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OGH 15.02.2024, 8ObA48/23a

OGH 15.02.2024, 8ObA48/23a

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

Rechtssätze


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Norm
EpiG §32
RS0134512
Nach § 32 Abs 3 Satz 2 EpiG haben die Arbeitgeber den Arbeitnehmern „den gebührenden Vergütungsbetrag an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen“. Bei der Vergütung für den Verdienstentgang nach § 32 EpiG handelt es sich zwar um eine „Schuld des Bundes“, diese hat aber aufgrund von § 32 Abs 3 Satz 2 EpiG der Arbeitgeber „kraft Gesetzes […] zu erfüllen“ (VwGH 84/08/0043 [Pkt 2.2.1.]; Ra 2021/09/0235 - 4 [Rz 20]). Kommt der Arbeitgeber seiner Pflicht nach § 32 Abs 3 Satz 2 EpiG nicht nach, so kann der Arbeitnehmer vor dem Arbeits- und Sozialgericht gegen ihn Zahlungsklage erheben. Insofern  liegt nämlich eine bürgerliche Rechtssache iSd § 1 JN vor (im Ergebnis bereits 9 ObA 99/21f; Gerhartl, Vergütung von Quarantänezeiten, ARD 6792/4/2022 [5]; Schrank, Leitentscheidungen der Höchstgerichte zum Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht 15.3.1. Nr 4).
Norm
EpiG §32 Abs1 Z1
RS0134511
Vor dem Hintergrund der EuGH-E zu C-411/22 verbietet sich eine Auslegung des § 32 Abs 1 Z 1 EpiG, nach der zwingende Voraussetzung einer Vergütung für Verdienstentgang nach dieser Bestimmung jedenfalls eine 'gemäß §§ 7 oder 17' EpiG verfügte Absonderung durch eine österreichische Behörde ist. Vielmehr sind für Zwecke der Vergütung des Verdienstentganges auch Absonderungsmaßnahmen zu berücksichtigen, die von Behörden eines anderen Mitgliedstaates verhängt wurden und angesichts ihrer Zielsetzung, ihrer Art und ihren Auswirkungen den nach den §§ 7 und 17 EpiG verfügten Absonderungsmaßnahmen vergleichbar sind.
Norm
EpiG §32 Abs5
RS0134513
Der Vergütungsanspruch nach § 32 Abs 5 EpiG ist nicht subsidiär gegenüber § 1154b ABGB bzw den dazu parallelen sonstigen zivilrechtlichen Entgeltfortzahlungsbestimmungen.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei P* M*, vertreten durch die burkowski / gallistl Rechtsanwälte GesbR in Linz, gegen die beklagte Partei A* GmbH, *, vertreten durch Mag. Philippe Aigner, Rechtsanwalt in Wels, wegen 1.017 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 726,43 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 27/22b-25, womit das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 64 Cga 26/21d-20, bestätigt wurde, beschlossen (I.) und zu Recht erkannt (II.):

Spruch

I. Das mit Beschluss vom , AZ 8 ObA 64/22b, unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 252,31 EUR (darin 42,05 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war bei der Beklagten, einem österreichischen Arbeitskräfteüberlasser, als Arbeiter beschäftigt und bei der ebenso in Österreich ansässigen R* GmbH (in der Folge: Beschäftiger) eingesetzt. Auf sein Arbeitsverhältnis sind die Bestimmungen des Kollektivvertrags für ArbeiterInnen im Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) anzuwenden.

[2] Der Kläger hielt sich unter der Woche in einer Unterkunft in der Nähe des Beschäftigerbetriebs auf. An den Wochenenden war er in seiner Heimat in Tschechien.

