OGH 06.03.2024, 7Ob2/24f
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Unterbringungssache des minderjährigen Patienten M*, geboren * 2010, pA *, vertreten durch die Mutter C*, sowie den Verein VertretungsNetz – Patientenanwaltschaft (Patientenanwältin Mag. S*), *, dieser vertreten durch Dr. Marco Nademleinsky, Rechtsanwalt in Wien, Abteilungsleiterin Prim. Prof. Dr. I*, LKZ *, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom , GZ 1 R 187/23m-14, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz West vom , GZ 4 Ub 499/23h-10, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antrag des Vereins abgewiesen wird.
Text
Begründung:
[1] Der minderjährige Patient befand sich seit in stationärer Behandlung der Kinder und Jugendpsychiatrie des LKH *; bis war er dort auch untergebracht. Danach wurde seine Unterbringung beendet; er war jedoch weiterhin Patient der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Auf dem Gelände des LKH befindet sich in einer Entfernung von etwa 100 bis 150 m zur kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilung eine Heilstättenschule. Sie gehört nicht zur kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilung und ist auch nicht an die Kinder- und Jugendpsychiatrie angeschlossen. Sie gehört deshalb auch nicht zum Wirkungskreis der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Schüler dieser Schule sind ausschließlich Minderjährige, die stationär oder tagesstationär auf der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Sinne des UbG behandelt werden.
[2] Am wurde der Patient im Bereich der Heilstättenschule zuerst von einem Betreuer, danach vom hinzugerufenen Pflegepersonal der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie festgehalten und auf dem Boden fixiert. Es gelang in der Folge, die Situation zu deeskalieren. Der Patient kehrte daraufhin freiwillig mit dem Pflegepersonal in den Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie zurück. Es war danach auch nicht notwendig, den Patienten im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Sinne des UbG unterzubringen.
[3] Das Erstgericht wies den Antrag des Vereins zurück, die am Patienten am vorgenommene Freiheitsbeschränkung durch Festhalten und Fixieren auf dem Boden nachträglich gemäß § 33 UbG iVm § 38a UbG für unzulässig zu erklären. Das Unterbringungsgesetz gelte nur für Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie (auch Kinder- und Jugendpsychiatrie), in denen Personen in einem geschützten Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden. Die Heilstättenschule falle nicht in den Anwendungsbereich des UbG.
[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle, ob eine Heilstättenschule dieser Art in den Anwendungsbereich des UbG falle.
[5] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vereins, mit dem Antrag, in Anwendung des UbG die Maßnahme für unzulässig zu erklären, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[6] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
[7] 1. § 2 UbG beschreibt den räumlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes: Es gilt für in Österreich befindliche Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie sowie für Kinder- und Jugendpsychiatrie, in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden. Eine Anwendung des UbG kommt daher nur in Krankenanstalten für Psychiatrie und Abteilungen für Psychiatrie in Österreich in Betracht (vgl etwa Ganner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 2 UbG Rz 1 mwN). Nur in Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie ist der Vollzug des UbG erlaubt, sodass ua nur dort die Kontrollbefugnisse der Unterbringungsgerichte gelten (vgl Halmich, UbG [2014] § 2 Rz 2; Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts3 Rz 28; jüngst 7 Ob 139/23a).
