oberste Gerichtshof hat sich bei der Frage, ob ein außerordentliches Rechtsmittel einer weiteren Behandlung unterzogen oder verworfen werden soll, auf jene Gründe zu beschränken, die in der Zulassungsbeschwerde (§ 65 Abs 3 Z 6 AußStrG) angeführt wurden (RS0107501). Andere mögliche Rechtsfehler – hier die im Rahmen der Rechtsmittelausführung behauptete Unbestimmtheit und Unangemessenheit der Auflagen – sind, selbst wenn diesen erhebliche Bedeutung zukommen könnte, auf dieser Ebene nicht zu untersuchen (vgl RS0043644 [T3]).
[20] Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00041.24F.0424.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAF-67678