[3] Der Kläger wurde am , als er in seiner Heimat war, von seinem Vorgesetzten beim Beschäftigerbetrieb angerufen und gefragt, ob er mit einer bestimmten Arbeitskollegin Kontakt gehabt habe, was er bejahte. Sein Vorgesetzter teilte ihm mit, er solle seine Arbeit nicht antreten, weil seine Arbeitskollegin positiv auf Covid-19 getestet worden sei. Der Kläger begab sich daraufhin in seiner Heimat in Selbstisolation.

[4] Die örtlich zuständige Bezirkshauptmannschaft wurde vom Beschäftiger über allfällige Kontaktpersonen zu positiven Indexpersonen informiert, zu denen auch der Kläger gehörte. Der Kontaktpersonenmanager des Krisenstabes der Bezirkshauptmannschaft erreichte den Kläger am per E-Mail in Tschechien und teilte ihm mit, dass die Bezirkshauptmannschaft die tschechischen Behörden verständigt habe und er in Österreich als Hoch-Risiko-Person bis inklusive in Quarantäne verbleiben müsste. Die Bezirkshauptmannschaft durfte über den Kläger keinen Absonderungsbescheid erlassen, da er sich in Tschechien aufhielt. Sie informierte ihn darüber, dass er von den zuständigen tschechischen Behörden einen Absonderungsbescheid erhalten werde. Der Kläger erhielt in der Folge einen Bescheid der Gesundheitsbehörde von Südböhmen, nach dem er sich bis zum in Quarantäne begeben musste. Die Beklagte erlangte von der Quarantäne und dem Bescheid Kenntnis.

[5] Der Kläger begehrte von der Beklagten zuletzt 1.017 EUR brutto sA an Entgeltfortzahlung für den (Quarantäne-)Zeitraum 13. bis .

[6] Die Beklagte beantragte die Abweisung dieses Begehrens.

[7] Das Erstgericht verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Für Dienstnehmer, die im Ausland von einer ausländischen Behörde unter Quarantäne gestellt werden und daher nicht an ihrem Arbeitsplatz in Österreich erscheinen können, gelte das EpiG nicht. Mangels einer von einer österreichischen Gesundheitsbehörde angeordneten Maßnahme bestünde damit kein Verdienstentgangsentschädigungsanspruch des Klägers nach § 32 EpiG. Ein etwaiger Anspruch auf Entgeltfortzahlung sei nach den allgemeinen arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen zu beurteilen. Einen solchen habe der Kläger aufgrund von § 1154b Abs 5 ABGB. Seine Eigenschaft als Kontaktperson einer infizierten Person sei ein wichtiger Grund im Sinne dieser Bestimmung. Ebenso sei das Ausmaß der Quarantäne von 14 Tagen noch ein kurzer Zeitraum im Sinne der Bestimmung. Ein kürzerer Zeitraum wäre aufgrund der damals geltenden Quarantänebestimmungen in Österreich auch nicht möglich gewesen.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es ließ die ordentliche Revision mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage der Entgeltfortzahlung nach § 1154b Abs 5 ABGB und insbesondere zu deren Dauer zu.

[9] Hinsichtlich eines Zuspruchs von 290,57 EUR sA erwuchs das Berufungsurteil unangefochten in Rechtskraft.

[10] Die Beklagte beantragt in ihrer wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision die Abänderung der Urteile der Vorinstanzen dahin, dass die Klage in Hinsicht auf den noch strittigen – den Zeitraum bis betreffenden – Betrag von 726,43 EUR sA (= 1.017 : 14 [Quarantänetage] x 10 [Arbeitstage]) abgewiesen werde.

[11] Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr den Erfolg zu versagen.

[12] Das Revisionsverfahren wurde mit Beschluss des Senats vom bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu C-411/22 über den vom Verwaltungsgerichtshof am zu Ra 2021/03/0098-0100, 0102, 0103 gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Zu I.:

[13] Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom , C-411/22, die Vorabentscheidung getroffen. Das Revisionsverfahren ist daher von Amts wegen fortzusetzen.

