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OGH 27.09.2023, 7Ob139/23a

OGH 27.09.2023, 7Ob139/23a

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Unterbringungssache des Patienten R*, geboren *1967, Landespflegeklinik, *, vertreten durch den Verein VertretungsNetz – Patientenanwaltschaft (Patientenanwalt Dr. M*), *, dieser vertreten durch Dr. Marco Nademleinsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterbringung, über die Revisionsrekurse der T* GmbH, *, und des Abteilungsleiters OA Dr. T*, beide vertreten durch Univ.-Doz. Dr. Thomas Walzel von Wiesentreu, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 54 R 102/23f-37, mit dem dem Rekurs des Abteilungsleiters gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom , GZ 11 Ub 130/22s-30, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der Revisionsrekurs der T* GmbH wird zurückgewiesen.

II. Dem Revisionsrekurs des Abteilungsleiters wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

[1] Der Patient befindet sich seit zur dauerhaften Pflege und Betreuung an der Landespflegeklinik T* (idF: Einrichtung). Am erfolgte die Meldung der Einrichtung, dass Sicherungsmaßnahmen (Sensoruhr) notwendig sind, da der am Korsakow-Syndrom erkrankte Patient die Station selbstständig verlasse und aufgrund seiner Desorientiertheit nicht mehr zurückfinde.

[2] Bei der Einrichtung handelt es sich um einen eigenen, unabhängigen Standort der T* GmbH. Sie wird als Pflegeheim geführt und ist aus diesem Grund auch in der vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz veröffentlichten Liste der Krankenanstalten in Österreich (Stand: ) nicht angeführt. Die Einrichtung hat sechs Stationen, auf jederStation werden 27 Patienten betreut. Voraussetzung zur Aufnahme in der Einrichtung ist eine chronische Erkrankung; das Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung ist nicht vorausgesetzt. Ca 90 % der Patienten weisen psychiatrische Krankheitsbilder auf; überwiegend handelt es sich dabei um dementielle Erkrankungen. Es werden auch Patienten mit anderen psychiatrischen Störungen, aber auch solche mit nicht psychischen Erkrankungen, wie etwa Intelligenzminderungen oder organischen Störungen, betreut und behandelt. Die Einrichtung hat derzeit keine ärztliche Leitung; es sind nur mehr zwei stationsführende Oberärzte – Fachärzte für Psychiatrie – tätig, wobei jeder für drei Stationen zuständig ist. Im Zeitraum bis war – aufgrund eines Krankenstands und eines Urlaubs – etwa in der Einrichtung kein Facharzt für Psychiatrie tätig. Die Dienstzeit der beiden Ärzte dauert von Montag bis Freitag jeweils 8:00 Uhr bis 16:30 Uhr; Wochenenden und Feiertage sind dienstfrei. Eine Rufbereitschaft zwischen 16:00 Uhr und 23:00 Uhr besteht nicht mehr. Während der Nachtstunden, Wochenenden und Feiertage sind an der Einrichtung keine Fachärzte für Psychiatrie tätig. Im Bereich des Pflegepersonals sind 29,08 Vollzeitäquivalente für den Krankenpflegefachdienst (Dipl. Pflege) und 73,73 Vollzeitäquivalente für den Sanitätsdienst tätig. Von den Dipl. Pflegekräften verfügen 5,78 Vollzeitäquivalente über eine Spezialisierung in „Psychiatrischer Gesundheits- und Krankenpflege“. Prinzipiell befinden sich die Patienten zur dauerhaften Betreuung und Pflege in der Einrichtung; nur in Einzelfällen tritt eine Besserung in einem Ausmaß ein, dass eine Entlassung nach Hause oder in andere Betreuungseinrichtungen möglich ist. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Patienten liegt bei etwa sechs Jahren. Die Aufenthaltskosten der Patienten werden – mit individuellen einkommensabhängigen Selbstbehalten sowie dem zuerkannten Pflegegeld – überwiegend über die Sozialabteilung des Landes verrechnet. Medizinische Leistungen im Bereich Krankenbehandlung und Hilfsmittelversorgung (so auch psychiatrische Behandlungen) werden über die Sozialversicherungsträger verrechnet.

[3] Zuletzt erklärte das Erstgericht die Unterbringung des Patienten bis für zulässig. Am langte beim Erstgericht neuerlich eine Verlängerungsanzeige des Abteilungsleiters ein, weil sich am Zustand des Patienten nichts geändert habe. Mit Beschluss vom wies das Erstgericht diesen Antrag zurück und stellte das Unterbringungsverfahren ein, weil es sich bei der Einrichtung um keine Kranken- oder Pflegeanstalt im Sinne des UbG handle. Dieser Beschluss wurde vom Rekursgericht am aufgehoben und die Unterbringungssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen. Die Unterbringung ist seit aufgehoben.

