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OGH 21.04.2023, 8Ob17/23t

OGH 21.04.2023, 8Ob17/23t

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann-Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei H* AG, *, vertreten durch Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in Graz, wegen Unterlassung (Streitwert: 30.500 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert: 5.500 EUR), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 17/21y-16, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom , GZ 22 Cg 8/20p-12, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

1. Das Verfahren wird fortgesetzt.

2. Der Revision wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.051,12 EUR (darin 508,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 5.248,80 EUR (darin 366,30 EUR USt und 3.051 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die klagende Partei ist ein nach § 29 KSchG klagebefugter Verein zur Durchsetzung von Verbraucherinteressen. Die Beklagte ist ein Kreditinstitut und bietet ihre Leistungen bundesweit an. Sie tritt in ihrer geschäftlichen Tätigkeit laufend mit Verbrauchern in rechtsgeschäftlichen Kontakt und schließt mit diesen Verträge.

[2] Sie verwendete bis März 2020 im geschäftlichen Verkehr in ihren allgemeinen Informationen iSd § 7 HIKrG „Allgemeine Informationen über Hypothekar- und Immobilienkreditverträge - Vorvertragliche Informationen zur Kreditwürdigkeitsprüfung Informationen zu Beratungsleistungen für Verbraucher“

folgende Klausel:

„Alle einmaligen Kosten/Entgelte sind laufzeitunabhängig und werden bei vorzeitiger Rückzahlung nicht rückerstattet.“

[3] Diese Klausel war auf die von Verbrauchern mit der Beklagten abgeschlossenen Kreditverträge anwendbar. Die Beklagte nahm in der Praxis keine anteilige Rückzahlung von Entgelten, die in Einmalbeträgen bestanden, bei vorzeitiger Rückzahlung durch Verbraucher als Kreditnehmer vor.

[4] Der klagende Verein begehrte, die Beklagte zu verpflichten, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrunde legt, und/oder in hiebei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung dieser Klausel oder die Verwendung sinngleicher Klauseln sowie die Berufung auf diese oder sinngleiche Klauseln zu unterlassen, sowie die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung; In eventu stellt er dieses Begehren eingeschränkt auf die von der Beklagten geschlossenen Hypothekar- und Immobilienkreditverträge. Mit seinem zweiten Eventualbegehren beantragt der Kläger, die Beklagte zu verpflichten, es im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zu unterlassen, im Zusammenhang mit Verbraucherkreditverhältnissen laufzeitunabhängige Kreditkosten, die zu den Gesamtkosten des Kredites gemäß § 2 Abs 9 HIKrG gehören, bei vorzeitiger Kreditrückzahlung des Verbrauchers nicht anteilig zurückzuerstatten oder sinngleiche Praktiken anzuwenden.

[5] Die Klausel widerspreche Art 25 Abs 1 Richtlinie 2014/17/ЕU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher (WIKrRL), wonach der Verbraucher bei vorzeitiger Rückzahlung das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits habe, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit eines Vertrags richteten. Zur im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmung des Art 16 Abs 1 der RL 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Verbraucherkreditverträge (VKrRL) habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Erkenntnis vom in der Rechtssache C-383/18 („Lexitor“) ausgesprochen, dass sowohl laufzeitabhängige als auch laufzeitunabhängige Kosten zu ermäßigen seien. Diese Rechtsprechung sei auch auf Hypothekar- und Immobilienkredite anzuwenden. Die in Umsetzung der WIKrRL ergangenen Bestimmung des § 20 Abs 1 des österreichischen Hypothekar- und Immobilienkreditgesetzes (HIKrG) habe sich an der in Umsetzung der VKrRL geschaffenen Bestimmung des § 16 Abs 1 des österreichischen Verbraucherkreditgesetzes (VKrG) orientiert. Die Bestimmungen hätten gleichermaßen für den Fall der vorzeitigen Rückzahlung eine verhältnismäßige Verringerung der vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen und laufzeitabhängigen Kosten vorgesehen, über laufzeitunabhänige Kosten hingegen keine Aussage getroffen. Beide Bestimmungen seien richtlinienkonform im Sinn der Entscheidung des EuGH „Lexitor“ dahin auszulegen, dass auch laufzeitunabhängige Kosten zu reduzieren seien.

