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OGH 31.05.2023, 9Ob16/23b

OGH 31.05.2023, 9Ob16/23b

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Annerl in der Familienrechtssache des Antragstellers O* W*, vertreten durch Kreissl & Pichler & Walther Rechtsanwälte GmbH in Liezen, gegen den Antragsgegner J* W*, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom , GZ 2 R 29/23y-35, mit dem dem Rekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Leoben vom , GZ 20 Fam 13/22m-29,nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Familienrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Der volljährige Antragsteller bezieht Leistungen nach dem steiermärkischen Behindertengesetz (StBHG) in Form der Übernahme der Kosten für teilzeitbetreutes Wohnen. Für die ihm gemäß § 3 Z 4, § 8 StBHG gewährte Hilfeleistung „Teilhabe an Beschäftigung in der Arbeitswelt“ in der Lebenshilfe L* erhält der Antragsteller keinen Lohn, sondern eine Motivationsprämie in unterschiedlicher, jedoch monatlich 50 EUR nicht übersteigender Höhe und ein Taschengeld von monatlich 102,15 EUR.

[2] Daneben bezieht er eine Waisenpension, die pro Monat im Jahr 2019 177,07 EUR, 2020 183,44 EUR, 2021 (bis einschließlich Oktober) 189,85 EUR und ab November 2021 195,55 EUR monatlich betrug. Außerdem erhält er die erhöhte Familienbeihilfe sowie eine Ausgleichszulage, die im Jahr 2019 47 EUR, 2020 60 EUR, 2021 61 EUR und von Jänner bis März 2022 42 EUR monatlich betrug.

[3] Der Antragsgegner erzielte 2019 ein monatliches Durchschnittseinkommen von 1.870 EUR, 2020 von 2.346 EUR, 2021 von 2.404 EUR und zwischen dem und dem von 2.460,52 EUR.

[4] Der Antragsteller, vertreten durch seinen Erwachsenenvertreter, beantragte den Antragsgegner (seinen Vater) zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 540 EUR rückwirkend ab zu verpflichten.

[5] Der Antragsgegner bestritt die mangelnde Aktivlegitimation des Antragstellers und beantragte im Übrigen, den Unterhaltsfestsetzungsantrag abzuweisen.

[6] Das Erstgericht setzte die monatliche Unterhaltspflicht des Antragsgegners für den Zeitraum April 2019 bis Dezember 2020 mit 380 EUR, für Jänner bis Dezember 2021 mit 390 EUR, für Jänner bis März 2022 mit 430 EUR und ab April 2022 mit 450 EUR fest. Das Mehrbegehren des Antragstellers wies es ab. Rechtlich berücksichtigte das Erstgericht das Taschengeld, die Motivationsprämie, die Waisenpension und die Ausgleichszulage als Eigeneinkommen des Antragstellers und ermittelte auf diese Weise seinen Unterhaltsanspruch. Der Wert der vollen freien Station sei hingegen nicht einzubeziehen, weil der Antragsteller bei einem Bezug von Pflegegeld oder bei einem höheren Einkommen Abzüge hinnehmen würde müssen.

[7] Das Rekursgericht gab dem gegen den antragsstattgebenden Teil der Entscheidung gerichteten Rekurs des Antragsgegners nicht Folge. Der Antragsteller sei aktiv zur Geltendmachung von Unterhalt berechtigt, weil das StBHG keine Bestimmungen über eine Legalzession enthalte. Der Antragsteller beziehe (von August 2021 bis Juli 2023) Leistungen in Form der Übernahme der Kosten für teilzeitbetreutes Wohnen. Davon sei die Verpflegung aber nicht umfasst, diese werde über den Lebensunterhalt der Bewohner selbst finanziert. Die (erhöhte) Familienbeihilfe, das Taschengeld und die Motivationsprämie seien nicht als Eigeneinkommen des Antragstellers zu berücksichtigen. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Antragsteller auch ab April (und zwar in annähernd gleicher Höhe wie bisher) eine Ausgleichszulage beziehe und auch die gemäß § 9 StBHG geleistete Hilfe zum Lebensunterhalt von 31,64 EUR monatlich zum Eigeneinkommen des Antragstellers hinzuzähle, liege dieses noch immer um rund 100 EUR unter dem vom Erstgericht ermittelten Eigeneinkommen. Wollte man den Antragsteller mit diesem Einkommen und dem Wert des teilzeitbetreuten Wohnens als selbsterhaltungsfähig behandeln, müsste man dem Wohnen einen Geldwert von rund 850 EUR zubilligen. Das wären drei Viertel des Ausgleichszulagenrichtsatzes für 2021 und damit drei Viertel des gesamten Bedarfs, den der Antragsteller zum Leben habe. Dies entspreche nicht der Rechtsauffassung des Rekursgerichts. Der Familienbonus Plus sei auch hinsichtlich volljähriger Unterhaltsberechtigter bei der Bemessung deren Unterhalts nicht zu berücksichtigen.

[8] Das Rekursgericht hat den ordentlichen Revisionsrekurs zugelassen, weil – soweit erkennbar – keine aktuelle höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den hier aufgeworfenen Fragen auf der Grundlage des StBHG vorliege.

[9] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Antragsgegners, mit dem auf gänzliche Antragsabweisung gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Er macht zusammengefasst geltend, das Rekursgericht habe die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Verhältnis der einem Unterhaltsberechtigten zukommenden öffentlich-rechtlichen Sozialleistungen unrichtig angewendet.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig.

