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OGH 29.03.2023, 8ObA5/23b

OGH 29.03.2023, 8ObA5/23b

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

Rechtssätze


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Norm
RS0034043
Die Rechtswirksamkeit von Änderungen des Arbeitsvertrages zum Nachteil des Arbeitnehmers ist Folge der das österreichischen Privatrecht grundsätzlich beherrschenden Vertragsfreiheit, welche auch im Bereich des Arbeitsrechtes durch kein allgemeines "Verschlechterungsverbot" beschränkt ist.
Norm
RS0034072
Aus der - allein für den Verzicht auf bereits erworbene Ansprüche entwickelten - "Drucktheorie" kann die Unzulässigkeit einer Vereinbarung, mit welcher der Arbeitnehmer für die Zukunft auf einen Teil seiner überkollektivvertraglichen Entlohnung ganz oder teilweise "verzichtet", nicht abgeleitet werden.
Norm
RS0034017
Kann das gesamte Arbeitsverhältnis und damit die Grundlage für den Erwerb der Gegenleistung des Arbeitnehmers pro futuro jederzeit einvernehmlich beseitigt werden, dann muß es umso mehr dem Einvernehmen der Vertragspartner überlassen bleiben, den Inhalt des Arbeitsvertrages - innerhalb der Grenzen des zwingenden Rechtes - für die Zukunft zu ändern, dh auch für den Arbeitnehmer ungünstiger zu gestalten.
Normen
RS0110351
Der Feststellungsbescheid im Sinne des § 14 Abs 2 BEinstG entfaltet trotz mangelnder Parteistellung des Arbeitgebers volle Tatbestandswirkung auch gegenüber dem Arbeitgeber. Der Bescheid über die Einschätzung des Grades der Behinderung genügt bereits, um bestimmte rechtliche Wirkungen hervorzurufen, die sich nicht aus dem Bescheid selbst, sondern daraus ergeben, dass der Bescheid in einer Rechtsvorschrift als Tatbestand für eine Rechtsfolge eingesetzt ist. Die Tatbestandswirkung umfasst daher nicht nur die durch den Bescheid Verpflichteten, sondern alle, an die die Rechtsvorschrift adressiert ist, welche die in Rede stehende Wirkung normiert.
Norm
RS0110655
Die Feststellung der Invalidität (jetzt: Behinderteneigenschaft) ähnelt in ihrer Funktion einer Statusentscheidung, die eine Reihe von Rechtswirkungen in verschieden Richtungen entfaltet, ohne dass alle Betroffenen oder Berührten dem Verfahren beigezogen werden müssen oder auch nur können. Dazu kommt, dass die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit die Befassung mit höchstpersönlichen Umständen (Daten) in der Sphäre des Behinderten erfordert und ein Vielparteienverfahren dafür ebenso ungeeignet ist, wie eine mehrfache Wiederholung ähnlicher Verfahrensschritte in mehreren Verfahren mit unterschiedlichen Zwecken.
Normen
RS0052584
Die Entscheidung, ob einer Person Behinderteneigenschaft (bisher Invalideneigenschaft) im Sinn des § 2 BEinstG ausschließlich zukommt, ist gemäß § 14 Abs 1 und 2 BEinstG ausschließlich der Verwaltungsbehörde zugewiesen, die dabei im Falle eines Ausländers auch die Vorfrage der Anwendbarkeit dieses Gesetzes gemäß § 2 Abs 4 BEinstG zu lösen hat. (§ 48 ASGG)

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Mag. Antonia Oberwalder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Stepanowsky (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer, Mag. Eva Suitner-Logar und MMMag. Nadja Auer, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ö* AG, *, vertreten durch die Maxl & Sporn Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, in eventu Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 33/22h-47, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin war seit bei der Beklagten als Postzustellerin und Teamleiterin beschäftigt. Mit Dienstvertrag vom war zunächst ein befristetes Beschäftigungsverhältnis vereinbart worden. Am unterfertigten die Streitteile einen unbefristeten Dienstvertrag, in dem die Anwendbarkeit des Kollektivvertrags für Bedienstete der Ö* AG gemäß § 19 Abs 3 Poststrukturgesetz (PTSG) vereinbart wurde. Aus gesundheitlichen Gründen ist die Klägerin nicht mehr in der Lage, als Zustellerin tätig zu sein. Am erhielt die Klägerin ein Schreiben, mit welchem die Beklagte das Dienstverhältnis aufkündigte. Mit Bescheid des Sozialministeriums vom wurde festgestellt, dass die Klägerin ab dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört.