[6] Da die gegenständliche Klausel eine anteilige Rückzahlung (Ermäßigung) bestimmter Arten von Entgelten ausschließe, sei sie gesetzwidrig. Durch sie werde der wirtschaftliche Wert des Rechts des Verbrauchers auf vorzeitige Rückzahlung beschnitten. Die Vorgehensweise der Beklagten benachteilige daher Verbraucher gröblich iSd § 879 Abs 3 ABGB. Wiederholungsgefahr sei gegeben. Zweck der Urteilsveröffentlichung sei es, über die Rechtsverletzung aufzuklären und den beteiligten Verkehrskreisen Gelegenheit zu geben, sich entsprechend zu informieren, um vor Nachteilen geschützt zu sein.

[7] Die Beklagte wendet ein, die Entscheidung des EuGH „Lexitor“ sei nur zur VKrRL ergangen und auf Immobilienkredite nicht anzuwenden. Wenn auch die Bestimmungen der Richtlinien und der sie umsetzenden Gesetze nahezu gleich seien, sei aufgrund der Besonderheiten von Hypothekarkreditverträgen und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Definition von „Gesamtkosten“ des Kredits in den Richtlinien zu differenzieren. Die höheren hypothekarkreditspezifischen Kosten seien im Unterschied zu den bei herkömmlichen Verbraucherkrediten anfallenden Kosten kein rein interner Aufwand, sondern tatsächlich zu leistende Zahlungen (Auslagen und Kostenersätze) an (externe) Dritte. Die Umsetzung der Richtlinien sei einerseits in § 16 Abs 1 zweiter Satz VKrG, andererseits in § 20 Abs 1 dritter Satz HIKrG erfolgt. Aus dem Wortlaut dieser Normen ergebe sich, dass bei vorzeitiger Rückzahlung nur laufzeitabhängige Kosten verhältnismäßig zu verringern seien. Eine analoge Anwendung auf laufzeitunabhängige Kosten scheide in Ermangelung einer planwidrigen Lücke aus. Die unionsrechtskonforme Rechtsfindung durch das nationale Gericht habe dort ihre Grenze, wo sie dazu führe, dass das nationale Recht contra legem auszulegen wäre.

[8] Das Erstgericht wies das Haupt- und die Eventualbegehren ab. § 20 Abs 1 HIKrG idF vor der Novelle BGBl I 2021/1 habe vorgesehen, dass sich im Falle der vorzeitigen Kreditrückzahlung „laufzeitabhängige Kosten“ verhältnismäßig verringern. Um sowohl § 16 Abs 1 VKrG als auch § 20 Abs 1 HIKrG richtlinienkonform zu interpretieren, müssten diese Bestimmungen entgegen dem Wortlaut und dem konkreten Regelungswillen des Gesetzgebers ausgelegt werden. Dieser habe sowohl in § 16 VKrG als auch in § 20 Abs 1 HIKrG bewusst zwischen laufzeitabhängigen und laufzeitunabhängigen Kosten differenziert. Eine richtlinienkonforme Interpretation finde aber ihre Grenze dort, wo das nationale Recht contra legem auszulegen wäre, sodass sie im gegenständlichen Fall ausscheide. Die von der Beklagten angewandte Geschäftspraktik im Zusammenhang mit der vorzeitigen Kreditrückführung stehe in Einklang mit § 20 HIKrG.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung des Hauptbegehrens, gab der Klage jedoch im Hinblick auf das erste Eventualbegehren sowohl hinsichtlich des Unterlassungs- als auch des Veröffentlichungsbegehrens statt.

[10] Es ging davon aus, dass die VKrRL gemäß der Entscheidung „Lexitor“ verlange, auch die laufzeitunabhängigen Kosten anteilig zu refundieren. Dieses Ergebnis lasse sich durch eine Analogie zu § 16 VKrG erreichen: Ebenso wie es dort für laufzeitabhängige Kosten ausdrücklich geregelt sei, sei bei richtlinienkonformer Auslegung bei den laufzeitunabhängigen Kosten vorzugehen. Diese Grundsätze seien auch auf § 20 Abs 1 HIKrG idF vor der Novelle BGBl I Nr 2021/1 unterliegende Sachverhalte anzuwenden. Die Neuregelung des § 16 Abs 1 VKrG sowie des § 20 HIKrG sollte nach den Erläuterungen in dieser Frage eine Klarstellung bringen. Aus dem neuen Wortlaut ergebe sich – auch wenn noch Auslegungsfragen offen blieben – jedenfalls, dass ein undifferenziertes Abstellen auf eine mangelnde Rückerstattbarkeit von laufzeitunabhängigen Kosten – wie in der verfahrensgegenständlichen Klausel – auch mit der neuen Rechtslage nicht in Einklang steht.