[11] 1. Wie der Revisionsrekurswerber selbst zutreffend ausführt, sieht das StBHG weder einen Regress noch – abgesehen von § 39 Abs 3 für Pensions- und Schadenersatzansprüche – eine Legalzession vor (1 Ob 29/16w). Der Antragsteller kann daher auch im Umfang der hier vom Sozialhilfeträger gewährten Leistungen nach dem StBHG seinen Unterhaltsanspruch geltend machen. Dass der Sozialhilfeträger im Verfahren behauptet, ein allfällig dem Antragsteller gewährtes Pflegegeld würde eingezogen werden, steht dieser Beurteilung nicht entgegen.

[12] 2. Auch wenn das Erstgericht „festgestellt“ hat, dass „der Wert der vollen freien Station nicht einzubeziehen ist“, hat es damit – entgegen der Ansicht des Revisionsrekurswerbers – aber nicht festgestellt, dass der Antragsteller im Rahmen seiner Unterbringung in der Lebenshilfe L* Kost und Logis erhält. Nach § 3 Z 7 StBHG kommen als Hilfeleistung für Menschen mit Behinderung Wohneinrichtungen (§ 18) in Betracht. Nach § 18 StBHG ist die Hilfe zum Wohnen in Wohneinrichtungen insbesondere durch Übernahme der Entgelte für Unterkunft und Betreuung zu gewähren. Zutreffend hat das Rekursgericht darauf hingewiesen, dass im Rahmen des teilzeitbetreuten Wohnens die Verpflegung über den Lebensunterhalt des Bewohners selbst finanziert wird (vgl Anlage 1 Punkt I.C.2.3. der aufgrund des StBHG erlassenen StBHG Leistungs- und Entgeltverordnung 2015 – LEVO-StBHG 2015).

[13] 3.1. Daraus folgt, dass zwar nicht die Verpflegung des Antragstellers als Eigeneinkommen zu berücksichtigen ist, aber die Hilfe zum Wohnen. Nach herrschender Rechtsprechung bestehen, soweit die Unterhaltsbedürfnisse einer Person infolge einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung von einem Dritten gedeckt werden, keine Unterhaltsansprüche gegen einen nach Privatrecht Unterhaltspflichtigen, weil kein Anspruch auf Doppelversorgung besteht. Deshalb werden auch Sozialleistungen, sofern sie nicht dem Ausgleich eines bestimmten Mehraufwands für einen Sonderbedarf dienen (RS0009552) oder nach den gesetzlichen Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anrechenbar sind, als Einkommen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen (RS0080395; RS0047456; 7 Ob 225/04w, 1 Ob 29/16w und RS0009583 zum StBHG in verschiedenen Fassungen).

[14] 3.2. Eine solche Doppelversorgung wird im Ergebnis auch ausgeschlossen, wenn Sozialhilfegesetze eine (aufgeschobene) Legalzession der bestehenden gesetzlichen Unterhaltsansprüche anordnen. Sieht das jeweilige Sozialhilfegesetz – wie hier das StBHG (abgesehen von § 39 Abs 3) – weder eine den Sozialhilfeempfänger treffende Rückzahlungsverpflichtung noch eine (aufgeschobene) Legalzession des Unterhaltsanspruchs vor, kann also die einmal gewährte Sozialhilfe nicht (mehr) „zurückgefordert“ werden, ist sie als anrechenbares Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten anzusehen (RS0118565 [T2]; RS0063121 [T2]; 7 Ob 225/04w zum StBHG aF). In den übrigen Fällen bleibt der volle Unterhaltsanspruch bestehen.

[15] 3.3. Für eine Berücksichtigung dieser vom Sozialhilfeträger dem Antragsteller gewährten Hilfe zum Wohnen bei der Unterhaltsfestsetzung fehlen aber geeignete Feststellungen zum angemessenen Wert dieser Hilfe.

[16] 4. Soweit der Revisionsrekurswerber den Bezug der (erhöhten) Familienbeihilfe analog zur Rechtslage vor 2019 bei der Unterhaltsberechnung berücksichtigt wissen will, weil er durch die „verspätete“ Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs des Antragstellers dadurch einen Vermögensnachteil erlitten habe, dass er den Familienbonus Plus nicht beziehen könne, so entspräche diese Vorgangsweise nicht den in § 231 Abs 1 ABGB festgelegten Kriterien des Kindesunterhalts. Wenn der Unterhaltspflichtige die gesetzlichen Voraussetzungen für den durch das Jahressteuergesetz 2018, BGBl I 2018/62, neu eingeführten und erstmals für das Kalenderjahr 2019 zustehenden „Familienbonus Plus“ nicht erfüllt, dann kommt ihm diese steuerliche Entlastung nicht zugute. Auch zufolge der durch die Einführung des Familienbonus Plus erfolgten Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht (vgl RS0132928) ist ein Abstellen auf die Rechtslage vor 2019 nicht möglich.

[17] 5. Da zur Frage der Anrechnung der dem Antragsteller im Rahmen des StBHG gewährten Hilfe beim Wohnen durch Unterbringung in einer Wohneinrichtung (teilzeitbetreutes Wohnen) auf sein Eigeneinkommen Feststellungen fehlen, erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.

[18] In Stattgebung des Revisionsrekurses des Antragsgegners waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben.

[19] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00016.23B.0531.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
MAAAF-67660