[2] Die Klägerin begehrt die Feststellung des aufrechten Bestands ihres Dienstverhältnisses, in eventu die Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären. Es liege kein Kündigungsgrund nach § 48 Abs 2 der auf das Dienstverhältnis anzuwendenden Dienstordnung in der Fassung vom vor, weil die Beklagte aufgrund ihrer Fürsorgepflicht verpflichtet gewesen wäre, der Klägerin leichtere Arbeiten zuzuweisen. Darüber hinaus sei die Kündigung mangels Zustimmung des Behindertenausschusses unwirksam. Hilfsweise werde die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit angefochten.

[3] Die Beklagte bestritt und wendete ein, dass der Kollektivvertrag für Bedienstete der Ö* AG anzuwenden sei, der die Kündigung unabhängig vom Vorliegen eines Kündigungsgrundes zulasse und dessen Anwendbarkeit im Dienstvertrag ausdrücklich vereinbart worden sei.

[4] Mit dem angefochtenen Teilurteil wies das Berufungsgericht das Feststellungsbegehren ab. Die Klägerin habe sich durch die Unterfertigung des Dienstvertrags vom dem neuen Kollektivvertrag unterworfen, sodass es nicht mehr darauf ankomme, ob auf das ursprüngliche Dienstverhältnis die Dienstordnung anwendbar war oder nicht. Die Kündigung der Klägerin bedürfe keiner Zustimmung des Behindertenausschusses, weil für den Zeitpunkt der Kündigung keine verwaltungsbehördliche Feststellung der Behinderteneigenschaft vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[6] 1. Nach § 19 Abs 4 PTSG gilt die mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten vereinbarte Dienstordnung der Beklagten als Kollektivvertrag. Nach § 19 Abs 7 PTSG war aber vom Vorstand der Beklagten bis ein neuer Kollektivvertrag für die ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens neu eintretenden Bediensteten zu verhandeln. Dienstnehmer der Beklagten haben nach § 19 Abs 7 PTSG Anspruch auf die Anwendung dieses Kollektivvertrags, wenn sie dies innerhalb von fünf Jahren ab Inkrafttreten dieses Kollektivvertrags erklären.

[7] 2. Tatsächlich wurde der Kollektivvertrag für Bedienstete der Ö* AG erst am mit Wirksamkeit ab abgeschlossen, sodass die vom Gesetzgeber für die Verhandlung des Kollektivvertrags gesetzte Frist erheblich überschritten wurde. Nichtsdestoweniger hat der Oberste Gerichtshof bereits zu 9 ObA 47/17b ausgesprochen, dass der neue Kollektivvertrag auch auf Altverträge anzuwenden ist, wenn dies anlässlich der Überführung eines befristeten in ein unbefristetes Dienstverhältnis vereinbart wurde. Der Einwand einer für den Dienstnehmer unzumutbaren Drucksituation, wie er auch von der Klägerin erhoben wird, wurde vom Obersten Gerichtshof in dieser Entscheidung ausdrücklich verworfen. Die Rechtswirksamkeit von Änderungen des Arbeitsvertrags zum Nachteil des Arbeitnehmers ist nämlich eine Folge der Vertragsfreiheit, sodass auch im Bereich des Arbeitsrechts kein allgemeines Verschlechterungsverbot besteht (RIS-Justiz RS0034017; RS0034043; RS0034072).

[8] 3. Die Kündigung eines begünstigten Behinderten darf nach § 8 Abs 2 BEinstG erst ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss zugestimmt hat. Der Kündigungsschutz setzt nach § 14 Abs 1 und 2 BEinstG aber einen Bescheid der Verwaltungsbehörde voraus, mit welchem die Behinderteneigenschaft festgestellt wird. Ob einem Dienstnehmer Behinderteneigenschaft zukommt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ausschließlich von der Verwaltungsbehörde zu beurteilen (RS0052584). Die Feststellung der Behinderteneigenschaft durch die Verwaltungsbehörde entfaltet Tatbestandswirkung und ähnelt in ihrer Funktion einer Statusentscheidung (RS0110351; RS0110655). Der Oberste Gerichtshof hat deshalb bereits ausgesprochen, dass der Kündigungsschutz eines begünstigten Behinderten nach dem BEinstG erst mit jenem – im Bescheid ausdrücklich festgestellten – Zeitpunkt beginnt, für den das Vorliegen einer Behinderung von der Verwaltungsbehörde festgestellt wurde (9 ObA 30/06m; 9 ObA 86/06x). Da die Behinderteneigenschaft der Klägerin erst ab festgestellt wurde, bleibt die Wirksamkeit der Kündigung vom unberührt.

[9] 4. Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen wurden damit vom Obersten Gerichtshof bereits beantwortet, sodass die außerordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen war.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00005.23B.0329.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAF-67602