Zu II.:

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

[15] Der Kläger ist ein sogenannter Grenzgänger im Sinne der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl EU Nr L 166 vom , S 1 Art 1 lit f; VwGH Ra 2021/03/0098-0100, 0102, 0103). Anders als bei Arbeitnehmern, die von einer österreichischen Gesundheitsbehörde unter Quarantäne gestellt werden und für die § 32 EpiG eine Vergütung für den Verdienstentgang vorsieht, besteht nach der Systematik des EpiG ein solcher Anspruch im Falle, dass die Quarantäne von einer ausländischen Gesundheitsbehörde verfügt wurde, nicht. Aufgrund der sich damit stellenden Frage einer möglicherweise unzulässigen Diskriminierung von Grenzgängern hat der zu Ra 2021/03/0098-0100, 0102, 0103 den EuGH um Vorabentscheidung zu den aus dem Beschluss des Senats 8 ObA 64/22b ersichtlichen Fragen ersucht. Der EuGH hat diese mit Urteil vom , C-411/22, wie folgt beantwortet:

„1. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass die staatlich finanzierte Vergütung, die Arbeitnehmern für die durch die Behinderung ihres Erwerbs entstandenen Vermögensnachteile während ihrer Absonderung als an Covid-19 erkrankte, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen gewährt wird, keine 'Leistung bei Krankheit' im Sinne dieser Bestimmung darstellt und daher nicht in den Geltungsbereich dieser Verordnung fällt.

2. Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der die Gewährung einer Vergütung für den Verdienstentgang, der den Arbeitnehmern aufgrund einer wegen eines positiven Covid-19-Testergebnisses verfügten Absonderung entsteht, davon abhängt, dass die Anordnung der Absonderungsmaßnahme durch eine Behörde dieses Mitgliedstaats aufgrund dieser Regelung verfügt wird.“

[16] Der VwGH führte in Anschluss an das Urteil des EuGH in seinem Anlassverfahren mit Erkenntnis vom , Ra 2021/03/0098, wie folgt aus:

„Vor dem Hintergrund des in dieser Sache ergangenen Urteils des EuGH verbietet sich eine Auslegung des § 32 Abs. 1 Z 1 EpiG, nach der zwingende Voraussetzung einer Vergütung für Verdienstentgang nach dieser Bestimmung jedenfalls eine 'gemäß §§ 7 oder 17' EpiG verfügte Absonderung durch eine österreichische Behörde ist. Vielmehr sind für Zwecke der Vergütung des Verdienstentganges auch Absonderungsmaßnahmen zu berücksichtigen, die von Behörden eines anderen Mitgliedstaates verhängt wurden und angesichts ihrer Zielsetzung, ihrer Art und ihren Auswirkungen den nach den §§ 7 und 17 EpiG verfügten Absonderungsmaßnahmen vergleichbar sind.“

[17] Der erkennende Senat schließt sich dieser Beurteilung des VwGH an und legt sie seiner Entscheidung zugrunde. Der Kläger ist folglich im Weiteren so zu behandeln, als hätte die örtlich zuständige Bezirkshauptmannschaft über ihn – so wie tatsächlich von der Gesundheitsbehörde von Südböhmen geschehen – die Quarantäne verhängt.

[18] Nach § 1154b Abs 1 ABGB behält der Dienstnehmer seinen Anspruch auf das Entgelt, wenn er nach Antritt des Dienstes durch Krankheit oder Unglücksfall an der Dienstleistung verhindert ist, ohne dies vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verschuldet zu haben, bis zu der in der Vorschrift näher angeführten Dauer. Der Kläger war nicht durch Krankheit oder Unglücksfall dienstverhindert.