[11] Unter Berücksichtigung der Erwägungen des EuGH in der Rechtssache „Lexitor“ zu Art 16 Abs 1 VKrRL sei das Ergebnis der Auslegung von Art 25 der WIKrRL unzweifelhaft, sodass im Sinn der acte-claire-Doktrin die Anrufung des EuGH entbehrlich sei. Eine generelle Nichtrückerstattung laufzeitunabhängiger Kosten lasse sich aus der WIKrRL nicht ableiten. Damit sei die verwendete Klausel sowohl nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung als auch nach der neuen Rechtslage unzulässig.

[12] Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die Revision mit der Begründung zu, dass die verwendeten allgemeinen Informationen für zahlreiche Verbraucher von Bedeutung seien und der Oberste Gerichtshof bisher zu der Frage, wie das HIKrG unions- und richtlinienkonform auszulegen sei, noch nicht Stellung genommen habe.

[13] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[14] Der Kläger beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

[16] 1. Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 8 Ob 128/21p, wurde das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des EuGH über den vom Obersten Gerichtshof am zu AZ 5 Ob 66/21y gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Diese Entscheidung liegt nunmehr vor, weshalb das Verfahren fortzusetzen war.

[17] 2. § 20 Abs 1 HIKrG BGBl I 2015/135 lautete in der bis anzuwendenden Fassung:

„Der Kreditnehmer hat das jederzeit ausübbare Recht, den Kreditbetrag vor Ablauf der bedungenen Zeit zum Teil oder zur Gänze zurückzuzahlen. Die vorzeitige Rückzahlung des gesamten Kreditbetrags samt Zinsen gilt als Kündigung des Kreditvertrags. Die vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen verringern sich bei vorzeitiger Kreditrückzahlung entsprechend dem dadurch verminderten Außenstand und gegebenenfalls entsprechend der dadurch verkürzten Vertragsdauer; laufzeitabhängige Kosten verringern sich verhältnismäßig.“

[18] Die Bestimmung trat mit in Kraft und war auf Kreditverträge und Kreditierungen anzuwenden, die nach dem geschlossen wurden (§ 31 Abs 1 HIKrG).

[19] Mit § 20 Abs 1 HIKrG wurde Art 25 Abs 1 der WIKrRL in das nationale Recht umgesetzt (vgl § 1 HIKrG). Danach stellten die Mitgliedsstaaten sicher, dass die Verbraucher das Recht haben, ihre Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag vollständig oder teilweise vor Ablauf des Vertrags zu erfüllen. In solchen Fällen hat der Verbraucher das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet.

[20] 3. In der RS C-383/18Lexitor“ sprach der EuGH aus (Rn 36), Art 16 Abs 1 der VKrRL sei dahin auszulegen, dass das Recht des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits bei vorzeitiger Rückzahlung sämtliche dem Verbraucher auferlegte Kosten betreffe. Diese Entscheidung erging ausschließlich zur Auslegung von Art 16 Abs 1 VKrL und traf zu Art 25 WIKrRL keine Aussage.

[21] 4. Mit der Novelle BGBl I 2021/1 strich der Gesetzgeber aufgrund dieser Entscheidung nicht nur in § 16 Abs 1 VKrG, sondern auch in § 20 Abs 1 HIKrG (jeweils) im letzten Satz das Wort „laufzeitabhängig“. Hintergrund war die Überlegung, dass § 16 Abs 1 VKrG bei vorzeitiger Rückzahlung nur eine Verringerung der laufzeitabhängigen Kosten vorsehe, was nach dem Urteil „Lexitor“ zu einschränkend sei (ErläutRV 478 BlgNR 27. GP 2). Aufgrund der beinahe wortgleichen Vorgaben sei § 16 Abs 1 VKrG beinahe wortgleich wie § 20 HIKrG formuliert, sodass auch § 20 HIKrG entsprechend geändert werden solle (ErläutRV 478 BlgNR 27. GP 4). § 20 Abs 1 HIKrG in der Fassung dieser Novelle, trat mit in Kraft und ist auf Kreditverträge und Kreditierungen anzuwenden, die nach dem geschlossen bzw gewährt werden (§ 31 Abs 5 HIKrG).