[4] Das Erstgericht wies nach Verfahrensergänzung den Antrag des Abteilungsleiters vom mit Beschluss vom zurück.

[5] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Abteilungsleiters keine Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

[6] Gegen diesen Beschluss erhoben die T* GmbH „als Rechtsträgerin der Einrichtung“ mit der Behauptung, „als solche in gegenständlicher, nach dem Außerstreitgesetz zu führender Unterbringungsangelegenheit rechtsmittellegitimiert“ zu sein, und der Abteilungsleiter einen außerordentlichen Revisionsrekurs.

Zu I.:

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs der T* GmbH ist jedenfalls unzulässig:

[8] 1. Gemäß § 20 Abs 2 UbG hat der Abteilungsleiter die Möglichkeit gegen den Beschluss, mit dem das Gericht die Unterbringung für unzulässig erklärt, Rekurs zu erheben. Wie auch nach (§ 29a iVm) § 28 Abs 2 UbG und § 38a Abs 3 UbG wird nur dem Abteilungsleiter ein Rechtsmittelrecht im Unterbringungsverfahren eingeräumt, nicht jedoch sonstigen Dritten, wie etwa dem Träger des Krankenhauses (7 Ob 14/14f = SZ 2014/18; 7 Ob 154/20b jeweils mwN).

Der Rechtsträger der Krankenanstalt – die T* GmbH – ist nicht am Verfahren nach dem UbG beteiligt und damit auch nicht rechtsmittellegitimiert (so jüngst 7 Ob 130/23b betreffend diese Rechtsmittelwerberin).

[9] 2. Mangels Parteistellung ist der Revisionsrekurs der Erstrevisionsrekurswerberin daher zurückzuweisen.

Zu II.:

[10] Der Zweitrevisionsrekurswerber ist als Abteilungsleiter rechtsmittellegitimiert. Der Patient beantragt in der schon vor einem entsprechenden Beschluss des Obersten Gerichtshofs eingebrachten Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben. In einem solchen Fall erübrigt sich eine Freistellung und es kann bereits in der Sache selbst erkannt werden (RS0104882).

[11] Der Revisonsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

[12] 1. Nach § 2 UbG gelten die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes – soweit hier relevant – für Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie (psychiatrische Abteilung), in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden (Unterbringung). Nur in Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie ist der Vollzug des UbG erlaubt, sodass ua nur dort die Kontrollbefugnisse der Unterbringungsgerichte gelten (vgl Halmich, UbG [2014] § 2 Rz 2; Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts3 Rz 28).

[13] 1.1. Die Anwendbarkeit des UbG setzt damit zuerst voraus, dass eine Krankenanstalt vorliegt. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der vom UbG verwendete Begriff der Krankenanstalt mit jenem des Krankenanstaltenrechts inhaltsgleich ist (Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts3 Rz 29). Nach § 1 Abs 1 KAKuG sind unter Krankenanstalten (Heil- und Pflegeanstalten) Einrichtungen zu verstehen, die 1. zur Feststellung und Überwachung des Gesundheitszustands durch Untersuchung, 2. zur Vornahme operativer Eingriffe, 3. zur Vorbeugung, Besserung und Heilung von Krankheiten durch Behandlung, 4. zur Entbindung, 5. für Maßnahmen medizinischer Fortpflanzungshilfe oder 6. zur Bereitstellung von Organen zum Zweck der Transplantation bestimmt sind. Ferner sind aber nach Abs 2 dieser Bestimmung als Krankenanstalten auch Einrichtungen anzusehen, die zur ärztlichen Betreuung und besonderen Pflege von chronisch Kranken bestimmt sind. § 2 Abs 1 KAKuG definiert entsprechend als Krankenanstalten im Sinne des § 1 KAKuG, soweit hier relevant auch Pflegeanstalten für chronisch Kranke, die ärztlicher Betreuung und besonderer Pflege bedürfen (Z 3). Im Zentrum des Begriffs „Krankenanstalt“ stehen aber nicht diese Aufgaben, sondern die Organisation als „Anstalt“ (vgl Stöger in Neumayr/Resch/Wallner, GmundKomm2 § 1 KAKuG Rz 4).