[19] Nach § 1154b Abs 5 ABGB behält der Dienstnehmer ferner den Anspruch auf das Entgelt, wenn er durch andere wichtige, seine Person betreffende Gründe ohne sein Verschulden während einer verhältnismäßig kurzen Zeit an der Dienstleistung verhindert wird. Die Beklagte hält diese Bestimmung für hier einschlägig und begründet ihr Begehren, sie nicht auch für den Zeitraum bis als entgeltfortzahlungspflichtig anzusehen, damit, dass dies die Beschränkung in § 1154b Abs 5 ABGB auf eine „verhältnismäßig kurze[n] Zeit“ verletzte.

[20] Es ist zu berücksichtigen, dass der Kläger aufgrund der wegen der Covid-19-Pandemie über ihn als Kontaktperson behördlich verhängten Quarantäne im genannten Zeitraum dienstverhindert war. Für eine solche Dienstverhinderung hat der Gesetzgeber in Gestalt des § 32 EpiG einen besonderen – spezielleren – Entgeltfortzahlungstatbestand geschaffen:

[21] In der Literatur ist strittig, ob § 32 EpiG gegenüber § 1154b ABGB bzw die dazu parallelen sonstigen zivilrechtlichen Entgeltfortzahlungsbestimmungen lex specialis oder gegenüber diesen subsidiär ist (für die Anwendung als lex specialis zB Wiesinger, Arbeitsrechtliche Fragen zu Epidemien, SWK 2020, 469 [472]; Resch, Verhältnis Vergütung nach Epidemiegesetz zur arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlung, ecolex 2021, 285 [287]; Gruber-Risak, Die Seuche, das Risiko und der Arbeitsvertrag, ÖJZ 2021, 165 [167 ff]; wohl auch Kietaibl/Wolf in Resch, Corona-HB1.04 [2021] Kap 3 Rz 2/1; für die Subsidiarität zB Felten/Pfeil, Arbeitsrechtliche Auswirkungen der COVID-19-Gesetze – ausgewählte Probleme, DRdA 2020, 295 [302]; Mitschka, Kranke Arbeitnehmer in Quarantäne – wer trägt die Kosten? CuRe 2020/82; Th. Dullinger, COVID-19-bedingte Dienstverhinderung in der Arbeitnehmersphäre, ZAS 2021, 12 [16 f]; Drs, Urlaubsrechtliche Fragen anlässlich der COVID-19-Pandemie, ASoK 2020, 282 [286 f]; dies in Resch, Corona-HB1.06 [2021] Kap 5 Rz 87).

[22] Die Subsidiarität wird in der Literatur mit § 32 Abs 5 Satz 1 EpiG begründet, wonach auf den gebührenden Vergütungsbetrag Beträge anzurechnen sind, „die dem Vergütungsberechtigten wegen einer solchen Erwerbsbehinderung nach sonstigen Vorschriften oder Vereinbarungen sowie aus einer anderweitigen während der Zeit der Erwerbsbehinderung aufgenommenen Erwerbstätigkeit zukommen“. „Sonstige Vorschriften“ iSd § 32 Abs 5 EpiG seien auch alle arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsansprüche. Folglich bestehe ein Anspruch nach § 32 EpiG nur dann bzw so weit, als dem Arbeitnehmer wegen der Erwerbsbehinderung nicht nach anderen, zB arbeitsrechtlichen Bestimmungen Entgeltfortzahlung gebühre (zB Drs, ASoK 2020, 286 f; dies in Resch, Corona-HB1.06 [2021] Kap 5 Rz 87). Weiters wird für die Subsidiarität die Genesis des § 32 Abs 5 EpiG ins Treffen geführt, nämlich seine Formulierung nach dem Vorbild des § 52b Tierseuchengesetz; die historische Entstehungsgeschichte spreche eher für die Absicht des Gesetzgebers, für erkrankte Arbeitnehmer lediglich einen gegenüber arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsansprüchen für den Krankheitsfall subsidiären Vergütungsanspruch gegen den Bund zu schaffen (Mitschka, CuRe 2020/82).