[8] 2. Die Anwendbarkeit des UbG setzt damit zuerst voraus, dass es sich beim Ort der Unterbringung um eine Krankenanstalt handelt. Dabei ist davon auszugehen, dass der vom UbG verwendete Begriff der Krankenanstalt mit jenem des Krankenanstaltenrechts inhaltsgleich ist (Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts3 Rz 29). Nach § 1 Abs 1 KAKuG sind unter Krankenanstalten (Heil- und Pflegeanstalten) Einrichtungen zu verstehen, die 1. zur Feststellung und Überwachung des Gesundheitszustands durch Untersuchung, 2. zur Vornahme operativer Eingriffe, 3. zur Vorbeugung, Besserung und Heilung von Krankheiten durch Behandlung, 4. zur Entbindung, 5. für Maßnahmen medizinischer Fortpflanzungshilfe oder 6. zur Bereitstellung von Organen zum Zweck der Transplantation bestimmt sind. Ferner sind aber nach Abs 2 dieser Bestimmung als Krankenanstalten auch Einrichtungen anzusehen, die zur ärztlichen Betreuung und besonderen Pflege von chronisch Kranken bestimmt sind (vgl 7 Ob 139/23a; Stöger in Neumayr/Resch/Wallner, GmundKomm2 § 1 KAKuG Rz 4).
[9] 3. Auch eine sonstige Beschränkung der Bewegungsfreiheit eines Patienten führt nur dann zum Vorliegen einer Unterbringung im Sinne des § 2 UbG, wenn diese Beschränkung in einer Krankenanstalt oder einer Abteilung mit „psychiatrischem Charakter“ stattfindet (vgl Ganner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2, § 2 UbG Rz 14).
[10] 4. Hier erfolgte die zu beurteilende Fixierung in der Heilstättenschule. § 25 SchOG regelt die Organisationsformen der Sonderschule. Gemäß § 25 Abs 4 SchOG können in Krankenanstalten und ähnlichen Einrichtungen für schulpflichtige Kinder nach Maßgabe der gesundheitlichen Voraussetzungen Klassen oder ein kursmäßiger Unterricht nach dem Lehrplan der Volksschule, der Mittelschule, der Polytechnischen Schule oder einer Sonderschule eingerichtet werden. Unter der Voraussetzung einer entsprechenden Anzahl solcher Klassen und Kurse können auch „Heilstättenschulen“ eingerichtet werden. Die gegenständliche Einrichtung ist damit Teil des öffentlichen Schulwesens.
[11] 5. Der Revisionsrekurswerber geht – mit den Vorinstanzen – zu Recht selbst davon aus, dass die hier gegenständliche Heilstättenschule als solche keine Krankenanstalt ist.
[12] 5.1. Nur die örtliche Nähe zur Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und die Einbettung des Besuchs dieser Schule in ein Gesamtbetreuungskonzept in der Kinder- und Jugendpsychiatrie führt nicht dazu, dass auf diese Schule deshalb das UbG anzuwenden wäre, ist sie nach den Feststellungen des Erstgerichts doch nicht an die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie angeschlossen und gehört auch nicht zu deren Wirkungskreis.
[13] 5.2. Auch aus dem Hinweis des Revisionsrekurswerbers auf § 32 Abs 3 UbG ist für seinen Rechtsstandpunkt nichts zu gewinnen. § 32 Abs 3 UbG idF BGBl I Nr 147/2022 normiert seit dem ausdrücklich die von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bereits davor vertretene Sichtweise (vgl etwa 7 Ob 173/13m), wonach ein untergebrachter Patient bis zu 24 Stunden außerhalb der psychiatrischen Abteilung behandelt werden könne, ohne, das dies die Unterbringung aufhebe. Diese Regelung betrifft damit nur Fälle, in denen ein Patient bereits untergebracht ist. Der Patient war hier zum Zeitpunkt des antragsgegenständlichen Vorfalls aber nicht untergebracht.
[14] 5.3. Die Frage der Anwendbarkeit des HeimAufG ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, weshalb auf die damit im Zusammenhang stehenden Argumente des Revisionsrekurses nicht weiter einzugehen ist.
[15] 6. Der Revisionsrekurs ist daher nicht berechtigt. Da der Antrag nicht zurück-, sondern abzuweisen ist, wenn die Einrichtung nicht in den Anwendungsbereich des UbG fällt (vgl 7 Ob 43/22g und 7 Ob 183/21v je mwN zum HeimAufG), war mit Maßgabebestätigung vorzugehen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00002.24F.0306.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAF-67327