[14] 1.2. Pflegeanstalten für chronisch Kranke sind über die dort behandelten Patienten – wenn auch unscharf – definiert. Für ihr Vorliegen – und insbesondere zur Abgrenzung gegenüber den Pflegeheimen – entscheidend ist die vorrangige Notwendigkeit ärztlicher Betreuung neben der Pflege (Stöger in Neumayr/Resch/Wallner, GmundKomm2 § 2 KAKuG Rz 2). Die Abgrenzung zwischen „Pflegeanstalten für chronisch Kranke, die ärztlicher Betreuung und besonderer Pflege bedürfen“ (vgl § 2 Abs 1 Z 3 KAKuG) und anderen – nicht dem KAKuG unterliegenden – Pflegeheimen richtet sich nach der Art der von den Patienten primär benötigten Betreuung: Steht die Notwendigkeit regelmäßiger ärztlicher Betreuung des chronisch Kranken im Vordergrund, dann liegt eine Krankenanstalt im Sinne des KAKuG vor; steht hingegen die Pflege im Vordergrund (bei bloß fallweise erforderlicher ärztlicher Betreuung), dann wird keine Krankenanstalt im Sinne des KAKuG anzunehmen sein (Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts3 Rz 31 ff).

[15] 1.3. Zusätzlich zum Status als „Krankenanstalt“ ist für die Anwendbarkeit des UbG erforderlich, dass es sich um eine Krankenanstalt für Psychiatrie oder um eine psychiatrische Abteilung einer anderen Krankenanstalt handelt (Kopetzki aaO Rz 34). Ob eine Krankenanstalt oder eine Abteilung „psychiatrischen Charakter“ hat, ist nach bisheriger Rechtsprechung anhand einer Durchschnittsbetrachtung der versorgten Patientengruppen (Art der Krankheitsbilder), der erbrachten Leistungen (Art und Fachzugehörigkeit der medizinischen Tätigkeiten) und der internen Organisationsstrukturen (insbesondere fachliche Qualifikation des Personals) zu beurteilen; es kommt auf die materielle Beurteilung an, ob der Schwerpunkt der ärztlichen Tätigkeit und der behandelten Krankheiten in der fraglichen Krankenanstalt oder Abteilung bei objektiver Betrachtung ins Fachgebiet der Psychiatrie fällt und daher die medizinisch-psychiatrische Versorgung im Vordergrund steht (7 Ob 169/15a mwN; RS0122210). Liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit hingegen nicht in der medizinisch-psychiatrischen Versorgung, sondern in der Pflege und Betreuung, dann handelt es sich um gar keine Krankenanstalt, sondern um ein Pflegeheim, auch wenn sich die Pflege auf psychisch Kranke bezieht und daher möglicherweise auch psychiatrisch qualifiziertes Personal beschäftigt ist (Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts3 Rz 35; vgl auch 9 ObA 114/06i; 4 Ob 109/07a).

[16] 2. Vor diesem Hintergrund ist auf die im vorliegenden Fall zu beurteilende Einrichtung das UbG nicht anzuwenden:

[17] 2.1. Die Einrichtung verfügt nicht über eine ärztliche Leitung. Hier steht auch nicht die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen im Vordergrund, die grundsätzlich auf eine Heilung oder ausreichende Besserung des Krankheitsbilds zur Ermöglichung einer Entlassung der Patienten abzielt, sondern vielmehr die Pflege von Patienten, die zwar in einem hohen Ausmaß an psychiatrischen Erkrankungen leiden, in aller Regel aber in der Einrichtung auf Dauer untergebracht sind. Dass die Pflege hier im Vordergrund steht, legt auch das Verhältnis zwischen ärztlichem Personal und Pflegepersonal – etwa hundert in der Pflege eingesetzten Beschäftigten stehen zwei Ärzte gegenüber – nahe.

[18] 2.2. Die festgestellte Organisationsstruktur der Einrichtung schafft damit die Voraussetzungen für eine dauerhafte Pflege von Patienten – die aufgrund eines erhöhten Bedarfs mit einem etwa nur alle zwei Wochen anwesenden Konziliararzt nicht auskommen würden – nicht aber für eine engmaschige Behandlung psychiatrischer Erkrankungen. Ausgehend von der versorgten Patientengruppe (90 % psychiatrische Erkrankungen, aber auch organische Störungen), der erbrachten Leistungen (durchgehende Pflege, allerdings sind lediglich etwa 20 % der Pflegekräfte im psychiatrischen Bereich ausgebildet) und der Organisationsstruktur, die mit zwei Fachärzten, die weder abends noch am Wochenende anwesend sind, auskommt, ist die Einrichtung nicht als „Krankenanstalt für Psychiatrie“ im Sinne des UbG anzusehen.

[19] 2.3. Da das Erstgericht zu allen relevanten Umständen detaillierte Feststellungen getroffen hat, die eine Gesamtwürdigung der Organisationsstruktur der Einrichtung ermöglichen, liegen – entgegen der Ansicht des Revisionsrekurswerbers – auch keine sekundären Feststellungsmängel vor.

[20] 3. Die Frage der Anwendbarkeit des HeimAufG ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen.

[21] 4. Der Revisionsrekurs ist daher nicht berechtigt.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00139.23A.0927.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
JAAAF-67272