OGH 25.05.2022, 8Ob11/22h
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Pflegschaftssache 1. der minderjährigen J* W*, und des 2. minderjährigen A* L*, beide wohnhaft bei der und vertreten durch die Mutter E* L*, diese vertreten durch Mag. Florian Plöckinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters C* W*, vertreten durch Mag. Britta Schönhart-Loinig, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 339/21k-175, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Der Mutter kam nach der gesetzlichen Regelung des § 177 Abs 2 Satz 1 ABGB bislang die Alleinobsorge für die beiden Kinder zu. Der Vater hat die gemeinsame Obsorge beantragt. Die Mutter sprach sich dagegen aus.
[2] Das Erstgericht ordnete vorläufig die gemeinsame Obsorge der Eltern bei hauptsächlicher Betreuung der Kinder im Haushalt der Mutter an (Beschlusspunkt 1) und traf – in Rechtskraft erwachsen – das Kontaktrecht des Vaters betreffende Regelungen (Beschlusspunkte 2 ff).
[3] Das Rekursgericht hob Beschlusspunkt 1 mit der Begründung ersatzlos auf, die Voraussetzungen für eine solche vorläufige Entscheidung lägen nicht vor. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde nicht zugelassen.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist mangels einer Rechtsfrage von der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität nicht zulässig.
[5] Nach § 107 Abs 2 Satz 1 AußStrG hat das Gericht die Obsorge und die Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte nach Maßgabe des Kindeswohls, insbesondere zur Aufrechterhaltung der verlässlichen Kontakte und zur Schaffung von Rechtsklarheit, auch vorläufig einzuräumen oder zu entziehen.
[6] Die Möglichkeit einer – über Antrag oder von Amts wegen erfolgenden (8 Ob 21/19z mwN) – vorläufigen Entscheidung nach § 107 Abs 2 AußStrG trägt einer gewissen Eilbedürftigkeit Rechnung, die es im Einzelfall zur Förderung des Kindeswohls geboten erscheinen lässt, diese vor Aufnahme sämtlicher relevanten Beweise zu erlassen. Die vorläufige Entscheidung muss sachlich notwendig sein (7 Ob 198/18w [Pkt 3.]). Nach dem Willen des Gesetzgebers hat das Gericht eine solche vorläufige Entscheidung schon dann zu treffen, wenn zwar für die endgültige Regelung noch weitergehende Erhebungen (etwa die Einholung oder Ergänzung eines Sachverständigengutachtens) notwendig sind, aber eine rasche Regelung der Obsorge oder der persönlichen Kontakte für die Dauer des Verfahrens Klarheit schafft und dadurch das Kindeswohl fördert. Die Voraussetzungen für die Erlassung vorläufiger Maßnahmen sind in dem Sinne reduziert, dass diese nicht erst bei akuter Gefährdung des Kindeswohls, sondern bereits zu dessen Förderung erfolgen dürfen (4 Ob 110/20k [Pkt 3.3 f] mwN; RIS-Justiz RS0129538).
[7] Die Frage, ob die Voraussetzungen für eine vorläufige Obsorgeregelung (oder Kontaktregelung) erfüllt sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Wurde bei der Entscheidung ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen und wurden keine leitenden Rechtsprechungsgrundsätze verletzt, ist der Revisionsrekurs mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig (8 Ob 129/19g; 5 Ob 122/19f [Pkt 1.4. und 2.1.] ua). Eine solche Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste, liegt hier nicht vor.
[8] Es ist aus dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt nicht ersichtlich, warum es aus Gründen des Kindeswohls notwendig sein sollte, den Vater vorläufig mit der gemeinsamen Obsorge zu betrauen. Nach den Feststellungen ist bloß „ein sukzessives Einbeziehen des Vaters in die Betreuung der Kinder [...] wichtig [...], um diesen als Erziehungsperson präsenter zu machen“. Selbst wenn man den Vater – wie im Revisionsrekurs wiederholt ins Treffen geführt – „als wichtige zukünftige Ressource für die Kinder“ betrachtet, fehlt es an einem Tatsachensubstrat, aus dem sich die Notwendigkeit und Eilbedürftigkeit einer vorläufigen gemeinsamen Obsorge ergäbe. Das Rekursgericht hat verschiedene Feststellungen des Erstgerichts in Hinsicht auf die Kommunikations- und Erziehungsfähigkeit der Eltern als einander widersprechend qualifiziert und gleichfalls aus diesem Grund eine adäquate Grundlage für eine auch nur vorläufige Obsorgeregelung verneint. Dem vermag der Oberste Gerichtshof nicht entgegenzutreten.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00011.22H.0525.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAF-67474