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OGH 22.04.2022, 8ObA29/22f

OGH 22.04.2022, 8ObA29/22f

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Dr. Thunhart sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Susanne Haslinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch die Marschall & Heinz Rechtsanwalts-Kommanditpartnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei V* GmbH, *, vertreten durch die Körber-Risak Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 10/22i-23.2, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin war seit bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Nachdem ihr die Beklagte am die Kündigung aussprach, richtete die Klägerin am folgendes Schreiben an den Betriebsratsvorsitzenden:

Hallo E*!

Ich wurde gestern telefonisch (…) über den Ausspruch der Kündigung informiert. Ich wollte mich bei dir erkundigen, ob dir ein Grund genannt wurde? Ich weiß, dass mit der aktuellen Situation argumentiert wurde. Trotzdem wollte ich mich nochmals bei Dir erkundigen!

LG M*

[2] Der Klägerin wurde daraufhin vom Vorsitzenden des Betriebsrats, welcher der Kündigung widersprochen hatte, ein persönliches Gespräch in Aussicht gestellt. Weitere Korrespondenzen mit dem Betriebsrat fanden nicht statt.

[3] Die Klage, mit der die Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung wegen Sozialwidrigkeit bzw dem Vorliegen eines verpönten Motivs anstrebt, wurde von den Vorinstanzen mangels Aktivlegitimation abgewiesen, weil die Klägerin es verabsäumt habe, vom Betriebsrat eine Kündigungsanfechtung zu verlangen.

[4] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[5] Nach § 104 Abs 4 zweiter Satz ArbVG kann der Betriebsrat auf Verlangen des gekündigten Arbeitnehmers binnen einer Woche nach Verständigung vom Ausspruch der Kündigung diese beim Gericht anfechten, wenn er der Kündigungsabsicht ausdrücklich widersprochen hat. Nach § 104 Abs 4 dritter Satz ArbVG kann der Arbeitnehmer, wenn der Betriebsrat diesem Verlangen nicht nachkommt, innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der für den Betriebsrat geltenden Frist die Kündigung selbst beim Gericht anfechten.

[6] Damit steht das Recht zur Anfechtung im Fall eines Widerspruchs des Betriebsrats gegen die Kündigung primär dem Betriebsrat zu, während das Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers voraussetzt, dass er den Betriebsrat erfolglos aufgefordert hat, die Anfechtung vorzunehmen (8 ObA 177/01i; 8 ObA 48/19w). An das „Verlangen“ des Arbeitnehmers an den Betriebsrat, die Kündigung anzufechten, sind keine besonderen formellen Ansprüche zu stellen (RIS-Justiz RS0102517 [T1]). Wesentlich ist, dass aus den Erklärungen des Arbeitnehmers insgesamt hervorgeht, dass er möchte, dass seine Kündigung durch Ausübung des Anfechtungsrechts nach § 105 ArbVG wieder aufgehoben wird (8 ObA 216/00y, 8 ObA 48/19w).

[7] Mit ihrer außerordentlichen Revision behauptet die Klägerin eine grobe Fehlbeurteilung, weil aus ihrem Wunsch, die Gründe der Kündigung zu erfahren, „logisch“ abzuleiten sei, dass sie eine Anfechtung der Kündigung anstrebe. Dem ist entgegenzuhalten, das es nicht ungewöhnlich ist, dass ein Arbeitnehmer die Kündigung akzeptiert, aber trotzdem die Gründe dafür erfahren möchte, weshalb aus dem Wunsch der Klägerin, die Gründe ihrer Kündigung zu erfahren, nicht geschlossen werden muss, dass sie den Betriebsrat zum Tätigwerden auffordern wollte. Dass die Klägerin damals auch die Arbeiterkammer kontaktierte, kann zu keiner anderen Auslegung führen, weil sie gar nicht behauptet hat, dass dem Betriebsrat dieser Umstand bekannt gewesen wäre.

[8] Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass dem Schreiben der Klägerin, mit welchem sie sich beim Betriebsrat nach den Gründen der Kündigung erkundigte, kein Verlangen auf Ausübung des Anfechtungsrechts entnommen werden kann, ist dementsprechend keine iSd § 502 Abs 1 ZPO korrekturbedürftige Fehlbeurteilung. Die Auslegung einer Willenserklärung im Einzelfall begründet typischerweise keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0044298; RS0044358; RS0112106).

[9] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Thunhart als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch die Marschall & Heinz Rechtsanwalts-Kommanditpartnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei V* GmbH, *, vertreten durch die Körber-Risak Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 10/22i-23.2, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die gemeinsame Ruhensanzeige wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Über die außerordentliche Revision der Klägerin hat der Senat am entschieden. Der Zurückweisungsbeschluss langte am in schriftlicher Abfassung zur Ausfertigung in der Geschäftsstelle ein. Die Parteien brachten am beim Erstgericht eine gemeinsame Ruhensanzeige ein.

Rechtliche Beurteilung

[2] Gemäß § 483 Abs 3 ZPO können die Parteien auch noch im Berufungsverfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung oder bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 416 Abs 2 ZPO) vereinbaren, dass das Verfahren ruhen soll. Nach § 416 Abs 2 ZPO ist das Gericht jedoch an seine Entscheidung gebunden, sobald sie in schriftlicher Abfassung zur Ausfertigung abgegeben wurde. Gemäß § 513 ZPO sind die Vorschriften über die Berufung auch auf die Revision anzuwenden.

[3] Da die gemeinsame Ruhensanzeige der Parteien erst nach dem Vorliegen der Entscheidung iSd § 416 Abs 2 ZPO bei Gericht einlangte, war sie zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00029.22F.0422.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
LAAAF-67575