[23] Dagegen wird eingewendet, § 32 Abs 5 EpiG stelle bloß sicher, dass es zu keinen Doppelliquidationen komme, sage aber nicht, wann und ob solche anderweitigen anrechnungspflichtigen Ansprüche bestehen, sondern nur, dass in diesem Fall eine Anrechnung auf den Anspruch gegen den Bund erfolge (Kietaibl/Wolf in Resch, Corona-HB1.04 [2021] Kap 3 Rz 2/1 [FN 6]). Es sei auch seit jeher unklar, welche Fälle von der Anrechnungsbestimmung des § 32 Abs 5 EpiG oder von einer ihrer Vorbildbestimmungen erfasst sein sollen; es handle sich bei der Bestimmung des § 32 Abs 5 EpiG bzw ihren Vorgängern jeweils um eine Norm, die über die Jahrzehnte unreflektiert weitergetragen werde; sie sei bei Ausreizung der Grenzen methodisch zulässiger Rechtsfortbildung teleologisch zu reduzieren (Gruber-Risak, ÖJZ 2021, 169). Zudem wird argumentiert, es stellte den Zweck des Gesetzes auf den Kopf, fiele der Vergütungsanspruch allein deshalb weg, weil eine arbeitsrechtliche Kostentragung den Schaden zwischen zwei epidemierechtlich Vergütungsberechtigten bloß verlagere. Die Idee des § 32 EpiG sei vielmehr die Kostenübernahme durch den Bund, weil dieser seinerseits die Verfügungen nach dem EpiG gesetzt habe. Dass der Anspruch nach § 32 EpiG ein eigenständiger sei und vom arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsanspruch losgelöst gebühre, werde auch durch die unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen untermauert. Der anders als § 2 EFZG bzw § 8 Abs 3 AngG nicht weiter differenzierende und daher auch bei Eigenverschulden des Arbeitnehmers gebührende Vergütungsanspruch nach § 32 EpiG sei spezieller und gehe der allgemeinen arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlung als lex specialis vor (Resch, ecolex 2021, 287).

[24] Der Senat zieht zu det umfangreichen in der Literatur vorgetragenen, soeben nur auszugsweise referierten und für und gegen Subsidiarität bzw Spezialität des § 32 EpiG vorgetragenen Argumente ergänzend in Erwägung, dass dem § 32 Abs 5 EpiG durch die Novelle BGBl I 2022/89 als weiterer Satz angefügt wurde: „Dies gilt nicht im Falle der Fortzahlung des Entgelts bzw. der Bezüge gemäß Abs 3a.“ Diese Änderung erfolgte erst im parlamentarischen Verfahren (siehe 10980 BlgBR). Nach dem Bericht des Gesundheitsausschusses wird durch diese Änderung „lediglich klargestellt, dass fortgezahltes Entgelt beziehungsweise Bezüge nicht der Anrechnung nach § 32 Abs 5 EpiG unterliegen“ (10994 BlgBR; Hervorhebung vom Senat).

[25] Gemäß § 50 Abs 31 EpiG (idF BGBl 2022/89) trat diese Änderung mit in Kraft.

[26] Ist dem Gesetz die Absicht des Gesetzgebers zu entnehmen, dass es auch auf laufende Verfahren anzuwenden ist, so ist der gesetzgeberischen Absicht Rechnung zu tragen (vgl G. Kodek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 5 Rz 44 mwN).

[27] Weil lediglich eine „Klarstellung“ intendiert ist, geht der Gesetzgeber davon aus, dass sich das Gesetz inhaltlich nicht geändert hat. Dieser Intention entsprechend kann die (bloß formal) neue Gesetzeslage berücksichtigt werden. Der vorliegende Fall ist damit unter Bedachtnahme auf die Novelle BGBl I 2022/89 zu beurteilen.