[22] 5. Mit Beschluss vom , 5 Ob 66/21y legte der Oberste Gerichtshof zu einer vergleichbaren Klausel dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

„Ist Art 25 Abs 1 der WIKrRL dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass sich im Fall der Ausübung des Rechts des Kreditnehmers den Kreditbetrag vor Ablauf der bedungenen Zeit zum Teil oder zur Gänze zurückzuzahlen, die vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen und die von der Laufzeit abhängigen Kosten verhältnismäßig verringern, während es für laufzeitunabhängige Kosten an einer entsprechenden Regelung fehlt?“

[23] Der , UniCredit Bank Austria AG, wie folgt entschieden:

„Art 25 Abs 1 WIKrRL ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die vorsieht, dass das Recht des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits bei vorzeitiger Rückzahlung des Kredits nur die Zinsen und die laufzeitabhängigen Kosten umfasst, nicht entgegensteht.“

[24] Zusammengefasst führte der EuGH in seiner Begründung aus: Aus Art 4 Nr 13 der WIKrRL ergibt sich, dass der Begriff „Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher“ sämtliche Kosten umfasse, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen hat und die dem Kreditgeber bekannt sind. Ausdrücklich ausgenommen davon sind Notargebühren, Gebühren für die Eintragung der Eigentumsübertragung in das Grundbuch – wie Kosten für die Grundbucheintragung und damit verbundene Steuern – sowie Entgelte, die der Verbraucher für die Nichteinhaltung der im Kreditvertrag festgelegten Verpflichtungen zahlen muss (Rn 24). Ob derartige Kosten zu diesen Gesamtkosten gehören, obliegt der Prüfung des nationalen Gerichts (Rn 25). Die in Art 25 Abs 1 WIKrRL vorgesehene Ermäßigung zielt nicht darauf ab, den Verbraucher in die Lage zu versetzen, in der er sich befände, wenn der Kreditvertrag für eine kürzere Laufzeit oder einen geringeren Betrag oder ganz allgemein zu anderen Bedingungen geschlossen worden wäre, sondern darauf, den Vertrag an die sich durch die vorzeitige Rückzahlung geänderten Umstände anzupassen (Rn 30). Damit kann das Ermäßigungsrecht nicht die Kosten umfassen, die unabhängig von der Vertragslaufzeit dem Verbraucher entweder zu Gunsten des Kreditgebers oder zu Gunsten Dritter für Leistungen auferlegt werden, die zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung bereits vollständig erbracht worden sind (Rn 31).

[25] Dazu, welche Kosten von der Laufzeit abhängen und der verhältnismäßigen Kürzung unterliegen können, verwies der EuGH auf das in Anhang II der Richtlinie 2014/17 enthaltenen Europäische standardisierte Merkblatt (ESIS-Merkblatt), das der Kreditgeber dem Verbraucher gemäß Art 14 Abs 1 und 2 WIKrRL auszufolgen hat. Dieses Merkblatt sieht eine Aufschlüsselung der vom Verbraucher zu zahlenden Kosten danach vor, ob es sich um einmalige oder regelmäßige Kosten handelt (Rn 34). Diese standardisierte Aufschlüsselung verringert den Handlungsspielraum der Kreditinstitute und ermögliche es damit sowohl dem Verbraucher als auch dem nationalen Gericht zu prüfen, ob eine Art von Kosten objektiv mit der Vertragslaufzeit zusammenhängt (Rn 35). Die in der Entscheidung „Lexitor“ noch angesprochene Gefahr eines missbräuchlichen Verhaltens des Kreditgebers rechtfertigt es daher nicht, die laufzeitunabhängigen Kosten in das in Art 25 Abs 1 der WIKrRL vorgesehene Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits einzubeziehen (Rn 36). Sache der nationalen Gerichte ist es, dafür Sorge zu tragen, dass Kosten, die dem Verbraucher unabhängig von der Laufzeit des Kreditvertrags auferlegt werden, nicht objektiv ein Entgelt des Kreditgebers für die vorübergehende Verwendung des vertraglich vereinbarten Kapitals oder für Leistungen darstellen, die dem Verbraucher zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung noch erbracht werden müssten. Insoweit geht der EuGH von einer Nachweispflicht des Kreditgebers, ob es sich bei den betreffenden Kosten um einmalige oder regelmäßige Kosten handelt, aus (Rn 38).

