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OGH 24.08.2022, 7Ob133/22t

OGH 24.08.2022, 7Ob133/22t

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Bewohners H* J*, geboren am * 1943, *, vertreten durch ifs Bewohnervertretung (Bewohnervertreterin Mag. R* A*), *, vertreten durch Dr. Katharina Bleckmann, Rechtsanwältin in Salzburg, Erwachsenenvertreterin R* J*, Einrichtungsleiter DGKP D* D*, wegen freiheitsbeschränkender Maßnahmen, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom , GZ 3 R 139/22x-15, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Der Oberste Gerichtshof (7 Ob 193/16g mwN, 7 Ob 199/16i) hat unter Bezugnahme auf den Gesetzgeber (ErläutRV 353 BlGNR 22. GP 8 ff) ausgesprochen, dass der Einsatz eines Rollstuhls – selbst verbunden mit der unverzichtbaren Anlegung des Gurts –, um dem Bewohner die Teilnahme am sozialen Leben zu ermöglichen, die Bewegungsfreiheit des Bewohners, der sich sonst überhaupt nicht fortbewegen könnte, gerade nicht einschränkt. Vielmehr wird dadurch der Bewegungs- und Handlungsspielraum und somit die Mobilität sogar erhöht.

[2] 2.1 Der schwer an Alzheimer erkrankte Bewohner kann sich nur insofern fortbewegen, als er sich mit den Füßen im Rollstuhl verschieben kann. Zum Transfer aus dem Bett in den Rollstuhl oder in den Duschstuhl und von dort ins Bett wird die Steh- und Aufrichtehilfe Sara Flex verwendet. Der Transfer in den Rollstuhl erlaubt dem Bewohner eine regelmäßige Teilnahme am sozialen Leben innerhalb der Pflegeeinrichtung, außerhalb seines Zimmers, und zwar insbesondere den Besuch der Aufenthaltsräumlichkeiten. Der Transfer in den Duschstuhl ermöglicht ihm die Körperpflege in der Dusche. Die Bewohnervertreterin gesteht selbst zu, dass die Anwendung der Steh- und Aufrichtehilfe grundsätzlich keine freiheitsbeschränkende Maßnahme darstellt, dient ihre Verwendung doch der Vorbereitung des Einsatzes des Rollstuhls/Duschstuhls und damit der Erhöhung der Mobilität des Bewohners.

[3] 2.2.1 Ein Gespräch ist mit dem Bewohner nicht mehr möglich. Aufgrund der fortgeschrittenen Demenz kann er nicht mehr verstehen, aus welchem Grund gewisse pflegerische Maßnahmen durchgeführt werden. In Momenten, in denen ihm nicht klar ist, was gerade geschieht, schlägt er um sich. So schlägt er auf die Pfleger – auch während des Wasch- und Duschvorgangs – oder auf das Inventar ein. Es kommt vor, dass er an den Kissen reißt oder am TV-Gerät zerrt. Zu derartigen Reaktionen kann es auch beim Einsatz der Steh- und Aufrichtehilfe kommen, wobei sich nach den Feststellungen dieses Verhalten nicht gegen die Anwendung der Vorrichtung selbst wendet. Mit der Steh- und Aufrichtehilfe Sara Flex ist aktuell die Mobilisation des Bewohners am schonendsten und sichersten durchführbar.

[4] 2.2.2 Vor diesem Hintergrund gelangten die Vorinstanzen zu der Ansicht, dass das aufgezeigte – nicht vorhersehbare – Verhalten des Bewohners, das sich weder gezielt gegen den Einsatz der Steh- und Aufrichtehilfe noch gegen die Ortsveränderung richtet, den zur Mobilisierung des Bewohners notwendigen Einsatz der Steh- und Aufrichtehilfe nicht zu einer unzulässigen Freiheitsbeschränkung mache. Diese Ansicht ist aufgrund des im vorliegenden Fall konkret festgestellten Sachverhalts jedenfalls vertretbar.

[5] 2.2.3 Eine unsachgemäße Verwendung der Steh- und Aufrichtehilfe steht nicht fest.

[6] 3.1 Auch im Außerstreitverfahren gilt in dritter Instanz das Neuerungsverbot (RS0119918), der Entscheidung sind die Umstände zum Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz zugrunde zu legen (vgl RS0006928). Neue Tatsachen und Beweismittel können grundsätzlich nur zur Unterstützung oder Bekämpfung der Revisionsrekursgründe vorgebracht werden. Die (eingeschränkte) Neuerungserlaubnis des § 49 AußStrG (im Rekursverfahren) gilt nicht im Revisionsrekursverfahren (1 Ob 10/17b mwN).

[7] 3.2 Mit ihren Ausführungen, aus den Pflegeberichten vom bis ergebe sich, dass beim Bewohner nunmehr ein Gehwagen eingesetzt werde was deutlich zeige, dass er keinesfalls den Status „ohne Mobilisierungshilfe bettlägrig und unbeweglich“ aufweise, was eine mittlerweile hervorgekommene neue Tatsache sei, die die Verwendung der Sara Flex jedenfalls im Fall der Gegenwehr unzulässig mache, beabsichtigt die Bewohnervertreterin eine Änderung der Tatsachengrundlage. Die Ausnahmevorschrift des von ihr herangezogenen § 66 Abs 2 AußStrG bezieht sich aber nur auf die Revisionsrekursgründe des § 66 Abs 1 ABGB. Neuerungen, die die Beweiswürdigung betreffen, sind damit jedenfalls ausgeschlossen.

[8] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00133.22T.0824.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
PAAAF-67270