[28] Wie aus dem zitierten Bericht des Gesundheitsausschusses ersichtlich, ist es Absicht des Gesetzgebers, dass fortgezahltes Entgelt beziehungsweise Bezüge nicht der Anrechnung nach § 32 Abs 5 EpiG unterliegen. Damit wendet sich der Gesetzgeber selbst gegen die Lesart, dass der Vergütungsanspruch nach § 32 EpiG jedenfalls bloß subsidiär sei. Einer solchen Auslegung stünde nach Beurteilung des Senats auch das Effizienzgebot entgegen. Hat – wie hier beim Kläger geschehen – bereits der Umstand, dass man Kontaktperson einer mit Covid-19 infizierten Person war, die Verhängung einer Absonderung (Quarantäne) zur Folge, so muss gewährleistet sein, dass die Betroffenen hierdurch keinen Nachteil erleiden, ansonsten zu befürchten wäre, dass – um einen wirtschaftlichen Nachteil hintanzuhalten – Sachverhalte, die zu einer Absonderung gerade arbeitsfähiger Arbeitnehmer führen würden, verschwiegen werden. Dem entspricht, dass es die öffentliche Hand ist, die bei Vorliegen einer Arbeitsverhinderung wegen Absonderung zum Ersatz des Verdienstentgangs berufen ist.

[29] Der Kläger war wie bereits ausgeführt – ungeachtet der Verhängung der Quarantäne über ihn durch die zuständige tschechische Gesundheitsbehörde – iSv § 32 Abs 1 Z 1 EpiG „abgesondert“.

[30] Die Vergütung nach § 32 EpiG steht für die gesamte Dauer der Absonderung zu (Burger in Reissner, AngG4 [2022] § 8 Rz 9a mzwN; vgl auch Vogt in Gruber-Risak/Mazal, Das Arbeitsrecht – System und Praxiskommentar [41. Lfg 2023] Kap XII Rz 108b: „grds unbegrenzt“). Eine Beschränkung auf eine „verhältnismäßig kurze Zeit“ wie in § 1154b Abs 5 ABGB (oder § 8 Abs 3 AngG) ist hier dem Gesetz fremd.

[31] Dem Kläger stand zur Einbringung der vorliegenden Klage auch der Rechtsweg offen. Nach § 32 Abs 3 Satz 2 EpiG haben die Arbeitgeber den Arbeitnehmern „den gebührenden Vergütungsbetrag an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen“. Bei der Vergütung für den Verdienstentgang nach § 32 EpiG handelt es sich zwar um eine „Schuld des Bundes“, diese hat aber aufgrund von § 32 Abs 3 Satz 2 EpiG der Arbeitgeber „kraft Gesetzes […] zu erfüllen“ (VwGH 84/08/0043 [Pkt 2.2.1.]; Ra 2021/09/0235-4 [Rz 20]). Kommt er dieser Pflicht nach, so geht der Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund mit dem Zeitpunkt der Auszahlung auf ihn über (§ 32 Abs 3 Satz 3 EpiG). Der Arbeitgeber kann diesfalls nach § 33 EpiG bei der Bezirksverwaltungsbehörde den Anspruch gegenüber dem Bund geltend machen (Resch, ecolex 2021, 286). Kommt der Arbeitgeber seiner Pflicht nach § 32 Abs 3 Satz 2 EpiG – wie hier geschehen – nicht nach, so kann der Arbeitnehmer vor dem Arbeits- und Sozialgericht gegen ihn Zahlungsklage erheben. Insofern liegt nämlich eine bürgerliche Rechtssache iSd § 1 JN vor (im Ergebnis bereits 9 ObA 99/21f; Gerhartl, Vergütung von Quarantänezeiten, ARD 6792/4/2022 [5]; Schrank, Leitentscheidungen der Höchstgerichte zum Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht 15.3.1. Nr 4).

[32] Die Revision erweist sich damit im Ergebnis als nicht berechtigt.

[33] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00048.23A.0829.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
KAAAF-67600