[26] 6. Aus dem Wortlaut des § 20 Abs 1 HIKrG idF BGBl I 2015/135 zog der Oberste Gerichtshof vor der Entscheidung „Lexitor“ den Umkehrschluss, dass laufzeitunabhängige Entgelte bei vorzeitiger Tilgung nicht aliquot zu reduzieren seien. Auch aus unionsrechtlicher Sicht steht, wie sich aus der zitierten Entscheidung des EuGH ergibt, Art 25 WIKrRL dieser Auslegung nicht entgegen und ist es daher nicht geboten, bei vorzeitiger Rückzahlung des Kredits laufzeitunabhängige Kosten tatsächlich verhältnismäßig zu verringern. Die von den Vorinstanzen aufgeworfene Frage richtlinienkonformer Interpretation des § 20 Abs 1 HIKrG (auch) im Lichte der Entscheidung „Lexitor“ zur VKrRL (vgl hierzu 3 Ob 216/21t; 5 Ob 197/21p, die eine richtlinienkonforme Interpretation contra legem in Bezug auf § 16 Abs 1 VKrG aF ablehnen; allgemein RIS-Justiz RS0114158) stellt sich daher nicht.

[27] Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass die beanstandete Klausel jedenfalls nicht dem bis vor Schluss der Verhandlung erster Instanz und der Verwendung der Klausel (bis ) in Geltung stehenden § 20 Abs 1 HIKrG aF widersprach und diese Bestimmung nicht im Widerspruch zu Art 25 WIKrRL und das dort vorgesehene Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits steht (so mittlerweile auch 5 Ob 25/23x).

[28] 7. Nach der Entscheidung des EuGH C-555/21 haben die nationalen Gerichte – um den in Art 41 lit b der WIKrRL vorgesehenen Umgehungsschutz zu gewährleisten – dafür Sorge zu tragen, dass die Kosten, die dem Verbraucher unabhängig von der Laufzeit des Kreditvertrags auferlegt werden, nicht objektiv ein Entgelt des Kreditgebers für die vorübergehende Verwendung des vertraglich vereinbarten Kapitals oder für Leistungen darstellen, die dem Verbraucher zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung noch erbracht werden müssten. Der EuGH verlangt vom Kreditgeber einen Nachweis, ob es sich bei den betreffenden Kosten um einmalige oder unregelmäßige Kosten handelt.

[29] Die hier beanstandete Klausel findet sich in den „Allgemeine[n] Informationen über Hypothekar- und Immobilienkreditverträge“ im Rahmen eines „Finanzierungsbeispiels“, wobei im Text als einmalige Kosten ein Bereitstellungsentgelt, die Grundbuchseintragungsgebühr, das Entgelt für Anfragen beim Kreditschutzverband, die Ausfertigungsgebühr, die Kosten für die Erstellung des Grundbuchsgesuchs, die Grundbuchsauszugsgebühr, die Sperrscheinersatzgebühr und die Archivierungsgebühr genannt sind. Diese Kosten sind abstrakt als einmalige und daher objektiv laufzeitunabhängige nicht auf noch zu erbringenden Leistungen entfallende Kosten anzusehen.

[30] 8. Damit ist es dem Kläger nicht gelungen eine Verletzung des § 20 Abs 1 HIKrG aF durch die Beklagte unter Beweis zu stellen. Eine Verletzung des § 879 Abs 3 ABGB scheidet aus, weil sich die Prüfung gröblicher Benachteiligung im Sinn dieser Vorschrift am dispositiven Recht als Maßstab eines gerechten Interessensausgleichs zwischen den Parteien zu orientieren hat (3 Ob 216/21t [zu § 16 Abs 1 VKrG]). Wenn die Klausel daher bestimmt, dass die laufzeitunabhängigen Bearbeitungsspesen unabhängig von der Laufzeit der Finanzierung auch bei vorzeitiger Rückzahlung der Finanzierung nicht zurückerstattet werden, entspricht dies dem dispositiven Recht.

[31] 9. Aufgrund der Abänderung waren die Kosten des Berufungsverfahrens neu zu bestimmen. Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00017.23T.0421.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
PAAAF-67497